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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 5. Freiburg im Breisgau, 1857.

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der Lungen-S. (s. d.), mit ungegliedertem Hinterleib, der durch einen kleinen Stiel mit dem Bruststück verbunden ist, 6-8 einfachen Augen und 2 od. 4 Lungensäcken mit ebenso vielen Luftlöchern; die obern Kinnladen enden in einen beweglichen Hacken, der eingeschlagen werden kann und in der Nähe der scharfen Endspitze eine kleine Spalte hat zum Durchlassen des Giftes, das in eigenen Drüsen am Oberkiefer abgesondert wird und auf die gefangenen und gebissenen Insekten eine lähmende oder betäubende Wirkung übt; für den Menschen ist dieser Biß nur bei den großen Vogel-S. von Bedeutung, doch nicht lebensgefährlich. Die meisten S. machen Gespinnste u. haben unter dem After 3-6 gegliederte Spinnwarzen mit unendlich feinen, siebartigen Oeffnungen. Diese Gespinnste sind sehr verschiedenartig, theils Netze zum Fang der Beute oder zur Wohnung, theils umziehen sie damit die gefangenen Insekten und ihre Eierbündel. Die S. sind listige u. sehr mordsüchtige Geschöpfe u. schonen selbst die eigene Art nicht; sie können indeß lange hungern, wobei sie von dem Fettkörper des Hinterleibes zehren. Die schon versuchte Benutzung des S. gewebes zum S. und Weben ist wegen der außerordentlichen Feinheit des S. fadens praktisch nicht ausführbar. Cuvier theilt die S. in 6 Gruppen: a) Erd-S. (s. d.) oder Minir-S.; b) Tapezier-S. (Tubitelae), weben in Löchern und Felsenspalten ein dichtes röhren- od. trichterförmiges Netz; c) unregelmäßige Spinner (Inaequitelae), mit unregelmäßigem, aber dichtem Gewebe; d) Kreisspinner (Orbitelae), mit regelmäßigem, kreisförmigem Netze; e) Wolfs-S. (Citigradae), machen kein Netz, sondern bemächtigen sich ihrer Beute im Laufe; f) Spring-S. (Saltigradae), erhaschen ihre Beute im Sprung.


Spinös, lat.-dtsch., dornig, schwierig.


Spinola, Ambros, geb. 1569 zu Genua, der letzte große span. Feldherr, diente Philipp II. und III. in den Niederlanden, eroberte Ostende und Breda, st. 1630 zu Mailand, nachdem er den Franzosen Casale weggenommen und Waffenstillstand geschlossen hatte.


Spinoza, Baruch oder Benedict, einer der bedeutendsten u. einflußreichsten Philosophen der neuern Zeit, geb. am 24. Novbr. 1632 zu Amsterdam, der Sohn einer aus Portugal eingewanderten Judenfamilie, war von Geburt schwächlich aber äußerst talentvoll und sollte deßhalb einst als Gelehrter sein Volk verherrlichen. Er studierte Mathematik, Latein u. Griech., die Bibel und den Talmud, wurde aber dabei dem orthodoxen Judenthum entfremdet und durch das Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie des Descartes immer weiter davon abgeführt. Die Gleichgültigkeit gegen die religiösen Gebräuche seines Volkes steigerte sich zur entschiedenen Abneigung u. offenen Verwerfung. Alle Versuche, ihn von seinen eigenen Ansichten abzubringen, waren vergeblich, die Zahl seiner Gegner wuchs und ihr Fanatismus verirrte sich bis zu einem Mordanfall, welchem die Ausstoßung S.s aus der Judengemeinde unter schrecklichen Verwünschungen sowie die Anklage auf Gotteslästerung folgten. Auch von seiner Familie verstoßen, mußte S. Amsterdam verlassen. Er war kein Jude mehr, wurde aber auch kein Christ, philosophirte u. schliff optische Gläser zuerst in Rhynsburg bei Leyden, dann im Haag. Sein Ruf verbreitete sich so sehr, daß der Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz ihn unter Zusicherung unbeschränkter Lehrfreiheit zum Professor der Philosophie in Heidelberg machen wollte, was S. aber ausschlug, zumal seine leidende Brust ihm sicher nicht erlaubt hätte, längere Zeit öffentliche Vorlesungen zu halten. Er erlag der Schwindsucht am 21. Februar 1677, in demselben Jahre noch wurde sein Hauptwerk, die Ethik, von seinem vertrautesten Freunde, einem Arzte, Ludwig Mayer, herausgegeben. Wurde S. hinsichtlich seines sittlichen Charakters bei Lebzeiten von seinen Glaubensgenossen ungebührlich verdächtigt u. verlästert, so that die Nachwelt in seinem Lobe viel zu viel und vergaß namentlich, daß er von Hause aus Anlagen zur Schwindsucht hatte, die er hinsichtlich seines Benehmens u. seiner Lebensordnung berücksichtigen mußte, u.

