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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 379, Czernowitz, 04.04.1905.

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Redaktion: Rathausstraße 16.
Administration: Tempelg. 8.




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vierteljährig .... 9 Franks.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
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ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Tem-
pelgasse 8) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
8 Heller für Czernowitz.






Nr. 379. Czernowitz, Dienstag, den 4. April 1905.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Die Vorgänge in Rußland.

Im Stadttheater zu Saratow kommt es zu großen Lärm-
ßenen. -- In Riga kommt es zu einem wilden Kampfe zwischen
Kosaken und Streikenden. -- Auf den Polizeikommissär von
Lodz wird ein Attentat verübt.

Der Krieg.

Die Mobilmachung der zweiten Gardeinfanterie-Division
gilt als beschlossene Sache.

Letzte Telegramme.

Die ungarische Opposition lehnte einen neuerlichen Kom-
promißantrag ab. -- Zwischen Sozialisten und Soldaten kommt
es in Warschau zu einem blutigen Zusammenstoß. -- In Süd-
rußland zirkulieren Aufrufe gegen Juden, Polen und Armenier. --
In Lodz schießen die Truppen auf ein Volksmeeting.




Die Krise dauert fort.


Der Beschluß des leitenden Komitees der koalierten
Opposition hat alle Hoffnungen, die sich an den nach so
langen und von so vielen Zwischenfällen unterbrochenen Be-
ratungen zustandegebrachten Kompromißvorschlag knüpften,
zunichte gemacht. Die Krise in Ungarn ist auf demselben
Punkte angelangt, von dem sie ausgegangen ist, und unver-
richteter Dinge wird der Kaiser Budapest verlassen. Durch
welche Umstände der Beschluß des Exekutivkomitees veranlaßt
wurde, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nach
einer Version soll er sich bloß gegen die Person des Mittlers,
gegen Lukacz wenden, den die Opposition als ein noch im
Amte befindliches Mitglied des Kabinetts Tisza ablehnt,
nach einer anderen will die Opposition es auf eine äußerste
Kraftprobe ankommen lassen, welche die Krone darüber
belehren soll, daß es mit der Gleichstellung zwischen ihren
Wünschen und denen der parlamentarischen Majorität
vorüber sei.


[Spaltenumbruch]

Die Klippe, woran die Annahme des Kompromißvor-
schlages gescheitert ist, dürfte aber in den militärischen
Forderungen zu suchen sein. Das Angebot, welches die Krone
den vereinigten Parteien machte, hatte auf den ersten Blick
viel Verlockendes. Für zwei Jahre sollten die militärischen
Fragen ausgeschaltet werden. Die Opposition hätte dabei
auf nichts verzichtet. Die Annahme des normalen Budgets
und Rekrutenkontingents konnte doch unmöglich als "Ent-
sagung" angesehen werden. Die Hinausschiebung des ent-
scheidenden Kampfes um die Nationalisierung der ungarischen
Truppen käme noch weniger einer Rechtseinbusse gleich, da
die Verwirklichung des ungarischen Heeresbefehls bei dem
Mangel an magyarisch sprechenden Offizieren ohnehin zur
Zeit undenkbar wäre. Darin aber schaffen die nächsten Jahre
insofern Wandel, als seit dem vorigen Jahre über
1000 Stiftungsplätze für magyarische Zöglinge an den
Militärbildungsanstalten errichtet wurden. Nach Ablauf der
Warteperiode wäre also der Stab der brauchbaren Offiziere
wesentlich erweitert. Nichtsdestoweniger stellt sich die Opposition
auf den Standpunkt, daß Gabe und Gegengabe nicht gleich-
wertig seien.

"Die vorgeschlagene Lösung", sagt Abg. Dr. Bakonyi,
eines der hervorragendsten Mitglieder der intransingenten
Gruppe, zu einem Interviewer, die Ausschaltung der
Sprachenfrage gegen eine Stundung der Flüssigmachung des
von den Delegationen bestimmten, aber vom Parlamente noch
nicht votierten Kredits auf zwei Jahre zu gewähren, kann
nicht eine geeignete Rektifikation genannt werden. Diese Ver-
schiebung der Fälligkeit des Kredits ist noch eine illusorische.
Ein namhafter Teil dieses Betrages, an hundert Millionen,
ist schon verausgabt, für einen weiteren großen Teil sind
bereits die Bestellungen gemacht, und es wäre das prak-
tische Resultat
der ganzen finanziellen Aktion
lediglich jenes, daß die Gläubiger des Staates
ein zweijähriges Moratorium gewähren
würden,
wofür wir durch die Ratifikation des Kom-
promisses gewissermaßen die feierliche Garantie über-
nehmen würden. Denn darüber, daß die für die In-
[Spaltenumbruch] vestitionen erforderlichen Beiträge früher oder später gezahlt
werden müssen, herrscht kein Zweifel und ebensowenig ist es
für jeden von uns, welcher Partei er immer angehört und
der sich ernstlich mit militärischen Fragen beschäftigt, zweifel-
haft, daß die erforderlichen Investitionen in der Tat gemacht
werden müssen, da namentlich unsere Artillerie unabwendbar
einer Umgestaltung, wenn nicht einer Neugestaltung bedarf,
und so können wir uns unmöglich dem Vorwurfe aussetzen
daß wir der Ausbildung unserer Mehrkraft hindernd Weg
gestanden wären. Diese Zurückstellung des Fälligkeitstermins
der unvermeidlichen Ausgaben allein kann uns somit für
das Ausschalten unserer nationalen Forderungen in sprach-
licher Hinsicht keineswegs als eine Kompensation gelten"

"Was wird nun werden", fragt man sich in Cis
und Trans. Der Reichstag wird morgen zusammentreten,
und entgegen dem bei Verhandlungen geübten Modus, für
die Dauer derselben alles auszuschalten, was die Herbei-
führung einer Einigung erschweren könnte, wird in die
Adreßdebatte eingegangen werden, die zu einem recht artigen
Schriftenwechsel zwischen Reichstag und Krone führen dürfte.
Möglich auch, daß die Krone von der Auffassung ausgehend,
daß die Situation durch Neuwahlen nicht schlechter werden
könne, das Haus auflöst. Ja, es fehlt nicht an Stimmen,
welche sagen, daß die liberale Partei durch eine kräftige,
von den Agrariern geschürte Agitation gegen die Zolltrennung
vielleicht bei Neuwahlen gewinnen könnte.

