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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der
Mitte der Kühe heraus redete; und ersichtlich hatten
sie allesammt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht.

Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte
die Thiere auseinander, denn er fürchtete, dass hier
Jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich
das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber darin
hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch
auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass
sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger
Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die
Güte selber predigte. "Was suchst du hier?" rief
Zarathustra mit Befremden.

"Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe,
was du suchst, du Störenfried! nämlich das Glück
auf Erden.

Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen.
Denn, weisst du wohl, einen halben Morgen schon
rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid
geben. Warum doch störst du sie?

So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe,
so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir soll¬
ten ihnen nämlich Eins ablernen: das Wiederkäuen.

Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze
Welt gewönne und lernte das Eine nicht, das Wieder¬
käuen: was hülfe es! Er würde nicht seine Trübsal los

-- seine grosse Trübsal: die aber heisst heute
Ekel. Wer hat heute von Ekel nicht Herz, Mund
und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe
doch diese Kühe an!" --

hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der
Mitte der Kühe heraus redete; und ersichtlich hatten
sie allesammt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht.

Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte
die Thiere auseinander, denn er fürchtete, dass hier
Jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich
das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber darin
hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch
auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass
sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger
Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die
Güte selber predigte. „Was suchst du hier?“ rief
Zarathustra mit Befremden.

„Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe,
was du suchst, du Störenfried! nämlich das Glück
auf Erden.

Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen.
Denn, weisst du wohl, einen halben Morgen schon
rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid
geben. Warum doch störst du sie?

So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe,
so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir soll¬
ten ihnen nämlich Eins ablernen: das Wiederkäuen.

Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze
Welt gewönne und lernte das Eine nicht, das Wieder¬
käuen: was hülfe es! Er würde nicht seine Trübsal los

— seine grosse Trübsal: die aber heisst heute
Ekel. Wer hat heute von Ekel nicht Herz, Mund
und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe
doch diese Kühe an!“ —

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[50/0057] hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht. Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Thiere auseinander, denn er fürchtete, dass hier Jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber darin hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Güte selber predigte. „Was suchst du hier?“ rief Zarathustra mit Befremden. „Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du Störenfried! nämlich das Glück auf Erden. Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weisst du wohl, einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid geben. Warum doch störst du sie? So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir soll¬ ten ihnen nämlich Eins ablernen: das Wiederkäuen. Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte das Eine nicht, das Wieder¬ käuen: was hülfe es! Er würde nicht seine Trübsal los — seine grosse Trübsal: die aber heisst heute Ekel. Wer hat heute von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch diese Kühe an!“ —

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/57>, abgerufen am 29.03.2024.