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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was
liegt an Zarathustra! Ihr seid meine Gläubigen: aber
was liegt an allen Gläubigen!

Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr
mich. So thun alle Gläubigen; darum ist es so wenig
mit allem Glauben.

Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch
finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt,
will ich euch wiederkehren.

Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde
ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer
anderen Liebe werde ich euch dann lieben.

Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden
sein und Kinder Einer Hoffnung: dann will ich zum
dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen
Mittag mit euch feiere.

Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch
auf der Mitte seiner Bahn steht zwischen Thier und
Übermensch und seinen Weg zum Abende als seine
höchste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu
einem neuen Morgen.

Alsda wird sich der Untergehende selber segnen,
dass er ein Hinübergehender sei; und die Sonne
seiner Erkenntniss wird ihm im Mittage stehn.

"Todt sind alle Götter: nun wollen wir,
dass der Übermensch lebe." -- diess sei einst am
grossen Mittage unser letzter Wille! --

Also sprach Zarathustra.


Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was
liegt an Zarathustra! Ihr seid meine Gläubigen: aber
was liegt an allen Gläubigen!

Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr
mich. So thun alle Gläubigen; darum ist es so wenig
mit allem Glauben.

Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch
finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt,
will ich euch wiederkehren.

Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde
ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer
anderen Liebe werde ich euch dann lieben.

Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden
sein und Kinder Einer Hoffnung: dann will ich zum
dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen
Mittag mit euch feiere.

Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch
auf der Mitte seiner Bahn steht zwischen Thier und
Übermensch und seinen Weg zum Abende als seine
höchste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu
einem neuen Morgen.

Alsda wird sich der Untergehende selber segnen,
dass er ein Hinübergehender sei; und die Sonne
seiner Erkenntniss wird ihm im Mittage stehn.

Todt sind alle Götter: nun wollen wir,
dass der Übermensch lebe.“ — diess sei einst am
grossen Mittage unser letzter Wille! —

Also sprach Zarathustra.


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[112/0118] Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid meine Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen! Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben. Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer Hoffnung: dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen Mittag mit euch feiere. Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn steht zwischen Thier und Übermensch und seinen Weg zum Abende als seine höchste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen Morgen. Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein Hinübergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im Mittage stehn. „Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.“ — diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! — Also sprach Zarathustra.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/118>, abgerufen am 23.04.2024.