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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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euch nicht genug: nun wollt ihr den Nächsten zur
Liebe verführen und euch mit seinem Irrthum ver¬
golden.

Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei
Nächsten und deren Nachbarn; so müsstet ihr aus euch
selber euren Freund und sein überwallendes Herz
schaffen.

Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von
euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verführt habt,
gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von
euch.

Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen
redet, sondern erst recht Der, welcher wider sein Nicht¬
wissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre
und belügt mit euch den Nachbar.

Also spricht der Narr: "der Umgang mit Menschen
verdirbt den Charakter, sonderlich wenn man keinen hat."

Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht,
und der Andre, weil er sich verlieren möchte. Eure
schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der
Einsamkeit ein Gefängniss.

Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum
Nächsten bezahlen; und schon wenn ihr zu fünfen mit
einander seid, muss immer ein sechster sterben.

Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schau¬
spieler fand ich dabei, und auch die Zuschauer ge¬
bärdeten sich oft gleich Schauspielern.

Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den
Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und
ein Vorgefühl des Übermenschen.

euch nicht genug: nun wollt ihr den Nächsten zur
Liebe verführen und euch mit seinem Irrthum ver¬
golden.

Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei
Nächsten und deren Nachbarn; so müsstet ihr aus euch
selber euren Freund und sein überwallendes Herz
schaffen.

Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von
euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verführt habt,
gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von
euch.

Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen
redet, sondern erst recht Der, welcher wider sein Nicht¬
wissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre
und belügt mit euch den Nachbar.

Also spricht der Narr: „der Umgang mit Menschen
verdirbt den Charakter, sonderlich wenn man keinen hat.“

Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht,
und der Andre, weil er sich verlieren möchte. Eure
schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der
Einsamkeit ein Gefängniss.

Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum
Nächsten bezahlen; und schon wenn ihr zu fünfen mit
einander seid, muss immer ein sechster sterben.

Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schau¬
spieler fand ich dabei, und auch die Zuschauer ge¬
bärdeten sich oft gleich Schauspielern.

Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den
Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und
ein Vorgefühl des Übermenschen.

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[85/0091] euch nicht genug: nun wollt ihr den Nächsten zur Liebe verführen und euch mit seinem Irrthum ver¬ golden. Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nächsten und deren Nachbarn; so müsstet ihr aus euch selber euren Freund und sein überwallendes Herz schaffen. Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verführt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von euch. Nicht nur Der lügt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht Der, welcher wider sein Nicht¬ wissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre und belügt mit euch den Nachbar. Also spricht der Narr: „der Umgang mit Menschen verdirbt den Charakter, sonderlich wenn man keinen hat.“ Der Eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängniss. Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und schon wenn ihr zu fünfen mit einander seid, muss immer ein sechster sterben. Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schau¬ spieler fand ich dabei, und auch die Zuschauer ge¬ bärdeten sich oft gleich Schauspielern. Nicht den Nächsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und ein Vorgefühl des Übermenschen.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/91>, abgerufen am 29.03.2024.