Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite


Fünfter Abschnitt.

Wenige Tage darauf, brachte Säugling ein Ge-
dicht auf die Errettung des armen Pachters
zu Stande, welches an Marianen gerichtet war,
und worin er ihr Lob sehr klüglich mit dem seinigen
verbunden hatte. Mariane las dieses Gedicht mit
Wohlgefallen. Es war mit einer Säuglings Lie-
dern sonst ungewohnten Wärme des Herzens geschrie-
ben, womit ihr Herz so sehr sympathisirte. Auch ihr
Lob las sie mit einem geheimen Vergnügen. Wenn
es einem jungen Frauenzimmer überhaupt leicht zu
vergeben war, daß sie sich von einem artigen und
witzigen jungen Menschen nicht ungern loben ließ;
wie viel eher war ihr dies zu verzeihen, wenn sie
fühlte, daß sie mit Wahrheit, und über eine aus der
unbescholtensten Neigung fließende That gelobt wurde.

Dies war der Anfang einer nähern Bekanntschaft
zwischen beiden. Sie gingen oft, bey den ersten
Blicken der Sonne nach dem Winter, im Garten zu-
sammen spazieren. Jhre Lectur war ihnen gemein-
schaftlich. Säugling las ihr seine Gedichte vor,
hörte mit innerer Zufriedenheit ihren Beifall, und
ließ sich auch ihre Verbesserungen, die sie ihm mit gros-
ser Bescheidenheit, aber aus der feinsten Empfin-

dung


Fuͤnfter Abſchnitt.

Wenige Tage darauf, brachte Saͤugling ein Ge-
dicht auf die Errettung des armen Pachters
zu Stande, welches an Marianen gerichtet war,
und worin er ihr Lob ſehr kluͤglich mit dem ſeinigen
verbunden hatte. Mariane las dieſes Gedicht mit
Wohlgefallen. Es war mit einer Saͤuglings Lie-
dern ſonſt ungewohnten Waͤrme des Herzens geſchrie-
ben, womit ihr Herz ſo ſehr ſympathiſirte. Auch ihr
Lob las ſie mit einem geheimen Vergnuͤgen. Wenn
es einem jungen Frauenzimmer uͤberhaupt leicht zu
vergeben war, daß ſie ſich von einem artigen und
witzigen jungen Menſchen nicht ungern loben ließ;
wie viel eher war ihr dies zu verzeihen, wenn ſie
fuͤhlte, daß ſie mit Wahrheit, und uͤber eine aus der
unbeſcholtenſten Neigung fließende That gelobt wurde.

Dies war der Anfang einer naͤhern Bekanntſchaft
zwiſchen beiden. Sie gingen oft, bey den erſten
Blicken der Sonne nach dem Winter, im Garten zu-
ſammen ſpazieren. Jhre Lectur war ihnen gemein-
ſchaftlich. Saͤugling las ihr ſeine Gedichte vor,
hoͤrte mit innerer Zufriedenheit ihren Beifall, und
ließ ſich auch ihre Verbeſſerungen, die ſie ihm mit groſ-
ſer Beſcheidenheit, aber aus der feinſten Empfin-

dung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0233" n="207"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Fu&#x0364;nfter Ab&#x017F;chnitt.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>enige Tage darauf, brachte <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> ein Ge-<lb/>
dicht auf die Errettung des armen Pachters<lb/>
zu Stande, welches an <hi rendition="#fr">Marianen</hi> gerichtet war,<lb/>
und worin er ihr Lob &#x017F;ehr klu&#x0364;glich mit dem &#x017F;einigen<lb/>
verbunden hatte. <hi rendition="#fr">Mariane</hi> las die&#x017F;es Gedicht mit<lb/>
Wohlgefallen. Es war mit einer <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglings</hi> Lie-<lb/>
dern &#x017F;on&#x017F;t ungewohnten Wa&#x0364;rme des Herzens ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben, womit ihr Herz &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ympathi&#x017F;irte. Auch ihr<lb/>
Lob las &#x017F;ie mit einem geheimen Vergnu&#x0364;gen. Wenn<lb/>
es einem jungen Frauenzimmer u&#x0364;berhaupt leicht zu<lb/>
vergeben war, daß &#x017F;ie &#x017F;ich von einem artigen und<lb/>
witzigen jungen Men&#x017F;chen nicht ungern loben ließ;<lb/>
wie viel eher war ihr dies zu verzeihen, wenn &#x017F;ie<lb/>
fu&#x0364;hlte, daß &#x017F;ie mit Wahrheit, und u&#x0364;ber eine aus der<lb/>
unbe&#x017F;cholten&#x017F;ten Neigung fließende That gelobt wurde.</p><lb/>
          <p>Dies war der Anfang einer na&#x0364;hern Bekannt&#x017F;chaft<lb/>
zwi&#x017F;chen beiden. Sie gingen oft, bey den er&#x017F;ten<lb/>
Blicken der Sonne nach dem Winter, im Garten zu-<lb/>
&#x017F;ammen &#x017F;pazieren. Jhre Lectur war ihnen gemein-<lb/>
&#x017F;chaftlich. <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> las ihr &#x017F;eine Gedichte vor,<lb/>
ho&#x0364;rte mit innerer Zufriedenheit ihren Beifall, und<lb/>
ließ &#x017F;ich auch ihre Verbe&#x017F;&#x017F;erungen, die &#x017F;ie ihm mit gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Be&#x017F;cheidenheit, aber aus der fein&#x017F;ten Empfin-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0233] Fuͤnfter Abſchnitt. Wenige Tage darauf, brachte Saͤugling ein Ge- dicht auf die Errettung des armen Pachters zu Stande, welches an Marianen gerichtet war, und worin er ihr Lob ſehr kluͤglich mit dem ſeinigen verbunden hatte. Mariane las dieſes Gedicht mit Wohlgefallen. Es war mit einer Saͤuglings Lie- dern ſonſt ungewohnten Waͤrme des Herzens geſchrie- ben, womit ihr Herz ſo ſehr ſympathiſirte. Auch ihr Lob las ſie mit einem geheimen Vergnuͤgen. Wenn es einem jungen Frauenzimmer uͤberhaupt leicht zu vergeben war, daß ſie ſich von einem artigen und witzigen jungen Menſchen nicht ungern loben ließ; wie viel eher war ihr dies zu verzeihen, wenn ſie fuͤhlte, daß ſie mit Wahrheit, und uͤber eine aus der unbeſcholtenſten Neigung fließende That gelobt wurde. Dies war der Anfang einer naͤhern Bekanntſchaft zwiſchen beiden. Sie gingen oft, bey den erſten Blicken der Sonne nach dem Winter, im Garten zu- ſammen ſpazieren. Jhre Lectur war ihnen gemein- ſchaftlich. Saͤugling las ihr ſeine Gedichte vor, hoͤrte mit innerer Zufriedenheit ihren Beifall, und ließ ſich auch ihre Verbeſſerungen, die ſie ihm mit groſ- ſer Beſcheidenheit, aber aus der feinſten Empfin- dung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/233
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/233>, abgerufen am 19.04.2024.