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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen
Künsten diese die feinste, listigste, letzte und geduld¬
samste.

Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut
versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne
am spätesten ausgegraben, -- also schafft es der Geist
der Schwere.

Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere
Worte und Werthe mit: "gut" und "böse" -- so heisst
sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man
uns, dass wir leben.

Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen,
dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben:
also schafft es der Geist der Schwere.

Und wir -- wir schleppen treulich, was man uns
mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Berge!
Und schwitzen wir, so sagt man uns: "Ja, das Leben
ist schwer zu tragen!"

Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen!
Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen
Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und
lässt sich gut aufladen.

Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehr¬
furcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und
Werthe lädt er auf sich, -- nun dünkt das Leben ihm
eine Wüste!

Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer
zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der
Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer
erfasslich --,

-- also dass eine edle Schale mit edler Zierath

Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen
Künsten diese die feinste, listigste, letzte und geduld¬
samste.

Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut
versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne
am spätesten ausgegraben, — also schafft es der Geist
der Schwere.

Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere
Worte und Werthe mit: „gut“ und „böse“ — so heisst
sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man
uns, dass wir leben.

Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen,
dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben:
also schafft es der Geist der Schwere.

Und wir — wir schleppen treulich, was man uns
mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Berge!
Und schwitzen wir, so sagt man uns: „Ja, das Leben
ist schwer zu tragen!“

Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen!
Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen
Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und
lässt sich gut aufladen.

Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehr¬
furcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und
Werthe lädt er auf sich, — nun dünkt das Leben ihm
eine Wüste!

Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer
zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der
Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer
erfasslich —,

— also dass eine edle Schale mit edler Zierath

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[61/0071] Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, letzte und geduld¬ samste. Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben, — also schafft es der Geist der Schwere. Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: „gut“ und „böse“ — so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben. Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der Schwere. Und wir — wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: „Ja, das Leben ist schwer zu tragen!“ Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und lässt sich gut aufladen. Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehr¬ furcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und Werthe lädt er auf sich, — nun dünkt das Leben ihm eine Wüste! Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer erfasslich —, — also dass eine edle Schale mit edler Zierath

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/71>, abgerufen am 28.03.2024.