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Die Bayerische Presse. Nr. 239. Würzburg, 5. Oktober 1850.

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Die Bayerische Presse.

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Ganzjährig 6 fl.
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Eine constitutionell-monarchische Zeitung.

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Expedition: Jm Schenkhofe 2. Distr.
Nr. 533.

Einrückungsgebühr: die gespaltene Pe-
titzeile oder deren Raum 3 kr. Briefe
und Gelder frei.

[Ende Spaltensatz]

Nr. 239.
Würzburg, Samstag den 5. Oktober. 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Das Proletariat.
Das Proletariat und der Sonntag.

Ein Sonntag in London und ein Sonntag in
Wien, Berlin, Paris und andern Städten des
Kontinents, welch' ein Unterschied! Gerade so
groß, als der Unterschied zwischen der Haltung
Englands in der letzten sturmbewegten Zeit, und
dem Schwanken, Wanken und Brechen von fast
allem Bestehenden in andern Staaten. Jn den
Palästen der Großen, und selbst am Hofe der
Königin, endigt mit dem Beginn des Sonntags
jedes laute Vergnügen, die Musik verstummt und
der sich kaum noch im Tanze schwingende Fuß
ruht, denn das Gesetz will es so; dadurch, daß
sich auf solche Weise seine Großen selbst auch dem
Gesetze fügen, gewinnt das englische Volk jene
Achtung vor dem Gesetze, welche es vor allen
andern Völkern auszeichnet, und ohne welche keine
Freiheit und Ordnung möglich ist. Wie ganz
anders verhält es sich damit in den meisten Staa-
ten des Kontinents? Woher soll da das Volk
eine ähnliche Achtung vor dem Gesetze gewinnen,
wenn es sieht, daß die höhern Stände sich über
die ihm wohl bekannten Gesetze der Sonntagsfeier
hinwegsetzen? Wir haben z. B. ein Gesetz, durch
welches jede am Sonntag vorgenommene Amts-
handlung für ungiltig erklärt wird, dessenungeach-
tet wird in den Amtsstuben und nicht selten selbst
auf Rathhäusern am Sonntage geamtet, freilich
nur am Vormittage, denn dieser mag wohl dem
Gottesdienste, nicht aber der Nachmittag dem
Vergnügen entzogen werden. Wenn das Volk
von Denen, die zu Wächtern des Gesetzes bestellt
sind, dieses selbst übertreten sieht, wie sollte es
die Gesetze des Landes anders halten, als wenn
es eben muß? Wie sollte es sich ferner vom Ge-
setze und nicht von der bloßen Willkür der Be-
amten regiert glauben, wenn diese selbst die Ge-
setze im Einzelnen nicht beobachten? Dieser Wahn,
wenn gleich im Allgemeinen falsch, ist dennoch sehr
häufig, er lenkt, wenn der Beamte Strenge an-
wenden muß, den Unwillen auf dessen Person, un-
tergräbt das Vertrauen zur Regierung, und rich-
tet überhaupt weit mehr Schaden an, als man
anzunehmen geneigt ist. Fast nirgends tritt ferner
der Abstand zwischen Reichen und Armen, Vor-
nehmen und Niedrigen mehr hervor, als in Eng-
land, aber wenn der Pair des Reichs nicht nur
sich dem Gesetze fügt, wie der Niedrigste, sondern
auch mit diesem sich in der Kirche vor Gott beugt,
so fühlt sich der sonst so mannigfach Zurückgesetzte
dadurch wieder mehr versöhnt mit dem sonst be-
stehenden Unterschiede; die Gleichheit in der Kirche
macht ihn mit der Ungleichheit im sonstigen Leben
weniger unzufrieden, so wie sie gleichzeitig die Be-
vorzugten mehr zu humanem Betragen gegen An-
dere führt. Wo dagegen die Beamten und über-
haupt die höheren Stände sich von der gemein-
schaftlichen Verehrung Gottes ausschließen, da
graben sie eine Kluft zwischen sich und dem Volke,
über welche hinüber sie als ein fremdes Geschlecht
mit Widerwillen betrachtet werden. Wenn endlich
der Arbeiter in England der Woche Last u. Hitze
getragen hat, so kann er doch am Sonntage sein
Haupt in Ruhe erheben und seines Daseins froh
werden, so wie in der Kirche sich neue geistige
Kraft sammeln und aus Gottes Wort die ihm
[Spaltenumbruch] so nöthige Ergebung und Hoffnung gewinnen;
überdieß wird er durch die gebotene Stille doch
mehr von Zerstreuungen und Vergnügungen, die
seinen Wochenverdienst verzehren könnten, zurück-
gehalten. Auf dem Kontinent dagegen kommen
Fälle genug vor, wo selbst der Sonntag den Ar-
beitern, Dienstboten und Lehrlingen nicht frei ge-
geben wird, Tausende müssen wenigstens Vormit-
tags arbeiten, und kommt der Nachmittag, so ha-
ben sie von allen Seiten Lockung zu Geldausga-
ben, welche, wenn sogar an und für sich klein,
doch für ihre Verhältnisse zu groß sind; zugleich
werden die Vergnügungen, welche sie dafür kau-
