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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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rückführen konnten 34); später, in den Oligarchieen, die
durch geringeres Vermögen von der Souverainetät aus-
geschlossenen; in Demokratieen ward das Wort gebräuch-
lich von der eigenthumslosen Menge, obgleich sie die
höchste Gewalt theilte. Weil nun diese, theils für sich,
theils als Werkzeug, ihre Macht mißbrauchte, ward der
Nahme mit Fug verhaßt, und alle Bestrebungen, dem
Theil der Nation welcher Volk genannt wird eine größere
Bedeutung im Staat zu verschaffen, werden daher noch
jetzt in der alten Geschichte als Verderbnisse der Verfas-
sung, als Einleitung ihres Umsturzes und der Verwilde-
rung der Nation mit Vorurtheil verdammt. In einem
andern Sinn bezeichnet Volk die souveraine Gemeindever-
sammlung, im Gegensatz gegen den Senat und die Obrig-
keit, und auch hier gilt jede Erweiterung der Macht des
Volks, jede Beschränkung des Senats für eine verderb-

34) Abstammung von einem Heroengeschlecht aus dem my-
thischen Zeitalter war bey ihnen eine wesentliche Eigen-
schaft der ei entlichen gesetzlichen Königswürde: eine Be-
dingung welche in der öffentlichen Meynung zuerst, und in
einem ganz einzeln stehenden Fall bey Gelon von Syrakusä
unterdrückt ward: einem Manne der selbst ein Heros war,
und die Kraft, Weisheit und Tugend vereinigte, wodurch
nach Polybius die königliche Gewalt der Heroen rechtlich
begründet ward. Selbst die königlichen Häuser der Barba-
ren knüpften die Gri[e]chen an ihre Mythologie. Als jene
Heroenfamilien ausstarben oder ausarteten, und die Kö-
nigswürde verschwand, ging die höchste Gewalt zu den vor-
nehmsten Stämmen über, die ebenfalls ihre Vorfahren aus
dem ehernen Zeitalter zu nennen wußten oder vorgaben.

ruͤckfuͤhren konnten 34); ſpaͤter, in den Oligarchieen, die
durch geringeres Vermoͤgen von der Souverainetaͤt aus-
geſchloſſenen; in Demokratieen ward das Wort gebraͤuch-
lich von der eigenthumsloſen Menge, obgleich ſie die
hoͤchſte Gewalt theilte. Weil nun dieſe, theils fuͤr ſich,
theils als Werkzeug, ihre Macht mißbrauchte, ward der
Nahme mit Fug verhaßt, und alle Beſtrebungen, dem
Theil der Nation welcher Volk genannt wird eine groͤßere
Bedeutung im Staat zu verſchaffen, werden daher noch
jetzt in der alten Geſchichte als Verderbniſſe der Verfaſ-
ſung, als Einleitung ihres Umſturzes und der Verwilde-
rung der Nation mit Vorurtheil verdammt. In einem
andern Sinn bezeichnet Volk die ſouveraine Gemeindever-
ſammlung, im Gegenſatz gegen den Senat und die Obrig-
keit, und auch hier gilt jede Erweiterung der Macht des
Volks, jede Beſchraͤnkung des Senats fuͤr eine verderb-

34) Abſtammung von einem Heroengeſchlecht aus dem my-
thiſchen Zeitalter war bey ihnen eine weſentliche Eigen-
ſchaft der ei entlichen geſetzlichen Koͤnigswuͤrde: eine Be-
dingung welche in der oͤffentlichen Meynung zuerſt, und in
einem ganz einzeln ſtehenden Fall bey Gelon von Syrakuſaͤ
unterdruͤckt ward: einem Manne der ſelbſt ein Heros war,
und die Kraft, Weisheit und Tugend vereinigte, wodurch
nach Polybius die koͤnigliche Gewalt der Heroen rechtlich
begruͤndet ward. Selbſt die koͤniglichen Haͤuſer der Barba-
ren knuͤpften die Gri[e]chen an ihre Mythologie. Als jene
Heroenfamilien ausſtarben oder ausarteten, und die Koͤ-
nigswuͤrde verſchwand, ging die hoͤchſte Gewalt zu den vor-
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dem ehernen Zeitalter zu nennen wußten oder vorgaben.
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[374/0396] ruͤckfuͤhren konnten 34); ſpaͤter, in den Oligarchieen, die durch geringeres Vermoͤgen von der Souverainetaͤt aus- geſchloſſenen; in Demokratieen ward das Wort gebraͤuch- lich von der eigenthumsloſen Menge, obgleich ſie die hoͤchſte Gewalt theilte. Weil nun dieſe, theils fuͤr ſich, theils als Werkzeug, ihre Macht mißbrauchte, ward der Nahme mit Fug verhaßt, und alle Beſtrebungen, dem Theil der Nation welcher Volk genannt wird eine groͤßere Bedeutung im Staat zu verſchaffen, werden daher noch jetzt in der alten Geſchichte als Verderbniſſe der Verfaſ- ſung, als Einleitung ihres Umſturzes und der Verwilde- rung der Nation mit Vorurtheil verdammt. In einem andern Sinn bezeichnet Volk die ſouveraine Gemeindever- ſammlung, im Gegenſatz gegen den Senat und die Obrig- keit, und auch hier gilt jede Erweiterung der Macht des Volks, jede Beſchraͤnkung des Senats fuͤr eine verderb- 34) Abſtammung von einem Heroengeſchlecht aus dem my- thiſchen Zeitalter war bey ihnen eine weſentliche Eigen- ſchaft der ei entlichen geſetzlichen Koͤnigswuͤrde: eine Be- dingung welche in der oͤffentlichen Meynung zuerſt, und in einem ganz einzeln ſtehenden Fall bey Gelon von Syrakuſaͤ unterdruͤckt ward: einem Manne der ſelbſt ein Heros war, und die Kraft, Weisheit und Tugend vereinigte, wodurch nach Polybius die koͤnigliche Gewalt der Heroen rechtlich begruͤndet ward. Selbſt die koͤniglichen Haͤuſer der Barba- ren knuͤpften die Griechen an ihre Mythologie. Als jene Heroenfamilien ausſtarben oder ausarteten, und die Koͤ- nigswuͤrde verſchwand, ging die hoͤchſte Gewalt zu den vor- nehmſten Staͤmmen uͤber, die ebenfalls ihre Vorfahren aus dem ehernen Zeitalter zu nennen wußten oder vorgaben.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/396>, abgerufen am 19.04.2024.