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Marburger Zeitung. Nr. 50, Marburg, 05.05.1914.

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und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einschaltungen
Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags.
Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 50 Dienstag, 5. Mai 1914 53. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Die Arbeitslosenfürsorge.

Die Österreichische Vereinigung zur Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit hat soeben als erstes Flug-
heft den von Hofrat Professor Dr. E. Schwied-
land in der Gesellschaft österreichischer Volkswirte
gehaltenen Vortrag "Systeme der Arbeitslosenunter-
stützung" herausgegeben. Den fesselnden Aus-
führungen entnehmen wir u. a.: Arbeitslosigkeit hat
für Leute, die ganz auf den Ertrag ihrer Arbeit
angewiesen sind, das Versiegen jeglichen Einkommens
zur Folge. Das bedeutet für sie nicht allein Mangel,
sondern auch seelischen Druck -- bewirkt also Ent-
behrungen, Not und Elend, und zugleich tiefste Be-
unruhigung, peinvolle Suche nach entlohnter Be-
schäftigung und Ungewißheit, sie zu finden. Abge-
sehen von der Gefährdung seines Lebensfußes und
der Erziehung seiner Kinder kommt dabei der
ständig beschäftigte gelernte Arbeiter in Gefahr, ein
nur aushilfsweise und gelegentlich beschäftigter Mann
zu werden, aus seiner sozialen Schichte niederzu-
gleiten, sein Kapital an Arbeitsgeschick einzubüßen
und innerlich zu verkommen -- der unständige
Gelegenheitsarbeiter aber, der stets ohne Rückhalt
ist, verfällt dem nackten Elend mit seinem gesund-
heitsverwüstenden, kräfteverzehrenden, seelische Ver-
lumpung fördernden Folgen. Solchem unverschul-
deten Schicksal gegenüber entsteht für die Gesamt-
heit die Aufgabe einer Arbeitslosigkeitsverhütung
und einer Fürsorge für die Fälle dennoch sich er-
gebender Not. Der Verfasser bespricht sodann die
verschiedenen Systeme der Fürsorge für die Arbeits-
[Spaltenumbruch] losenfürsorge und kommt zum Schlusse: Die Ar-
beiterschaft hat Grund, zugunsten der von ihr heiß
ersehnten öffentlichen Arbeitslosenfürsorge, Entgegen-
kommen zu zeigen und ohne Hintergedanken und
Zurückhaltung für paritätisch geleitete Arbeitsnach-
weise einzutreten. Die Gefährdung des Lohnniveaus
der in Arbeit Stehenden durch Arbeitslose ist ein
großes Argument, und daß zentralisierte Nachweise
den besten Dienst tun, ist wohl nicht zu bezweifeln.
Hat doch jüngst ein deutscher Fachmann darauf hin-
gewiesen, daß fachliche Nachweise es heute vielfach
vermeiden, Arbeitslosen alle auswärtigen offenen
Stellen bekanntzugeben: Arbeiter, weil sie keinen
Lohnbruch verursachen, Unternehmer, weil sie nicht
Konkurrenten wohlfeile Arbeiter verschaffen wollen.
Somit hätten auch die Unternehmer ihrerseits auf
parteimäßig geleitete Vermittlungen zu verzichten.
Jedenfalls kann gesagt werden, daß interlokal tätige
Nachweise den Arbeitsmarkt nach Möglichkeit ent-
lasten und andrerseits auch gestatten würder, das
finanzielle Erfordernis einer Arbeitslosenversicherung
annähernd zu schätzen. Ohne eine durchgreifende
öffentliche Arbeitsvermittlung ließe sich auf dem
Gebiete der Arbeitslosenfürsorge nichts Besseres er-
reichen als das Surrogat -- ein sachlich unzureichen-
des Genter System. Das belgische (oder Genter)
System, die älteste öffentlich-rechtliche Hilfsorgani-
sation, beruht auf den Grundsätzen: 1. Die Gewerk-
schaften der Arbeiter sollen selbst ihre arbeitslosen
Mitglieder unterstützen, 2. hierzu aber aus öffent-
lichen Mitteln Zuschüsse erhalten. Unter unseren
Verhältnissen hätte somit die Regierung zu leisten:
[Spaltenumbruch] 1. die Ausführung aller im Budget bewilligten Ar-
beiten mit möglichster Beschleunigung; 2. Einfluß-
nahme, damit Länder und Städte das nämliche tun
und überdies Notstandsarbeiten unternehmen; 3.
Schaffung einer staatlich geregelten, paritätisch ver-
walteten Arbeitsvermittlung; 4. Verhandlungen mit
Städten, damit diese außerhalb der Armenpflege
Arbeitslosenunterstützungen auszahlen unter Ent-
gegennahme eines staatlichen Zuschusses hierzu. --
So also Professor Dr. Schwiedland. Die Arbeits-
losenfürsorge ist aber ein Kapitel, welches tief hin-
eingreift in gegensätzliche soziale und politische An-
schauungen, die sich nur sehr schwer oder gar nicht
auf ein gemeinsames Ziel vereinen lassen wollen.
Dem Lande ist diese brennende Frage völlig fremd;
sie lebt nur in den Städten. Die Landwirtschaft
entbehrt oft der notwendigsten Kräfte, weil alles in
die Städte läuft, einer oft unsicheren Zukunft ent-
gegen und dort das Heer der Arbeitslosen ver-
mehrend. Eine Arbeitslosenfürsorge in den Städten
müßte demnach derart beschaffen sein, daß sie nicht
eine Art Prämie für die Landflucht bildet, denn in
diesem Falle würde sie eine noch stärkere Landflucht
erzeugen und das, was sie bekämpfen soll, noch ver-
größern. Schon dieser Umstand läßt erkennen,
welche starken Schwierigkeiten sich einer be-
friedigenden Lösung dieser wichtigen Frage der
Arbeitslosenfürsorge entgegenstellen, wie verwickelt
und in seinen Folgewirkungen so hochbedeutsam der
Komplex aller jener Fragen ist, die mit der Arbeits-
lasenfürsorge moralisch und materiell zusammen-
hängen.




