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Badener Zeitung. Nr. 38, Baden (Niederösterreich), 12.05.1909.

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Nr. 38 Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909

[Spaltenumbruch]

der wirtschaftliche Fortschritt, die Schule,
die Wissenschaft. Und darum ist der 40jährige
schemengleiche Bestand des Reichsvolksschul-
gesetzes für uns kein Freudenjubiläum, sondern
ein Anlaß zur Trauer über ver-
sunkene Hoffnungsinseln, eine Auf-
forderung zum Proteste wider das
krumme Rückgrat vergangener Re-
gierungsepisoden, eine Gelegenheit
zur musternden Heerschau im Abge-
ordnetenhaus, in den eigenen Reihen
und ein flammender Aufruf zur
Einigung aller jener, die noch Mut
und Begeisterung im Herzen tragen.




Ungarischer Brauch!
Das Ungarvolk, voll Temp'rament,
Ist dann in seinem Element',
Wenn der Zigeuner Czardas spielt,
Die Tanzeslust wird aufgewühlt.
Dann faßt die schöne Ungarin
Die Wonne, die betört den Sinn,
Der Ungar schreit sein "Eljen" laut,
Der Tanzwut man sich anvertraut.
Jedoch das End' der Tanzwut ist,
Die man betreibt zu arg und wüst,
Daß Ungarin, der Ungar auch
Erschöpft finkt hin, so ist's mal Brauch.
So geht's auch in der Politik,
Sie fesselt mit dem stärksten Strick
Das Ungarvolk an einen Tanz,
Verhängnisvoller Resonanz.
Erst sanft ertönt die Melodie,
Von dennoch nöt'ger Harmonie,
Dann macht jedoch ein Mißton sich
Gar breit und peinigt fürchterlich.
Von Banktrennung tönt etwas her,
Sodann von einem eig'nen Heer,
Daß nur im eig'nen Zollgebiet
Der Segen sprießt und Heil erblüht.
Der diplomatische Effekt
Wird in den Vordergrund gesteckt,
"Das Ungarwappen muß hervor",
So tönt's zu laut in Oest'rreichs Ohr.
So geht der Tanz an, wie verrückt,
Verblendungswahn in's Sinnen drückt,
Und jeder Mahnruf: "Seid doch klug",
Gilt nur als Störung, als Betrug.

[Spaltenumbruch]
So tanzt der Ungar, holt sich oft,
Ganz unerwartet, unverhofft
Entzündungen, gar arg und schwer,
Der Lunge, muß dann leiden sehr.
Gar leicht der tolle Uebermut
Entfacht Geschickes Zorn und Wut
Und manches Dasein wird geknickt,
Das hätt' Geschick sonst reich beglückt.
So sollen diese Verslein hier,
Ganz offen, frei und ohn' Gezier',
Verkünden: "Ungar pass' gut auf,
Verpatzt ist leicht der Lebenslauf!
Hat's Euch der Czardas angetan,
Ruft Oest'rreich zu Euch: Oft besann
Ein Mensch im Dasein sich zu spät,
Hat Leid sich statt -- Ersolg gesä't!"



Kommunal-Zeitung.



Unzukömmlichkeiten.

Fortwährend laufen
Klagen ein, daß Baden dieses Jahr in einem desolaten
Zustande sei und daß an allen Ecken und Enden
ganz unnotwendige Verkehrshindernisse finde. Allge-
mein ist die Meinung der "Saisonisteu", daß die
machthabenden Faktoren des Kurortes dafür verant-
wortlich zu machen seien, daß sich gerade im Rayon
der Hauptbäder und des Stadtparkes nicht alles in
einem Zustande befinde, wie ihn die Kurgäste zu ver-
langen berechtigt wären. Die Klagen sind leider nicht
Querulantengeschwätz. Vom Theaterbau abgesehen, um
den herum auch noch viel unnötiges Zeug der ehesten
Hinausbeförderung harrt -- wie sieht es vor der
städtischen Heilanstalt aus, wo die glückbringende
Terrasse oder Veranda gebaut wird. Anderswo
stellt man ein solches Ding in einer Woche her, in
Baden brauchte man Monate zum Entschluß und weitere
Wochen zur Errichtung der Ziegelpfeiler. Aehnlich ist
es beim Undinebrunnen und beim Ursprung, vor dem
Kurhause. Die Zuleitungsröhren werden erst jetzt
gelegt und vor dem Theresienbade gähnen breite
Gräben, in deren einen am verflossenen Sonntag ein
Zweirad stürzte, nachdem der Tretreiter als bekannter
Turnmeister noch rechtzeitig rückwärts abgesessen war.
Und erst die Theresiengasse! Vom alten Herzoghofe
steht noch eine unschöne Wandsäule da und überall
liegt Sand und Schutt, daß sogar Passanten gefährdet
werden. Dem hätte schon längst abgeholfen werden
können und sollen. Wir wissen auch, daß sich Bau-
materialien nicht auf dem Dache aufspeichern lassen,
aber von der Straßenfreiheit einen so ungebührlich
ausgiebigen Gebrauch zu machen, wie es hier geschieht,
ist denn doch etwas zu weit gehend. Es ist dann
[Spaltenumbruch] auch ganz begreiflich, wenn Kurgäste sich entschließen,
Baden wieder zu verlassen, bis es möglich sein würde,
ohne Belästigung durch Staub und Unrat hier hausen
zu können. Wenn es aber noch Leute gibt, welche
sagen, es sei noch nicht die "haute saison" und sich
damit trösten, daß in Juli schon Ordnung eintreten
werde, so ist das eine merkwürdige Geschmacksrichtung,
die den Kurort mit schädigt. Auch der Uebergang
vom Theaterplatz zum Nebeneingange in den Park
läßt viel, läßt alles zu wünschen übrig; denn er ist
bis heute eines Kurortes ganz unwürdig. Wann soll
es in Baden anno 1909 besser werden?

