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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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beginnenden Auflösung, zwey Männer aufgestanden wä-
ren, die, mit fester Entschlossenheit, auf einem Wege,
den zu bahnen ihr inneres Bewußtseyn sie berechtigte,
die Nation aus dem Elend zur Größe führten.

Die licinischen Rogationen.

Von C. Licinius Stolo und L. Sextius, diesen Ur-
hebern der Wiedergeburt Roms, wissen wir, die rhetori-
schen Ausbildungen von Livius Erzählung hinweggenom-
men, kaum mehr als ihre Nahmen und sehr unvollständig
den Inhalt ihrer Gesetze. Aber die Größe und Kühnheit
ihrer entworfenen Gesetzgebung, ihre unermüdliche Be-
harrlichkeit, die Ruhe womit sie, streng auf die gesetz-
lichen Wege sich beschränkend, die Vollendung heran-
reifen ließen, ohne daß weder ihnen noch dem Volk, in
einem Zeitalter wo die Annalen noch lange ausschließ-
lich von der feindseligen Parthey geschrieben wurden,
die geringste Gewaltthätigkeit vorgeworfen wird: das
alles giebt uns das Maaß ihres Geistes und ihres Cha-
rakters. Es sind nicht stürmische Demagogen Griechen-
lands, welche, alle Gesetze beugend, die Leidenschaften
eines Tyrannen zu sättigen suchten: noch weniger sind es
vernichtende Zertrümmerer, in deren Seele nur das
Chaos herrscht, eben so unfähig eine Idee der Schöpfung
zu fassen und auszubilden, als die wonach das zum Theil
Abgestorbene, oder Veraltete, dessen Zerstörung sie her-
beyrufen, sich gebildet hatte. Sie hatten die Krankheit
der Republik tief ergründet; sie waren entschlossen sie zu
heilen; und für den Zweck fest entschieden dünkten ihnen

beginnenden Aufloͤſung, zwey Maͤnner aufgeſtanden waͤ-
ren, die, mit feſter Entſchloſſenheit, auf einem Wege,
den zu bahnen ihr inneres Bewußtſeyn ſie berechtigte,
die Nation aus dem Elend zur Groͤße fuͤhrten.

Die liciniſchen Rogationen.

Von C. Licinius Stolo und L. Sextius, dieſen Ur-
hebern der Wiedergeburt Roms, wiſſen wir, die rhetori-
ſchen Ausbildungen von Livius Erzaͤhlung hinweggenom-
men, kaum mehr als ihre Nahmen und ſehr unvollſtaͤndig
den Inhalt ihrer Geſetze. Aber die Groͤße und Kuͤhnheit
ihrer entworfenen Geſetzgebung, ihre unermuͤdliche Be-
harrlichkeit, die Ruhe womit ſie, ſtreng auf die geſetz-
lichen Wege ſich beſchraͤnkend, die Vollendung heran-
reifen ließen, ohne daß weder ihnen noch dem Volk, in
einem Zeitalter wo die Annalen noch lange ausſchließ-
lich von der feindſeligen Parthey geſchrieben wurden,
die geringſte Gewaltthaͤtigkeit vorgeworfen wird: das
alles giebt uns das Maaß ihres Geiſtes und ihres Cha-
rakters. Es ſind nicht ſtuͤrmiſche Demagogen Griechen-
lands, welche, alle Geſetze beugend, die Leidenſchaften
eines Tyrannen zu ſaͤttigen ſuchten: noch weniger ſind es
vernichtende Zertruͤmmerer, in deren Seele nur das
Chaos herrſcht, eben ſo unfaͤhig eine Idee der Schoͤpfung
zu faſſen und auszubilden, als die wonach das zum Theil
Abgeſtorbene, oder Veraltete, deſſen Zerſtoͤrung ſie her-
beyrufen, ſich gebildet hatte. Sie hatten die Krankheit
der Republik tief ergruͤndet; ſie waren entſchloſſen ſie zu
heilen; und fuͤr den Zweck feſt entſchieden duͤnkten ihnen

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[335/0351] beginnenden Aufloͤſung, zwey Maͤnner aufgeſtanden waͤ- ren, die, mit feſter Entſchloſſenheit, auf einem Wege, den zu bahnen ihr inneres Bewußtſeyn ſie berechtigte, die Nation aus dem Elend zur Groͤße fuͤhrten. Die liciniſchen Rogationen. Von C. Licinius Stolo und L. Sextius, dieſen Ur- hebern der Wiedergeburt Roms, wiſſen wir, die rhetori- ſchen Ausbildungen von Livius Erzaͤhlung hinweggenom- men, kaum mehr als ihre Nahmen und ſehr unvollſtaͤndig den Inhalt ihrer Geſetze. Aber die Groͤße und Kuͤhnheit ihrer entworfenen Geſetzgebung, ihre unermuͤdliche Be- harrlichkeit, die Ruhe womit ſie, ſtreng auf die geſetz- lichen Wege ſich beſchraͤnkend, die Vollendung heran- reifen ließen, ohne daß weder ihnen noch dem Volk, in einem Zeitalter wo die Annalen noch lange ausſchließ- lich von der feindſeligen Parthey geſchrieben wurden, die geringſte Gewaltthaͤtigkeit vorgeworfen wird: das alles giebt uns das Maaß ihres Geiſtes und ihres Cha- rakters. Es ſind nicht ſtuͤrmiſche Demagogen Griechen- lands, welche, alle Geſetze beugend, die Leidenſchaften eines Tyrannen zu ſaͤttigen ſuchten: noch weniger ſind es vernichtende Zertruͤmmerer, in deren Seele nur das Chaos herrſcht, eben ſo unfaͤhig eine Idee der Schoͤpfung zu faſſen und auszubilden, als die wonach das zum Theil Abgeſtorbene, oder Veraltete, deſſen Zerſtoͤrung ſie her- beyrufen, ſich gebildet hatte. Sie hatten die Krankheit der Republik tief ergruͤndet; ſie waren entſchloſſen ſie zu heilen; und fuͤr den Zweck feſt entſchieden duͤnkten ihnen

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/351>, abgerufen am 29.03.2024.