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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: "ich
vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dir
thatest, -- wie könnte ich das vergeben!"

Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch
noch Vergebung und Mitleiden.

Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es
gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch!

Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thor¬
heiten, als beiden Mitleidigen? Und was in der Welt
stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?

Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe
haben, welche über ihrem Mitleiden ist!

Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott
hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen."

Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott
ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist
Gott gestorben." --

So seid mir gewarnt vor dem Mitleiden: daher
kommt noch den Menschen eine schwere Wolke!
Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!

Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe
ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das
Geliebte noch -- schaffen!

"Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und
meinen Nächsten gleich mir
" -- so geht die
Rede allen Schaffenden.

Alle Schaffenden aber sind hart. --

Also sprach Zarathustra.


Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: „ich
vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dir
thatest, — wie könnte ich das vergeben!“

Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch
noch Vergebung und Mitleiden.

Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es
gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch!

Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thor¬
heiten, als beiden Mitleidigen? Und was in der Welt
stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?

Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe
haben, welche über ihrem Mitleiden ist!

Also sprach der Teufel einst zu mir: „auch Gott
hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.“

Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: „Gott
ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist
Gott gestorben.“ —

So seid mir gewarnt vor dem Mitleiden: daher
kommt noch den Menschen eine schwere Wolke!
Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!

Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe
ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das
Geliebte noch — schaffen!

„Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und
meinen Nächsten gleich mir
“ — so geht die
Rede allen Schaffenden.

Alle Schaffenden aber sind hart. —

Also sprach Zarathustra.


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[12/0022] Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: „ich vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dir thatest, — wie könnte ich das vergeben!“ Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und Mitleiden. Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch! Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thor¬ heiten, als beiden Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen? Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist! Also sprach der Teufel einst zu mir: „auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.“ Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: „Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.“ — So seid mir gewarnt vor dem Mitleiden: daher kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch — schaffen! „Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich mir“ — so geht die Rede allen Schaffenden. Alle Schaffenden aber sind hart. — Also sprach Zarathustra.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/22>, abgerufen am 29.03.2024.