der Lungen-S. (s. d.), mit ungegliedertem Hinterleib, der durch einen kleinen Stiel mit dem Bruststück verbunden ist, 6–8 einfachen Augen und 2 od. 4 Lungensäcken mit ebenso vielen Luftlöchern; die obern Kinnladen enden in einen beweglichen Hacken, der eingeschlagen werden kann und in der Nähe der scharfen Endspitze eine kleine Spalte hat zum Durchlassen des Giftes, das in eigenen Drüsen am Oberkiefer abgesondert wird und auf die gefangenen und gebissenen Insekten eine lähmende oder betäubende Wirkung übt; für den Menschen ist dieser Biß nur bei den großen Vogel-S. von Bedeutung, doch nicht lebensgefährlich. Die meisten S. machen Gespinnste u. haben unter dem After 3–6 gegliederte Spinnwarzen mit unendlich feinen, siebartigen Oeffnungen. Diese Gespinnste sind sehr verschiedenartig, theils Netze zum Fang der Beute oder zur Wohnung, theils umziehen sie damit die gefangenen Insekten und ihre Eierbündel. Die S. sind listige u. sehr mordsüchtige Geschöpfe u. schonen selbst die eigene Art nicht; sie können indeß lange hungern, wobei sie von dem Fettkörper des Hinterleibes zehren. Die schon versuchte Benutzung des S. gewebes zum S. und Weben ist wegen der außerordentlichen Feinheit des S. fadens praktisch nicht ausführbar. Cuvier theilt die S. in 6 Gruppen: a) Erd-S. (s. d.) oder Minir-S.; b) Tapezier-S. (Tubitelae), weben in Löchern und Felsenspalten ein dichtes röhren- od. trichterförmiges Netz; c) unregelmäßige Spinner (Inaequitelae), mit unregelmäßigem, aber dichtem Gewebe; d) Kreisspinner (Orbitelae), mit regelmäßigem, kreisförmigem Netze; e) Wolfs-S. (Citigradae), machen kein Netz, sondern bemächtigen sich ihrer Beute im Laufe; f) Spring-S. (Saltigradae), erhaschen ihre Beute im Sprung.


Spinös, lat.-dtsch., dornig, schwierig.


Spinola, Ambros, geb. 1569 zu Genua, der letzte große span. Feldherr, diente Philipp II. und III. in den Niederlanden, eroberte Ostende und Breda, st. 1630 zu Mailand, nachdem er den Franzosen Casale weggenommen und Waffenstillstand geschlossen hatte.


Spinoza, Baruch oder Benedict, einer der bedeutendsten u. einflußreichsten Philosophen der neuern Zeit, geb. am 24. Novbr. 1632 zu Amsterdam, der Sohn einer aus Portugal eingewanderten Judenfamilie, war von Geburt schwächlich aber äußerst talentvoll und sollte deßhalb einst als Gelehrter sein Volk verherrlichen. Er studierte Mathematik, Latein u. Griech., die Bibel und den Talmud, wurde aber dabei dem orthodoxen Judenthum entfremdet und durch das Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie des Descartes immer weiter davon abgeführt. Die Gleichgültigkeit gegen die religiösen Gebräuche seines Volkes steigerte sich zur entschiedenen Abneigung u. offenen Verwerfung. Alle Versuche, ihn von seinen eigenen Ansichten abzubringen, waren vergeblich, die Zahl seiner Gegner wuchs und ihr Fanatismus verirrte sich bis zu einem Mordanfall, welchem die Ausstoßung S.s aus der Judengemeinde unter schrecklichen Verwünschungen sowie die Anklage auf Gotteslästerung folgten. Auch von seiner Familie verstoßen, mußte S. Amsterdam verlassen. Er war kein Jude mehr, wurde aber auch kein Christ, philosophirte u. schliff optische Gläser zuerst in Rhynsburg bei Leyden, dann im Haag. Sein Ruf verbreitete sich so sehr, daß der Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz ihn unter Zusicherung unbeschränkter Lehrfreiheit zum Professor der Philosophie in Heidelberg machen wollte, was S. aber ausschlug, zumal seine leidende Brust ihm sicher nicht erlaubt hätte, längere Zeit öffentliche Vorlesungen zu halten. Er erlag der Schwindsucht am 21. Februar 1677, in demselben Jahre noch wurde sein Hauptwerk, die Ethik, von seinem vertrautesten Freunde, einem Arzte, Ludwig Mayer, herausgegeben. Wurde S. hinsichtlich seines sittlichen Charakters bei Lebzeiten von seinen Glaubensgenossen ungebührlich verdächtigt u. verlästert, so that die Nachwelt in seinem Lobe viel zu viel und vergaß namentlich, daß er von Hause aus Anlagen zur Schwindsucht hatte, die er hinsichtlich seines Benehmens u. seiner Lebensordnung berücksichtigen mußte, u.