Auf jeden Fall wird Oesterreich in kurzer Zeit das
wirtschaftliche Verhältnis zu Ungarn ins Reine bringen
müssen. Im Herbste ist der äußerste Termin für die parla-
mentarische Annahme der neuen Handelsverträge. Bis dahin
soll es sich entschieden haben, ob die Zollschranken zwischen
Cis- und Transleithanien schon jetzt erstehen sollen oder
nicht. Mit dem "wirtschaftlichen" Ausgleich ist aber die
Quotenfrage eng verknüpft. Zu dieser Frage äußert sich in
der "N. F. P." ein hervorragender Staatsmann, wie folgt:

"Wenn das bloße Wechselseitigkeitsverhältnis aufrecht-
erhalten würde, so müßte wie jetzt die Quote alljährlich durch
den Kaiser festgesetzt werden, da eine Vereinbarung über die




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Ariadne.

Georges de Sommiere war von Paris in der Absicht abge-
reist, in Florenz seine schöne Freundin, Gräfin Olivieri,
wiederzufinden, mit welcher er seit fünf Jahren ein intimes
Verhältnis hatte. Auf der Reise hielt er in Nizza an, um
sich von den Strapazen der Fahrt zu erholen und um einige
Freunde zu besuchen, welche daselbst den Winter zubrachten.
Sommiere war ein junger Mann von dreißig Jahren,
elegant, reich, ein liebenswürdiger Gesellschafter, ein Lebe-
mann, mit einiger romantischen Ueberspanntheit, die ihm noch
um einen Reiz mehr verlieh in einer Zeit, in welcher der
Enthusiasmus eine immer seltenere Waare wird. Man fetierte
ihn in Nizza sehr und er ließ es gewähren. Auf dem Punkte,
die nahezu eheliche Fessel wieder auf sich zu nehmen, die ihn
so lange mit Gräfin Olivieri verband, war er gar nicht böse
darüber, einige Tage ungebunder Freiheit zu genießen und
sich während derselben einzubilden, daß er sich der vollkommenen
Ungebundenheit eines Junggesellen erfreue.

Er hatte unzweifelhaft noch eine lebhafte Zärtlichkeit für
die Gräfin Olivieri, allein seine Liebe, die eine große Leiden-
schaft gewesen, trat nun in jene Periode der Abdämpfung ein,
in welcher die Anwesenheit weniger als eine schmerzliche Ent-
behrung, denn als eine Ruhepause erscheint. Gräfin Olivieri
war eine blonde Venezianerin mit schwarzen Augen, ge-
schmeidig und doch üppig, gebieterisch und leidenschaftlich, eine
jener Frauen, von welchen man sagt, daß sie himmlische
Augenblicke und böse Viertelstunden haben. Körperlich und
geistig übte sie einen bestrickenden Zauber aus, allein der
berauschende Liebesduft, der von ihr ausging, glich dem
schweren Aroma mancher exotischer Blumen, welche Den-
jenigen, der ihren Duft zu lange einatmet, zu Kopfe steigen
und ihn ermüden. Fern von ihr empfand Sommiere eine
geheime Erleichterung, allein wenn er sie wieder sah, begann
der Zauber wieder zu wirken. Sie hatte seinen Leib und seine
Seele in ihre Fesseln geschlagen; Theresa hatte ihm ein
Zaubermittel in die Adern gegossen, das in der Ferne nicht
[Spaltenumbruch] wirkte, das aber Georges zu ihrem Sklaven machte, so wie
seine Augen denjenigen der Zauberin begegnete.

Während sich Sommiere in Nizza aufhielt, führten ihn
seine Freunde zu einer garden-party, welche ein Amerikaner
in einer jener herrlichen Villen gab, deren Gärten sich vom
Gebirge bis ans Meer, zwischen Wäldern von Zitronen-
bäumen und herrlichen Rosenlauben hinziehen. Unsichtbar
hinter Azaleenbüschen spielte eine Zigeunerbande feurige
Csardase. Die Luft vibrierte von Musikklängen und war
von süßen Frühlingsdüften geschwängert; zwischen der
Wölbung der Rosenlauben erblickte man einen tiefblauen
Himmel und dort unten, hinter dem üppigen Grün leuchtete
das Meer im blauen Schimmer des Saphirs. In einer dieser
blühenden Alleen war es, daß Georges de Sommiere einer
jungen, zarten, weißen Frau mit Veilchenaugen begegnete, mit
wundervollem, kastanienbraunem Haar, das in einem schweren
Knoten auf ihren Nacken herabfiel. Sie machte gleich beim
ersten Augenblicke einen sehr lebhaften Eindruck auf ihn. Ein
süßer poetischer Hauch umschwebte sie. Ihre großen Augen
waren aufrichtig, vertrauensvoll und rein, wie diejenigen eines
Kindes. Sie glich einer jener Lilien, die im Gebirge in der
Nähe von Gletschern wachsen, deren süße Anmut und reines
Weiß etwas so Jungfräuliches an sich haben, daß man zaudert,
sie zu pflücken.