[Spaltenumbruch]
Fürstin Morrow.

3 (Nachdruck verboten.)

"Bitte, gehen Sie noch nicht fort, bleiben Sie
hier", bat sie. "Nur jetzt entschuldigen Sie mich
einige Augenblicke, ich bin in kurzer Zeit wieder
bei Ihnen." Damit verschwand sie eiligen Schritts
in einem Seitengemach.

Kara hatte sich noch nicht ganz von dem Er-
staunen über die plötzliche Aufregung der Fürstin
erholt, als die große Türe geöffnet ward und Graf
Lemuroff eintrat, der bei dem Anblick des jungen
Mädchens stutzte und verlegen um sich blickte, als
suche er die Herrin dieses Raumes. Auch Kara
war sehr verlegen geworden, als sie auf den ersten
Blick den jungen Herrn wiedererkannte, der ihrem
Vater den Diamanten verkaufen wollte. Eine
brennende Röte überzog ihr Gesichtchen und ver-
mehrte noch ihre Befangenheit. Kaum konnte sie
den höflichen Grnß des Grafen formgewandt er-
widern.

"Verzeihen Sie, Fräulein Pitras, daß ich un-
angemeldet hier eingetreten bin. Aber ich glaubte
die Fürstin allein, und als altbekannter Freund
des Hanses bedarf ich weiter keiner Anmeldung.
Ich wundere mich, Sie hier zu sehen."

"Ich habe das bestellte Armband abgeliefert",
flüsterte Kara kaum vernehmlich.

"Ach ja, ganz recht, ich war ja selbst dabei,
[Spaltenumbruch] wie der Schmuck bestellt wurde. Doch, wo ist die
Fürstin?"

