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Nietzsche, Friedrich: Idyllen aus Messina. In: Internationale Monatsschrift, Bd. 1,5. Chemnitz, 1882, S. 269-275.

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erste Seite
Idyllen aus Messina.
Von
Friedrich Nietzsche.

Prinz Vogelfrei.
So häng ich denn auf krummem Aste
Hoch über Meer und Hügelchen:
Ein Vogel lud mich her zu Gaste --
Ich flog ihm nach und rast' und raste
Und schlage mit den Flügelchen.
Das weisse Meer ist eingeschlafen,
Es schläft mir jedes Weh und Ach.
Vergessen hab' ich Ziel und Hafen,
Vergessen Furcht und Lob und Strafen:
Jetzt flieg ich jedem Vogel nach.
Nur Schritt für Schritt -- das ist kein Leben!
Stäts Bein vor Bein macht müd und schwer!
Ich lass mich von den Winden heben,
Ich liebe es, mit Flügeln schweben
Und hinter jedem Vogel her.
Vernunft? -- das ist ein bös Geschäfte:
Vernunft und Zunge stolpern viel!
Das Fliegen gab mir neue Kräfte
Und lehrt' mich schönere Geschäfte,
Gesang und Scherz und Liederspiel.
Idyllen aus Messina.
Von
Friedrich Nietzsche.

Prinz Vogelfrei.
So häng ich denn auf krummem Aste
Hoch über Meer und Hügelchen:
Ein Vogel lud mich her zu Gaste —
Ich flog ihm nach und rast’ und raste
Und schlage mit den Flügelchen.
Das weisse Meer ist eingeschlafen,
Es schläft mir jedes Weh und Ach.
Vergessen hab’ ich Ziel und Hafen,
Vergessen Furcht und Lob und Strafen:
Jetzt flieg ich jedem Vogel nach.
Nur Schritt für Schritt — das ist kein Leben!
Stäts Bein vor Bein macht müd und schwer!
Ich lass mich von den Winden heben,
Ich liebe es, mit Flügeln schweben
Und hinter jedem Vogel her.
Vernunft? — das ist ein bös Geschäfte:
Vernunft und Zunge stolpern viel!
Das Fliegen gab mir neue Kräfte
Und lehrt’ mich schönere Geschäfte,
Gesang und Scherz und Liederspiel.
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[19/0001] Idyllen aus Messina. Von Friedrich Nietzsche. Prinz Vogelfrei. So häng ich denn auf krummem Aste Hoch über Meer und Hügelchen: Ein Vogel lud mich her zu Gaste — Ich flog ihm nach und rast’ und raste Und schlage mit den Flügelchen. Das weisse Meer ist eingeschlafen, Es schläft mir jedes Weh und Ach. Vergessen hab’ ich Ziel und Hafen, Vergessen Furcht und Lob und Strafen: Jetzt flieg ich jedem Vogel nach. Nur Schritt für Schritt — das ist kein Leben! Stäts Bein vor Bein macht müd und schwer! Ich lass mich von den Winden heben, Ich liebe es, mit Flügeln schweben Und hinter jedem Vogel her. Vernunft? — das ist ein bös Geschäfte: Vernunft und Zunge stolpern viel! Das Fliegen gab mir neue Kräfte Und lehrt’ mich schönere Geschäfte, Gesang und Scherz und Liederspiel.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Idyllen aus Messina. In: Internationale Monatsschrift, Bd. 1,5. Chemnitz, 1882, S. 269-275, hier S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_messina_1882/1>, abgerufen am 28.03.2024.