Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst,
sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.

"Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er,
hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten
Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!

Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte
ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte
Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr.

Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen
Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde
noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute
weiss."

"Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra.
Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den
alle Welt einst geglaubt hat?"

"Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt.
Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten
Stunde.

Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und
doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei
denn in Erinnerungen.

Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich
wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste
und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der
letzte Papst! -- ein Fest frommer Erinnerungen und
Gottesdienste.

Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch,
jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit
Singen und Brummen lobte.

Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte
fand, -- wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen

einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst,
sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.

„Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er,
hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten
Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!

Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte
ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte
Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr.

Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen
Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde
noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute
weiss.“

Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra.
Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den
alle Welt einst geglaubt hat?“

„Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt.
Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten
Stunde.

Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und
doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei
denn in Erinnerungen.

Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich
wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste
und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der
letzte Papst! — ein Fest frommer Erinnerungen und
Gottesdienste.

Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch,
jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit
Singen und Brummen lobte.

Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte
fand, — wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="36"/>
einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst,<lb/>
sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er,<lb/>
hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten<lb/>
Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!</p><lb/>
        <p>Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte<lb/>
ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte<lb/>
Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr.</p><lb/>
        <p>Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen<lb/>
Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde<lb/>
noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute<lb/>
weiss.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#g">Was</hi> weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra.<lb/>
Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den<lb/>
alle Welt einst geglaubt hat?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt.<lb/>
Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten<lb/>
Stunde.</p><lb/>
        <p>Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und<lb/>
doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei<lb/>
denn in Erinnerungen.</p><lb/>
        <p>Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich<lb/>
wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste<lb/>
und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der<lb/>
letzte Papst! &#x2014; ein Fest frommer Erinnerungen und<lb/>
Gottesdienste.</p><lb/>
        <p>Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch,<lb/>
jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit<lb/>
Singen und Brummen lobte.</p><lb/>
        <p>Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte<lb/>
fand, &#x2014; wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0043] einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los. „Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt! Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr. Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute weiss.“ „Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?“ „Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde. Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen. Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! — ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste. Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte. Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand, — wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/43
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/43>, abgerufen am 28.03.2024.