Sitzung der Kurkommission.

Morgen
Donnerstag soll eine Sitzung der Kurkommission statt-
finden, in welcher der Gebarungsausweis beraten und
die Frage wegen des Beitrages zur Pensionsversiche-
rung der Mitglieder der Kurkapelle besprochen werden soll.




Lokal-Nachrichten.
-- Aerztliche Nachricht.

Dr. Maximilian
Fuchs hat seine kurärztliche Tätigkeit in Baden bei
Wien wieder aufgenommen und ordiniert wie in
früheren Jahren Renngasse Nr. 6.

-- Hoher Besuch.

Se. k. u. k. Hoheit der
Herr Erzherzog Ferdinand Karl zeichnete am
8. d. M. das Atelier des k. u. k. Hof- und erherzog-
lichen Kammerphotographen Fritz Knozer (Weilburg-
straße 4a) mit seinem hohen Besuche aus und ließ
sich daselbst in mehreren Stellungen photographieren.

-- Promotion.

Herr Franz Weinfurter
wurde vergangenen Montag an der Wiener Univer-
sität zum Doktor der gesamten Heilkunde promoviert.
Sein Vater ist Meister in der Vöslauer Kammgarn-
fabrik und erfreut sich der Wertschätzung aller, die
ihn kennen.

-- Vor hundert Jahren.

Am 13. Mai jährt
sich zum hundertstenmale der Tag, an dem sich das
49. Infanterie-Regiment bei der "Schwarzen Lacke"
oder "Schwarzlackenau" unsterbliche Verdienste er-
worben hatte. Die "Hesser" feiern heuer mit der
Enthüllung des Hesser-Denkmales die Vorkämpfe der
großen Schlacht bei Aspern, in der die Gloriole der
Unbesiegbarkeit des ersten Napoleon hinweggeblasen
ward. Die Einleitung zum Riesenkampfe, der sich in
der Gegend von Aspern abwickelte und den Franzosen-
kaiser zum Rückzuge zwang, war sozusagen das
blutige Ringen um die Lackeninsel gegenüber Jedlesee.
Napoleon wollte bei Nußdorf die Donau übersetzen,
um die im Anmarsch befindliche und noch nicht kampf-
bereite österreichische Armee zu überrumpeln oder
deren einzelne Armeekorps, zunächst das Hiller'sche,
aufzureiben. Unbemerkt von den Oesterreichern, die
um den Süd- und Ostrand des Bisamberges lagerten,




[Spaltenumbruch]

dem ersten trat oft noch die Zeichenkunst. Mit Stift
und Pinsel vertraute Leute verzierten die Blätter mit
allerlei zierlichen Arabesken, Blumengewinden, son-
stigen bedeutungsvollen Motiven und ahnungsvollen
Farbenarrangements.

Wie lieb, wie kostbar diese Schätze alle in ihrer
Blütezeit ihren Besitzern waren, kann sich die jetzige
Welt, in der es keine Götter gibt, vielleicht gar
nicht mehr vorstellen.

Auch diese alte Sitte besteht nicht mehr oder
nur in ganz vereinzelten Fällen in einer meist herab-
gesunkenen Form.

Der Grund ihres Verfalles ist der gleiche wie
der, welcher den Briefstil verflachte: das Gesellig-
keitsleben ist verschwunden.

Und wie ich dieses gewichtige Wort ausspreche,
komme ich auf den dritten Punkt meines Aufsatzes,
auf das Erzählen.

Wo findet man sich heutzutage mehr zusammen,
um sich gegenseitig zu erzählen? Höchstens in ganz
einsamen Landgegenden, unter ungebildeten Leuten --
vielleicht! Auch in die entferntesten Winkel unserer
deutschen Heimat ist ja bereits der neue Zeitgeist in
irgend einer Art gedrungen und ich glaube kaum,
daß noch viele Kreise bestehen, in denen abends er-
zählt wird. Und die Gebildeten? Je nun, die würden
heute schön lachen, wenn ihnen einer zumutete, in
ihren Mußestunden eine so "kindische, dumme, lang-
weilige und unmoderne Unterhaltung" zu suchen.
"Schade um die Zeit, die wir einem Sporte hätten
widmen können!" würden sie sagen.

War es unseren Vorfahren auch langweilig?
Das Erzählen galt früher nicht nur in den schönsten
Bürgershäusern, sondern auch in den familiären
Kreisen der hochgebildeten und Aristokraten als ein
beliebtes und überall gepflegtes Erholungsmittel. In
den Zirkeln unserer klassischen Dichter wurde die
Sitte viel betrieben und sie selbst beteiligten sich mit
[Spaltenumbruch] Vorliebe dabei: Waren auch sie deshalb etwa kindisch
und dumm?

Ich will allerdings eingestehen, daß auch ich
nicht zuhören möchte, wenn von meinen Bekannten
jemand die Lust bekäme, den Histörchenerzähler zu
spielen. Aber da muß eben bedacht werden, daß die
Leute von jetzt die Kunst des Erzählens nicht mehr
bemeistern, unsere Vorfahren sie aber sehr oft in
hohem Grade innehatten.

In den ländlichen Kreisen war das Erzählen
ein Mittel, um die langen Winterabende abzukürzen,
teils auch um gewisse mechanische monotone Arbeiten
leichter und lieber zu vollenden. Die Spinnstuben
können gar nicht genannt werden, ohne daß wir mit
ihrem Wesen uns auch den Begriff des Märchen-
erzählers oder der Märchenerzählerin vergegenwärtigten.
Eine zweite Arbeit, bei welcher man sich immer die
Zeit auf die gleiche Art vertrieb, ist das sogenannte
Federnschleißen.

