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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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Mit krummen Blicken -- lehrst du mich krumme
Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss --
Tücken!

Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine
Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: -- ich
leide, aber was litt ich um dich nicht gerne!

Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren
Flucht bindet, deren Spott -- rührt:

-- wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin,
Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer
liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, winds¬
eilige, kindsäugige Sünderin!

Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Un-
band? Und jetzt fliehst du mich wieder, du süsser
Wildfang und Undank!

Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer
Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen
Finger nur!

Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns
verirren! -- Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen
und Fledermäuse schwirren?

Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen?
Wo sind wir? Von den Hunden lerntest du diess
Heulen und Kläffen.

Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein,
deine bösen Augen springen gegen mich aus lockichtem
Mähnlein!

Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin
der Jäger, -- willst du mein Hund oder meine
Gemse sein?

Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte

Mit krummen Blicken — lehrst du mich krumme
Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss —
Tücken!

Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine
Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: — ich
leide, aber was litt ich um dich nicht gerne!

Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren
Flucht bindet, deren Spott — rührt:

— wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin,
Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer
liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, winds¬
eilige, kindsäugige Sünderin!

Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Un-
band? Und jetzt fliehst du mich wieder, du süsser
Wildfang und Undank!

Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer
Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen
Finger nur!

Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns
verirren! — Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen
und Fledermäuse schwirren?

Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen?
Wo sind wir? Von den Hunden lerntest du diess
Heulen und Kläffen.

Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein,
deine bösen Augen springen gegen mich aus lockichtem
Mähnlein!

Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin
der Jäger, — willst du mein Hund oder meine
Gemse sein?

Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte

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[107/0117] Mit krummen Blicken — lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss — Tücken! Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: — ich leide, aber was litt ich um dich nicht gerne! Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren Spott — rührt: — wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, winds¬ eilige, kindsäugige Sünderin! Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Un- band? Und jetzt fliehst du mich wieder, du süsser Wildfang und Undank! Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur! Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns verirren! — Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen und Fledermäuse schwirren? Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen? Wo sind wir? Von den Hunden lerntest du diess Heulen und Kläffen. Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein, deine bösen Augen springen gegen mich aus lockichtem Mähnlein! Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jäger, — willst du mein Hund oder meine Gemse sein? Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/117>, abgerufen am 23.04.2024.