"Dort im Zimmer, sie wird sogleich zurück-
kommen."

"Fräulein", begann der Graf in peinlicher
Verwirrung, "ich habe heute mittag bei Ihrem
Vater ein Geschäft abgeschlossen, von dem ich wünschen
muß, daß es geheim bleibt. Vor- allen Dingen
darf die Fürstin Morrow garnichts davon er-
fahren."

"Selbstredend, Herr Graf, bleibt das abge-
schossene Geschäft ein Geheimnis. Auch ohne daß
Sie mich besonders darauf hinwiesen, hätte ich nie
darüber gesprochen, auch mit der Fürstin nicht.
Wir machen uns stets des Vertrauens würdig, das
man in uns setzt."

"Verzeihen Sie, Fräulein Pitras, ich zweifle
nicht daran, aber die Angelegenheit ist für mich
von solcher Wichtigkeit, daß ich Sie ausdrücklich
um Ihr Ehrenwort bitte."

"Ich gebe es Ihnen hiermit, Herr Graf, gleich-
zeitig auch im Namen meines Vaters."

Der Graf sah sie dankbar an, ergriff ihre kleine
Hand und drückte leise einen Kuß darauf. Kara
erglühte und ein leichtes Beben durchzitterte ihren
Körper. Bisher hatte sie noch kein junger Mann
berührt, geschweige denn geküßt. Deshalb brannte
dieser erste Kuß wie Feuer und ließ ihre Pulse
heftig schlagen.

Paul Lemuroffs Blick hing wie gebannt an
der anmutigen Erscheinung Karas, die aussah, als
[Spaltenumbruch] gehöre sie durch ihre Geburt in diese Räume, in
denen sie sich gerade befanden. Beide schwiegen,
aber in ihren Herzen redete eine Stimme, die
mächtiger war als die Worte des Mundes hätten
sein können. Plötzlich trat die Fürstin ein, immer
noch erregt. Als sie den Grafen erblickte, zwang
sie ein Lächeln auf ihre Züge, das aber ihrer
wahren Gemütsstimmung fern lag und deshalb auch
nicht ihre Züge verschönte, wie es sonst der Fall
war.

"Entschuldigen Sie mich einen Augenblick,
lieber Graf, ich habe mit der Tochter meines Ju-
weliers noch einige Worte zu reden. Ich kehre
gleich zu Ihnen zurück."

"Bitte, Fürstin, ordnen Sie Ihre Geschäfte, ich
werde mich zurückziehen."

"Nicht doch, lieber Graf! Dort steht mein
Piano, das erst heute morgen aus Paris hier
eingetroffen ist. Phantasieren Sie ein wenig darauf.
Aber spielen Sie, bitte, laut, und sagen mir dann
Ihr Urteil, denn Sie sind ja Kenner."

Die Fürstin ergriff Karas Hand und zog das
junge Mädchln in das Zimmer, aus dem sie soeben
getreten war. Als sich die Türe geschlossen hatte,
lauschte Fürstin Morrow -- die Töne des Pianos
wurden hörbar. Befriedigt wandte sie sich an
Kara, die sie erwartungsvoll anschaute.

"Mein liebes Kind, hören Sie gut zu, was
ich Ihnen jetzt zu sagen haben werde. Ich möchte
Sie um einen Dienst bitten, den ich nur einer
vertrauten Freundin übertragen kann. Sie werden


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

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Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.
Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen
Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags.
Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 50 Dienstag, 5. Mai 1914 53. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Die Arbeitsloſenfürſorge.