Einstmals waren ja keine Bahnen, die Fahr-
straßen im Winter vom Schnee verweht urd unsicher,
daher die Dörfer viel, viel einsamer als heute das
entfernteste Gebirgsnest. Wenn da die Tage kurz
wurden und die eisige Kälte das Ausgehen unbequem
machten, dann war es Zeit, alle jene Verrichtungen
zu pflegen, für welche, so lange es in Feld und
Garten zu schaffen gab, keine Hand freiblieb. Der
Winter gehörte dem Hause, der Familie, der Freundschaft.
Um den massiven Kachelofen herum in der großen
Wohnstube vereinigte sich der schlichte Kreis. Der
Hausvater, die Frau, die Burschen und Mädchen,
aber auch die Knechte und Mägde; alles was dem
Hause angehörte und noch manches, das abends zu
Besuch kam, um die Runde zu vergrößern. Die jungen
Leute arbeitend, scherzend, die Alten auch ein bißchen
tändelnd oder ruhend auf der Ofenbank. Ein patri-
archalisches Bild. Manchmal gab es überhaupt kein
neues Ereignis und die alten Erinnerungen aus der
[Spaltenumbruch] Jugend hatten die Großeltern und Eltern schon so
oft zum besten gegeben, daß sie jeder auswendig
kannte. Der ganze Bücherschatz des Hauses war die
Bibel, wenn es hoch ging, ein paar alte Flugschriften.
Doch wer las sie jetzt, wo man zugleich schaffen und
zu der einzigen Zeit, in welcher man beisammen sein
konnte, doch dem mündlichen Gespräche das Recht
lassen wollte? Da wurde nun zu dem uralten Mittel
gegriffen, zum Erzählen von Geschichten. Das Märchen
spielte wohl in diesem ländlichen Rahmen die Haupt-
rolle; seine Abart (vielleicht soll ich sagen Aus-
artung?) war die gruselige Gespenstergeschichte, welche
man dummer Weise besonders den Kindern auftischte.
Sehr häufig waren die Stoffe für solche Wunder-
geschichtleins der Vergangenheit der jeweiligen Gegend
entnommen. Sie spielten auch in den nächsten Bergen
und Schlössern, waren ursprünglich tatsächlich ein
Krümmchen Wirklichkeit, welches unter der abergläu-
bischen Menge von Mund zu Mund, von Generation
zu Generation getragen wurde, bis es schließlich ein
ausgeschmücktes Wundermärchen wurde. Diese Abart
ist die Sage, welche auf dem eben besprochenen
Boden der Spinnstuben und Landhütten ihre Ent-
stehung hat.

An die Wundergeschichten schloß sich endlich die
naturwahre Erzählung.

Der Anlaß zu den Abenderzählungen in den
Bürgershäusern der Städte war in den frühesten
Zeiten allerdings derselbe wie auf dem Lande. Aber
zu Großvaters Jugend, in dem eigentlichen schön-
geistigen, klassischen Zeitalter des deutschen Volkes
war das Bedürfnis nach einer derartigen Unterhaltung
wohl nicht mehr allein durch die langweilige Ein-
samkeit, den Mangel an Büchern, durch schlechtes
Licht und seltene Beheizung erzeugt. In den gebil-
deten Ständen hielt man gerade damals sehr viel
auf gute Handbibliotheken und man richtete sich Stu-
dierstuben ein, deren einfache Traulichkeit gewiß auch


Nr. 38 Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909

[Spaltenumbruch]

der wirtſchaftliche Fortſchritt, die Schule,
die Wiſſenſchaft. Und darum iſt der 40jährige
ſchemengleiche Beſtand des Reichsvolksſchul-
geſetzes für uns kein Freudenjubiläum, ſondern
ein Anlaß zur Trauer über ver-
ſunkene Hoffnungsinſeln, eine Auf-
forderung zum Proteſte wider das
krumme Rückgrat vergangener Re-
gierungsepiſoden, eine Gelegenheit
zur muſternden Heerſchau im Abge-
ordnetenhaus, in den eigenen Reihen
und ein flammender Aufruf zur
Einigung aller jener, die noch Mut
und Begeiſterung im Herzen tragen.




Ungariſcher Brauch!
Das Ungarvolk, voll Temp’rament,
Iſt dann in ſeinem Element’,
Wenn der Zigeuner Czardas ſpielt,
Die Tanzesluſt wird aufgewühlt.
Dann faßt die ſchöne Ungarin
Die Wonne, die betört den Sinn,
Der Ungar ſchreit ſein „Eljen“ laut,
Der Tanzwut man ſich anvertraut.
Jedoch das End’ der Tanzwut iſt,
Die man betreibt zu arg und wüſt,
Daß Ungarin, der Ungar auch
Erſchöpft finkt hin, ſo iſt’s mal Brauch.
So geht’s auch in der Politik,
Sie feſſelt mit dem ſtärkſten Strick
Das Ungarvolk an einen Tanz,
Verhängnisvoller Reſonanz.
Erſt ſanft ertönt die Melodie,
Von dennoch nöt’ger Harmonie,
Dann macht jedoch ein Mißton ſich
Gar breit und peinigt fürchterlich.
Von Banktrennung tönt etwas her,
Sodann von einem eig’nen Heer,
Daß nur im eig’nen Zollgebiet
Der Segen ſprießt und Heil erblüht.
Der diplomatiſche Effekt
Wird in den Vordergrund geſteckt,
„Das Ungarwappen muß hervor“,
So tönt’s zu laut in Oeſt’rreichs Ohr.
So geht der Tanz an, wie verrückt,
Verblendungswahn in’s Sinnen drückt,
Und jeder Mahnruf: „Seid doch klug“,
Gilt nur als Störung, als Betrug.