Auf das Ersuchen Sommiere's stellte man ihn der jungen
Dame vor, die eine Griechin von Geburt war und Helene
Michalis hieß. Er ging den ganzen Nachmittag nicht von
ihrer Seite, indem er von jener Freiheit des Flirtens
Gebrauch machte, welche in der kosmopolitischen Gesellschaft
der Azurküste so unbeschränkt herrscht. Wenn Georges wollte,
war er ein verführerischer Causeur und diesmal legte er seine
ganze Seele in seine Plauderei. Die junge Dame unterlag
dem Zauber dieses geistvollen und enthusiastischen jungen
Mannes. Mit der Aufrichtigkeit, welche den Grund ihres
Charakters bildete, ließ sie ihn das merken und öffnete ihm
ihre reine Seele. Als sie sich trennten, waren sie bereits
Freunde. Sommiere erbat sich die Erlaubnis, Madame
Michaelis zu besuchen und sie teilte ihm mit, daß sie von
fünf bis sieben immer zuhause sei. Er besuchte sie am nächsten
und an den folgenden Tagen; er dachte nicht mehr daran,
daß man ihn in Florenz erwarte. Teresa Olivieri schien in
einem fernen Nebel zu verschwimmen. Georges dachte nur
[Spaltenumbruch] noch an diese zarte byzantinische Jungfrau mit den reinen
und milden Augen, der er unter den Rosenlauben von
Beaulieu begegnet war. Er sprach nicht von Liebe zu ihr,
aber er legte eine so schmelzende Zärtlichkeit in seine Stimme,
in seine Blicke, daß Helene Michalis sich darüber täuschen
konnte und daß sie sich selbst durch diese Zärtlichkeit in ihrem
inneren Wesen getroffen fühlte.

Bei jedem Besuche empfing sie Sommiere mit einem
innigeren Händedrucke. Eines Abends, als sie ihm dankte,
daß er gekommen sei, und ihm sagte, wie gerührt sie von
seinen sympathischen Aufmerksamkeiten sei, vermochte Georges
nicht mehr an sich zu halten. Er zog die junge Frau an sich,
drückte sie an seine Brust, indem er ihr gestand, daß er sie
anbete, daß sie allein es sei, die ihn begreifen gemacht habe,
was wahre Liebe sei und daß er sich glücklich schätzen würde,
ihr sein Leben zu weihen.

Mit der impulsiven Bewegung eines schmeichelnden
Kindes ließ Helene ihren Kopf auf Georges' Schulter sinken
und entgegnete lebhaft bewegt:

-- Auch ich habe mich vom ersten Tage an zu Ihnen
hingezogen gefühlt und ich würde nichts Besseres verlangen,
als Ihnen anzugehören. Aber ich bin leider nicht frei. Ich
bin in Rumänien an einen Mann verheiratet, den ich ver-
abscheue und von dem ich getrennt lebe.

-- Und können Sie nicht die Scheidung erwirken?

-- Das hat mir immer widerstrebt, wegen meiner
Familie, welche den Skandal eines Prozesses fürchtet.

-- Es ist schlecht im Leben eingerichtet, seufzte Sommiere;
warum haben wir uns nicht vor fünf Jahren kennen
gelernt?

Und da ihn die Offenherzigkeit von Madame Michalis
ebenfalls vertrauensvoll gestimmt hatte, gestand er ihr sein
Verhältnis mit der Gräfin Olivieri.

-- Sie sehen, sagte er am Schlusse, auch ich bin
sozusagen verheiratet, allein obwohl es mir sehr schwer fällt,
einer alten Freundin Kummer zu bereiten, die mich noch liebt,
werde ich keinen Augenblick zögern, mit ihr zu brechen, da ich
von jetzt ab nur Sie lieben kann.

(Schluß folgt.)


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Redaktion: Rathausſtraße 16.
Adminiſtration: Tempelg. 8.




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halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60

Für Deutſchland:
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Für Rumänien und den Balkan:
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Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Tem-
pelgaſſe 8) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
8 Heller für Czernowitz.






Nr. 379. Czernowitz, Dienſtag, den 4. April 1905.



[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Die Vorgänge in Rußland.

Im Stadttheater zu Saratow kommt es zu großen Lärm-
ſzenen. — In Riga kommt es zu einem wilden Kampfe zwiſchen
Koſaken und Streikenden. — Auf den Polizeikommiſſär von
Lodz wird ein Attentat verübt.

Der Krieg.

Die Mobilmachung der zweiten Gardeinfanterie-Diviſion
gilt als beſchloſſene Sache.

Letzte Telegramme.

Die ungariſche Oppoſition lehnte einen neuerlichen Kom-
promißantrag ab. — Zwiſchen Sozialiſten und Soldaten kommt
es in Warſchau zu einem blutigen Zuſammenſtoß. — In Süd-
rußland zirkulieren Aufrufe gegen Juden, Polen und Armenier. —
In Lodz ſchießen die Truppen auf ein Volksmeeting.




Die Kriſe dauert fort.


Der Beſchluß des leitenden Komitees der koalierten
Oppoſition hat alle Hoffnungen, die ſich an den nach ſo
langen und von ſo vielen Zwiſchenfällen unterbrochenen Be-
ratungen zuſtandegebrachten Kompromißvorſchlag knüpften,
zunichte gemacht. Die Kriſe in Ungarn iſt auf demſelben
Punkte angelangt, von dem ſie ausgegangen iſt, und unver-
richteter Dinge wird der Kaiſer Budapeſt verlaſſen. Durch
welche Umſtände der Beſchluß des Exekutivkomitees veranlaßt
wurde, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nach
einer Verſion ſoll er ſich bloß gegen die Perſon des Mittlers,
gegen Lukacz wenden, den die Oppoſition als ein noch im
Amte befindliches Mitglied des Kabinetts Tisza ablehnt,
nach einer anderen will die Oppoſition es auf eine äußerſte
Kraftprobe ankommen laſſen, welche die Krone darüber
belehren ſoll, daß es mit der Gleichſtellung zwiſchen ihren
Wünſchen und denen der parlamentariſchen Majorität
vorüber ſei.