Die Öſterreichiſche Vereinigung zur Bekämp-
fung der Arbeitsloſigkeit hat ſoeben als erſtes Flug-
heft den von Hofrat Profeſſor Dr. E. Schwied-
land in der Geſellſchaft öſterreichiſcher Volkswirte
gehaltenen Vortrag „Syſteme der Arbeitsloſenunter-
ſtützung“ herausgegeben. Den feſſelnden Aus-
führungen entnehmen wir u. a.: Arbeitsloſigkeit hat
für Leute, die ganz auf den Ertrag ihrer Arbeit
angewieſen ſind, das Verſiegen jeglichen Einkommens
zur Folge. Das bedeutet für ſie nicht allein Mangel,
ſondern auch ſeeliſchen Druck — bewirkt alſo Ent-
behrungen, Not und Elend, und zugleich tiefſte Be-
unruhigung, peinvolle Suche nach entlohnter Be-
ſchäftigung und Ungewißheit, ſie zu finden. Abge-
ſehen von der Gefährdung ſeines Lebensfußes und
der Erziehung ſeiner Kinder kommt dabei der
ſtändig beſchäftigte gelernte Arbeiter in Gefahr, ein
nur aushilfsweiſe und gelegentlich beſchäftigter Mann
zu werden, aus ſeiner ſozialen Schichte niederzu-
gleiten, ſein Kapital an Arbeitsgeſchick einzubüßen
und innerlich zu verkommen — der unſtändige
Gelegenheitsarbeiter aber, der ſtets ohne Rückhalt
iſt, verfällt dem nackten Elend mit ſeinem geſund-
heitsverwüſtenden, kräfteverzehrenden, ſeeliſche Ver-
lumpung fördernden Folgen. Solchem unverſchul-
deten Schickſal gegenüber entſteht für die Geſamt-
heit die Aufgabe einer Arbeitsloſigkeitsverhütung
und einer Fürſorge für die Fälle dennoch ſich er-
gebender Not. Der Verfaſſer beſpricht ſodann die
verſchiedenen Syſteme der Fürſorge für die Arbeits-
[Spaltenumbruch] loſenfürſorge und kommt zum Schluſſe: Die Ar-
beiterſchaft hat Grund, zugunſten der von ihr heiß
erſehnten öffentlichen Arbeitsloſenfürſorge, Entgegen-
kommen zu zeigen und ohne Hintergedanken und
Zurückhaltung für paritätiſch geleitete Arbeitsnach-
weiſe einzutreten. Die Gefährdung des Lohnniveaus
der in Arbeit Stehenden durch Arbeitsloſe iſt ein
großes Argument, und daß zentraliſierte Nachweiſe
den beſten Dienſt tun, iſt wohl nicht zu bezweifeln.
Hat doch jüngſt ein deutſcher Fachmann darauf hin-
gewieſen, daß fachliche Nachweiſe es heute vielfach
vermeiden, Arbeitsloſen alle auswärtigen offenen
Stellen bekanntzugeben: Arbeiter, weil ſie keinen
Lohnbruch verurſachen, Unternehmer, weil ſie nicht
Konkurrenten wohlfeile Arbeiter verſchaffen wollen.
Somit hätten auch die Unternehmer ihrerſeits auf
parteimäßig geleitete Vermittlungen zu verzichten.
Jedenfalls kann geſagt werden, daß interlokal tätige
Nachweiſe den Arbeitsmarkt nach Möglichkeit ent-
laſten und andrerſeits auch geſtatten würder, das
finanzielle Erfordernis einer Arbeitsloſenverſicherung
annähernd zu ſchätzen. Ohne eine durchgreifende
öffentliche Arbeitsvermittlung ließe ſich auf dem
Gebiete der Arbeitsloſenfürſorge nichts Beſſeres er-
reichen als das Surrogat — ein ſachlich unzureichen-
des Genter Syſtem. Das belgiſche (oder Genter)
Syſtem, die älteſte öffentlich-rechtliche Hilfsorgani-
ſation, beruht auf den Grundſätzen: 1. Die Gewerk-
ſchaften der Arbeiter ſollen ſelbſt ihre arbeitsloſen
Mitglieder unterſtützen, 2. hierzu aber aus öffent-
lichen Mitteln Zuſchüſſe erhalten. Unter unſeren
Verhältniſſen hätte ſomit die Regierung zu leiſten:
[Spaltenumbruch] 1. die Ausführung aller im Budget bewilligten Ar-
beiten mit möglichſter Beſchleunigung; 2. Einfluß-
nahme, damit Länder und Städte das nämliche tun
und überdies Notſtandsarbeiten unternehmen; 3.
Schaffung einer ſtaatlich geregelten, paritätiſch ver-
walteten Arbeitsvermittlung; 4. Verhandlungen mit
Städten, damit dieſe außerhalb der Armenpflege
Arbeitsloſenunterſtützungen auszahlen unter Ent-
gegennahme eines ſtaatlichen Zuſchuſſes hierzu. —
So alſo Profeſſor Dr. Schwiedland. Die Arbeits-
loſenfürſorge iſt aber ein Kapitel, welches tief hin-
eingreift in gegenſätzliche ſoziale und politiſche An-
ſchauungen, die ſich nur ſehr ſchwer oder gar nicht
auf ein gemeinſames Ziel vereinen laſſen wollen.
Dem Lande iſt dieſe brennende Frage völlig fremd;
ſie lebt nur in den Städten. Die Landwirtſchaft
entbehrt oft der notwendigſten Kräfte, weil alles in
die Städte läuft, einer oft unſicheren Zukunft ent-
gegen und dort das Heer der Arbeitsloſen ver-
mehrend. Eine Arbeitsloſenfürſorge in den Städten
müßte demnach derart beſchaffen ſein, daß ſie nicht
eine Art Prämie für die Landflucht bildet, denn in
dieſem Falle würde ſie eine noch ſtärkere Landflucht
erzeugen und das, was ſie bekämpfen ſoll, noch ver-
größern. Schon dieſer Umſtand läßt erkennen,
welche ſtarken Schwierigkeiten ſich einer be-
friedigenden Löſung dieſer wichtigen Frage der
Arbeitsloſenfürſorge entgegenſtellen, wie verwickelt
und in ſeinen Folgewirkungen ſo hochbedeutſam der
Komplex aller jener Fragen iſt, die mit der Arbeits-
laſenfürſorge moraliſch und materiell zuſammen-
hängen.