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[287/0288] der Lungen-S. (s. d.), mit ungegliedertem Hinterleib, der durch einen kleinen Stiel mit dem Bruststück verbunden ist, 6–8 einfachen Augen und 2 od. 4 Lungensäcken mit ebenso vielen Luftlöchern; die obern Kinnladen enden in einen beweglichen Hacken, der eingeschlagen werden kann und in der Nähe der scharfen Endspitze eine kleine Spalte hat zum Durchlassen des Giftes, das in eigenen Drüsen am Oberkiefer abgesondert wird und auf die gefangenen und gebissenen Insekten eine lähmende oder betäubende Wirkung übt; für den Menschen ist dieser Biß nur bei den großen Vogel-S. von Bedeutung, doch nicht lebensgefährlich. Die meisten S. machen Gespinnste u. haben unter dem After 3–6 gegliederte Spinnwarzen mit unendlich feinen, siebartigen Oeffnungen. Diese Gespinnste sind sehr verschiedenartig, theils Netze zum Fang der Beute oder zur Wohnung, theils umziehen sie damit die gefangenen Insekten und ihre Eierbündel. Die S. sind listige u. sehr mordsüchtige Geschöpfe u. schonen selbst die eigene Art nicht; sie können indeß lange hungern, wobei sie von dem Fettkörper des Hinterleibes zehren. Die schon versuchte Benutzung des S. gewebes zum S. und Weben ist wegen der außerordentlichen Feinheit des S. fadens praktisch nicht ausführbar. Cuvier theilt die S. in 6 Gruppen: a) Erd-S. (s. d.) oder Minir-S.; b) Tapezier-S. (Tubitelae), weben in Löchern und Felsenspalten ein dichtes röhren- od. trichterförmiges Netz; c) unregelmäßige Spinner (Inaequitelae), mit unregelmäßigem, aber dichtem Gewebe; d) Kreisspinner (Orbitelae), mit regelmäßigem, kreisförmigem Netze; e) Wolfs-S. (Citigradae), machen kein Netz, sondern bemächtigen sich ihrer Beute im Laufe; f) Spring-S. (Saltigradae), erhaschen ihre Beute im Sprung. Spinös, lat.-dtsch., dornig, schwierig. Spinola, Ambros, geb. 1569 zu Genua, der letzte große span. Feldherr, diente Philipp II. und III. in den Niederlanden, eroberte Ostende und Breda, st. 1630 zu Mailand, nachdem er den Franzosen Casale weggenommen und Waffenstillstand geschlossen hatte. Spinoza, Baruch oder Benedict, einer der bedeutendsten u. einflußreichsten Philosophen der neuern Zeit, geb. am 24. Novbr. 1632 zu Amsterdam, der Sohn einer aus Portugal eingewanderten Judenfamilie, war von Geburt schwächlich aber äußerst talentvoll und sollte deßhalb einst als Gelehrter sein Volk verherrlichen. Er studierte Mathematik, Latein u. Griech., die Bibel und den Talmud, wurde aber dabei dem orthodoxen Judenthum entfremdet und durch das Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie des Descartes immer weiter davon abgeführt. Die Gleichgültigkeit gegen die religiösen Gebräuche seines Volkes steigerte sich zur entschiedenen Abneigung u. offenen Verwerfung. Alle Versuche, ihn von seinen eigenen Ansichten abzubringen, waren vergeblich, die Zahl seiner Gegner wuchs und ihr Fanatismus verirrte sich bis zu einem Mordanfall, welchem die Ausstoßung S.s aus der Judengemeinde unter schrecklichen Verwünschungen sowie die Anklage auf Gotteslästerung folgten. Auch von seiner Familie verstoßen, mußte S. Amsterdam verlassen. Er war kein Jude mehr, wurde aber auch kein Christ, philosophirte u. schliff optische Gläser zuerst in Rhynsburg bei Leyden, dann im Haag. Sein Ruf verbreitete sich so sehr, daß der Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz ihn unter Zusicherung unbeschränkter Lehrfreiheit zum Professor der Philosophie in Heidelberg machen wollte, was S. aber ausschlug, zumal seine leidende Brust ihm sicher nicht erlaubt hätte, längere Zeit öffentliche Vorlesungen zu halten. Er erlag der Schwindsucht am 21. Februar 1677, in demselben Jahre noch wurde sein Hauptwerk, die Ethik, von seinem vertrautesten Freunde, einem Arzte, Ludwig Mayer, herausgegeben. Wurde S. hinsichtlich seines sittlichen Charakters bei Lebzeiten von seinen Glaubensgenossen ungebührlich verdächtigt u. verlästert, so that die Nachwelt in seinem Lobe viel zu viel und vergaß namentlich, daß er von Hause aus Anlagen zur Schwindsucht hatte, die er hinsichtlich seines Benehmens u. seiner Lebensordnung berücksichtigen mußte, u.

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 5. Freiburg im Breisgau, 1857, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon05_1857/288>, abgerufen am 24.04.2024.