[Spaltenumbruch]

Die Klippe, woran die Annahme des Kompromißvor-
ſchlages geſcheitert iſt, dürfte aber in den militäriſchen
Forderungen zu ſuchen ſein. Das Angebot, welches die Krone
den vereinigten Parteien machte, hatte auf den erſten Blick
viel Verlockendes. Für zwei Jahre ſollten die militäriſchen
Fragen ausgeſchaltet werden. Die Oppoſition hätte dabei
auf nichts verzichtet. Die Annahme des normalen Budgets
und Rekrutenkontingents konnte doch unmöglich als „Ent-
ſagung“ angeſehen werden. Die Hinausſchiebung des ent-
ſcheidenden Kampfes um die Nationaliſierung der ungariſchen
Truppen käme noch weniger einer Rechtseinbuſſe gleich, da
die Verwirklichung des ungariſchen Heeresbefehls bei dem
Mangel an magyariſch ſprechenden Offizieren ohnehin zur
Zeit undenkbar wäre. Darin aber ſchaffen die nächſten Jahre
inſofern Wandel, als ſeit dem vorigen Jahre über
1000 Stiftungsplätze für magyariſche Zöglinge an den
Militärbildungsanſtalten errichtet wurden. Nach Ablauf der
Warteperiode wäre alſo der Stab der brauchbaren Offiziere
weſentlich erweitert. Nichtsdeſtoweniger ſtellt ſich die Oppoſition
auf den Standpunkt, daß Gabe und Gegengabe nicht gleich-
wertig ſeien.

„Die vorgeſchlagene Löſung“, ſagt Abg. Dr. Bakonyi,
eines der hervorragendſten Mitglieder der intranſingenten
Gruppe, zu einem Interviewer, die Ausſchaltung der
Sprachenfrage gegen eine Stundung der Flüſſigmachung des
von den Delegationen beſtimmten, aber vom Parlamente noch
nicht votierten Kredits auf zwei Jahre zu gewähren, kann
nicht eine geeignete Rektifikation genannt werden. Dieſe Ver-
ſchiebung der Fälligkeit des Kredits iſt noch eine illuſoriſche.
Ein namhafter Teil dieſes Betrages, an hundert Millionen,
iſt ſchon verausgabt, für einen weiteren großen Teil ſind
bereits die Beſtellungen gemacht, und es wäre das prak-
tiſche Reſultat
der ganzen finanziellen Aktion
lediglich jenes, daß die Gläubiger des Staates
ein zweijähriges Moratorium gewähren
würden,
wofür wir durch die Ratifikation des Kom-
promiſſes gewiſſermaßen die feierliche Garantie über-
nehmen würden. Denn darüber, daß die für die In-
[Spaltenumbruch] veſtitionen erforderlichen Beiträge früher oder ſpäter gezahlt
werden müſſen, herrſcht kein Zweifel und ebenſowenig iſt es
für jeden von uns, welcher Partei er immer angehört und
der ſich ernſtlich mit militäriſchen Fragen beſchäftigt, zweifel-
haft, daß die erforderlichen Inveſtitionen in der Tat gemacht
werden müſſen, da namentlich unſere Artillerie unabwendbar
einer Umgeſtaltung, wenn nicht einer Neugeſtaltung bedarf,
und ſo können wir uns unmöglich dem Vorwurfe ausſetzen
daß wir der Ausbildung unſerer Mehrkraft hindernd Weg
geſtanden wären. Dieſe Zurückſtellung des Fälligkeitstermins
der unvermeidlichen Ausgaben allein kann uns ſomit für
das Ausſchalten unſerer nationalen Forderungen in ſprach-
licher Hinſicht keineswegs als eine Kompenſation gelten“

„Was wird nun werden“, fragt man ſich in Cis
und Trans. Der Reichstag wird morgen zuſammentreten,
und entgegen dem bei Verhandlungen geübten Modus, für
die Dauer derſelben alles auszuſchalten, was die Herbei-
führung einer Einigung erſchweren könnte, wird in die
Adreßdebatte eingegangen werden, die zu einem recht artigen
Schriftenwechſel zwiſchen Reichstag und Krone führen dürfte.
Möglich auch, daß die Krone von der Auffaſſung ausgehend,
daß die Situation durch Neuwahlen nicht ſchlechter werden
könne, das Haus auflöſt. Ja, es fehlt nicht an Stimmen,
welche ſagen, daß die liberale Partei durch eine kräftige,
von den Agrariern geſchürte Agitation gegen die Zolltrennung
vielleicht bei Neuwahlen gewinnen könnte.

Auf jeden Fall wird Oeſterreich in kurzer Zeit das
wirtſchaftliche Verhältnis zu Ungarn ins Reine bringen
müſſen. Im Herbſte iſt der äußerſte Termin für die parla-
mentariſche Annahme der neuen Handelsverträge. Bis dahin
ſoll es ſich entſchieden haben, ob die Zollſchranken zwiſchen
Cis- und Transleithanien ſchon jetzt erſtehen ſollen oder
nicht. Mit dem „wirtſchaftlichen“ Ausgleich iſt aber die
Quotenfrage eng verknüpft. Zu dieſer Frage äußert ſich in
der „N. F. P.“ ein hervorragender Staatsmann, wie folgt:

„Wenn das bloße Wechſelſeitigkeitsverhältnis aufrecht-
erhalten würde, ſo müßte wie jetzt die Quote alljährlich durch
den Kaiſer feſtgeſetzt werden, da eine Vereinbarung über die




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Ariadne.

Georges de Sommiere war von Paris in der Abſicht abge-
reiſt, in Florenz ſeine ſchöne Freundin, Gräfin Olivieri,
wiederzufinden, mit welcher er ſeit fünf Jahren ein intimes
Verhältnis hatte. Auf der Reiſe hielt er in Nizza an, um
ſich von den Strapazen der Fahrt zu erholen und um einige
Freunde zu beſuchen, welche daſelbſt den Winter zubrachten.
Sommiere war ein junger Mann von dreißig Jahren,
elegant, reich, ein liebenswürdiger Geſellſchafter, ein Lebe-
mann, mit einiger romantiſchen Ueberſpanntheit, die ihm noch
um einen Reiz mehr verlieh in einer Zeit, in welcher der
Enthuſiasmus eine immer ſeltenere Waare wird. Man fetierte
ihn in Nizza ſehr und er ließ es gewähren. Auf dem Punkte,
die nahezu eheliche Feſſel wieder auf ſich zu nehmen, die ihn
ſo lange mit Gräfin Olivieri verband, war er gar nicht böſe
darüber, einige Tage ungebunder Freiheit zu genießen und
ſich während derſelben einzubilden, daß er ſich der vollkommenen
Ungebundenheit eines Junggeſellen erfreue.

