Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
chung selbst zu fixiren, sondern sollte nur zum Belege
dienen, daß die Systeme, die hier dargestellt und ge-
prüft werden sollen, nicht bloß in Gedanken, sondern
in der That existiren, und die Gefahr, auf welche hin-
gedeutet wird, nicht bloß eine eingebildete sey. Dage-
gen sollen hier die beiden Systeme des Erziehungs-Un-
terrichts, ohne alle weitere Rücksicht auf ihre historische
Beschaffenheit, mit welcher sie sich in der Erfahrung
zeigen, einzig als streng wissenschaftlicher Gegensatz auf-
gefaßt und geprüft werden. So allein wird es mög-
lich seyn, nicht nur die wissenschaftliche Prüfung, ohne
Beschuldigung einer Parteilichkeit, ruhig durchzuführen,
sondern auch, von dem wissenschaftlich bestimmten Ge-
sichtspunkt aus, beiden Systemen volle Gerechtigkeit wi-
derfahren zu lassen, das Extrem in beiden und den
Vereinigungspunkt beider sicher zu erkennen.

1.

Der Hauptgegensatz, auf den es bei Beur-
theilung der entgegengesetzten Unterrichtssysteme an-
kömmt, liegt unstreitig in der Idee des Menschen
selbst und seiner Bestimmung, oder vielmehr in der
willkürlichen Construction des Begriffes
vom Menschen
, in welcher jene Idee (oder, nach
der wissenschaftlichen Sprache, der Begriff a priori
von dem Menschen) von der einen oder von der an-
dern Seite unvollständig und unrichtig aufgefaßt wird.
Da der willkürlich construirte Begriff vom Menschen
dem Systeme der Erziehung und Bildung desselben
zum Grundprincip dienen muß, so wird nothwendig

Zweiter Abſchnitt.
chung ſelbſt zu fixiren, ſondern ſollte nur zum Belege
dienen, daß die Syſteme, die hier dargeſtellt und ge-
pruͤft werden ſollen, nicht bloß in Gedanken, ſondern
in der That exiſtiren, und die Gefahr, auf welche hin-
gedeutet wird, nicht bloß eine eingebildete ſey. Dage-
gen ſollen hier die beiden Syſteme des Erziehungs-Un-
terrichts, ohne alle weitere Ruͤckſicht auf ihre hiſtoriſche
Beſchaffenheit, mit welcher ſie ſich in der Erfahrung
zeigen, einzig als ſtreng wiſſenſchaftlicher Gegenſatz auf-
gefaßt und gepruͤft werden. So allein wird es moͤg-
lich ſeyn, nicht nur die wiſſenſchaftliche Pruͤfung, ohne
Beſchuldigung einer Parteilichkeit, ruhig durchzufuͤhren,
ſondern auch, von dem wiſſenſchaftlich beſtimmten Ge-
ſichtspunkt aus, beiden Syſtemen volle Gerechtigkeit wi-
derfahren zu laſſen, das Extrem in beiden und den
Vereinigungspunkt beider ſicher zu erkennen.

1.