fen, nicht selten durch Ueberlaß für ihre Sitten
verderblich und selbst zu Verbrechen führend, wie
es denn bekannt ist, daß bei weitem die meisten
Verbrechen am Sonntage zu geschehen pflegen.
Wenn wir daher von den kirchlichen und religiö-
sen Rücksichten sogar absehen, erscheint eine wür-
diege Feier des Sonntags selbst für das Wohl
der bürgerlichen Gesellschaft von der allergrößten
Wichtigkeit. Palmerston ist doch gewiß kein Pie-
tist, und dessenungeachtet ist es sein Ministerium,
unter dem erst seit neuester Zeit beschlossen wurde,
daß die Post in England keine Briefe mehr ab-
geben dürfte. Man bedenke die Handelsverhält-
nisse des englischen Volks, und man wird die
Größe des dadurch auferlegten Opfers zu schätzen
wissen; würden es Regierung und Parlament auf-
erlegt haben, wenn sie nicht von dem wohlthäti-
gen Einfluß der Sonntagsfeier überzeugt wären?
Wiederum ist der bekannte Socialist Proudhon so
wenig als Palmerston ein Pietist, und doch ver-
langt auch er eine würdige Begehung des Sonn-
tags als unentbehrlich für das Wohl des Volks.
Anderer Meinung scheinen viele Staatsverwal-
tungen zu sein. Glaubt man doch, wie es scheint,
die ganze Staatsmaschine müßte still stehen, wenn
der Dampfwagen nicht selbst unter den Stunden
des Gottesdienstes fortbrauste; mögen darüber die
an der Eisenbahn Angestellten immerhin in keine
Kirche kommen, was liegt an den paar tausend
Seelen, wenn dafür ein paar tausend Gulden mehr
eingehen? Ja, noch mehr, an nicht wenigen Or-
ten werden sogar gerade an den Sonntagen Ex-
trafahrten auf der Eisenbahn veranstaltet, damit
doch die Leute schnell genug zu den üblichen Lust-
barkeiten geführt und die Arbeiter recht gewiß Ge-
legenheit erhalten, ihren Wochenlohn in Sauß
und Brauß durchzubringen. Da muß man wohl
an jenes: non olet ( es riecht nicht ) denken, wo-
mit Vespasian ein Geldstück von seiner Steuer auf
die Cloake vorzeigte und damit die Einwürfe da-
gegen abwies; freilich das Geld, das man dadurch
einnimmt, riecht nicht, aber das sittliche u. leibliche
Verderben, welches man dadurch befördert, möchte
am Ende einen desto schlimmeren Geruch zurück-
lassen. Die Kaufleute, welche irgendwo ihre
Läden am Sonntag schließen, sind dadurch nicht
in Vermögensverfall gekommen, und die Eisen-
bahnkassen würden es auch nicht, wenn der
Dampfwagen in den Stunden des Gottesdienstes
stille stände und die Extrafahrten am Sonntage
unterblieben, schon damit auch die an den Eisen-
bahnen Angestellten einen Sonntag erhielten, so-
wie eben damit die vielen Omnibusführer und
Kutscher, welche nach ihren Fahrten die ihrigen
[Spaltenumbruch] richten müssen. Selbst viele Religiöse bedenken
nicht, daß sie durch Laufen und Fahren an an-
dere Orte des Sonntags Aergerniß geben; sie
thun es freilich in anderer Absicht, nämlich um
einen beliebten Prediger zu hören oder eine reli-
giose Gesellschaft zu besuchen, allein das sehen
ihnen andere Leute nicht an und ihr Beispiel
trägt mit dazu bei, den Sonntag zum allgemei-
nen Reisetag zu machen und die Festzeiten an
Weihnachten und Ostern in eine Zeit müßigen
Herumziehens zu verwandeln. Man wird ein-
wenden, das Volk müsse auch seine Erholungen
und Vergnügungen haben; vollkommen richtig,
Niemand will es demselben, sofern sie dem Zwecke
des Sonntags entsprechen, weniger berauben, als
wir. Aber sind das Erholungen, nach denen die
Arbeiter am Montage kaum zu arbeiten vermö-
gen? Sind das wahre Vergnügungen, welche
mit Schlägereien, Messerstichen und derlei zu en-
den pflegen? Unsere Vorfahren hatten auch ihre
Erholungen und Genüsse am Sonntage, es dien-
ten dazu besonders die Linden, unter welchen
sich die Dorfbewohner zu versammeln pflegten,
die Bürger= und Zunftstuben, wo die Städter
zusammenkamen, die Gänge, welche die Fami-
lien nach den Gottesdiensten in die freie Natur
oder auf benachbarte Orte machten, und derlei
mehr. Die Uebel, welche aus der üblichen Sonn-
tagsentheiligung hervorgehen, sind nicht zu zäh-
len; ihr hauptsächlich verdankt es Deutschland,
daß in nicht wenigen seiner Staaten die Verbre-
chen sogar noch mehr, als in England zugenom-
men haben, und alle Verhältnisse in ihrem inner-
sten Grunde so morsch und mürbe wurden, wie
die letzten Jahre sie gezeigt haben. Mit nur zu
vielem Grunde machten darum die Bischöfe Oe-
sterreichs auf diese Quelle unsäglichen Verder-
bens aufmerksam und baten die Regierung um
Sorge für eine christliche Sonntagsfeier.

