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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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7.

Wahr sein -- das können Wenige! Und wer es
kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber
können es die Guten.

Oh diese Guten! -- Gute Menschen reden
nie die Wahrheit
; für den Geist ist solchermaassen
gut sein eine Krankheit.

Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich,
ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht: wer aber
gehorcht, der hört sich selber nicht!

Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen
kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine
Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?

Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen,
das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in's
Lebendige -- wie selten kommt das zusammen! Aus
solchem Samen aber wird -- Wahrheit gezeugt!

Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles
Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden,
die alten Tafeln!


8.

Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und
Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet
Keiner Glauben, der da spricht: "Alles ist im Fluss."

Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm.
"Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken
und Geländer sind doch über dem Flusse?"

7.

Wahr sein — das können Wenige! Und wer es
kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber
können es die Guten.

Oh diese Guten! — Gute Menschen reden
nie die Wahrheit
; für den Geist ist solchermaassen
gut sein eine Krankheit.

Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich,
ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht: wer aber
gehorcht, der hört sich selber nicht!

Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen
kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine
Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?

Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen,
das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in's
Lebendige — wie selten kommt das zusammen! Aus
solchem Samen aber wird — Wahrheit gezeugt!

Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles
Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden,
die alten Tafeln!


8.

Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und
Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet
Keiner Glauben, der da spricht: „Alles ist im Fluss.“

Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm.
„Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken
und Geländer sind doch über dem Flusse?“

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[71/0081] 7. Wahr sein — das können Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber können es die Guten. Oh diese Guten! — Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit. Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht: wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht! Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit? Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in's Lebendige — wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird — Wahrheit gezeugt! Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln! 8. Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: „Alles ist im Fluss.“ Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. „Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch über dem Flusse?“

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/81>, abgerufen am 16.04.2024.