Der Hauptgegenſatz, auf den es bei Beur-
theilung der entgegengeſetzten Unterrichtsſyſteme an-
koͤmmt, liegt unſtreitig in der Idee des Menſchen
ſelbſt und ſeiner Beſtimmung, oder vielmehr in der
willkuͤrlichen Conſtruction des Begriffes
vom Menſchen
, in welcher jene Idee (oder, nach
der wiſſenſchaftlichen Sprache, der Begriff a priori
von dem Menſchen) von der einen oder von der an-
dern Seite unvollſtaͤndig und unrichtig aufgefaßt wird.
Da der willkuͤrlich conſtruirte Begriff vom Menſchen
dem Syſteme der Erziehung und Bildung deſſelben
zum Grundprincip dienen muß, ſo wird nothwendig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0048" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
chung &#x017F;elb&#x017F;t zu fixiren, &#x017F;ondern &#x017F;ollte nur zum Belege<lb/>
dienen, daß die Sy&#x017F;teme, die hier darge&#x017F;tellt und ge-<lb/>
pru&#x0364;ft werden &#x017F;ollen, nicht bloß in Gedanken, &#x017F;ondern<lb/>
in der That exi&#x017F;tiren, und die Gefahr, auf welche hin-<lb/>
gedeutet wird, nicht bloß eine eingebildete &#x017F;ey. Dage-<lb/>
gen &#x017F;ollen hier die beiden Sy&#x017F;teme des Erziehungs-Un-<lb/>
terrichts, ohne alle weitere Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf ihre hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit, mit welcher &#x017F;ie &#x017F;ich in der Erfahrung<lb/>
zeigen, einzig als &#x017F;treng wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Gegen&#x017F;atz auf-<lb/>
gefaßt und gepru&#x0364;ft werden. So allein wird es mo&#x0364;g-<lb/>
lich &#x017F;eyn, nicht nur die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Pru&#x0364;fung, ohne<lb/>
Be&#x017F;chuldigung einer Parteilichkeit, ruhig durchzufu&#x0364;hren,<lb/>
&#x017F;ondern auch, von dem wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich be&#x017F;timmten Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspunkt aus, beiden Sy&#x017F;temen volle Gerechtigkeit wi-<lb/>
derfahren zu la&#x017F;&#x017F;en, das Extrem in beiden und den<lb/>
Vereinigungspunkt beider &#x017F;icher zu erkennen.</p><lb/>
          <div n="3">
            <head>1.</head><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">Hauptgegen&#x017F;atz</hi>, auf den es bei Beur-<lb/>
theilung der entgegenge&#x017F;etzten Unterrichts&#x017F;y&#x017F;teme an-<lb/>
ko&#x0364;mmt, liegt un&#x017F;treitig in der <hi rendition="#g">Idee des Men&#x017F;chen</hi><lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;einer Be&#x017F;timmung, oder vielmehr in der<lb/><hi rendition="#g">willku&#x0364;rlichen Con&#x017F;truction des Begriffes<lb/>
vom Men&#x017F;chen</hi>, in welcher jene Idee (oder, nach<lb/>
der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Sprache, der Begriff <hi rendition="#aq">a priori</hi><lb/>
von dem Men&#x017F;chen) von der einen oder von der an-<lb/>
dern Seite unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig und unrichtig aufgefaßt wird.<lb/>
Da der willku&#x0364;rlich con&#x017F;truirte Begriff vom Men&#x017F;chen<lb/>
dem Sy&#x017F;teme der Erziehung und Bildung de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
zum Grundprincip dienen muß, &#x017F;o wird nothwendig<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0048] Zweiter Abſchnitt. chung ſelbſt zu fixiren, ſondern ſollte nur zum Belege dienen, daß die Syſteme, die hier dargeſtellt und ge- pruͤft werden ſollen, nicht bloß in Gedanken, ſondern in der That exiſtiren, und die Gefahr, auf welche hin- gedeutet wird, nicht bloß eine eingebildete ſey. Dage- gen ſollen hier die beiden Syſteme des Erziehungs-Un- terrichts, ohne alle weitere Ruͤckſicht auf ihre hiſtoriſche Beſchaffenheit, mit welcher ſie ſich in der Erfahrung zeigen, einzig als ſtreng wiſſenſchaftlicher Gegenſatz auf- gefaßt und gepruͤft werden. So allein wird es moͤg- lich ſeyn, nicht nur die wiſſenſchaftliche Pruͤfung, ohne Beſchuldigung einer Parteilichkeit, ruhig durchzufuͤhren, ſondern auch, von dem wiſſenſchaftlich beſtimmten Ge- ſichtspunkt aus, beiden Syſtemen volle Gerechtigkeit wi- derfahren zu laſſen, das Extrem in beiden und den Vereinigungspunkt beider ſicher zu erkennen. 1. Der Hauptgegenſatz, auf den es bei Beur- theilung der entgegengeſetzten Unterrichtsſyſteme an- koͤmmt, liegt unſtreitig in der Idee des Menſchen ſelbſt und ſeiner Beſtimmung, oder vielmehr in der willkuͤrlichen Conſtruction des Begriffes vom Menſchen, in welcher jene Idee (oder, nach der wiſſenſchaftlichen Sprache, der Begriff a priori von dem Menſchen) von der einen oder von der an- dern Seite unvollſtaͤndig und unrichtig aufgefaßt wird. Da der willkuͤrlich conſtruirte Begriff vom Menſchen dem Syſteme der Erziehung und Bildung deſſelben zum Grundprincip dienen muß, ſo wird nothwendig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/48
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/48>, abgerufen am 28.03.2024.