[Spaltenumbruch]
So tanzt der Ungar, holt ſich oft,
Ganz unerwartet, unverhofft
Entzündungen, gar arg und ſchwer,
Der Lunge, muß dann leiden ſehr.
Gar leicht der tolle Uebermut
Entfacht Geſchickes Zorn und Wut
Und manches Daſein wird geknickt,
Das hätt’ Geſchick ſonſt reich beglückt.
So ſollen dieſe Verslein hier,
Ganz offen, frei und ohn’ Gezier’,
Verkünden: „Ungar paſſ’ gut auf,
Verpatzt iſt leicht der Lebenslauf!
Hat’s Euch der Czardas angetan,
Ruft Oeſt’rreich zu Euch: Oft beſann
Ein Menſch im Daſein ſich zu ſpät,
Hat Leid ſich ſtatt — Erſolg geſä’t!“



Kommunal-Zeitung.



Unzukömmlichkeiten.

Fortwährend laufen
Klagen ein, daß Baden dieſes Jahr in einem deſolaten
Zuſtande ſei und daß an allen Ecken und Enden
ganz unnotwendige Verkehrshinderniſſe finde. Allge-
mein iſt die Meinung der „Saiſoniſteu“, daß die
machthabenden Faktoren des Kurortes dafür verant-
wortlich zu machen ſeien, daß ſich gerade im Rayon
der Hauptbäder und des Stadtparkes nicht alles in
einem Zuſtande befinde, wie ihn die Kurgäſte zu ver-
langen berechtigt wären. Die Klagen ſind leider nicht
Querulantengeſchwätz. Vom Theaterbau abgeſehen, um
den herum auch noch viel unnötiges Zeug der eheſten
Hinausbeförderung harrt — wie ſieht es vor der
ſtädtiſchen Heilanſtalt aus, wo die glückbringende
Terraſſe oder Veranda gebaut wird. Anderswo
ſtellt man ein ſolches Ding in einer Woche her, in
Baden brauchte man Monate zum Entſchluß und weitere
Wochen zur Errichtung der Ziegelpfeiler. Aehnlich iſt
es beim Undinebrunnen und beim Urſprung, vor dem
Kurhauſe. Die Zuleitungsröhren werden erſt jetzt
gelegt und vor dem Thereſienbade gähnen breite
Gräben, in deren einen am verfloſſenen Sonntag ein
Zweirad ſtürzte, nachdem der Tretreiter als bekannter
Turnmeiſter noch rechtzeitig rückwärts abgeſeſſen war.
Und erſt die Thereſiengaſſe! Vom alten Herzoghofe
ſteht noch eine unſchöne Wandſäule da und überall
liegt Sand und Schutt, daß ſogar Paſſanten gefährdet
werden. Dem hätte ſchon längſt abgeholfen werden
können und ſollen. Wir wiſſen auch, daß ſich Bau-
materialien nicht auf dem Dache aufſpeichern laſſen,
aber von der Straßenfreiheit einen ſo ungebührlich
ausgiebigen Gebrauch zu machen, wie es hier geſchieht,
iſt denn doch etwas zu weit gehend. Es iſt dann
[Spaltenumbruch] auch ganz begreiflich, wenn Kurgäſte ſich entſchließen,
Baden wieder zu verlaſſen, bis es möglich ſein würde,
ohne Beläſtigung durch Staub und Unrat hier hauſen
zu können. Wenn es aber noch Leute gibt, welche
ſagen, es ſei noch nicht die „haute saison“ und ſich
damit tröſten, daß in Juli ſchon Ordnung eintreten
werde, ſo iſt das eine merkwürdige Geſchmacksrichtung,
die den Kurort mit ſchädigt. Auch der Uebergang
vom Theaterplatz zum Nebeneingange in den Park
läßt viel, läßt alles zu wünſchen übrig; denn er iſt
bis heute eines Kurortes ganz unwürdig. Wann ſoll
es in Baden anno 1909 beſſer werden?

Sitzung der Kurkommiſſion.

Morgen
Donnerstag ſoll eine Sitzung der Kurkommiſſion ſtatt-
finden, in welcher der Gebarungsausweis beraten und
die Frage wegen des Beitrages zur Penſionsverſiche-
rung der Mitglieder der Kurkapelle beſprochen werden ſoll.




Lokal-Nachrichten.
Aerztliche Nachricht.

Dr. Maximilian
Fuchs hat ſeine kurärztliche Tätigkeit in Baden bei
Wien wieder aufgenommen und ordiniert wie in
früheren Jahren Renngaſſe Nr. 6.

Hoher Beſuch.

Se. k. u. k. Hoheit der
Herr Erzherzog Ferdinand Karl zeichnete am
8. d. M. das Atelier des k. u. k. Hof- und erherzog-
lichen Kammerphotographen Fritz Knozer (Weilburg-
ſtraße 4a) mit ſeinem hohen Beſuche aus und ließ
ſich daſelbſt in mehreren Stellungen photographieren.

Promotion.

Herr Franz Weinfurter
wurde vergangenen Montag an der Wiener Univer-
ſität zum Doktor der geſamten Heilkunde promoviert.
Sein Vater iſt Meiſter in der Vöslauer Kammgarn-
fabrik und erfreut ſich der Wertſchätzung aller, die
ihn kennen.

Vor hundert Jahren.

