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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"len, für die ich es von christlichen Seelen gesammlet
"habe. Wiewohl ich itzt selbst nothleidend bin.' --

Er hatte nicht ganz unrecht, denn er stand im blo-
ßen Hemde da, indeß ein ziemlicher Laudregen zu fal-
len aufieng, Sebaldus zog ungebeten seinen alten
Ueberrock aus, und überreichte ihm denselben.

,Nehmen Sie, sagte er; ich begehe freylich ein
"glänzendes Laster, indem ich Jhnen diesen alten Kittel
"anbiete. Aber der Regen fällt zu stark, als daß wir
"itzt feine Distinktionen machen könnten.'

Der Pietist nahm den Ueberrock stillschweigend an;
und weil beide Wanderer vielleicht über das Vorgefal-
lene nachzudenken für gut fanden, so schwiegen sie
auch den übrigen Theil des Weges, bis sie gegen
Abend in Wustermark ankamen.

Zweyter Abschnitt.

Es scheint, der Pietist war einer von den angesehe-
nen Personen des Konventikels, deren Heiligkeits-
geruch sich gemeiniglich, zehn bis zwölf Meilen in die
Nunde, unter den frommen Seelen ausbreitet, die da-
her bey jedem Bruder und jeder Schwester auf ihren
Reisen willkommen sind, und in deren Häusern mit
eben der Zuversicht einsprechen, mit der ein reisender

Mönch
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”len, fuͤr die ich es von chriſtlichen Seelen geſammlet
”habe. Wiewohl ich itzt ſelbſt nothleidend bin.‛ —

Er hatte nicht ganz unrecht, denn er ſtand im blo-
ßen Hemde da, indeß ein ziemlicher Laudregen zu fal-
len aufieng, Sebaldus zog ungebeten ſeinen alten
Ueberrock aus, und uͤberreichte ihm denſelben.

‚Nehmen Sie, ſagte er; ich begehe freylich ein
”glaͤnzendes Laſter, indem ich Jhnen dieſen alten Kittel
”anbiete. Aber der Regen faͤllt zu ſtark, als daß wir
”itzt feine Diſtinktionen machen koͤnnten.‛

Der Pietiſt nahm den Ueberrock ſtillſchweigend an;
und weil beide Wanderer vielleicht uͤber das Vorgefal-
lene nachzudenken fuͤr gut fanden, ſo ſchwiegen ſie
auch den uͤbrigen Theil des Weges, bis ſie gegen
Abend in Wuſtermark ankamen.

Zweyter Abſchnitt.

Es ſcheint, der Pietiſt war einer von den angeſehe-
nen Perſonen des Konventikels, deren Heiligkeits-
geruch ſich gemeiniglich, zehn bis zwoͤlf Meilen in die
Nunde, unter den frommen Seelen ausbreitet, die da-
her bey jedem Bruder und jeder Schweſter auf ihren
Reiſen willkommen ſind, und in deren Haͤuſern mit
eben der Zuverſicht einſprechen, mit der ein reiſender

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[17/0021] ”len, fuͤr die ich es von chriſtlichen Seelen geſammlet ”habe. Wiewohl ich itzt ſelbſt nothleidend bin.‛ — Er hatte nicht ganz unrecht, denn er ſtand im blo- ßen Hemde da, indeß ein ziemlicher Laudregen zu fal- len aufieng, Sebaldus zog ungebeten ſeinen alten Ueberrock aus, und uͤberreichte ihm denſelben. ‚Nehmen Sie, ſagte er; ich begehe freylich ein ”glaͤnzendes Laſter, indem ich Jhnen dieſen alten Kittel ”anbiete. Aber der Regen faͤllt zu ſtark, als daß wir ”itzt feine Diſtinktionen machen koͤnnten.‛ Der Pietiſt nahm den Ueberrock ſtillſchweigend an; und weil beide Wanderer vielleicht uͤber das Vorgefal- lene nachzudenken fuͤr gut fanden, ſo ſchwiegen ſie auch den uͤbrigen Theil des Weges, bis ſie gegen Abend in Wuſtermark ankamen. Zweyter Abſchnitt. Es ſcheint, der Pietiſt war einer von den angeſehe- nen Perſonen des Konventikels, deren Heiligkeits- geruch ſich gemeiniglich, zehn bis zwoͤlf Meilen in die Nunde, unter den frommen Seelen ausbreitet, die da- her bey jedem Bruder und jeder Schweſter auf ihren Reiſen willkommen ſind, und in deren Haͤuſern mit eben der Zuverſicht einſprechen, mit der ein reiſender Moͤnch B 3

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/21>, abgerufen am 19.03.2024.