Preußens Stellung in der kurhessi-
schen Angelegenheit.

Einmal will Preußen die bundesgetreuen Re-
gierungen an dem Gebrauche eines guten Rechtes
und der Erfüllung einer gebotenen Pflicht hin-
dern: nämlich der gegenseitigen Hülfe, wenn
solche Noth thut und verlangt wird, und
der Befolgung der Befehle der höchsten Bundes-
autorität; auf der andern Seite stellt Preußen
sogar eine gar nicht verlangte und darum unbe-
fugte Einmischung seinerseits in Aussicht. Beides
muß als entschieden unzulässig zurückgewiesen
werden. Preußen mag sich der Erfüllung seiner
Bundespflichten entziehen, mag der obersten Bun-
desbehörde die Anerkennung versagen zu können
vermeinen, -- auf keinen Fall aber kann ihm
hieraus das Recht erwachsen, andere bundesge-
treue Regierungen zu verhindern ihrerseits ihre
Pflichten zu erfüllen; am wenigsten aber darf es
sich das Recht anmaßen, eine Hülfsleistung auf-
zudringen, wo sie gar nicht verlangt und zuge-
standen ist. Würde solchem Begehren nachgesehen,
so wäre damit factisch die Freiheit der betreffen-
den Regierung, hier der kurhessischen, in ihren
Beschlüssen und Handlungen, ihre Souveränetät
vernichtet; es wäre offenbar der erste Schritt zur

Die Bayerische Presse.

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und Gelder frei.

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Nr. 239.
Würzburg, Samstag den 5. Oktober. 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Das Proletariat.
Das Proletariat und der Sonntag.

