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Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 21. Rudolstadt, 22. Mai 1848.

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Allgemeine Auswanderungs = Zeitung.
[Beginn Spaltensatz]
Organ
für
Kunde aus deutschen Ansiedlungen,
für Rath und That
zu Gunsten der fortziehenden Brüder,
sowie für
Oeffentlichkeit in Auswanderungs-
sachen überhaupt.
BREMEN:
C. Schünemann's Buchhandlung.

[Spaltenumbruch] [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Mit
Karten, Plänen und
Jllustrationen,

sowie mit einem
Jntelligenzblatte
für Bekanntmachungen von
Behörden u. Privaten.
NEW-YORK:
Helmich & Co., 421 Broadway, für die Ver.
Staaten Nord=Amerika's.
William Radde, 322 Broadway.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Pränumerationspreis des halben Jahrgangs bei allen
Buchhandlungen und Fürstl. Thurn und Taxischen
Postanstalten 1 1 / 6 Rl == 2 fl 6 Xr.

[Spaltenumbruch]
Nro 21.
Montag, 22. Mai 1848.
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Jnhalt: Eine Uebersiedelung nach Amerika ( Briefe eines Arztes ) . -- Literatur:
Nordamerika, Wisconsin, Calumet, von Dr. [unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]re Haas. -- Das Heimathsrecht, eine Mecklen-
burger Geschichte. -- Vorschlag zu einer systematisch geleiteten Auswanderung brodloser
Proletarier auf Gesammtkosten deutscher Bundesstaaten.



Eine Uebersiedelung nach Amerika.
( Jn Briefen. )
I.
   

Hamburg, Deutschlands Venedig, wie man es mit Recht
nennen kann, liegt hinter mir, und der Augenblick, an den ich so
lange mit Furcht und Hoffen gedacht, d. h. der erste Abend, den
ich am Schiffe zubringen werde, ist da. Wie freue ich mich,
noch eine Gelegenheit gefunden zu haben, Euch so unerwartet
einen Brief senden zu können; der Lotse nämlich, der unser Schiff
in die hohe See hinausbringt, kehrt dann nach Hamburg zurück
und gab mir gern die Zusage, meinen Brief zu befördern. Doch
laßt mich der Reihe nach erzählen. Heute früh 7 Uhr ging ich
im Hafen von Hamburg an's Dampfboot, das uns bis Glück-
stadt
führen sollte, wo unser Schiff lag; meine Freunde beglei-
teten mich dahin, um mir den letzten Abschiedsgruß zu geben, und
ihr könnt Euch leicht denken, welche Beruhigung es mir gewährte,
daß auch ich, als endlich das Dampfboot sich in Bewegung setzte,
einigen verwandten Seelen den letzten Gruß nachsenden konnte.
Thränen gab es unter meinen Schicksalsgefährten im Ganzen
wenige, doch die da flossen, waren vielleicht um so schmerzlicher.
Wir waren ungefähr 300 Reisende nach Amerika. Jhr könnt
Euch das Gewimmel und Gekrabble denken: alle waren bepackt,
und saßen inmitten ihrer Kisten, Betten und aller nur möglichen
Lebensmittel. Nach dem, was ich bis jetzt gesehen, scheinen fast
Alle, selbst die Aermeren, bedeutend mehr für ihren Magen gesorgt
zu haben als ich; doch das besorgt mich nicht und mein Vorrath
wird genügen. Das Boot ging schnell die Elbe hinab: das rechte
Elbufer gewährte eine herrliche Ansicht; um12 1 / 2 Uhr langten wir
[Spaltenumbruch] hier bei Glückstadt, bei unserem Schiffe an. Bald unterhalb
Hamburg hatte uns schon das Schiff ins Schlepptau genommen;
nun ging aber erst das Gekrabble an, nämlich das Uebersteigen
aller alten und jungen, männlichen und weiblichen Reisenden,
sammt ihren Habseligkeiten; das war wie ein Chaos, läßt sich
aber nicht beschreiben. Unser Schiff ist ein englisches, ungeheuer
groß, und soll sehr gut fahren. Möchte nur bald anderer Wind
kommen, denn der jetzige Nordwind kann uns nichts helfen. Glück-
lich war ich, als ich endlich mein großes Collo im untersten
Schiffsraume, und mit den anderen Sachen mich in meine Zwischen-
deckskammer ( stereage genannt ) befand. Aber welche Kammer?!
Doch das laßt mich morgen beschreiben, denn ich kann nicht mehr
sehen, und Licht darf hier unten nicht angezündet werden.

   

Der Abend gestern auf dem Schiffe war köstlich. Es bildeten
sich verschiedene Gruppen; hier blies Einer die Flöte, dort ließ
sich eine Geige hören, wo anders eine Harmonika, die Matrosen
führten einige Tänze aus. Die Speisung läßt natürlich zu wün-
schen übrig. Gestern z. B. gab es zu Mittag Erbsen mit Speck,
die der Hunger hineintreiben mußte. Um 7 Uhr Abends ward
Thee verabreicht ( ohne Zucker und Rum ) mit Schiffszwieback,
was das tägliche Abendbrod bildet.

