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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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zer Geist war von dem Vergnügen seine Gedichte täg-
lich vorzulesen und gelobt zu hören so eingenommen,
daß er selbst nur in wenigen Minuten voll Phantasie
an seine ungetreue Mariane denken konnte.

Dritter Abschnitt.

Die Sachen standen auf diese Art in dem Schlosse
der Frau von Ehrenkolb, als sie sich vor-
nahm, ihre Freundinn, die Gräfinn von *** zu be-
suchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre
Tochter hatte schon einigemal diese Reise hintertrie-
ben, weil ihre Gesinnungen mit den Gesinnungen
der Gräfinn gar nicht übereinstimmten, und sie sich
von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringste Ver-
gnügen versprach. Jzt bestand aber die Mutter
darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider-
sprechen.

Die ganze Gesellschaft reisete also fort, und Säug-
ling
wiegte sich mit dem Gedanken, vor der Gräfinn,
deren guten Geschmack er schon kannte, mit seinen
Gedichten zu glänzen, unwissend, daß seiner ganz
andere Vorfälle warteten.

Die Gräfinn empfieng sie bey ihrer Ankunft in
einem offnen Gartensaale. Der Oberste führte die

Fran



zer Geiſt war von dem Vergnuͤgen ſeine Gedichte taͤg-
lich vorzuleſen und gelobt zu hoͤren ſo eingenommen,
daß er ſelbſt nur in wenigen Minuten voll Phantaſie
an ſeine ungetreue Mariane denken konnte.

Dritter Abſchnitt.

Die Sachen ſtanden auf dieſe Art in dem Schloſſe
der Frau von Ehrenkolb, als ſie ſich vor-
nahm, ihre Freundinn, die Graͤfinn von *** zu be-
ſuchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre
Tochter hatte ſchon einigemal dieſe Reiſe hintertrie-
ben, weil ihre Geſinnungen mit den Geſinnungen
der Graͤfinn gar nicht uͤbereinſtimmten, und ſie ſich
von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringſte Ver-
gnuͤgen verſprach. Jzt beſtand aber die Mutter
darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider-
ſprechen.

Die ganze Geſellſchaft reiſete alſo fort, und Saͤug-
ling
wiegte ſich mit dem Gedanken, vor der Graͤfinn,
deren guten Geſchmack er ſchon kannte, mit ſeinen
Gedichten zu glaͤnzen, unwiſſend, daß ſeiner ganz
andere Vorfaͤlle warteten.

Die Graͤfinn empfieng ſie bey ihrer Ankunft in
einem offnen Gartenſaale. Der Oberſte fuͤhrte die

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[160/0170] zer Geiſt war von dem Vergnuͤgen ſeine Gedichte taͤg- lich vorzuleſen und gelobt zu hoͤren ſo eingenommen, daß er ſelbſt nur in wenigen Minuten voll Phantaſie an ſeine ungetreue Mariane denken konnte. Dritter Abſchnitt. Die Sachen ſtanden auf dieſe Art in dem Schloſſe der Frau von Ehrenkolb, als ſie ſich vor- nahm, ihre Freundinn, die Graͤfinn von *** zu be- ſuchen, welche einige Meilen von ihr wohnte. Jhre Tochter hatte ſchon einigemal dieſe Reiſe hintertrie- ben, weil ihre Geſinnungen mit den Geſinnungen der Graͤfinn gar nicht uͤbereinſtimmten, und ſie ſich von dem Aufenthalte bey ihr nicht das geringſte Ver- gnuͤgen verſprach. Jzt beſtand aber die Mutter darauf, und die Tochter durfte nicht ferner wider- ſprechen. Die ganze Geſellſchaft reiſete alſo fort, und Saͤug- ling wiegte ſich mit dem Gedanken, vor der Graͤfinn, deren guten Geſchmack er ſchon kannte, mit ſeinen Gedichten zu glaͤnzen, unwiſſend, daß ſeiner ganz andere Vorfaͤlle warteten. Die Graͤfinn empfieng ſie bey ihrer Ankunft in einem offnen Gartenſaale. Der Oberſte fuͤhrte die Fran

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/170>, abgerufen am 19.03.2024.