Ein Sonntag in London und ein Sonntag in
Wien, Berlin, Paris und andern Städten des
Kontinents, welch' ein Unterschied! Gerade so
groß, als der Unterschied zwischen der Haltung
Englands in der letzten sturmbewegten Zeit, und
dem Schwanken, Wanken und Brechen von fast
allem Bestehenden in andern Staaten. Jn den
Palästen der Großen, und selbst am Hofe der
Königin, endigt mit dem Beginn des Sonntags
jedes laute Vergnügen, die Musik verstummt und
der sich kaum noch im Tanze schwingende Fuß
ruht, denn das Gesetz will es so; dadurch, daß
sich auf solche Weise seine Großen selbst auch dem
Gesetze fügen, gewinnt das englische Volk jene
Achtung vor dem Gesetze, welche es vor allen
andern Völkern auszeichnet, und ohne welche keine
Freiheit und Ordnung möglich ist. Wie ganz
anders verhält es sich damit in den meisten Staa-
ten des Kontinents? Woher soll da das Volk
eine ähnliche Achtung vor dem Gesetze gewinnen,
wenn es sieht, daß die höhern Stände sich über
die ihm wohl bekannten Gesetze der Sonntagsfeier
hinwegsetzen? Wir haben z. B. ein Gesetz, durch
welches jede am Sonntag vorgenommene Amts-
handlung für ungiltig erklärt wird, dessenungeach-
tet wird in den Amtsstuben und nicht selten selbst
auf Rathhäusern am Sonntage geamtet, freilich
nur am Vormittage, denn dieser mag wohl dem
Gottesdienste, nicht aber der Nachmittag dem
Vergnügen entzogen werden. Wenn das Volk
von Denen, die zu Wächtern des Gesetzes bestellt
sind, dieses selbst übertreten sieht, wie sollte es
die Gesetze des Landes anders halten, als wenn
es eben muß? Wie sollte es sich ferner vom Ge-
setze und nicht von der bloßen Willkür der Be-
amten regiert glauben, wenn diese selbst die Ge-
setze im Einzelnen nicht beobachten? Dieser Wahn,
wenn gleich im Allgemeinen falsch, ist dennoch sehr
häufig, er lenkt, wenn der Beamte Strenge an-
wenden muß, den Unwillen auf dessen Person, un-
tergräbt das Vertrauen zur Regierung, und rich-
tet überhaupt weit mehr Schaden an, als man
anzunehmen geneigt ist. Fast nirgends tritt ferner
der Abstand zwischen Reichen und Armen, Vor-
nehmen und Niedrigen mehr hervor, als in Eng-
land, aber wenn der Pair des Reichs nicht nur
sich dem Gesetze fügt, wie der Niedrigste, sondern
auch mit diesem sich in der Kirche vor Gott beugt,
so fühlt sich der sonst so mannigfach Zurückgesetzte
dadurch wieder mehr versöhnt mit dem sonst be-
stehenden Unterschiede; die Gleichheit in der Kirche
macht ihn mit der Ungleichheit im sonstigen Leben
weniger unzufrieden, so wie sie gleichzeitig die Be-
vorzugten mehr zu humanem Betragen gegen An-
dere führt. Wo dagegen die Beamten und über-
haupt die höheren Stände sich von der gemein-
schaftlichen Verehrung Gottes ausschließen, da
graben sie eine Kluft zwischen sich und dem Volke,
über welche hinüber sie als ein fremdes Geschlecht
mit Widerwillen betrachtet werden. Wenn endlich
der Arbeiter in England der Woche Last u. Hitze
getragen hat, so kann er doch am Sonntage sein
Haupt in Ruhe erheben und seines Daseins froh
werden, so wie in der Kirche sich neue geistige
Kraft sammeln und aus Gottes Wort die ihm
[Spaltenumbruch] so nöthige Ergebung und Hoffnung gewinnen;
überdieß wird er durch die gebotene Stille doch
mehr von Zerstreuungen und Vergnügungen, die
seinen Wochenverdienst verzehren könnten, zurück-
gehalten. Auf dem Kontinent dagegen kommen
Fälle genug vor, wo selbst der Sonntag den Ar-
beitern, Dienstboten und Lehrlingen nicht frei ge-
geben wird, Tausende müssen wenigstens Vormit-
tags arbeiten, und kommt der Nachmittag, so ha-
ben sie von allen Seiten Lockung zu Geldausga-
ben, welche, wenn sogar an und für sich klein,
doch für ihre Verhältnisse zu groß sind; zugleich
werden die Vergnügungen, welche sie dafür kau-
fen, nicht selten durch Ueberlaß für ihre Sitten
verderblich und selbst zu Verbrechen führend, wie
es denn bekannt ist, daß bei weitem die meisten
Verbrechen am Sonntage zu geschehen pflegen.
Wenn wir daher von den kirchlichen und religiö-
sen Rücksichten sogar absehen, erscheint eine wür-
diege Feier des Sonntags selbst für das Wohl