Heute Morgen war ich schon ganz früh auf dem Deck und
labte mich an der erfrischenden Morgenkühle. Uebel aber ist es,
daß es erst um 8 Uhr Frühstück, d. h. schwarzen Kaffee gibt.
Das Schrecklichste der Schrecken ist jedoch die Lagerung. Unter
dem obersten Deck laufen fast das ganze Schiff entlang zwei Räume
unter einander, je6 1 / 2 und 7 Fuß hoch, hin für die Zwischendecks-
passagiere. Man sagte mir, daß ich es dort als reputirlicher
Mensch nicht aushalten könne, indem Männer, Frauen, Mädchen,
Jungen und Kinder hier, wie es der Zufall will, bunt durch
einander liegen; die Sache schien mir einleuchtend, ich gab 10

Allgemeine Auswanderungs = Zeitung.
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Organ
für
Kunde aus deutschen Ansiedlungen,
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zu Gunsten der fortziehenden Brüder,
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Behörden u. Privaten.
NEW-YORK:
Helmich & Co., 421 Broadway, für die Ver.
Staaten Nord=Amerika's.
William Radde, 322 Broadway.

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Jnhalt: Eine Uebersiedelung nach Amerika ( Briefe eines Arztes ) . -- Literatur:
Nordamerika, Wisconsin, Calumet, von Dr. [unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]re Haas. -- Das Heimathsrecht, eine Mecklen-
burger Geschichte. -- Vorschlag zu einer systematisch geleiteten Auswanderung brodloser
Proletarier auf Gesammtkosten deutscher Bundesstaaten.



Eine Uebersiedelung nach Amerika.
( Jn Briefen. )
I.
   

Hamburg, Deutschlands Venedig, wie man es mit Recht
nennen kann, liegt hinter mir, und der Augenblick, an den ich so
lange mit Furcht und Hoffen gedacht, d. h. der erste Abend, den
ich am Schiffe zubringen werde, ist da. Wie freue ich mich,
noch eine Gelegenheit gefunden zu haben, Euch so unerwartet
einen Brief senden zu können; der Lotse nämlich, der unser Schiff
in die hohe See hinausbringt, kehrt dann nach Hamburg zurück
und gab mir gern die Zusage, meinen Brief zu befördern. Doch
laßt mich der Reihe nach erzählen. Heute früh 7 Uhr ging ich
im Hafen von Hamburg an's Dampfboot, das uns bis Glück-
stadt
führen sollte, wo unser Schiff lag; meine Freunde beglei-
teten mich dahin, um mir den letzten Abschiedsgruß zu geben, und
ihr könnt Euch leicht denken, welche Beruhigung es mir gewährte,
daß auch ich, als endlich das Dampfboot sich in Bewegung setzte,
einigen verwandten Seelen den letzten Gruß nachsenden konnte.
Thränen gab es unter meinen Schicksalsgefährten im Ganzen
wenige, doch die da flossen, waren vielleicht um so schmerzlicher.
Wir waren ungefähr 300 Reisende nach Amerika. Jhr könnt
Euch das Gewimmel und Gekrabble denken: alle waren bepackt,
und saßen inmitten ihrer Kisten, Betten und aller nur möglichen
Lebensmittel. Nach dem, was ich bis jetzt gesehen, scheinen fast
Alle, selbst die Aermeren, bedeutend mehr für ihren Magen gesorgt
zu haben als ich; doch das besorgt mich nicht und mein Vorrath
wird genügen. Das Boot ging schnell die Elbe hinab: das rechte
Elbufer gewährte eine herrliche Ansicht; um12 1 / 2 Uhr langten wir
[Spaltenumbruch] hier bei Glückstadt, bei unserem Schiffe an. Bald unterhalb
Hamburg hatte uns schon das Schiff ins Schlepptau genommen;
nun ging aber erst das Gekrabble an, nämlich das Uebersteigen
aller alten und jungen, männlichen und weiblichen Reisenden,
sammt ihren Habseligkeiten; das war wie ein Chaos, läßt sich
aber nicht beschreiben. Unser Schiff ist ein englisches, ungeheuer
groß, und soll sehr gut fahren. Möchte nur bald anderer Wind
kommen, denn der jetzige Nordwind kann uns nichts helfen. Glück-
lich war ich, als ich endlich mein großes Collo im untersten
Schiffsraume, und mit den anderen Sachen mich in meine Zwischen-
deckskammer ( stereage genannt ) befand. Aber welche Kammer?!
Doch das laßt mich morgen beschreiben, denn ich kann nicht mehr
sehen, und Licht darf hier unten nicht angezündet werden.

   

Der Abend gestern auf dem Schiffe war köstlich. Es bildeten
sich verschiedene Gruppen; hier blies Einer die Flöte, dort ließ
sich eine Geige hören, wo anders eine Harmonika, die Matrosen
führten einige Tänze aus. Die Speisung läßt natürlich zu wün-
schen übrig. Gestern z. B. gab es zu Mittag Erbsen mit Speck,
die der Hunger hineintreiben mußte. Um 7 Uhr Abends ward
Thee verabreicht ( ohne Zucker und Rum ) mit Schiffszwieback,
was das tägliche Abendbrod bildet.

Heute Morgen war ich schon ganz früh auf dem Deck und
labte mich an der erfrischenden Morgenkühle. Uebel aber ist es,
daß es erst um 8 Uhr Frühstück, d. h. schwarzen Kaffee gibt.
Das Schrecklichste der Schrecken ist jedoch die Lagerung. Unter
dem obersten Deck laufen fast das ganze Schiff entlang zwei Räume
unter einander, je6 1 / 2 und 7 Fuß hoch, hin für die Zwischendecks-
passagiere. Man sagte mir, daß ich es dort als reputirlicher
Mensch nicht aushalten könne, indem Männer, Frauen, Mädchen,
Jungen und Kinder hier, wie es der Zufall will, bunt durch
einander liegen; die Sache schien mir einleuchtend, ich gab 10

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Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 21. Rudolstadt, 22. Mai 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer21_1848/1>, abgerufen am 16.04.2024.