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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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"Wie! sprach er, geschahen nicht von je die
lächerlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und
Heiligen?

Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den
Bergen! Nun höre ich sechs alte Narren-Beine hinter
einander her klappern!

Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten
fürchten? Auch dünkt mich zu guterletzt, dass er
längere Beine hat als ich."

Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und
Eingeweiden, blieb stehen und drehte sich schnell
herum -- und siehe, fast warf er dabei seinen Nach¬
folger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte
ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er
auch. Als er ihn nämlich mit Augen prüfte, erschrak
er wie vor einem plötzlichen Gespenste: so dünn,
schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser Nach¬
folger aus.

"Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was
treibst du hier? Und wesshalb heissest du dich meinen
Schatten? Du gefällst mir nicht."

"Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's
bin; und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zara¬
thustra! darin lobe ich dich und deinen guten Ge¬
schmack.

Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen
Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel,
auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum
ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig,
und auch nicht Jude bin.

Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von

„Wie! sprach er, geschahen nicht von je die
lächerlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und
Heiligen?

Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den
Bergen! Nun höre ich sechs alte Narren-Beine hinter
einander her klappern!

Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten
fürchten? Auch dünkt mich zu guterletzt, dass er
längere Beine hat als ich.“

Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und
Eingeweiden, blieb stehen und drehte sich schnell
herum — und siehe, fast warf er dabei seinen Nach¬
folger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte
ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er
auch. Als er ihn nämlich mit Augen prüfte, erschrak
er wie vor einem plötzlichen Gespenste: so dünn,
schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser Nach¬
folger aus.

„Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was
treibst du hier? Und wesshalb heissest du dich meinen
Schatten? Du gefällst mir nicht.“

„Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's
bin; und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zara¬
thustra! darin lobe ich dich und deinen guten Ge¬
schmack.

Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen
Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel,
auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum
ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig,
und auch nicht Jude bin.

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[56/0063] „Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und Heiligen? Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun höre ich sechs alte Narren-Beine hinter einander her klappern! Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten? Auch dünkt mich zu guterletzt, dass er längere Beine hat als ich.“ Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb stehen und drehte sich schnell herum — und siehe, fast warf er dabei seinen Nach¬ folger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn nämlich mit Augen prüfte, erschrak er wie vor einem plötzlichen Gespenste: so dünn, schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser Nach¬ folger aus. „Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir nicht.“ „Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zara¬ thustra! darin lobe ich dich und deinen guten Ge¬ schmack. Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin. Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/63>, abgerufen am 28.03.2024.