der bürgerlichen Gesellschaft von der allergrößten
Wichtigkeit. Palmerston ist doch gewiß kein Pie-
tist, und dessenungeachtet ist es sein Ministerium,
unter dem erst seit neuester Zeit beschlossen wurde,
daß die Post in England keine Briefe mehr ab-
geben dürfte. Man bedenke die Handelsverhält-
nisse des englischen Volks, und man wird die
Größe des dadurch auferlegten Opfers zu schätzen
wissen; würden es Regierung und Parlament auf-
erlegt haben, wenn sie nicht von dem wohlthäti-
gen Einfluß der Sonntagsfeier überzeugt wären?
Wiederum ist der bekannte Socialist Proudhon so
wenig als Palmerston ein Pietist, und doch ver-
langt auch er eine würdige Begehung des Sonn-
tags als unentbehrlich für das Wohl des Volks.
Anderer Meinung scheinen viele Staatsverwal-
tungen zu sein. Glaubt man doch, wie es scheint,
die ganze Staatsmaschine müßte still stehen, wenn
der Dampfwagen nicht selbst unter den Stunden
des Gottesdienstes fortbrauste; mögen darüber die
an der Eisenbahn Angestellten immerhin in keine
Kirche kommen, was liegt an den paar tausend
Seelen, wenn dafür ein paar tausend Gulden mehr
eingehen? Ja, noch mehr, an nicht wenigen Or-
ten werden sogar gerade an den Sonntagen Ex-
trafahrten auf der Eisenbahn veranstaltet, damit
doch die Leute schnell genug zu den üblichen Lust-
barkeiten geführt und die Arbeiter recht gewiß Ge-
legenheit erhalten, ihren Wochenlohn in Sauß
und Brauß durchzubringen. Da muß man wohl
an jenes: non olet ( es riecht nicht ) denken, wo-
mit Vespasian ein Geldstück von seiner Steuer auf
die Cloake vorzeigte und damit die Einwürfe da-
gegen abwies; freilich das Geld, das man dadurch
einnimmt, riecht nicht, aber das sittliche u. leibliche
Verderben, welches man dadurch befördert, möchte
am Ende einen desto schlimmeren Geruch zurück-
lassen. Die Kaufleute, welche irgendwo ihre
Läden am Sonntag schließen, sind dadurch nicht
in Vermögensverfall gekommen, und die Eisen-
bahnkassen würden es auch nicht, wenn der
Dampfwagen in den Stunden des Gottesdienstes
stille stände und die Extrafahrten am Sonntage
unterblieben, schon damit auch die an den Eisen-
bahnen Angestellten einen Sonntag erhielten, so-
wie eben damit die vielen Omnibusführer und
Kutscher, welche nach ihren Fahrten die ihrigen
[Spaltenumbruch] richten müssen. Selbst viele Religiöse bedenken
nicht, daß sie durch Laufen und Fahren an an-
dere Orte des Sonntags Aergerniß geben; sie
thun es freilich in anderer Absicht, nämlich um
einen beliebten Prediger zu hören oder eine reli-
giose Gesellschaft zu besuchen, allein das sehen
ihnen andere Leute nicht an und ihr Beispiel
trägt mit dazu bei, den Sonntag zum allgemei-
nen Reisetag zu machen und die Festzeiten an
Weihnachten und Ostern in eine Zeit müßigen
Herumziehens zu verwandeln. Man wird ein-
wenden, das Volk müsse auch seine Erholungen
und Vergnügungen haben; vollkommen richtig,
Niemand will es demselben, sofern sie dem Zwecke
des Sonntags entsprechen, weniger berauben, als
wir. Aber sind das Erholungen, nach denen die
Arbeiter am Montage kaum zu arbeiten vermö-
gen? Sind das wahre Vergnügungen, welche
mit Schlägereien, Messerstichen und derlei zu en-
den pflegen? Unsere Vorfahren hatten auch ihre
Erholungen und Genüsse am Sonntage, es dien-
ten dazu besonders die Linden, unter welchen
sich die Dorfbewohner zu versammeln pflegten,
die Bürger= und Zunftstuben, wo die Städter
zusammenkamen, die Gänge, welche die Fami-
lien nach den Gottesdiensten in die freie Natur
oder auf benachbarte Orte machten, und derlei
mehr. Die Uebel, welche aus der üblichen Sonn-
tagsentheiligung hervorgehen, sind nicht zu zäh-
len; ihr hauptsächlich verdankt es Deutschland,
daß in nicht wenigen seiner Staaten die Verbre-
chen sogar noch mehr, als in England zugenom-
men haben, und alle Verhältnisse in ihrem inner-
sten Grunde so morsch und mürbe wurden, wie
die letzten Jahre sie gezeigt haben. Mit nur zu
vielem Grunde machten darum die Bischöfe Oe-
sterreichs auf diese Quelle unsäglichen Verder-
bens aufmerksam und baten die Regierung um
Sorge für eine christliche Sonntagsfeier.

