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Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 46. Rudolstadt, 16. August 1847.

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Allgemeine Auswanderungs = Zeitung.
[Beginn Spaltensatz]
Organ
für
Kunde aus deutschen Ansiedlungen,
für Rath und That
zu Gunsten der fortziehenden Brüder,
sowie für
Oeffentlichkeit in Auswanderungs-
sachen überhaupt.
BREMEN:
C. Schünemann's Sortiments = Buchhandlung.

[Spaltenumbruch] [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Mit
statistischen Uebersichten, Karten
und Plänen,

sowie mit einem
Jntelligenzblatte
für Bekanntmachungen von
Behörden u. Privaten.
NEW - YORK: bei William Radde.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Pränumerationspreis des halben Jahrgangs bei allen
Buchhandlungen und Fürstl. Thurn und Taxischen
Postanstalten 1 1 / 6 Rl. == 2 fl 6 Xr.

[Spaltenumbruch]
Nro 46.
Montag, 16. August 1847.
[Spaltenumbruch]
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Fr. Müller's Monographie.
( Fortsetzung. )

Der Hauptgrund, die überwiegende Ursache der deutschen
Auswanderung im neunzehnten Jahrhundert ist aber Mangel
an Erwerb. Beleuchten wir dieses genauer; gehen wir mal
die deutschen Zustände durch, und auf die Quellen jener Erschei-
nung zurück!

Der Adel wandert nicht aus. Er erwirbt nicht; er besitzt
bloß. Jm Besitze läßt es sich gut leben und die Beschaffenheit
seiner Lage ist derartig, daß er einen Wechsel nicht wünscht, das
Vaterland nicht verläßt, um nach fremden Welttheilen zu gehen,
wo der Standesvorzug aufhört, die Arbeit der Hand das tägliche
Brod verdienen muß. Freilich gibt es unter dem deutschen Adel
auch viele Grafen, Freiherren und Edelleute, die nicht zu den
Besitzenden, nicht zu den großen Grundherren gehören; dennoch
brauchen sie den Mangel an Erwerb nicht zu beklagen, da
fast alle deutsche Staaten dem Adel große Vorrechte in der Be-
kleidung der Aemter eingeräumt haben. Die Zeit ist zwar nicht
mehr da, wo es Heere gab, in denen nur Edelleuten die Officier-
stellen zu Theil wurden, wo es nicht möglich war, daß der Bürger-
liche, und wenn ihn Muth, Tapferkeit, Dienst und Geschicklichkeit
auch noch so sehr auszeichneten, es weiter bringen konnte, als
wie zum Feldwebel oder Wachtmeister. Aber beim Militär sowohl
als bei den Hofhaltungen, im Forstfache sowohl als in der Admi-
nistration, in der Justiz, wie in den Cammern findet gleichwohl
eine so unverkennbare Bevorzugung des Adels statt, daß den
nicht begüterten Edelleuten immer noch Aussicht und Mittel genug
zum Erwerbe übrig bleiben, zumal da die höheren Stellen auch
immer die einträglichsten sind. Nebenbei gibt es im heiligen deut-
schen Reiche auch Domherren = Stellen, Canonikate, Ritterorden,
Pfründen und Sinecuren, welche die neue Welt jenseits des Oceans
nicht darbietet, und die hier dem Adel nicht entgehen können, so
daß er wenig Neigung in sich verspürt, ein Land zu verlassen,
welches ihn schon Jahrhunderte lang vorzugsweise begünstigte,
und wo auch für die Zukunft ähnliche gute Aussichten vorhanden sind.

Bedenkt man nun vollends, daß jeder wohlhabende Edelmann
wenigstens ein Rittergut besitzt, und daß im Durchschnitte jedes
derselben wenigstens die doppelte Größe eines Bauerngutes hat,
[Spaltenumbruch] auf dem doch in der Regel mehr als ein Dutzend Menschen
leben müssen; daß aber sehr oft zwei, drei, vier, -- ja zehn,
zwanzig und wohl gar noch mehr Rittergüter in einer Hand sind,
worauf sich eine Behaglichkeit des Lebens. entwickeln läßt, dem
weiter nichts abgeht, als der Mangel an Erwerb: so kann
es keineswegs befremden, daß dieser Stand nicht zu den Aus-
wandernden gehört.

Aehnlich ist es mit dem Stande der Gelehrten, der freilich
eine mühsame Jugend durchzumachen hat, dem aber die reifen
Mannesjahre immerhin ein sicheres Auskommen verbürgen. Tritt
aber auch eine Zeit des Mangels an Erwerb bei diesem
oder jenem ein, was kann ihm die Auswanderung nützen nach
Ländern, wo man seiner nicht bedarf, wo man nur Hände will,
die den Spaten und die Art, oder irgend ein Handwerkszeug
führen können. Nur Aerzten möchte das Auswandern anzurathen
sein; ihrer bedarf man allenthalben, besonders in den neuen An-
siedlungen; in den jungen Städten.