Er hatte unzweifelhaft noch eine lebhafte Zärtlichkeit für
die Gräfin Olivieri, allein ſeine Liebe, die eine große Leiden-
ſchaft geweſen, trat nun in jene Periode der Abdämpfung ein,
in welcher die Anweſenheit weniger als eine ſchmerzliche Ent-
behrung, denn als eine Ruhepauſe erſcheint. Gräfin Olivieri
war eine blonde Venezianerin mit ſchwarzen Augen, ge-
ſchmeidig und doch üppig, gebieteriſch und leidenſchaftlich, eine
jener Frauen, von welchen man ſagt, daß ſie himmliſche
Augenblicke und böſe Viertelſtunden haben. Körperlich und
geiſtig übte ſie einen beſtrickenden Zauber aus, allein der
berauſchende Liebesduft, der von ihr ausging, glich dem
ſchweren Aroma mancher exotiſcher Blumen, welche Den-
jenigen, der ihren Duft zu lange einatmet, zu Kopfe ſteigen
und ihn ermüden. Fern von ihr empfand Sommiere eine
geheime Erleichterung, allein wenn er ſie wieder ſah, begann
der Zauber wieder zu wirken. Sie hatte ſeinen Leib und ſeine
Seele in ihre Feſſeln geſchlagen; Thereſa hatte ihm ein
Zaubermittel in die Adern gegoſſen, das in der Ferne nicht
[Spaltenumbruch] wirkte, das aber Georges zu ihrem Sklaven machte, ſo wie
ſeine Augen denjenigen der Zauberin begegnete.

Während ſich Sommiere in Nizza aufhielt, führten ihn
ſeine Freunde zu einer garden-party, welche ein Amerikaner
in einer jener herrlichen Villen gab, deren Gärten ſich vom
Gebirge bis ans Meer, zwiſchen Wäldern von Zitronen-
bäumen und herrlichen Roſenlauben hinziehen. Unſichtbar
hinter Azaleenbüſchen ſpielte eine Zigeunerbande feurige
Csardaſe. Die Luft vibrierte von Muſikklängen und war
von ſüßen Frühlingsdüften geſchwängert; zwiſchen der
Wölbung der Roſenlauben erblickte man einen tiefblauen
Himmel und dort unten, hinter dem üppigen Grün leuchtete
das Meer im blauen Schimmer des Saphirs. In einer dieſer
blühenden Alleen war es, daß Georges de Sommiere einer
jungen, zarten, weißen Frau mit Veilchenaugen begegnete, mit
wundervollem, kaſtanienbraunem Haar, das in einem ſchweren
Knoten auf ihren Nacken herabfiel. Sie machte gleich beim
erſten Augenblicke einen ſehr lebhaften Eindruck auf ihn. Ein
ſüßer poetiſcher Hauch umſchwebte ſie. Ihre großen Augen
waren aufrichtig, vertrauensvoll und rein, wie diejenigen eines
Kindes. Sie glich einer jener Lilien, die im Gebirge in der
Nähe von Gletſchern wachſen, deren ſüße Anmut und reines
Weiß etwas ſo Jungfräuliches an ſich haben, daß man zaudert,
ſie zu pflücken.

Auf das Erſuchen Sommiere’s ſtellte man ihn der jungen
Dame vor, die eine Griechin von Geburt war und Helene
Michalis hieß. Er ging den ganzen Nachmittag nicht von
ihrer Seite, indem er von jener Freiheit des Flirtens
Gebrauch machte, welche in der kosmopolitiſchen Geſellſchaft
der Azurküſte ſo unbeſchränkt herrſcht. Wenn Georges wollte,
war er ein verführeriſcher Cauſeur und diesmal legte er ſeine
ganze Seele in ſeine Plauderei. Die junge Dame unterlag
dem Zauber dieſes geiſtvollen und enthuſiaſtiſchen jungen
Mannes. Mit der Aufrichtigkeit, welche den Grund ihres
Charakters bildete, ließ ſie ihn das merken und öffnete ihm
ihre reine Seele. Als ſie ſich trennten, waren ſie bereits
Freunde. Sommiere erbat ſich die Erlaubnis, Madame
Michaelis zu beſuchen und ſie teilte ihm mit, daß ſie von
fünf bis ſieben immer zuhauſe ſei. Er beſuchte ſie am nächſten
und an den folgenden Tagen; er dachte nicht mehr daran,
daß man ihn in Florenz erwarte. Tereſa Olivieri ſchien in
einem fernen Nebel zu verſchwimmen. Georges dachte nur
[Spaltenumbruch] noch an dieſe zarte byzantiniſche Jungfrau mit den reinen
und milden Augen, der er unter den Roſenlauben von
Beaulieu begegnet war. Er ſprach nicht von Liebe zu ihr,
aber er legte eine ſo ſchmelzende Zärtlichkeit in ſeine Stimme,
in ſeine Blicke, daß Helene Michalis ſich darüber täuſchen
konnte und daß ſie ſich ſelbſt durch dieſe Zärtlichkeit in ihrem
inneren Weſen getroffen fühlte.

Bei jedem Beſuche empfing ſie Sommiere mit einem
innigeren Händedrucke. Eines Abends, als ſie ihm dankte,
daß er gekommen ſei, und ihm ſagte, wie gerührt ſie von
ſeinen ſympathiſchen Aufmerkſamkeiten ſei, vermochte Georges
nicht mehr an ſich zu halten. Er zog die junge Frau an ſich,
drückte ſie an ſeine Bruſt, indem er ihr geſtand, daß er ſie
anbete, daß ſie allein es ſei, die ihn begreifen gemacht habe,
was wahre Liebe ſei und daß er ſich glücklich ſchätzen würde,
ihr ſein Leben zu weihen.