[Spaltenumbruch]
Fürſtin Morrow.

3 (Nachdruck verboten.)

„Bitte, gehen Sie noch nicht fort, bleiben Sie
hier“, bat ſie. „Nur jetzt entſchuldigen Sie mich
einige Augenblicke, ich bin in kurzer Zeit wieder
bei Ihnen.“ Damit verſchwand ſie eiligen Schritts
in einem Seitengemach.

Kara hatte ſich noch nicht ganz von dem Er-
ſtaunen über die plötzliche Aufregung der Fürſtin
erholt, als die große Türe geöffnet ward und Graf
Lemuroff eintrat, der bei dem Anblick des jungen
Mädchens ſtutzte und verlegen um ſich blickte, als
ſuche er die Herrin dieſes Raumes. Auch Kara
war ſehr verlegen geworden, als ſie auf den erſten
Blick den jungen Herrn wiedererkannte, der ihrem
Vater den Diamanten verkaufen wollte. Eine
brennende Röte überzog ihr Geſichtchen und ver-
mehrte noch ihre Befangenheit. Kaum konnte ſie
den höflichen Grnß des Grafen formgewandt er-
widern.

„Verzeihen Sie, Fräulein Pitras, daß ich un-
angemeldet hier eingetreten bin. Aber ich glaubte
die Fürſtin allein, und als altbekannter Freund
des Hanſes bedarf ich weiter keiner Anmeldung.
Ich wundere mich, Sie hier zu ſehen.“

„Ich habe das beſtellte Armband abgeliefert“,
flüſterte Kara kaum vernehmlich.