Auch der Kaufmann, der Fabrikherr wandert nicht aus.
Was soll er dort machen, wo ihm seine Handelsfreunde, seine
Kunden, sein Absatz fehlen, wo er alles, was er hier besitzt, erst
anschaffen muß. Mögen die mannichfachen Zölle und Steuern
immerhin lästig sein, der Verbrauchende ist es nun einmal in
Deutschland nicht anders gewohnt, daß er, ohne es zu wissen,
eine Menge dieser Lasten trägt. Sein Handel, seine Fabrik wirft
immer noch so viel ab, daß er ein gutes, ein behagliches Leben
führen kann, daß seine Reisenden in eigenen Equipagen fahren,
daß ihm Mode, Tafel, Dienerschaft und ein wohl eingerichtetes
Haus manche Lebensfreuden bieten. Will er dieß nicht anerkennen,
so darf er über Erwerbsmangel doch auch nicht klagen. Wohl aber
ist es der junge Handelsmann, der sich oft zur Auswanderung an-
schickt, indem in Deutschland eine zu große Zahl seiner Standesge-
nossen ihm den Erwerb schmälert, ihn nicht selten nöthigt, umsonst
einzutreten, um nur Beschäftigung zu finden; unentgeltlich zu dienen
ist gewiß ein großer Mangel an Erwerb. Jhm öffnet sich in
fremden Ländern ein offenes Feld für sein Fach, auf dem Handel
ruhen dort keine so großen Lasten; frei breitet er sich da über Küsten
und Binnenlande, frei über die weiten Meere nach andern Ge-
staden aus, und des Handelsmannes Streben, Geld zu verdienen
und unter günstigen Ausspicien bald reich zu werden, findet dort,

Allgemeine Auswanderungs = Zeitung.
[Beginn Spaltensatz]
Organ
für
Kunde aus deutschen Ansiedlungen,
für Rath und That
zu Gunsten der fortziehenden Brüder,
sowie für
Oeffentlichkeit in Auswanderungs-
sachen überhaupt.
BREMEN:
C. Schünemann's Sortiments = Buchhandlung.

[Spaltenumbruch] [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Mit
statistischen Uebersichten, Karten
und Plänen,

sowie mit einem
Jntelligenzblatte
für Bekanntmachungen von
Behörden u. Privaten.
NEW - YORK: bei William Radde.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Pränumerationspreis des halben Jahrgangs bei allen
Buchhandlungen und Fürstl. Thurn und Taxischen
Postanstalten 1 1 / 6 Rl. == 2 fl 6 Xr.

[Spaltenumbruch]
Nro 46.
Montag, 16. August 1847.
[Spaltenumbruch]
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Fr. Müller's Monographie.
( Fortsetzung. )

Der Hauptgrund, die überwiegende Ursache der deutschen
Auswanderung im neunzehnten Jahrhundert ist aber Mangel
an Erwerb. Beleuchten wir dieses genauer; gehen wir mal
die deutschen Zustände durch, und auf die Quellen jener Erschei-
nung zurück!

Der Adel wandert nicht aus. Er erwirbt nicht; er besitzt
bloß. Jm Besitze läßt es sich gut leben und die Beschaffenheit
seiner Lage ist derartig, daß er einen Wechsel nicht wünscht, das
Vaterland nicht verläßt, um nach fremden Welttheilen zu gehen,
wo der Standesvorzug aufhört, die Arbeit der Hand das tägliche
Brod verdienen muß. Freilich gibt es unter dem deutschen Adel
auch viele Grafen, Freiherren und Edelleute, die nicht zu den
Besitzenden, nicht zu den großen Grundherren gehören; dennoch
brauchen sie den Mangel an Erwerb nicht zu beklagen, da
fast alle deutsche Staaten dem Adel große Vorrechte in der Be-
kleidung der Aemter eingeräumt haben. Die Zeit ist zwar nicht
mehr da, wo es Heere gab, in denen nur Edelleuten die Officier-
stellen zu Theil wurden, wo es nicht möglich war, daß der Bürger-
liche, und wenn ihn Muth, Tapferkeit, Dienst und Geschicklichkeit
auch noch so sehr auszeichneten, es weiter bringen konnte, als
wie zum Feldwebel oder Wachtmeister. Aber beim Militär sowohl
als bei den Hofhaltungen, im Forstfache sowohl als in der Admi-
nistration, in der Justiz, wie in den Cammern findet gleichwohl
eine so unverkennbare Bevorzugung des Adels statt, daß den
nicht begüterten Edelleuten immer noch Aussicht und Mittel genug
zum Erwerbe übrig bleiben, zumal da die höheren Stellen auch
immer die einträglichsten sind. Nebenbei gibt es im heiligen deut-
schen Reiche auch Domherren = Stellen, Canonikate, Ritterorden,
Pfründen und Sinecuren, welche die neue Welt jenseits des Oceans
nicht darbietet, und die hier dem Adel nicht entgehen können, so
daß er wenig Neigung in sich verspürt, ein Land zu verlassen,
welches ihn schon Jahrhunderte lang vorzugsweise begünstigte,
und wo auch für die Zukunft ähnliche gute Aussichten vorhanden sind.