Preußens Stellung in der kurhessi-
schen Angelegenheit.

Einmal will Preußen die bundesgetreuen Re-
gierungen an dem Gebrauche eines guten Rechtes
und der Erfüllung einer gebotenen Pflicht hin-
dern: nämlich der gegenseitigen Hülfe, wenn
solche Noth thut und verlangt wird, und
der Befolgung der Befehle der höchsten Bundes-
autorität; auf der andern Seite stellt Preußen
sogar eine gar nicht verlangte und darum unbe-
fugte Einmischung seinerseits in Aussicht. Beides
muß als entschieden unzulässig zurückgewiesen
werden. Preußen mag sich der Erfüllung seiner
Bundespflichten entziehen, mag der obersten Bun-
desbehörde die Anerkennung versagen zu können
vermeinen, -- auf keinen Fall aber kann ihm
hieraus das Recht erwachsen, andere bundesge-
treue Regierungen zu verhindern ihrerseits ihre
Pflichten zu erfüllen; am wenigsten aber darf es
sich das Recht anmaßen, eine Hülfsleistung auf-
zudringen, wo sie gar nicht verlangt und zuge-
standen ist. Würde solchem Begehren nachgesehen,
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den Regierung, hier der kurhessischen, in ihren
Beschlüssen und Handlungen, ihre Souveränetät
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[0001] Die Bayerische Presse. Abonnement: Ganzjährig 6 fl. Halbjährig 3 fl. Vierteljährig 1 fl. 30 kr. Monatlich für die Stadt 30 kr. Eine constitutionell-monarchische Zeitung. Expedition: Jm Schenkhofe 2. Distr. Nr. 533. Einrückungsgebühr: die gespaltene Pe- titzeile oder deren Raum 3 kr. Briefe und Gelder frei. Nr. 239. Würzburg, Samstag den 5. Oktober. 1850. Das Proletariat. Das Proletariat und der Sonntag. Ein Sonntag in London und ein Sonntag in Wien, Berlin, Paris und andern Städten des Kontinents, welch' ein Unterschied! Gerade so groß, als der Unterschied zwischen der Haltung Englands in der letzten sturmbewegten Zeit, und dem Schwanken, Wanken und Brechen von fast allem Bestehenden in andern Staaten. Jn den Palästen der Großen, und selbst am Hofe der Königin, endigt mit dem Beginn des Sonntags jedes laute Vergnügen, die Musik verstummt und der sich kaum noch im Tanze schwingende Fuß ruht, denn das Gesetz will es so; dadurch, daß sich auf solche Weise seine Großen selbst auch dem Gesetze fügen, gewinnt das englische Volk jene Achtung vor dem Gesetze, welche es vor allen andern Völkern auszeichnet, und ohne welche keine Freiheit und Ordnung möglich ist. Wie ganz anders verhält es sich damit in den meisten Staa- ten des Kontinents? Woher soll da das Volk eine ähnliche Achtung vor dem Gesetze gewinnen, wenn es sieht, daß die höhern Stände sich über die ihm wohl bekannten Gesetze der Sonntagsfeier hinwegsetzen? Wir haben z. B. ein Gesetz, durch welches jede am Sonntag vorgenommene Amts- handlung für ungiltig erklärt wird, dessenungeach- tet wird in den Amtsstuben und nicht selten selbst auf Rathhäusern am Sonntage geamtet, freilich nur am Vormittage, denn dieser mag wohl dem Gottesdienste, nicht aber der Nachmittag dem Vergnügen entzogen werden. Wenn das Volk von Denen, die zu Wächtern des Gesetzes bestellt sind, dieses selbst übertreten sieht, wie sollte es die Gesetze des Landes anders halten, als wenn es eben muß? Wie sollte es sich ferner vom Ge- setze und nicht von der bloßen Willkür der Be- amten regiert glauben, wenn diese selbst die Ge- setze im Einzelnen nicht beobachten? Dieser Wahn, wenn gleich im Allgemeinen falsch, ist dennoch sehr häufig, er lenkt, wenn der Beamte Strenge an- wenden muß, den Unwillen auf dessen Person, un- tergräbt das Vertrauen zur Regierung, und rich- tet überhaupt weit mehr Schaden an, als man anzunehmen geneigt ist. Fast nirgends tritt ferner der Abstand zwischen Reichen und Armen, Vor- nehmen und Niedrigen mehr hervor, als