„Ach ja, ganz recht, ich war ja ſelbſt dabei,
[Spaltenumbruch] wie der Schmuck beſtellt wurde. Doch, wo iſt die
Fürſtin?“

„Dort im Zimmer, ſie wird ſogleich zurück-
kommen.“

„Fräulein“, begann der Graf in peinlicher
Verwirrung, „ich habe heute mittag bei Ihrem
Vater ein Geſchäft abgeſchloſſen, von dem ich wünſchen
muß, daß es geheim bleibt. Vor- allen Dingen
darf die Fürſtin Morrow garnichts davon er-
fahren.“

„Selbſtredend, Herr Graf, bleibt das abge-
ſchoſſene Geſchäft ein Geheimnis. Auch ohne daß
Sie mich beſonders darauf hinwieſen, hätte ich nie
darüber geſprochen, auch mit der Fürſtin nicht.
Wir machen uns ſtets des Vertrauens würdig, das
man in uns ſetzt.“

„Verzeihen Sie, Fräulein Pitras, ich zweifle
nicht daran, aber die Angelegenheit iſt für mich
von ſolcher Wichtigkeit, daß ich Sie ausdrücklich
um Ihr Ehrenwort bitte.“

„Ich gebe es Ihnen hiermit, Herr Graf, gleich-
zeitig auch im Namen meines Vaters.“

Der Graf ſah ſie dankbar an, ergriff ihre kleine
Hand und drückte leiſe einen Kuß darauf. Kara
erglühte und ein leichtes Beben durchzitterte ihren
Körper. Bisher hatte ſie noch kein junger Mann
berührt, geſchweige denn geküßt. Deshalb brannte
dieſer erſte Kuß wie Feuer und ließ ihre Pulſe
heftig ſchlagen.

Paul Lemuroffs Blick hing wie gebannt an
der anmutigen Erſcheinung Karas, die ausſah, als
[Spaltenumbruch] gehöre ſie durch ihre Geburt in dieſe Räume, in
denen ſie ſich gerade befanden. Beide ſchwiegen,
aber in ihren Herzen redete eine Stimme, die
mächtiger war als die Worte des Mundes hätten
ſein können. Plötzlich trat die Fürſtin ein, immer
noch erregt. Als ſie den Grafen erblickte, zwang
ſie ein Lächeln auf ihre Züge, das aber ihrer
wahren Gemütsſtimmung fern lag und deshalb auch
nicht ihre Züge verſchönte, wie es ſonſt der Fall
war.

„Entſchuldigen Sie mich einen Augenblick,
lieber Graf, ich habe mit der Tochter meines Ju-
weliers noch einige Worte zu reden. Ich kehre
gleich zu Ihnen zurück.“

„Bitte, Fürſtin, ordnen Sie Ihre Geſchäfte, ich
werde mich zurückziehen.“

„Nicht doch, lieber Graf! Dort ſteht mein
Piano, das erſt heute morgen aus Paris hier
eingetroffen iſt. Phantaſieren Sie ein wenig darauf.
Aber ſpielen Sie, bitte, laut, und ſagen mir dann
Ihr Urteil, denn Sie ſind ja Kenner.“

Die Fürſtin ergriff Karas Hand und zog das
junge Mädchln in das Zimmer, aus dem ſie ſoeben
getreten war. Als ſich die Türe geſchloſſen hatte,
lauſchte Fürſtin Morrow — die Töne des Pianos
wurden hörbar. Befriedigt wandte ſie ſich an
Kara, die ſie erwartungsvoll anſchaute.

