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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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ter sehr günstigen Bedingungen, Aufnahme fand, so
verbreitet sich ein neues Licht über seine ganze Gesetz-
gebung. Die Landanweisung sorgte für seine Begleiter;
die militarische Constitution wird noch erklärlicher, und
die Zahl der Centurien der ersten Klasse kann nicht mehr
auffallen, wenn man die Wahrscheinlichkeit zugiebt daß
der Feldherr seine Liniensoldaten darin aufnahm, ohne
von ihnen den vorgeschriebenen Census zu fordern: von
den beyden Erfordernissen, Vermögen und Waffen, hat-
ten sie das letzte. Es erklärt sich dann auch auf eine
weit weniger verhaßte Weise die Verschwörung der Pa-
tricier gegen ihn, und die Revolution welche ihn stürzte.

Cäles Vibenna scheint der Anführer eines für sich
bestehenden, keinem etruskischen Staat angehörenden
Heers gewesen zu seyn, mit dem er sich ein Reich zu
gründen versuchte, aber in dem Unternehmen nach viel-
fachem Glückswechsel unterlag. Nach dieser etruskischen
Nachricht hat er selbst Rom nicht mehr erreicht. Die
Kunde von ihm, und der Niederlassung der Seinigen auf
dem Cälius, und daß dieser nach ihm benannt sey, ist
bey den Römern nicht ganz untergegangen, obgleich sie
aus dem Gedicht entfernt war dessen Inhalt Livius er-
halten hat. Nach diesem ward der Cälius den Albanern
angewiesen. Die ungestörte dichterische Consequenz sei-
nes ersten Buchs gehört eben zu dessen hohen Schön-
heiten, aber in einzelnen Notizen Varros und der Gram-
matiker fließt allein, eine zwar höchst getrübte und ver-
fälschte, doch vielleicht auf vielen Umwegen aus tuski-
schen Quellen abgeleitete historische Wahrheit.


L l 2

ter ſehr guͤnſtigen Bedingungen, Aufnahme fand, ſo
verbreitet ſich ein neues Licht uͤber ſeine ganze Geſetz-
gebung. Die Landanweiſung ſorgte fuͤr ſeine Begleiter;
die militariſche Conſtitution wird noch erklaͤrlicher, und
die Zahl der Centurien der erſten Klaſſe kann nicht mehr
auffallen, wenn man die Wahrſcheinlichkeit zugiebt daß
der Feldherr ſeine Linienſoldaten darin aufnahm, ohne
von ihnen den vorgeſchriebenen Cenſus zu fordern: von
den beyden Erforderniſſen, Vermoͤgen und Waffen, hat-
ten ſie das letzte. Es erklaͤrt ſich dann auch auf eine
weit weniger verhaßte Weiſe die Verſchwoͤrung der Pa-
tricier gegen ihn, und die Revolution welche ihn ſtuͤrzte.

Caͤles Vibenna ſcheint der Anfuͤhrer eines fuͤr ſich
beſtehenden, keinem etruſkiſchen Staat angehoͤrenden
Heers geweſen zu ſeyn, mit dem er ſich ein Reich zu
gruͤnden verſuchte, aber in dem Unternehmen nach viel-
fachem Gluͤckswechſel unterlag. Nach dieſer etruſkiſchen
Nachricht hat er ſelbſt Rom nicht mehr erreicht. Die
Kunde von ihm, und der Niederlaſſung der Seinigen auf
dem Caͤlius, und daß dieſer nach ihm benannt ſey, iſt
bey den Roͤmern nicht ganz untergegangen, obgleich ſie
aus dem Gedicht entfernt war deſſen Inhalt Livius er-
halten hat. Nach dieſem ward der Caͤlius den Albanern
angewieſen. Die ungeſtoͤrte dichteriſche Conſequenz ſei-
nes erſten Buchs gehoͤrt eben zu deſſen hohen Schoͤn-
heiten, aber in einzelnen Notizen Varros und der Gram-
matiker fließt allein, eine zwar hoͤchſt getruͤbte und ver-
faͤlſchte, doch vielleicht auf vielen Umwegen aus tuſki-
ſchen Quellen abgeleitete hiſtoriſche Wahrheit.


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[531/0547] ter ſehr guͤnſtigen Bedingungen, Aufnahme fand, ſo verbreitet ſich ein neues Licht uͤber ſeine ganze Geſetz- gebung. Die Landanweiſung ſorgte fuͤr ſeine Begleiter; die militariſche Conſtitution wird noch erklaͤrlicher, und die Zahl der Centurien der erſten Klaſſe kann nicht mehr auffallen, wenn man die Wahrſcheinlichkeit zugiebt daß der Feldherr ſeine Linienſoldaten darin aufnahm, ohne von ihnen den vorgeſchriebenen Cenſus zu fordern: von den beyden Erforderniſſen, Vermoͤgen und Waffen, hat- ten ſie das letzte. Es erklaͤrt ſich dann auch auf eine weit weniger verhaßte Weiſe die Verſchwoͤrung der Pa- tricier gegen ihn, und die Revolution welche ihn ſtuͤrzte. Caͤles Vibenna ſcheint der Anfuͤhrer eines fuͤr ſich beſtehenden, keinem etruſkiſchen Staat angehoͤrenden Heers geweſen zu ſeyn, mit dem er ſich ein Reich zu gruͤnden verſuchte, aber in dem Unternehmen nach viel- fachem Gluͤckswechſel unterlag. Nach dieſer etruſkiſchen Nachricht hat er ſelbſt Rom nicht mehr erreicht. Die Kunde von ihm, und der Niederlaſſung der Seinigen auf dem Caͤlius, und daß dieſer nach ihm benannt ſey, iſt bey den Roͤmern nicht ganz untergegangen, obgleich ſie aus dem Gedicht entfernt war deſſen Inhalt Livius er- halten hat. Nach dieſem ward der Caͤlius den Albanern angewieſen. Die ungeſtoͤrte dichteriſche Conſequenz ſei- nes erſten Buchs gehoͤrt eben zu deſſen hohen Schoͤn- heiten, aber in einzelnen Notizen Varros und der Gram- matiker fließt allein, eine zwar hoͤchſt getruͤbte und ver- faͤlſchte, doch vielleicht auf vielen Umwegen aus tuſki- ſchen Quellen abgeleitete hiſtoriſche Wahrheit. L l 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/547>, abgerufen am 25.04.2024.