Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Wahrsager.

"-- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über
die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer
Werke müde.

Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr:
"Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!"

Und von allen Hügeln klang es wieder: "Alles
ist leer, Alles ist gleich, Alles war!"

Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden
alle Früchte uns faul und braun? Was fiel vom bösen
Monde bei der letzten Nacht hernieder?

Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein
geworden, böser Blick sengte unsre Felder und
Herzen gelb.

Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf
uns, so stäuben wir der Asche gleich: -- ja das Feuer
selber machten wir müde.

Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich
zurück. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will
nicht schlingen!

"Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken
könnte": so klingt unsre Klage -- hinweg über flache
Sümpfe.

Der Wahrsager.

„— und ich sahe eine grosse Traurigkeit über
die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer
Werke müde.

Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr:
„Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!“

Und von allen Hügeln klang es wieder: „Alles
ist leer, Alles ist gleich, Alles war!“

Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden
alle Früchte uns faul und braun? Was fiel vom bösen
Monde bei der letzten Nacht hernieder?

Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein
geworden, böser Blick sengte unsre Felder und
Herzen gelb.

Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf
uns, so stäuben wir der Asche gleich: — ja das Feuer
selber machten wir müde.

Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich
zurück. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will
nicht schlingen!

„Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken
könnte“: so klingt unsre Klage — hinweg über flache
Sümpfe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0089" n="79"/>
      <div n="1">
        <head>Der Wahrsager.<lb/></head>
        <p>&#x201E;&#x2014; und ich sahe eine grosse Traurigkeit über<lb/>
die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer<lb/>
Werke müde.</p><lb/>
        <p>Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr:<lb/>
&#x201E;Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und von allen Hügeln klang es wieder: &#x201E;Alles<lb/>
ist leer, Alles ist gleich, Alles war!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden<lb/>
alle Früchte uns faul und braun? Was fiel vom bösen<lb/>
Monde bei der letzten Nacht hernieder?</p><lb/>
        <p>Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein<lb/>
geworden, böser Blick sengte unsre Felder und<lb/>
Herzen gelb.</p><lb/>
        <p>Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf<lb/>
uns, so stäuben wir der Asche gleich: &#x2014; ja das Feuer<lb/>
selber machten wir müde.</p><lb/>
        <p>Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich<lb/>
zurück. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will<lb/>
nicht schlingen!</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken<lb/>
könnte&#x201C;: so klingt unsre Klage &#x2014; hinweg über flache<lb/>
Sümpfe.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0089] Der Wahrsager. „— und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer Werke müde. Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: „Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!“ Und von allen Hügeln klang es wieder: „Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!“ Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und braun? Was fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder? Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick sengte unsre Felder und Herzen gelb. Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der Asche gleich: — ja das Feuer selber machten wir müde. Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen! „Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte“: so klingt unsre Klage — hinweg über flache Sümpfe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/89
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/89>, abgerufen am 19.04.2024.