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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit,
von der Sonne gesüsst, von der Liebe gebräunt, --
eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum.
Heut strecke ich die Hand aus
nach den Locken des Zufalls,
klug genug, den Zufall
einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten.
Heut will ich gastfreundlich sein
gegen Unwillkommnes,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht
stachlicht sein,
-- Zarathustra ist kein Igel.
Meine Seele,
unersättlich mit ihrer Zunge,
an alle guten und schlimmen Dinge hat
sie schon geleckt,
in jede Tiefe tauchte sie hinab.
Aber immer gleich dem Korke,
immer schwimmt sie wieder obenauf,
sie gaukelt wie Öl über braune Meere:
dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen.
Wer sind mir Vater und Mutter?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss
und Mutter das stille Lachen?
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund
mich Räthselthier,
mich Lichtunhold,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra?
Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit,
von der Sonne gesüsst, von der Liebe gebräunt, —
eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum.
Heut strecke ich die Hand aus
nach den Locken des Zufalls,
klug genug, den Zufall
einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten.
Heut will ich gastfreundlich sein
gegen Unwillkommnes,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht
stachlicht sein,
— Zarathustra ist kein Igel.
Meine Seele,
unersättlich mit ihrer Zunge,
an alle guten und schlimmen Dinge hat
sie schon geleckt,
in jede Tiefe tauchte sie hinab.
Aber immer gleich dem Korke,
immer schwimmt sie wieder obenauf,
sie gaukelt wie Öl über braune Meere:
dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen.
Wer sind mir Vater und Mutter?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss
und Mutter das stille Lachen?
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund
mich Räthselthier,
mich Lichtunhold,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra?
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[18/0161] Vom Lächeln vergüldet nahe mir heut die Wahrheit, von der Sonne gesüsst, von der Liebe gebräunt, — eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum. Heut strecke ich die Hand aus nach den Locken des Zufalls, klug genug, den Zufall einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten. Heut will ich gastfreundlich sein gegen Unwillkommnes, gegen das Schicksal selbst will ich nicht stachlicht sein, — Zarathustra ist kein Igel. Meine Seele, unersättlich mit ihrer Zunge, an alle guten und schlimmen Dinge hat sie schon geleckt, in jede Tiefe tauchte sie hinab. Aber immer gleich dem Korke, immer schwimmt sie wieder obenauf, sie gaukelt wie Öl über braune Meere: dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen. Wer sind mir Vater und Mutter? Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss und Mutter das stille Lachen? Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund mich Räthselthier, mich Lichtunhold, mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra?

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/161>, abgerufen am 29.03.2024.