Bedenkt man nun vollends, daß jeder wohlhabende Edelmann
wenigstens ein Rittergut besitzt, und daß im Durchschnitte jedes
derselben wenigstens die doppelte Größe eines Bauerngutes hat,
[Spaltenumbruch] auf dem doch in der Regel mehr als ein Dutzend Menschen
leben müssen; daß aber sehr oft zwei, drei, vier, -- ja zehn,
zwanzig und wohl gar noch mehr Rittergüter in einer Hand sind,
worauf sich eine Behaglichkeit des Lebens. entwickeln läßt, dem
weiter nichts abgeht, als der Mangel an Erwerb: so kann
es keineswegs befremden, daß dieser Stand nicht zu den Aus-
wandernden gehört.

Aehnlich ist es mit dem Stande der Gelehrten, der freilich
eine mühsame Jugend durchzumachen hat, dem aber die reifen
Mannesjahre immerhin ein sicheres Auskommen verbürgen. Tritt
aber auch eine Zeit des Mangels an Erwerb bei diesem
oder jenem ein, was kann ihm die Auswanderung nützen nach
Ländern, wo man seiner nicht bedarf, wo man nur Hände will,
die den Spaten und die Art, oder irgend ein Handwerkszeug
führen können. Nur Aerzten möchte das Auswandern anzurathen
sein; ihrer bedarf man allenthalben, besonders in den neuen An-
siedlungen; in den jungen Städten.

Auch der Kaufmann, der Fabrikherr wandert nicht aus.
Was soll er dort machen, wo ihm seine Handelsfreunde, seine
Kunden, sein Absatz fehlen, wo er alles, was er hier besitzt, erst
anschaffen muß. Mögen die mannichfachen Zölle und Steuern
immerhin lästig sein, der Verbrauchende ist es nun einmal in
Deutschland nicht anders gewohnt, daß er, ohne es zu wissen,
eine Menge dieser Lasten trägt. Sein Handel, seine Fabrik wirft
immer noch so viel ab, daß er ein gutes, ein behagliches Leben
führen kann, daß seine Reisenden in eigenen Equipagen fahren,
daß ihm Mode, Tafel, Dienerschaft und ein wohl eingerichtetes
Haus manche Lebensfreuden bieten. Will er dieß nicht anerkennen,
so darf er über Erwerbsmangel doch auch nicht klagen. Wohl aber
ist es der junge Handelsmann, der sich oft zur Auswanderung an-
schickt, indem in Deutschland eine zu große Zahl seiner Standesge-
nossen ihm den Erwerb schmälert, ihn nicht selten nöthigt, umsonst
einzutreten, um nur Beschäftigung zu finden; unentgeltlich zu dienen
ist gewiß ein großer Mangel an Erwerb. Jhm öffnet sich in
fremden Ländern ein offenes Feld für sein Fach, auf dem Handel
ruhen dort keine so großen Lasten; frei breitet er sich da über Küsten
und Binnenlande, frei über die weiten Meere nach andern Ge-
staden aus, und des Handelsmannes Streben, Geld zu verdienen
und unter günstigen Ausspicien bald reich zu werden, findet dort,