Am 13. Mai jährt
ſich zum hundertſtenmale der Tag, an dem ſich das
49. Infanterie-Regiment bei der „Schwarzen Lacke“
oder „Schwarzlackenau“ unſterbliche Verdienſte er-
worben hatte. Die „Heſſer“ feiern heuer mit der
Enthüllung des Heſſer-Denkmales die Vorkämpfe der
großen Schlacht bei Aſpern, in der die Gloriole der
Unbeſiegbarkeit des erſten Napoleon hinweggeblaſen
ward. Die Einleitung zum Rieſenkampfe, der ſich in
der Gegend von Aſpern abwickelte und den Franzoſen-
kaiſer zum Rückzuge zwang, war ſozuſagen das
blutige Ringen um die Lackeninſel gegenüber Jedleſee.
Napoleon wollte bei Nußdorf die Donau überſetzen,
um die im Anmarſch befindliche und noch nicht kampf-
bereite öſterreichiſche Armee zu überrumpeln oder
deren einzelne Armeekorps, zunächſt das Hiller’ſche,
aufzureiben. Unbemerkt von den Oeſterreichern, die
um den Süd- und Oſtrand des Biſamberges lagerten,




[Spaltenumbruch]

dem erſten trat oft noch die Zeichenkunſt. Mit Stift
und Pinſel vertraute Leute verzierten die Blätter mit
allerlei zierlichen Arabesken, Blumengewinden, ſon-
ſtigen bedeutungsvollen Motiven und ahnungsvollen
Farbenarrangements.

Wie lieb, wie koſtbar dieſe Schätze alle in ihrer
Blütezeit ihren Beſitzern waren, kann ſich die jetzige
Welt, in der es keine Götter gibt, vielleicht gar
nicht mehr vorſtellen.

Auch dieſe alte Sitte beſteht nicht mehr oder
nur in ganz vereinzelten Fällen in einer meiſt herab-
geſunkenen Form.

Der Grund ihres Verfalles iſt der gleiche wie
der, welcher den Briefſtil verflachte: das Geſellig-
keitsleben iſt verſchwunden.

Und wie ich dieſes gewichtige Wort ausſpreche,
komme ich auf den dritten Punkt meines Aufſatzes,
auf das Erzählen.

Wo findet man ſich heutzutage mehr zuſammen,
um ſich gegenſeitig zu erzählen? Höchſtens in ganz
einſamen Landgegenden, unter ungebildeten Leuten —
vielleicht! Auch in die entfernteſten Winkel unſerer
deutſchen Heimat iſt ja bereits der neue Zeitgeiſt in
irgend einer Art gedrungen und ich glaube kaum,
daß noch viele Kreiſe beſtehen, in denen abends er-
zählt wird. Und die Gebildeten? Je nun, die würden
heute ſchön lachen, wenn ihnen einer zumutete, in
ihren Mußeſtunden eine ſo „kindiſche, dumme, lang-
weilige und unmoderne Unterhaltung“ zu ſuchen.
„Schade um die Zeit, die wir einem Sporte hätten
widmen können!“ würden ſie ſagen.

War es unſeren Vorfahren auch langweilig?
Das Erzählen galt früher nicht nur in den ſchönſten
Bürgershäuſern, ſondern auch in den familiären
Kreiſen der hochgebildeten und Ariſtokraten als ein
beliebtes und überall gepflegtes Erholungsmittel. In
den Zirkeln unſerer klaſſiſchen Dichter wurde die
Sitte viel betrieben und ſie ſelbſt beteiligten ſich mit
[Spaltenumbruch] Vorliebe dabei: Waren auch ſie deshalb etwa kindiſch
und dumm?

Ich will allerdings eingeſtehen, daß auch ich
nicht zuhören möchte, wenn von meinen Bekannten
jemand die Luſt bekäme, den Hiſtörchenerzähler zu
ſpielen. Aber da muß eben bedacht werden, daß die
Leute von jetzt die Kunſt des Erzählens nicht mehr
bemeiſtern, unſere Vorfahren ſie aber ſehr oft in
hohem Grade innehatten.

In den ländlichen Kreiſen war das Erzählen
ein Mittel, um die langen Winterabende abzukürzen,
teils auch um gewiſſe mechaniſche monotone Arbeiten
leichter und lieber zu vollenden. Die Spinnſtuben
können gar nicht genannt werden, ohne daß wir mit
ihrem Weſen uns auch den Begriff des Märchen-
erzählers oder der Märchenerzählerin vergegenwärtigten.
Eine zweite Arbeit, bei welcher man ſich immer die
Zeit auf die gleiche Art vertrieb, iſt das ſogenannte
Federnſchleißen.

Einſtmals waren ja keine Bahnen, die Fahr-
ſtraßen im Winter vom Schnee verweht urd unſicher,
daher die Dörfer viel, viel einſamer als heute das
entfernteſte Gebirgsneſt. Wenn da die Tage kurz
wurden und die eiſige Kälte das Ausgehen unbequem
machten, dann war es Zeit, alle jene Verrichtungen
zu pflegen, für welche, ſo lange es in Feld und
Garten zu ſchaffen gab, keine Hand freiblieb. Der
Winter gehörte dem Hauſe, der Familie, der Freundſchaft.
Um den maſſiven Kachelofen herum in der großen
Wohnſtube vereinigte ſich der ſchlichte Kreis. Der
Hausvater, die Frau, die Burſchen und Mädchen,
aber auch die Knechte und Mägde; alles was dem
Hauſe angehörte und noch manches, das abends zu
Beſuch kam, um die Runde zu vergrößern. Die jungen
Leute arbeitend, ſcherzend, die Alten auch ein bißchen
tändelnd oder ruhend auf der Ofenbank. Ein patri-
archaliſches Bild. Manchmal gab es überhaupt kein
neues Ereignis und die alten Erinnerungen aus der
[Spaltenumbruch] Jugend hatten die Großeltern und Eltern ſchon ſo
oft zum beſten gegeben, daß ſie jeder auswendig
kannte. Der ganze Bücherſchatz des Hauſes war die
Bibel, wenn es hoch ging, ein paar alte Flugſchriften.
Doch wer las ſie jetzt, wo man zugleich ſchaffen und
zu der einzigen Zeit, in welcher man beiſammen ſein
konnte, doch dem mündlichen Geſpräche das Recht
laſſen wollte? Da wurde nun zu dem uralten Mittel
gegriffen, zum Erzählen von Geſchichten. Das Märchen
ſpielte wohl in dieſem ländlichen Rahmen die Haupt-
rolle; ſeine Abart (vielleicht ſoll ich ſagen Aus-
artung?) war die gruſelige Geſpenſtergeſchichte, welche
man dummer Weiſe beſonders den Kindern auftiſchte.
Sehr häufig waren die Stoffe für ſolche Wunder-
geſchichtleins der Vergangenheit der jeweiligen Gegend
entnommen. Sie ſpielten auch in den nächſten Bergen
und Schlöſſern, waren urſprünglich tatſächlich ein
Krümmchen Wirklichkeit, welches unter der abergläu-
biſchen Menge von Mund zu Mund, von Generation
zu Generation getragen wurde, bis es ſchließlich ein
ausgeſchmücktes Wundermärchen wurde. Dieſe Abart
iſt die Sage, welche auf dem eben beſprochenen
Boden der Spinnſtuben und Landhütten ihre Ent-
ſtehung hat.

