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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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nicht mehr bloss, dass das und das Werk gedeihe, oder auch
dass die Gemeinschaft überhaupt, nach ihrem formalen Cha-
rakter, sich erhalte, sondern dass die Gemeinschaft und im
besondern die Gesetzgebung des sozialen Willens sich so ge-
stalte, wie sie nach dem Ausspruch des Vernunftgebots sich
gestalten muss. Grundbedingung dafür ist die Durchdringung
des Gemeinschaftslebens, in Wirtschaft und Recht, vorzüglich
aber in der sozialen Organisation der Erziehung, mit dem
Geiste der Sittlichkeit, d. i. reinen Gesetzlichkeit; eine sowohl
mögliche als unerlässlich notwendige Aufgabe eines Gemein-
schaftslebens, das den Namen eines menschlichen ganz und
dauernd verdienen soll.

Indem wir diesen Standpunkt der "sozialen Teleo-
logie
"*) nachdrücklich einnehmen, vertreten wir zugleich den
"Monismus des sozialen Lebens"**), d. i. die Auffassung,
dass die nachgewiesenen drei Grundfaktoren des sozialen, gleich
denen des individualen Lebens (§ 11), denen sie genau ent-
sprechen, nicht äusserlich neben einander stehen, sondern als
bloss begrifflich auseinanderzuhaltende Seiten oder Richtungen
desselben in seiner normalen Gestaltung untrennbar verbunden
sein müssen; d. i. die Tendenz zur Vernunfteinheit muss der
sozialen Regelung und diese der Gemeinschaft der Arbeit un-
mittelbar innewohnen, so wie in der sittlichen Vollendung des
Individuums die Herrschaft der Vernunft sich durch das Mittel
des Willens bis auf das Triebleben erstrecken und es ganz und
gar durchdringen würde.

Damit ist der Grundbegriff der Tugend der Gemein-
schaft
dem Fundament nach schon gewonnen. Um sie jedoch
in noch konkreterer Gestalt zeichnen zu können, haben wir
zuvor das soziale Leben selbst noch einige Stufen weiter ins
Konkrete zu verfolgen.

§ 17.
Grundklassen sozialer Thätigkeiten.

Das soziale Leben, wie es sich aus den nachgewiesenen
drei Grundbestandteilen gemäss deren notwendigem innerem

*) Stammler, 4. u. 5. Buch.
**) Derselbe, 3. Buch.
Natorp, Sozialpädagogik. 10

nicht mehr bloss, dass das und das Werk gedeihe, oder auch
dass die Gemeinschaft überhaupt, nach ihrem formalen Cha-
rakter, sich erhalte, sondern dass die Gemeinschaft und im
besondern die Gesetzgebung des sozialen Willens sich so ge-
stalte, wie sie nach dem Ausspruch des Vernunftgebots sich
gestalten muss. Grundbedingung dafür ist die Durchdringung
des Gemeinschaftslebens, in Wirtschaft und Recht, vorzüglich
aber in der sozialen Organisation der Erziehung, mit dem
Geiste der Sittlichkeit, d. i. reinen Gesetzlichkeit; eine sowohl
mögliche als unerlässlich notwendige Aufgabe eines Gemein-
schaftslebens, das den Namen eines menschlichen ganz und
dauernd verdienen soll.

Indem wir diesen Standpunkt der „sozialen Teleo-
logie
*) nachdrücklich einnehmen, vertreten wir zugleich den
Monismus des sozialen Lebens**), d. i. die Auffassung,
dass die nachgewiesenen drei Grundfaktoren des sozialen, gleich
denen des individualen Lebens (§ 11), denen sie genau ent-
sprechen, nicht äusserlich neben einander stehen, sondern als
bloss begrifflich auseinanderzuhaltende Seiten oder Richtungen
desselben in seiner normalen Gestaltung untrennbar verbunden
sein müssen; d. i. die Tendenz zur Vernunfteinheit muss der
sozialen Regelung und diese der Gemeinschaft der Arbeit un-
mittelbar innewohnen, so wie in der sittlichen Vollendung des
Individuums die Herrschaft der Vernunft sich durch das Mittel
des Willens bis auf das Triebleben erstrecken und es ganz und
gar durchdringen würde.

Damit ist der Grundbegriff der Tugend der Gemein-
schaft
dem Fundament nach schon gewonnen. Um sie jedoch
in noch konkreterer Gestalt zeichnen zu können, haben wir
zuvor das soziale Leben selbst noch einige Stufen weiter ins
Konkrete zu verfolgen.

§ 17.
Grundklassen sozialer Thätigkeiten.

Das soziale Leben, wie es sich aus den nachgewiesenen
drei Grundbestandteilen gemäss deren notwendigem innerem

*) Stammler, 4. u. 5. Buch.
**) Derselbe, 3. Buch.
Natorp, Sozialpädagogik. 10
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[145/0161] nicht mehr bloss, dass das und das Werk gedeihe, oder auch dass die Gemeinschaft überhaupt, nach ihrem formalen Cha- rakter, sich erhalte, sondern dass die Gemeinschaft und im besondern die Gesetzgebung des sozialen Willens sich so ge- stalte, wie sie nach dem Ausspruch des Vernunftgebots sich gestalten muss. Grundbedingung dafür ist die Durchdringung des Gemeinschaftslebens, in Wirtschaft und Recht, vorzüglich aber in der sozialen Organisation der Erziehung, mit dem Geiste der Sittlichkeit, d. i. reinen Gesetzlichkeit; eine sowohl mögliche als unerlässlich notwendige Aufgabe eines Gemein- schaftslebens, das den Namen eines menschlichen ganz und dauernd verdienen soll. Indem wir diesen Standpunkt der „sozialen Teleo- logie“ *) nachdrücklich einnehmen, vertreten wir zugleich den „Monismus des sozialen Lebens“ **), d. i. die Auffassung, dass die nachgewiesenen drei Grundfaktoren des sozialen, gleich denen des individualen Lebens (§ 11), denen sie genau ent- sprechen, nicht äusserlich neben einander stehen, sondern als bloss begrifflich auseinanderzuhaltende Seiten oder Richtungen desselben in seiner normalen Gestaltung untrennbar verbunden sein müssen; d. i. die Tendenz zur Vernunfteinheit muss der sozialen Regelung und diese der Gemeinschaft der Arbeit un- mittelbar innewohnen, so wie in der sittlichen Vollendung des Individuums die Herrschaft der Vernunft sich durch das Mittel des Willens bis auf das Triebleben erstrecken und es ganz und gar durchdringen würde. Damit ist der Grundbegriff der Tugend der Gemein- schaft dem Fundament nach schon gewonnen. Um sie jedoch in noch konkreterer Gestalt zeichnen zu können, haben wir zuvor das soziale Leben selbst noch einige Stufen weiter ins Konkrete zu verfolgen. § 17. Grundklassen sozialer Thätigkeiten. Das soziale Leben, wie es sich aus den nachgewiesenen drei Grundbestandteilen gemäss deren notwendigem innerem *) Stammler, 4. u. 5. Buch. **) Derselbe, 3. Buch. Natorp, Sozialpädagogik. 10

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/161>, abgerufen am 28.03.2024.