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Beleuchten wir dieses genauer; gehen wir mal die deutschen Zustände durch, und auf die Quellen jener Erschei- nung zurück! Der Adel wandert nicht aus. Er erwirbt nicht; er besitzt bloß. Jm Besitze läßt es sich gut leben und die Beschaffenheit seiner Lage ist derartig, daß er einen Wechsel nicht wünscht, das Vaterland nicht verläßt, um nach fremden Welttheilen zu gehen, wo der Standesvorzug aufhört, die Arbeit der Hand das tägliche Brod verdienen muß. Freilich gibt es unter dem deutschen Adel auch viele Grafen, Freiherren und Edelleute, die nicht zu den Besitzenden, nicht zu den großen Grundherren gehören; dennoch brauchen sie den Mangel an Erwerb nicht zu beklagen, da fast alle deutsche Staaten dem Adel große Vorrechte in der Be- kleidung der Aemter eingeräumt haben. Die Zeit ist zwar nicht mehr da, wo es Heere gab, in denen nur Edelleuten die Officier- stellen zu Theil wurden, wo es nicht möglich war, daß der Bürger- liche, und wenn ihn Muth, Tapferkeit, Dienst und Geschicklichkeit auch noch so sehr auszeichneten, es weiter bringen konnte, als wie zum Feldwebel oder Wachtmeister. Aber beim Militär sowohl als bei den Hofhaltungen, im Forstfache sowohl als in der Admi- nistration, in der Justiz, wie in den Cammern findet gleichwohl eine so unverkennbare Bevorzugung des Adels statt, daß den nicht begüterten Edelleuten immer noch Aussicht und Mittel genug zum Erwerbe übrig bleiben, zumal da die höheren Stellen auch immer die einträglichsten sind. Nebenbei gibt es im heiligen deut- schen Reiche auch Domherren = Stellen, Canonikate, Ritterorden, Pfründen und Sinecuren, welche die neue Welt jenseits des Oceans nicht darbietet, und die hier dem Adel nicht entgehen können, so daß er wenig Neigung in sich verspürt, ein Land zu verlassen, welches ihn schon Jahrhunderte lang vorzugsweise begünstigte, und wo auch für die Zukunft ähnliche gute Aussichten vorhanden sind. Bedenkt man nun vollends, daß jeder wohlhabende Edelmann wenigstens ein Rittergut besitzt, und daß im Durchschnitte jedes derselben wenigstens die doppelte Größe eines Bauerngutes hat, auf dem doch in der Regel mehr als ein Dutzend Menschen leben müssen; daß aber sehr oft zwei, drei, vier, -- ja zehn, zwanzig und wohl gar noch mehr Rittergüter in einer Hand sind, worauf sich eine Behaglichkeit des Lebens. entwickeln läßt, dem weiter nichts abgeht, als der Mangel an Erwerb: so kann es keineswegs befremden, daß dieser Stand nicht zu den Aus- wandernden gehört. Aehnlich ist es mit dem Stande der Gelehrten, der freilich eine mühsame Jugend durchzumachen hat, dem aber die reifen Mannesjahre immerhin ein sicheres Auskommen verbürgen. Tritt aber auch eine Zeit des Mangels an Erwerb bei diesem oder jenem ein, was kann ihm die Auswanderung nützen nach Ländern, wo man seiner nicht bedarf, wo man nur Hände will, die den Spaten und die Art, oder irgend ein Handwerkszeug führen können. Nur Aerzten möchte das Auswandern anzurathen sein; ihrer bedarf man allenthalben, besonders in den neuen An- siedlungen; in den jungen Städten. Auch der Kaufmann, der Fabrikherr wandert nicht aus. Was soll er dort machen, wo ihm seine Handelsfreunde, seine Kunden, sein Absatz fehlen, wo er alles, was er hier besitzt, erst anschaffen muß. Mögen die mannichfachen Zölle und Steuern immerhin lästig sein, der Verbrauchende ist es nun einmal in Deutschland nicht anders gewohnt, daß er, ohne es zu wissen, eine Menge dieser Lasten trägt. Sein Handel, seine Fabrik wirft immer noch so viel ab, daß er ein gutes, ein behagliches Leben führen kann, daß seine Reisenden in eigenen Equipagen fahren, daß ihm Mode, Tafel, Dienerschaft und ein wohl eingerichtetes Haus manche Lebensfreuden bieten. Will er dieß nicht anerkennen, so darf er über Erwerbsmangel doch auch nicht klagen. Wohl aber ist es der junge Handelsmann, der sich oft zur Auswanderung an- schickt, indem in Deutschland eine zu große Zahl seiner Standesge- nossen ihm den Erwerb schmälert, ihn nicht selten nöthigt, umsonst einzutreten, um nur Beschäftigung zu finden; unentgeltlich zu dienen ist gewiß ein großer Mangel an Erwerb. Jhm öffnet sich in fremden Ländern ein offenes Feld für sein Fach, auf dem Handel ruhen dort keine so großen Lasten; frei breitet er sich da über Küsten und Binnenlande, frei über die weiten Meere nach andern Ge- staden aus, und des Handelsmannes Streben, Geld zu verdienen und unter günstigen Ausspicien bald reich zu werden, findet dort,

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Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 46. Rudolstadt, 16. August 1847, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer46_1847/1>, abgerufen am 28.03.2024.