„Mein liebes Kind, hören Sie gut zu, was
ich Ihnen jetzt zu ſagen haben werde. Ich möchte
Sie um einen Dienſt bitten, den ich nur einer
vertrauten Freundin übertragen kann. Sie werden


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Die Öſterreichiſche Vereinigung zur Bekämp- fung der Arbeitsloſigkeit hat ſoeben als erſtes Flug- heft den von Hofrat Profeſſor Dr. E. Schwied- land in der Geſellſchaft öſterreichiſcher Volkswirte gehaltenen Vortrag „Syſteme der Arbeitsloſenunter- ſtützung“ herausgegeben. Den feſſelnden Aus- führungen entnehmen wir u. a.: Arbeitsloſigkeit hat für Leute, die ganz auf den Ertrag ihrer Arbeit angewieſen ſind, das Verſiegen jeglichen Einkommens zur Folge. Das bedeutet für ſie nicht allein Mangel, ſondern auch ſeeliſchen Druck — bewirkt alſo Ent- behrungen, Not und Elend, und zugleich tiefſte Be- unruhigung, peinvolle Suche nach entlohnter Be- ſchäftigung und Ungewißheit, ſie zu finden. Abge- ſehen von der Gefährdung ſeines Lebensfußes und der Erziehung ſeiner Kinder kommt dabei der ſtändig beſchäftigte gelernte Arbeiter in Gefahr, ein nur aushilfsweiſe und gelegentlich beſchäftigter Mann zu werden, aus ſeiner ſozialen Schichte niederzu- gleiten, ſein Kapital an Arbeitsgeſchick einzubüßen und innerlich zu verkommen — der unſtändige Gelegenheitsarbeiter aber, der ſtets ohne Rückhalt iſt, verfällt dem nackten Elend mit ſeinem geſund- heitsverwüſtenden, kräfteverzehrenden, ſeeliſche Ver- lumpung fördernden Folgen. Solchem unverſchul- deten Schickſal gegenüber entſteht für die Geſamt- heit die Aufgabe einer Arbeitsloſigkeitsverhütung und einer Fürſorge für die Fälle dennoch ſich er- gebender Not. Der Verfaſſer beſpricht ſodann die verſchiedenen Syſteme der Fürſorge für die Arbeits- loſenfürſorge und kommt zum Schluſſe: Die Ar- beiterſchaft hat Grund, zugunſten der von ihr heiß erſehnten öffentlichen Arbeitsloſenfürſorge, Entgegen- kommen zu zeigen und ohne Hintergedanken und Zurückhaltung für paritätiſch geleitete Arbeitsnach- weiſe einzutreten. Die Gefährdung des Lohnniveaus der in Arbeit Stehenden durch Arbeitsloſe iſt ein großes Argument, und daß zentraliſierte Nachweiſe den beſten Dienſt tun, iſt wohl nicht zu bezweifeln. Hat doch jüngſt ein deutſcher Fachmann darauf hin- gewieſen, daß fachliche Nachweiſe es heute vielfach vermeiden, Arbeitsloſen alle auswärtigen offenen Stellen bekanntzugeben: Arbeiter, weil ſie keinen Lohnbruch verurſachen, Unternehmer, weil ſie nicht Konkurrenten wohlfeile Arbeiter verſchaffen wollen. Somit hätten auch die Unternehmer ihrerſeits auf parteimäßig geleitete Vermittlungen zu verzichten. Jedenfalls kann geſagt werden, daß interlokal tätige Nachweiſe den Arbeitsmarkt nach Möglichkeit ent- laſten und andrerſeits auch geſtatten würder, das finanzielle Erfordernis einer Arbeitsloſenverſicherung annähernd zu ſchätzen. Ohne eine durchgreifende öffentliche Arbeitsvermittlung ließe ſich auf dem Gebiete der Arbeitsloſenfürſorge nichts Beſſeres er- reichen als das Surrogat — ein ſachlich unzureichen- des Genter Syſtem. Das belgiſche (oder Genter) Syſtem, die älteſte öffentlich-rechtliche Hilfsorgani- ſation, beruht auf den Grundſätzen: 1. Die Gewerk- ſchaften der Arbeiter