An die Wundergeſchichten ſchloß ſich endlich die
naturwahre Erzählung.

Der Anlaß zu den Abenderzählungen in den
Bürgershäuſern der Städte war in den früheſten
Zeiten allerdings derſelbe wie auf dem Lande. Aber
zu Großvaters Jugend, in dem eigentlichen ſchön-
geiſtigen, klaſſiſchen Zeitalter des deutſchen Volkes
war das Bedürfnis nach einer derartigen Unterhaltung
wohl nicht mehr allein durch die langweilige Ein-
ſamkeit, den Mangel an Büchern, durch ſchlechtes
Licht und ſeltene Beheizung erzeugt. In den gebil-
deten Ständen hielt man gerade damals ſehr viel
auf gute Handbibliotheken und man richtete ſich Stu-
dierſtuben ein, deren einfache Traulichkeit gewiß auch


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[3/0003] Nr. 38 Mittwoch Badener Zeitung 12. Mai 1909 der wirtſchaftliche Fortſchritt, die Schule, die Wiſſenſchaft. Und darum iſt der 40jährige ſchemengleiche Beſtand des Reichsvolksſchul- geſetzes für uns kein Freudenjubiläum, ſondern ein Anlaß zur Trauer über ver- ſunkene Hoffnungsinſeln, eine Auf- forderung zum Proteſte wider das krumme Rückgrat vergangener Re- gierungsepiſoden, eine Gelegenheit zur muſternden Heerſchau im Abge- ordnetenhaus, in den eigenen Reihen und ein flammender Aufruf zur Einigung aller jener, die noch Mut und Begeiſterung im Herzen tragen. Ungariſcher Brauch! Das Ungarvolk, voll Temp’rament, Iſt dann in ſeinem Element’, Wenn der Zigeuner Czardas ſpielt, Die Tanzesluſt wird aufgewühlt. Dann faßt die ſchöne Ungarin Die Wonne, die betört den Sinn, Der Ungar ſchreit ſein „Eljen“ laut, Der Tanzwut man ſich anvertraut. Jedoch das End’ der Tanzwut iſt, Die man betreibt zu arg und wüſt, Daß Ungarin, der Ungar auch Erſchöpft finkt hin, ſo iſt’s mal Brauch. So geht’s auch in der Politik, Sie feſſelt mit dem ſtärkſten Strick Das Ungarvolk an einen Tanz, Verhängnisvoller Reſonanz. Erſt ſanft ertönt die Melodie, Von dennoch nöt’ger Harmonie, Dann macht jedoch ein Mißton ſich Gar breit und peinigt fürchterlich. Von Banktrennung tönt etwas her, Sodann von einem eig’nen Heer, Daß nur im eig’nen Zollgebiet Der Segen ſprießt und Heil erblüht. Der diplomatiſche Effekt Wird in den Vordergrund geſteckt, „Das Ungarwappen muß hervor“, So tönt’s zu laut in Oeſt’rreichs Ohr. So geht der Tanz an, wie verrückt, Verblendungswahn in’s Sinnen drückt, Und jeder Mahnruf: „Seid doch klug“, Gilt nur als Störung, als Betrug. So tanzt der Ungar, holt ſich oft, Ganz unerwartet, unverhofft Entzündungen, gar arg und ſchwer, Der Lunge, muß dann leiden ſehr. Gar leicht der tolle Uebermut Entfacht Geſchickes Zorn und Wut Und manches Daſein wird geknickt, Das hätt’ Geſchick ſonſt reich beglückt. So ſollen dieſe Verslein hier, Ganz offen, frei und ohn’ Gezier’, Verkünden: „Ungar paſſ’ gut auf, Verpatzt iſt leicht der Lebenslauf! Hat’s Euch der Czardas angetan, Ruft Oeſt’rreich zu Euch: Oft beſann Ein Menſch im Daſein ſich zu ſpät, Hat Leid ſich ſtatt — Erſolg geſä’t!“ Alfred Pollak. Kommunal-Zeitung. Unzukömmlichkeiten. Fortwährend laufen Klagen ein, daß Baden dieſes Jahr in einem deſolaten Zuſtande ſei und daß an allen Ecken und Enden ganz unnotwendige Verkehrshinderniſſe finde. Allge- mein iſt die Meinung der „Saiſoniſteu“, daß die machthabenden Faktoren des Kurortes dafür verant- wortlich zu machen ſeien, daß ſich gerade im Rayon der Hauptbäder und des Stadtparkes nicht alles in einem Zuſtande befinde, wie ihn die Kurgäſte zu ver- langen berechtigt wären. Die Klagen ſind leider nicht Querulantengeſchwätz. Vom Theaterbau abgeſehen, um den herum auch noch viel unnötiges Zeug der eheſten Hinausbeförderung harrt — wie ſieht es vor der ſtädtiſchen Heilanſtalt aus, wo die glückbringende Terraſſe oder Veranda gebaut wird. Anderswo ſtellt man ein ſolches Ding in einer Woche her, in Baden brauchte man Monate zum Entſchluß und weitere Wochen zur Errichtung der Ziegelpfeiler. Aehnlich iſt es beim Undinebrunnen und beim Urſprung, vor dem Kurhauſe. Die Zuleitungsröhren werden erſt jetzt gelegt und vor dem Thereſienbade gähnen breite Gräben, in deren einen am verfloſſenen Sonntag ein Zweirad ſtürzte, nachdem der Tretreiter als bekannter Turnmeiſter noch rechtzeitig rückwärts abgeſeſſen war. Und erſt die Thereſiengaſſe! Vom alten Herzoghofe ſteht noch eine unſchöne