in Eng- land, aber wenn der Pair des Reichs nicht nur sich dem Gesetze fügt, wie der Niedrigste, sondern auch mit diesem sich in der Kirche vor Gott beugt, so fühlt sich der sonst so mannigfach Zurückgesetzte dadurch wieder mehr versöhnt mit dem sonst be- stehenden Unterschiede; die Gleichheit in der Kirche macht ihn mit der Ungleichheit im sonstigen Leben weniger unzufrieden, so wie sie gleichzeitig die Be- vorzugten mehr zu humanem Betragen gegen An- dere führt. Wo dagegen die Beamten und über- haupt die höheren Stände sich von der gemein- schaftlichen Verehrung Gottes ausschließen, da graben sie eine Kluft zwischen sich und dem Volke, über welche hinüber sie als ein fremdes Geschlecht mit Widerwillen betrachtet werden. Wenn endlich der Arbeiter in England der Woche Last u. Hitze getragen hat, so kann er doch am Sonntage sein Haupt in Ruhe erheben und seines Daseins froh werden, so wie in der Kirche sich neue geistige Kraft sammeln und aus Gottes Wort die ihm so nöthige Ergebung und Hoffnung gewinnen; überdieß wird er durch die gebotene Stille doch mehr von Zerstreuungen und Vergnügungen, die seinen Wochenverdienst verzehren könnten, zurück- gehalten. Auf dem Kontinent dagegen kommen Fälle genug vor, wo selbst der Sonntag den Ar- beitern, Dienstboten und Lehrlingen nicht frei ge- geben wird, Tausende müssen wenigstens Vormit- tags arbeiten, und kommt der Nachmittag, so ha- ben sie von allen Seiten Lockung zu Geldausga- ben, welche, wenn sogar an und für sich klein, doch für ihre Verhältnisse zu groß sind; zugleich werden die Vergnügungen, welche sie dafür kau- fen, nicht selten durch Ueberlaß für ihre Sitten verderblich und selbst zu Verbrechen führend, wie es denn bekannt ist, daß bei weitem die meisten Verbrechen am Sonntage zu geschehen pflegen. Wenn wir daher von den kirchlichen und religiö- sen Rücksichten sogar absehen, erscheint eine wür- diege Feier des Sonntags selbst für das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft von der allergrößten Wichtigkeit. Palmerston ist doch gewiß kein Pie- tist, und dessenungeachtet ist es sein Ministerium, unter dem erst seit neuester Zeit beschlossen wurde, daß die Post in England keine Briefe mehr ab- geben dürfte. Man bedenke die Handelsverhält- nisse des englischen Volks, und man wird die Größe des dadurch auferlegten Opfers zu schätzen wissen; würden es Regierung und Parlament auf- erlegt haben, wenn sie nicht von dem wohlthäti- gen Einfluß der Sonntagsfeier überzeugt wären? Wiederum ist der bekannte Socialist Proudhon so wenig als Palmerston ein Pietist, und doch ver- langt auch er eine würdige Begehung des Sonn- tags als unentbehrlich für das Wohl des Volks. Anderer Meinung scheinen viele Staatsverwal- tungen zu sein. Glaubt man doch, wie es scheint, die ganze Staatsmaschine müßte still stehen, wenn der Dampfwagen nicht selbst unter den Stunden des Gottesdienstes fortbrauste; mögen darüber die an der Eisenbahn Angestellten immerhin in keine Kirche kommen, was liegt an den paar tausend Seelen, wenn dafür ein paar tausend Gulden mehr eingehen? Ja, noch mehr, an nicht wenigen Or- ten werden sogar gerade an den Sonntagen Ex- trafahrten auf der Eisenbahn veranstaltet, damit doch die Leute schnell genug zu den üblichen Lust- barkeiten geführt und die Arbeiter recht gewiß Ge- legenheit erhalten, ihren Wochenlohn in Sauß und Brauß durchzubringen. Da muß man wohl an jenes: non olet ( es riecht nicht ) denken, wo- mit Vespasian ein Geldstück von seiner Steuer auf die Cloake vorzeigte und damit die Einwürfe da- gegen abwies; freilich das Geld, das man dadurch einnimmt, riecht nicht, aber das sittliche u. leibliche Verderben, welches man dadurch befördert, möchte am Ende einen