Mit der impulſiven Bewegung eines ſchmeichelnden
Kindes ließ Helene ihren Kopf auf Georges’ Schulter ſinken
und entgegnete lebhaft bewegt:

— Auch ich habe mich vom erſten Tage an zu Ihnen
hingezogen gefühlt und ich würde nichts Beſſeres verlangen,
als Ihnen anzugehören. Aber ich bin leider nicht frei. Ich
bin in Rumänien an einen Mann verheiratet, den ich ver-
abſcheue und von dem ich getrennt lebe.

— Und können Sie nicht die Scheidung erwirken?

— Das hat mir immer widerſtrebt, wegen meiner
Familie, welche den Skandal eines Prozeſſes fürchtet.

— Es iſt ſchlecht im Leben eingerichtet, ſeufzte Sommiere;
warum haben wir uns nicht vor fünf Jahren kennen
gelernt?

Und da ihn die Offenherzigkeit von Madame Michalis
ebenfalls vertrauensvoll geſtimmt hatte, geſtand er ihr ſein
Verhältnis mit der Gräfin Olivieri.

— Sie ſehen, ſagte er am Schluſſe, auch ich bin
ſozuſagen verheiratet, allein obwohl es mir ſehr ſchwer fällt,
einer alten Freundin Kummer zu bereiten, die mich noch liebt,
werde ich keinen Augenblick zögern, mit ihr zu brechen, da ich
von jetzt ab nur Sie lieben kann.

(Schluß folgt.)