Wandſäule da und überall liegt Sand und Schutt, daß ſogar Paſſanten gefährdet werden. Dem hätte ſchon längſt abgeholfen werden können und ſollen. Wir wiſſen auch, daß ſich Bau- materialien nicht auf dem Dache aufſpeichern laſſen, aber von der Straßenfreiheit einen ſo ungebührlich ausgiebigen Gebrauch zu machen, wie es hier geſchieht, iſt denn doch etwas zu weit gehend. Es iſt dann auch ganz begreiflich, wenn Kurgäſte ſich entſchließen, Baden wieder zu verlaſſen, bis es möglich ſein würde, ohne Beläſtigung durch Staub und Unrat hier hauſen zu können. Wenn es aber noch Leute gibt, welche ſagen, es ſei noch nicht die „haute saison“ und ſich damit tröſten, daß in Juli ſchon Ordnung eintreten werde, ſo iſt das eine merkwürdige Geſchmacksrichtung, die den Kurort mit ſchädigt. Auch der Uebergang vom Theaterplatz zum Nebeneingange in den Park läßt viel, läßt alles zu wünſchen übrig; denn er iſt bis heute eines Kurortes ganz unwürdig. Wann ſoll es in Baden anno 1909 beſſer werden? Sitzung der Kurkommiſſion. Morgen Donnerstag ſoll eine Sitzung der Kurkommiſſion ſtatt- finden, in welcher der Gebarungsausweis beraten und die Frage wegen des Beitrages zur Penſionsverſiche- rung der Mitglieder der Kurkapelle beſprochen werden ſoll. Lokal-Nachrichten. — Aerztliche Nachricht. Dr. Maximilian Fuchs hat ſeine kurärztliche Tätigkeit in Baden bei Wien wieder aufgenommen und ordiniert wie in früheren Jahren Renngaſſe Nr. 6. — Hoher Beſuch. Se. k. u. k. Hoheit der Herr Erzherzog Ferdinand Karl zeichnete am 8. d. M. das Atelier des k. u. k. Hof- und erherzog- lichen Kammerphotographen Fritz Knozer (Weilburg- ſtraße 4a) mit ſeinem hohen Beſuche aus und ließ ſich daſelbſt in mehreren Stellungen photographieren. — Promotion. Herr Franz Weinfurter wurde vergangenen Montag an der Wiener Univer- ſität zum Doktor der geſamten Heilkunde promoviert. Sein Vater iſt Meiſter in der Vöslauer Kammgarn- fabrik und erfreut ſich der Wertſchätzung aller, die ihn kennen. — Vor hundert Jahren. Am 13. Mai jährt ſich zum hundertſtenmale der Tag, an dem ſich das 49. Infanterie-Regiment bei der „Schwarzen Lacke“ oder „Schwarzlackenau“ unſterbliche Verdienſte er- worben hatte. Die „Heſſer“ feiern heuer mit der Enthüllung des Heſſer-Denkmales die Vorkämpfe der großen Schlacht bei Aſpern, in der die Gloriole der Unbeſiegbarkeit des erſten Napoleon hinweggeblaſen ward. Die Einleitung zum Rieſenkampfe, der ſich in der Gegend von Aſpern abwickelte und den Franzoſen- kaiſer zum Rückzuge zwang, war ſozuſagen das blutige Ringen um die Lackeninſel gegenüber Jedleſee. Napoleon wollte bei Nußdorf die Donau überſetzen, um die im Anmarſch befindliche und noch nicht kampf- bereite öſterreichiſche Armee zu überrumpeln oder deren einzelne Armeekorps, zunächſt das Hiller’ſche, aufzureiben. Unbemerkt von den Oeſterreichern, die um den Süd- und Oſtrand des Biſamberges lagerten, dem erſten trat oft noch die Zeichenkunſt. Mit Stift und Pinſel vertraute Leute verzierten die Blätter mit allerlei zierlichen Arabesken, Blumengewinden, ſon- ſtigen bedeutungsvollen Motiven und ahnungsvollen Farbenarrangements. Wie lieb, wie koſtbar dieſe Schätze alle in ihrer Blütezeit ihren Beſitzern waren, kann ſich die jetzige Welt, in der es keine Götter gibt, vielleicht gar nicht mehr vorſtellen. Auch dieſe alte Sitte beſteht nicht mehr oder nur in ganz vereinzelten Fällen in einer meiſt herab- geſunkenen Form. Der Grund ihres Verfalles iſt der gleiche wie der, welcher den Briefſtil verflachte: das Geſellig- keitsleben iſt verſchwunden. Und wie ich dieſes gewichtige Wort ausſpreche, komme ich auf den dritten Punkt meines Aufſatzes, auf das Erzählen. Wo findet man ſich heutzutage mehr zuſammen, um ſich gegenſeitig zu erzählen? Höchſtens in ganz einſamen Landgegenden, unter ungebildeten Leuten — vielleicht! Auch in die entfernteſten Winkel unſerer deutſchen Heimat iſt ja bereits der neue Zeitgeiſt in irgend einer Art gedrungen und ich glaube kaum, daß noch viele Kreiſe beſtehen, in denen abends er- zählt wird. Und die Gebildeten? Je nun, die würden heute ſchön lachen, wenn ihnen einer zumutete, in ihren Mußeſtunden eine ſo „kindiſche, dumme, lang- weilige und unmoderne Unterhaltung“ zu ſuchen. „Schade um die Zeit, die wir einem Sporte hätten widmen können!