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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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Hiemit stand er auf, das süße Lächeln der Selbst-
zufriedenheit auf seinen Lippen. Die andern stan-
den gleichfalls auf, und jeder gieng seinen Weg.

Achter Abschnitt.

Nach einer kurzen Pause, sagte Sebaldus: ,Hätte
"ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf
"diese Art in Berlin von den symbolischen Büchern
"reden würde. Ein unbetrüglicher Wegweiser!
"Jch dächte, kein vernünftiger Mensch würde blind-
"lings einem Wegweiser folgen, der vor mehr als
"zweyhundert Jahren gesetzt worden, er würde be-
"denken, durch wie viele Vorsälle der Wegweiser seit
"zweyhundert Jahren könne verrückt, oder der Weg
"seyn geändert worden. Wenn man diese Trüglich-
"keit überlegt, so muß man sich sehr wundern, daß
"die Menschen so großes Verlangen bezeigen, sich
"nach Lehrformeln, Synodalschlüssen und symbo-
"lischen Büchern zu richten.

,Die Menschen ein Verlangen? rief Herr F.
"aus. -- Dieß glaube ich eben so wenig, als daß die
"Menschen ein Verlangen haben, sich bey der Nase
"herumführen zu lassen. Aber diejenigen, welche die
"Menschen beherrschen wollen, brauchen Nasen, dar-

"an


Hiemit ſtand er auf, das ſuͤße Laͤcheln der Selbſt-
zufriedenheit auf ſeinen Lippen. Die andern ſtan-
den gleichfalls auf, und jeder gieng ſeinen Weg.

Achter Abſchnitt.

Nach einer kurzen Pauſe, ſagte Sebaldus: ‚Haͤtte
”ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf
”dieſe Art in Berlin von den ſymboliſchen Buͤchern
”reden wuͤrde. Ein unbetruͤglicher Wegweiſer!
”Jch daͤchte, kein vernuͤnftiger Menſch wuͤrde blind-
”lings einem Wegweiſer folgen, der vor mehr als
”zweyhundert Jahren geſetzt worden, er wuͤrde be-
”denken, durch wie viele Vorſaͤlle der Wegweiſer ſeit
”zweyhundert Jahren koͤnne verruͤckt, oder der Weg
”ſeyn geaͤndert worden. Wenn man dieſe Truͤglich-
”keit uͤberlegt, ſo muß man ſich ſehr wundern, daß
”die Menſchen ſo großes Verlangen bezeigen, ſich
”nach Lehrformeln, Synodalſchluͤſſen und ſymbo-
”liſchen Buͤchern zu richten.

‚Die Menſchen ein Verlangen? rief Herr F.
”aus. — Dieß glaube ich eben ſo wenig, als daß die
”Menſchen ein Verlangen haben, ſich bey der Naſe
”herumfuͤhren zu laſſen. Aber diejenigen, welche die
”Menſchen beherrſchen wollen, brauchen Naſen, dar-

”an
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[87/0093] Hiemit ſtand er auf, das ſuͤße Laͤcheln der Selbſt- zufriedenheit auf ſeinen Lippen. Die andern ſtan- den gleichfalls auf, und jeder gieng ſeinen Weg. Achter Abſchnitt. Nach einer kurzen Pauſe, ſagte Sebaldus: ‚Haͤtte ”ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf ”dieſe Art in Berlin von den ſymboliſchen Buͤchern ”reden wuͤrde. Ein unbetruͤglicher Wegweiſer! ”Jch daͤchte, kein vernuͤnftiger Menſch wuͤrde blind- ”lings einem Wegweiſer folgen, der vor mehr als ”zweyhundert Jahren geſetzt worden, er wuͤrde be- ”denken, durch wie viele Vorſaͤlle der Wegweiſer ſeit ”zweyhundert Jahren koͤnne verruͤckt, oder der Weg ”ſeyn geaͤndert worden. Wenn man dieſe Truͤglich- ”keit uͤberlegt, ſo muß man ſich ſehr wundern, daß ”die Menſchen ſo großes Verlangen bezeigen, ſich ”nach Lehrformeln, Synodalſchluͤſſen und ſymbo- ”liſchen Buͤchern zu richten. ‚Die Menſchen ein Verlangen? rief Herr F. ”aus. — Dieß glaube ich eben ſo wenig, als daß die ”Menſchen ein Verlangen haben, ſich bey der Naſe ”herumfuͤhren zu laſſen. Aber diejenigen, welche die ”Menſchen beherrſchen wollen, brauchen Naſen, dar- ”an

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/93>, abgerufen am 19.03.2024.