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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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und andern schon in bestimmteren Linien, ich sage nicht erkenn-
bar, aber denkbar geworden ist.

Einen ganz direkten Ansatz zu ausdrücklichem Philoso-
phieren bedeutet im Sprachunterricht die Lesung Platos, so-
wohl durch das Dialektische des Verfahrens als durch die Auf-
regung zum Nachdenken über die Gründe des Sittlichen*);
ferner die ästhetischen Arbeiten Lessings und Schillers und
dessen philosophische Dichtungen. Wie aber auch die Ge-
schichte, nach ihrer wiederholt hervorgehobenen Beziehung zur
Idee, insbesondere zur Idee des Sittlichen, auf Philosophie
notgedrungen hinführt, bedarf jetzt keiner besonderen Aus-
führung mehr (vergl. übrigens S. 262. 266).

Das ganze Bestreben der Philosophie ist gerichtet auf ein
vertieftes Selbstbewusstsein der Erkenntnis in theoretischer
wie ethischer wie ästhetischer Richtung; auf Einsicht in die
eigene Gesetzlichkeit jeder dieser ursprünglichen Gestaltungs-
weisen des Bewusstseins, und damit auf die letzte Einheit, in der
alle drei zusammenhängen und Uebereinstimmung mit einander
suchen müssen. Ist nun die höchste Einheit die der Idee, die ihre
unmittelbarste Herrschaft im Sittlichen übt, so ist klar, von
welchem Werte für die Vollendung der sittlichen Bildung
der Fortschritt zur Philosophie sein muss. Für die Vollendung:
denn dass sie nicht etwa ursprünglich den Grund zur Sittlich-
keit zu legen hat, ist freilich gewiss.

Daher würden wir von Anfang an zwar misstrauisch sein
gegen eine Pädagogik, welche den Schwerpunkt der sittlichen
Erziehung in den ethischen Unterricht legen würde; allein
wir sind darum nicht genötigt, den Gedanken eines eigenen
ethischen Unterrichts überhaupt zu verwerfen, sondern werden,
im Hinblick auf die Bedeutung des schliesslichen Zieles, das
ein solcher Unterricht sich stecken müsste: der philosophischen
Einsicht in die Gründe des Sittlichen, auch alles, was erst
von fern dazu vorzubereiten geeignet ist, nur aufrichtig will-
kommen heissen. Daher mögen wir das Bestreben, einen organi-

*) Auch hierüber (doch zu kurz) Laas II. 381 ff. Ich möchte be-
sonderen Nachdruck legen auf gründliche Durcharbeitung des "Gorgias".

und andern schon in bestimmteren Linien, ich sage nicht erkenn-
bar, aber denkbar geworden ist.

Einen ganz direkten Ansatz zu ausdrücklichem Philoso-
phieren bedeutet im Sprachunterricht die Lesung Platos, so-
wohl durch das Dialektische des Verfahrens als durch die Auf-
regung zum Nachdenken über die Gründe des Sittlichen*);
ferner die ästhetischen Arbeiten Lessings und Schillers und
dessen philosophische Dichtungen. Wie aber auch die Ge-
schichte, nach ihrer wiederholt hervorgehobenen Beziehung zur
Idee, insbesondere zur Idee des Sittlichen, auf Philosophie
notgedrungen hinführt, bedarf jetzt keiner besonderen Aus-
führung mehr (vergl. übrigens S. 262. 266).

Das ganze Bestreben der Philosophie ist gerichtet auf ein
vertieftes Selbstbewusstsein der Erkenntnis in theoretischer
wie ethischer wie ästhetischer Richtung; auf Einsicht in die
eigene Gesetzlichkeit jeder dieser ursprünglichen Gestaltungs-
weisen des Bewusstseins, und damit auf die letzte Einheit, in der
alle drei zusammenhängen und Uebereinstimmung mit einander
suchen müssen. Ist nun die höchste Einheit die der Idee, die ihre
unmittelbarste Herrschaft im Sittlichen übt, so ist klar, von
welchem Werte für die Vollendung der sittlichen Bildung
der Fortschritt zur Philosophie sein muss. Für die Vollendung:
denn dass sie nicht etwa ursprünglich den Grund zur Sittlich-
keit zu legen hat, ist freilich gewiss.

Daher würden wir von Anfang an zwar misstrauisch sein
gegen eine Pädagogik, welche den Schwerpunkt der sittlichen
Erziehung in den ethischen Unterricht legen würde; allein
wir sind darum nicht genötigt, den Gedanken eines eigenen
ethischen Unterrichts überhaupt zu verwerfen, sondern werden,
im Hinblick auf die Bedeutung des schliesslichen Zieles, das
ein solcher Unterricht sich stecken müsste: der philosophischen
Einsicht in die Gründe des Sittlichen, auch alles, was erst
von fern dazu vorzubereiten geeignet ist, nur aufrichtig will-
kommen heissen. Daher mögen wir das Bestreben, einen organi-

*) Auch hierüber (doch zu kurz) Laas II. 381 ff. Ich möchte be-
sonderen Nachdruck legen auf gründliche Durcharbeitung des „Gorgias“.
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[302/0318] und andern schon in bestimmteren Linien, ich sage nicht erkenn- bar, aber denkbar geworden ist. Einen ganz direkten Ansatz zu ausdrücklichem Philoso- phieren bedeutet im Sprachunterricht die Lesung Platos, so- wohl durch das Dialektische des Verfahrens als durch die Auf- regung zum Nachdenken über die Gründe des Sittlichen *); ferner die ästhetischen Arbeiten Lessings und Schillers und dessen philosophische Dichtungen. Wie aber auch die Ge- schichte, nach ihrer wiederholt hervorgehobenen Beziehung zur Idee, insbesondere zur Idee des Sittlichen, auf Philosophie notgedrungen hinführt, bedarf jetzt keiner besonderen Aus- führung mehr (vergl. übrigens S. 262. 266). Das ganze Bestreben der Philosophie ist gerichtet auf ein vertieftes Selbstbewusstsein der Erkenntnis in theoretischer wie ethischer wie ästhetischer Richtung; auf Einsicht in die eigene Gesetzlichkeit jeder dieser ursprünglichen Gestaltungs- weisen des Bewusstseins, und damit auf die letzte Einheit, in der alle drei zusammenhängen und Uebereinstimmung mit einander suchen müssen. Ist nun die höchste Einheit die der Idee, die ihre unmittelbarste Herrschaft im Sittlichen übt, so ist klar, von welchem Werte für die Vollendung der sittlichen Bildung der Fortschritt zur Philosophie sein muss. Für die Vollendung: denn dass sie nicht etwa ursprünglich den Grund zur Sittlich- keit zu legen hat, ist freilich gewiss. Daher würden wir von Anfang an zwar misstrauisch sein gegen eine Pädagogik, welche den Schwerpunkt der sittlichen Erziehung in den ethischen Unterricht legen würde; allein wir sind darum nicht genötigt, den Gedanken eines eigenen ethischen Unterrichts überhaupt zu verwerfen, sondern werden, im Hinblick auf die Bedeutung des schliesslichen Zieles, das ein solcher Unterricht sich stecken müsste: der philosophischen Einsicht in die Gründe des Sittlichen, auch alles, was erst von fern dazu vorzubereiten geeignet ist, nur aufrichtig will- kommen heissen. Daher mögen wir das Bestreben, einen organi- *) Auch hierüber (doch zu kurz) Laas II. 381 ff. Ich möchte be- sonderen Nachdruck legen auf gründliche Durcharbeitung des „Gorgias“.

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/318>, abgerufen am 29.03.2024.