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[[1]/0001] Redaktion: Rathausſtraße 16. Adminiſtration: Tempelg. 8. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80, halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20. (mit täglicher Poſtverſendung) monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40, halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60 Für Deutſchland: vierteljährig ..... 7 Mark. Für Rumänien und den Balkan: vierteljährig .... 9 Franks. Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. Czernowitzer Allgemeine Zeitung Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Tem- pelgaſſe 8) erhältlich. In Wien im Zeitungsburean Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 8 Heller für Czernowitz. Nr. 379. Czernowitz, Dienſtag, den 4. April 1905. Ueberſicht. Die Vorgänge in Rußland. Im Stadttheater zu Saratow kommt es zu großen Lärm- ſzenen. — In Riga kommt es zu einem wilden Kampfe zwiſchen Koſaken und Streikenden. — Auf den Polizeikommiſſär von Lodz wird ein Attentat verübt. Der Krieg. Die Mobilmachung der zweiten Gardeinfanterie-Diviſion gilt als beſchloſſene Sache. Letzte Telegramme. Die ungariſche Oppoſition lehnte einen neuerlichen Kom- promißantrag ab. — Zwiſchen Sozialiſten und Soldaten kommt es in Warſchau zu einem blutigen Zuſammenſtoß. — In Süd- rußland zirkulieren Aufrufe gegen Juden, Polen und Armenier. — In Lodz ſchießen die Truppen auf ein Volksmeeting. Die Kriſe dauert fort. Czernowitz, 3. April 1905. Der Beſchluß des leitenden Komitees der koalierten Oppoſition hat alle Hoffnungen, die ſich an den nach ſo langen und von ſo vielen Zwiſchenfällen unterbrochenen Be- ratungen zuſtandegebrachten Kompromißvorſchlag knüpften, zunichte gemacht. Die Kriſe in Ungarn iſt auf demſelben Punkte angelangt, von dem ſie ausgegangen iſt, und unver- richteter Dinge wird der Kaiſer Budapeſt verlaſſen. Durch welche Umſtände der Beſchluß des Exekutivkomitees veranlaßt wurde, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nach einer Verſion ſoll er ſich bloß gegen die Perſon des Mittlers, gegen Lukacz wenden, den die Oppoſition als ein noch im Amte befindliches Mitglied des Kabinetts Tisza ablehnt, nach einer anderen will die Oppoſition es auf eine äußerſte Kraftprobe ankommen laſſen, welche die Krone darüber belehren ſoll, daß es mit der Gleichſtellung zwiſchen ihren Wünſchen und denen der parlamentariſchen Majorität vorüber ſei. Die Klippe, woran die Annahme des Kompromißvor- ſchlages geſcheitert iſt, dürfte aber in den militäriſchen Forderungen zu ſuchen ſein. Das Angebot, welches die Krone den vereinigten Parteien machte, hatte auf den erſten Blick viel Verlockendes. Für zwei Jahre ſollten die militäriſchen Fragen ausgeſchaltet werden. Die Oppoſition hätte dabei auf nichts verzichtet. Die Annahme des normalen Budgets und Rekrutenkontingents konnte doch unmöglich als „Ent- ſagung“ angeſehen werden. Die Hinausſchiebung des ent- ſcheidenden Kampfes um die Nationaliſierung der ungariſchen Truppen käme noch weniger einer Rechtseinbuſſe gleich, da die Verwirklichung des ungariſchen Heeresbefehls bei dem Mangel an magyariſch ſprechenden Offizieren ohnehin zur Zeit undenkbar wäre. Darin aber ſchaffen die nächſten Jahre inſofern Wandel, als ſeit dem vorigen Jahre über 1000 Stiftungsplätze für magyariſche Zöglinge an den Militärbildungsanſtalten errichtet wurden. Nach Ablauf der Warteperiode wäre alſo der Stab der brauchbaren Offiziere weſentlich erweitert. Nichtsdeſtoweniger ſtellt ſich die Oppoſition auf den Standpunkt, daß Gabe und Gegengabe nicht gleich- wertig ſeien. „Die vorgeſchlagene Löſung“, ſagt Abg. Dr. Bakonyi, eines der hervorragendſten Mitglieder der intranſingenten Gruppe, zu einem Interviewer, die Ausſchaltung der Sprachenfrage gegen eine Stundung der Flüſſigmachung des von den Delegationen beſtimmten, aber vom Parlamente noch nicht votierten Kredits auf zwei Jahre zu gewähren, kann nicht eine geeignete Rektifikation genannt werden. Dieſe Ver- ſchiebung der Fälligkeit des Kredits iſt noch eine illuſoriſche. Ein namhafter Teil dieſes Betrages, an hundert Millionen, iſt ſchon verausgabt, für einen weiteren großen Teil ſind bereits die Beſtellungen gemacht, und es wäre das prak- tiſche Reſultat der ganzen finanziellen Aktion lediglich jenes, daß die Gläubiger des Staates ein zweijähriges Moratorium gewähren würden, wofür wir durch die Ratifikation des Kom- promiſſes gewiſſermaßen die feierliche Garantie über- nehmen würden. Denn darüber, daß die für die In- veſtitionen erforderlichen Beiträge früher oder ſpäter gezahlt werden müſſen, herrſcht kein Zweifel und ebenſowenig iſt es für jeden von uns, welcher Partei er immer angehört und der ſich ernſtlich mit militäriſchen Fragen beſchäftigt, zweifel- haft, daß die erforderlichen Inveſtitionen in der Tat gemacht werden müſſen, da namentlich unſere Artillerie unabwendbar einer Umgeſtaltung, wenn nicht einer Neugeſtaltung bedarf, und ſo können wir uns unmöglich dem Vorwurfe ausſetzen daß wir der Ausbildung unſerer Mehrkraft hindernd Weg geſtanden wären. Dieſe Zurückſtellung des Fälligkeitstermins der unvermeidlichen Ausgaben allein kann uns ſomit für das Ausſchalten unſerer nationalen Forderungen in ſprach- licher Hinſicht keineswegs als eine Kompenſation gelten“ „Was wird nun werden“, fragt man ſich in Cis und Trans. Der Reichstag wird morgen zuſammentreten, und entgegen dem bei Verhandlungen geübten Modus, für die Dauer derſelben alles auszuſchalten, was die Herbei- führung einer Einigung erſchweren könnte, wird in die Adreßdebatte eingegangen werden, die zu einem recht artigen Schriftenwechſel zwiſchen Reichstag und Krone führen dürfte. Möglich auch, daß die Krone von der Auffaſſung ausgehend, daß die Situation durch Neuwahlen nicht ſchlechter werden könne, das Haus auflöſt. Ja, es fehlt nicht an Stimmen, welche ſagen, daß die liberale Partei durch eine kräftige, von den Agrariern geſchürte Agitation gegen die Zolltrennung vielleicht bei Neuwahlen gewinnen könnte. Auf jeden Fall wird Oeſterreich in kurzer Zeit das wirtſchaftliche Verhältnis zu Ungarn ins Reine bringen müſſen. Im Herbſte iſt der äußerſte Termin für die parla- mentariſche Annahme der neuen Handelsverträge. Bis dahin ſoll es ſich entſchieden haben, ob die Zollſchranken zwiſchen Cis- und Transleithanien ſchon jetzt erſtehen ſollen oder nicht. Mit dem „wirtſchaftlichen“ Ausgleich iſt aber die Quotenfrage eng verknüpft. Zu dieſer Frage äußert ſich in der „N. F. P.