desto schlimmeren Geruch zurück- lassen. Die Kaufleute, welche irgendwo ihre Läden am Sonntag schließen, sind dadurch nicht in Vermögensverfall gekommen, und die Eisen- bahnkassen würden es auch nicht, wenn der Dampfwagen in den Stunden des Gottesdienstes stille stände und die Extrafahrten am Sonntage unterblieben, schon damit auch die an den Eisen- bahnen Angestellten einen Sonntag erhielten, so- wie eben damit die vielen Omnibusführer und Kutscher, welche nach ihren Fahrten die ihrigen richten müssen. Selbst viele Religiöse bedenken nicht, daß sie durch Laufen und Fahren an an- dere Orte des Sonntags Aergerniß geben; sie thun es freilich in anderer Absicht, nämlich um einen beliebten Prediger zu hören oder eine reli- giose Gesellschaft zu besuchen, allein das sehen ihnen andere Leute nicht an und ihr Beispiel trägt mit dazu bei, den Sonntag zum allgemei- nen Reisetag zu machen und die Festzeiten an Weihnachten und Ostern in eine Zeit müßigen Herumziehens zu verwandeln. Man wird ein- wenden, das Volk müsse auch seine Erholungen und Vergnügungen haben; vollkommen richtig, Niemand will es demselben, sofern sie dem Zwecke des Sonntags entsprechen, weniger berauben, als wir. Aber sind das Erholungen, nach denen die Arbeiter am Montage kaum zu arbeiten vermö- gen? Sind das wahre Vergnügungen, welche mit Schlägereien, Messerstichen und derlei zu en- den pflegen? Unsere Vorfahren hatten auch ihre Erholungen und Genüsse am Sonntage, es dien- ten dazu besonders die Linden, unter welchen sich die Dorfbewohner zu versammeln pflegten, die Bürger= und Zunftstuben, wo die Städter zusammenkamen, die Gänge, welche die Fami- lien nach den Gottesdiensten in die freie Natur oder auf benachbarte Orte machten, und derlei mehr. Die Uebel, welche aus der üblichen Sonn- tagsentheiligung hervorgehen, sind nicht zu zäh- len; ihr hauptsächlich verdankt es Deutschland, daß in nicht wenigen seiner Staaten die Verbre- chen sogar noch mehr, als in England zugenom- men haben, und alle Verhältnisse in ihrem inner- sten Grunde so morsch und mürbe wurden, wie die letzten Jahre sie gezeigt haben. Mit nur zu vielem Grunde machten darum die Bischöfe Oe- sterreichs auf diese Quelle unsäglichen Verder- bens aufmerksam und baten die Regierung um Sorge für eine christliche Sonntagsfeier. Preußens Stellung in der kurhessi- schen Angelegenheit. Einmal will Preußen die bundesgetreuen Re- gierungen an dem Gebrauche eines guten Rechtes und der Erfüllung einer gebotenen Pflicht hin- dern: nämlich der gegenseitigen Hülfe, wenn solche Noth thut und verlangt wird, und der Befolgung der Befehle der höchsten Bundes- autorität; auf der andern Seite stellt Preußen sogar eine gar nicht verlangte und darum unbe- fugte Einmischung seinerseits in Aussicht. Beides muß als entschieden unzulässig zurückgewiesen werden. Preußen mag sich der Erfüllung seiner Bundespflichten entziehen, mag der obersten Bun- desbehörde die Anerkennung versagen zu können vermeinen, -- auf keinen Fall aber kann ihm hieraus das Recht erwachsen, andere bundesge- treue Regierungen zu verhindern ihrerseits ihre Pflichten zu erfüllen; am wenigsten aber darf es sich das Recht anmaßen, eine Hülfsleistung auf- zudringen, wo sie gar nicht verlangt und zuge- standen ist. Würde solchem Begehren nachgesehen, so wäre damit factisch die Freiheit der betreffen- den Regierung, hier der kurhessischen, in ihren Beschlüssen und Handlungen, ihre Souveränetät vernichtet; es wäre offenbar der erste Schritt zur

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Zitationshilfe: Die Bayerische Presse. Nr. 239. Würzburg, 5. Oktober 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_bayerische239_1850/1>, abgerufen am 19.04.2024.