“ würden ſie ſagen. War es unſeren Vorfahren auch langweilig? Das Erzählen galt früher nicht nur in den ſchönſten Bürgershäuſern, ſondern auch in den familiären Kreiſen der hochgebildeten und Ariſtokraten als ein beliebtes und überall gepflegtes Erholungsmittel. In den Zirkeln unſerer klaſſiſchen Dichter wurde die Sitte viel betrieben und ſie ſelbſt beteiligten ſich mit Vorliebe dabei: Waren auch ſie deshalb etwa kindiſch und dumm? Ich will allerdings eingeſtehen, daß auch ich nicht zuhören möchte, wenn von meinen Bekannten jemand die Luſt bekäme, den Hiſtörchenerzähler zu ſpielen. Aber da muß eben bedacht werden, daß die Leute von jetzt die Kunſt des Erzählens nicht mehr bemeiſtern, unſere Vorfahren ſie aber ſehr oft in hohem Grade innehatten. In den ländlichen Kreiſen war das Erzählen ein Mittel, um die langen Winterabende abzukürzen, teils auch um gewiſſe mechaniſche monotone Arbeiten leichter und lieber zu vollenden. Die Spinnſtuben können gar nicht genannt werden, ohne daß wir mit ihrem Weſen uns auch den Begriff des Märchen- erzählers oder der Märchenerzählerin vergegenwärtigten. Eine zweite Arbeit, bei welcher man ſich immer die Zeit auf die gleiche Art vertrieb, iſt das ſogenannte Federnſchleißen. Einſtmals waren ja keine Bahnen, die Fahr- ſtraßen im Winter vom Schnee verweht urd unſicher, daher die Dörfer viel, viel einſamer als heute das entfernteſte Gebirgsneſt. Wenn da die Tage kurz wurden und die eiſige Kälte das Ausgehen unbequem machten, dann war es Zeit, alle jene Verrichtungen zu pflegen, für welche, ſo lange es in Feld und Garten zu ſchaffen gab, keine Hand freiblieb. Der Winter gehörte dem Hauſe, der Familie, der Freundſchaft. Um den maſſiven Kachelofen herum in der großen Wohnſtube vereinigte ſich der ſchlichte Kreis. Der Hausvater, die Frau, die Burſchen und Mädchen, aber auch die Knechte und Mägde; alles was dem Hauſe angehörte und noch manches, das abends zu Beſuch kam, um die Runde zu vergrößern. Die jungen Leute arbeitend, ſcherzend, die Alten auch ein bißchen tändelnd oder ruhend auf der Ofenbank. Ein patri- archaliſches Bild. Manchmal gab es überhaupt kein neues Ereignis und die alten Erinnerungen aus der Jugend hatten die Großeltern und Eltern ſchon ſo oft zum beſten gegeben, daß ſie jeder auswendig kannte. Der ganze Bücherſchatz des Hauſes war die Bibel, wenn es hoch ging, ein paar alte Flugſchriften. Doch wer las ſie jetzt, wo man zugleich ſchaffen und zu der einzigen Zeit, in welcher man beiſammen ſein konnte, doch dem mündlichen Geſpräche das Recht laſſen wollte? Da wurde nun zu dem uralten Mittel gegriffen, zum Erzählen von Geſchichten. Das Märchen ſpielte wohl in dieſem ländlichen Rahmen die Haupt- rolle; ſeine Abart (vielleicht ſoll ich ſagen Aus- artung?) war die gruſelige Geſpenſtergeſchichte, welche man dummer Weiſe beſonders den Kindern auftiſchte. Sehr häufig waren die Stoffe für ſolche Wunder- geſchichtleins der Vergangenheit der jeweiligen Gegend entnommen. Sie ſpielten auch in den nächſten Bergen und Schlöſſern, waren urſprünglich tatſächlich ein Krümmchen Wirklichkeit, welches unter der abergläu- biſchen Menge von Mund zu Mund, von Generation zu Generation getragen wurde, bis es ſchließlich ein ausgeſchmücktes Wundermärchen wurde. Dieſe Abart iſt die Sage, welche auf dem eben beſprochenen Boden der Spinnſtuben und Landhütten ihre Ent- ſtehung hat. An die Wundergeſchichten ſchloß ſich endlich die naturwahre Erzählung. Der Anlaß zu den Abenderzählungen in den Bürgershäuſern der Städte war in den früheſten Zeiten allerdings derſelbe wie auf dem Lande. Aber zu Großvaters Jugend, in dem eigentlichen ſchön- geiſtigen, klaſſiſchen Zeitalter des deutſchen Volkes war das Bedürfnis nach einer derartigen Unterhaltung wohl nicht mehr allein durch die langweilige Ein- ſamkeit, den Mangel an Büchern, durch ſchlechtes Licht und ſeltene Beheizung erzeugt. In den gebil- deten Ständen hielt man gerade damals ſehr viel auf gute Handbibliotheken und man richtete ſich Stu- dierſtuben ein, deren einfache Traulichkeit gewiß auch

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 38, Baden (Niederösterreich), 12.05.1909, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener038_1909/3>, abgerufen am 28.03.2024.