“ ein hervorragender Staatsmann, wie folgt: „Wenn das bloße Wechſelſeitigkeitsverhältnis aufrecht- erhalten würde, ſo müßte wie jetzt die Quote alljährlich durch den Kaiſer feſtgeſetzt werden, da eine Vereinbarung über die Feuilleton. Ariadne. Von André Thenriet. Georges de Sommiere war von Paris in der Abſicht abge- reiſt, in Florenz ſeine ſchöne Freundin, Gräfin Olivieri, wiederzufinden, mit welcher er ſeit fünf Jahren ein intimes Verhältnis hatte. Auf der Reiſe hielt er in Nizza an, um ſich von den Strapazen der Fahrt zu erholen und um einige Freunde zu beſuchen, welche daſelbſt den Winter zubrachten. Sommiere war ein junger Mann von dreißig Jahren, elegant, reich, ein liebenswürdiger Geſellſchafter, ein Lebe- mann, mit einiger romantiſchen Ueberſpanntheit, die ihm noch um einen Reiz mehr verlieh in einer Zeit, in welcher der Enthuſiasmus eine immer ſeltenere Waare wird. Man fetierte ihn in Nizza ſehr und er ließ es gewähren. Auf dem Punkte, die nahezu eheliche Feſſel wieder auf ſich zu nehmen, die ihn ſo lange mit Gräfin Olivieri verband, war er gar nicht böſe darüber, einige Tage ungebunder Freiheit zu genießen und ſich während derſelben einzubilden, daß er ſich der vollkommenen Ungebundenheit eines Junggeſellen erfreue. Er hatte unzweifelhaft noch eine lebhafte Zärtlichkeit für die Gräfin Olivieri, allein ſeine Liebe, die eine große Leiden- ſchaft geweſen, trat nun in jene Periode der Abdämpfung ein, in welcher die Anweſenheit weniger als eine ſchmerzliche Ent- behrung, denn als eine Ruhepauſe erſcheint. Gräfin Olivieri war eine blonde Venezianerin mit ſchwarzen Augen, ge- ſchmeidig und doch üppig, gebieteriſch und leidenſchaftlich, eine jener Frauen, von welchen man ſagt, daß ſie himmliſche Augenblicke und böſe Viertelſtunden haben. Körperlich und geiſtig übte ſie einen beſtrickenden Zauber aus, allein der berauſchende Liebesduft, der von ihr ausging, glich dem ſchweren Aroma mancher exotiſcher Blumen, welche Den- jenigen, der ihren Duft zu lange einatmet, zu Kopfe ſteigen und ihn ermüden. Fern von ihr empfand Sommiere eine geheime Erleichterung, allein wenn er ſie wieder ſah, begann der Zauber wieder zu wirken. Sie hatte ſeinen Leib und ſeine Seele in ihre Feſſeln geſchlagen; Thereſa hatte ihm ein Zaubermittel in die Adern gegoſſen, das in der Ferne nicht wirkte, das aber Georges zu ihrem Sklaven machte, ſo wie ſeine Augen denjenigen der Zauberin begegnete. Während ſich Sommiere in Nizza aufhielt, führten ihn ſeine Freunde zu einer garden-party, welche ein Amerikaner in einer jener herrlichen Villen gab, deren Gärten ſich vom Gebirge bis ans Meer, zwiſchen Wäldern von Zitronen- bäumen und herrlichen Roſenlauben hinziehen. Unſichtbar hinter Azaleenbüſchen ſpielte eine Zigeunerbande feurige Csardaſe. Die Luft vibrierte von Muſikklängen und war von ſüßen Frühlingsdüften geſchwängert; zwiſchen der Wölbung der Roſenlauben erblickte man einen tiefblauen Himmel und dort unten, hinter dem üppigen Grün leuchtete das Meer im blauen Schimmer des Saphirs. In einer dieſer blühenden Alleen war es, daß Georges de Sommiere einer jungen, zarten, weißen Frau mit Veilchenaugen begegnete, mit wundervollem, kaſtanienbraunem Haar, das in einem ſchweren Knoten auf ihren Nacken herabfiel. Sie machte gleich beim erſten Augenblicke einen ſehr lebhaften Eindruck auf ihn. Ein ſüßer poetiſcher Hauch umſchwebte ſie. Ihre großen Augen waren aufrichtig, vertrauensvoll und rein, wie diejenigen eines Kindes. Sie glich einer jener Lilien, die im Gebirge in der Nähe von Gletſchern wachſen, deren ſüße Anmut und reines Weiß etwas ſo Jungfräuliches an ſich haben, daß man zaudert, ſie zu pflücken. Auf das Erſuchen Sommiere’s ſtellte man ihn der jungen Dame vor, die eine Griechin von Geburt war und Helene Michalis hieß. Er ging den ganzen Nachmittag nicht von ihrer Seite, indem er von jener Freiheit des Flirtens Gebrauch machte, welche in der kosmopolitiſchen Geſellſchaft der Azurküſte ſo unbeſchränkt herrſcht. Wenn Georges wollte, war er ein verführeriſcher Cauſeur und diesmal legte er ſeine ganze Seele in ſeine Plauderei. Die junge Dame unterlag dem Zauber dieſes geiſtvollen und enthuſiaſtiſchen jungen Mannes. Mit der Aufrichtigkeit, welche den Grund ihres Charakters bildete, ließ ſie ihn das merken und öffnete ihm ihre reine Seele. Als ſie ſich trennten, waren ſie bereits Freunde. Sommiere erbat ſich die Erlaubnis, Madame Michaelis zu beſuchen und ſie teilte ihm mit, daß ſie von fünf bis ſieben immer zuhauſe ſei. Er beſuchte ſie am nächſten und an den folgenden Tagen; er dachte nicht mehr daran, daß man ihn in Florenz erwarte. Tereſa Olivieri ſchien in einem fernen Nebel zu verſchwimmen. Georges dachte nur noch an dieſe zarte byzantiniſche Jungfrau mit den reinen und milden Augen, der er unter den Roſenlauben von Beaulieu begegnet war. Er ſprach nicht von Liebe zu ihr, aber er legte eine ſo ſchmelzende Zärtlichkeit in ſeine Stimme, in ſeine Blicke, daß Helene Michalis ſich darüber täuſchen konnte und daß ſie ſich ſelbſt durch dieſe Zärtlichkeit in ihrem inneren Weſen getroffen fühlte. Bei jedem Beſuche empfing ſie Sommiere mit einem innigeren Händedrucke. Eines Abends, als ſie ihm dankte, daß er gekommen ſei, und ihm ſagte, wie gerührt ſie von ſeinen ſympathiſchen Aufmerkſamkeiten ſei, vermochte Georges nicht mehr an ſich zu halten. Er zog die junge Frau an ſich, drückte ſie an ſeine Bruſt, indem er ihr geſtand, daß er ſie anbete, daß ſie allein es ſei, die ihn begreifen gemacht habe, was wahre Liebe ſei und daß er ſich glücklich ſchätzen würde, ihr ſein Leben zu weihen. Mit der impulſiven Bewegung eines ſchmeichelnden Kindes ließ Helene ihren Kopf auf Georges’ Schulter ſinken und entgegnete lebhaft bewegt: — Auch ich habe mich vom erſten Tage an zu Ihnen hingezogen gefühlt und ich würde nichts Beſſeres verlangen, als Ihnen anzugehören. Aber ich bin leider nicht frei. Ich bin in Rumänien an einen Mann verheiratet, den ich ver- abſcheue und von dem ich getrennt lebe. — Und können Sie nicht die Scheidung erwirken? — Das hat mir immer widerſtrebt, wegen meiner Familie, welche den Skandal eines Prozeſſes fürchtet. — Es iſt ſchlecht im Leben eingerichtet, ſeufzte Sommiere; warum haben wir uns nicht vor fünf Jahren kennen gelernt? Und da ihn die Offenherzigkeit von Madame Michalis ebenfalls vertrauensvoll geſtimmt hatte, geſtand er ihr ſein Verhältnis mit der Gräfin Olivieri. — Sie ſehen, ſagte er am Schluſſe, auch ich bin ſozuſagen verheiratet, allein obwohl es mir ſehr ſchwer fällt, einer alten Freundin Kummer zu bereiten, die mich noch liebt, werde ich keinen Augenblick zögern, mit ihr zu brechen, da ich von jetzt ab nur Sie lieben kann. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 379, Czernowitz, 04.04.1905, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer379_1905/1>, abgerufen am 28.03.2024.