ſollen ſelbſt ihre arbeitsloſen Mitglieder unterſtützen, 2. hierzu aber aus öffent- lichen Mitteln Zuſchüſſe erhalten. Unter unſeren Verhältniſſen hätte ſomit die Regierung zu leiſten: 1. die Ausführung aller im Budget bewilligten Ar- beiten mit möglichſter Beſchleunigung; 2. Einfluß- nahme, damit Länder und Städte das nämliche tun und überdies Notſtandsarbeiten unternehmen; 3. Schaffung einer ſtaatlich geregelten, paritätiſch ver- walteten Arbeitsvermittlung; 4. Verhandlungen mit Städten, damit dieſe außerhalb der Armenpflege Arbeitsloſenunterſtützungen auszahlen unter Ent- gegennahme eines ſtaatlichen Zuſchuſſes hierzu. — So alſo Profeſſor Dr. Schwiedland. Die Arbeits- loſenfürſorge iſt aber ein Kapitel, welches tief hin- eingreift in gegenſätzliche ſoziale und politiſche An- ſchauungen, die ſich nur ſehr ſchwer oder gar nicht auf ein gemeinſames Ziel vereinen laſſen wollen. Dem Lande iſt dieſe brennende Frage völlig fremd; ſie lebt nur in den Städten. Die Landwirtſchaft entbehrt oft der notwendigſten Kräfte, weil alles in die Städte läuft, einer oft unſicheren Zukunft ent- gegen und dort das Heer der Arbeitsloſen ver- mehrend. Eine Arbeitsloſenfürſorge in den Städten müßte demnach derart beſchaffen ſein, daß ſie nicht eine Art Prämie für die Landflucht bildet, denn in dieſem Falle würde ſie eine noch ſtärkere Landflucht erzeugen und das, was ſie bekämpfen ſoll, noch ver- größern. Schon dieſer Umſtand läßt erkennen, welche ſtarken Schwierigkeiten ſich einer be- friedigenden Löſung dieſer wichtigen Frage der Arbeitsloſenfürſorge entgegenſtellen, wie verwickelt und in ſeinen Folgewirkungen ſo hochbedeutſam der Komplex aller jener Fragen iſt, die mit der Arbeits- laſenfürſorge moraliſch und materiell zuſammen- hängen. Fürſtin Morrow. Roman von Karl Meiſner. 3 (Nachdruck verboten.) „Bitte, gehen Sie noch nicht fort, bleiben Sie hier“, bat ſie. „Nur jetzt entſchuldigen Sie mich einige Augenblicke, ich bin in kurzer Zeit wieder bei Ihnen.“ Damit verſchwand ſie eiligen Schritts in einem Seitengemach. Kara hatte ſich noch nicht ganz von dem Er- ſtaunen über die plötzliche Aufregung der Fürſtin erholt, als die große Türe geöffnet ward und Graf Lemuroff eintrat, der bei dem Anblick des jungen Mädchens ſtutzte und verlegen um ſich blickte, als ſuche er die Herrin dieſes Raumes. Auch Kara war ſehr verlegen geworden, als ſie auf den erſten Blick den jungen Herrn wiedererkannte, der ihrem Vater den Diamanten verkaufen wollte. Eine brennende Röte überzog ihr Geſichtchen und ver- mehrte noch ihre Befangenheit. Kaum konnte ſie den höflichen Grnß des Grafen formgewandt er- widern. „Verzeihen Sie, Fräulein Pitras, daß ich un- angemeldet hier eingetreten bin. Aber ich glaubte die Fürſtin allein, und als altbekannter Freund des Hanſes bedarf ich weiter keiner Anmeldung. Ich wundere mich, Sie hier zu ſehen.“ „Ich habe das beſtellte Armband abgeliefert“, flüſterte Kara kaum vernehmlich. „Ach ja, ganz recht, ich war ja ſelbſt dabei, wie der Schmuck beſtellt wurde. Doch, wo iſt die Fürſtin?“ „Dort im Zimmer, ſie wird ſogleich zurück- kommen.“ „Fräulein“, begann der Graf in peinlicher Verwirrung, „ich habe heute mittag bei Ihrem Vater ein Geſchäft abgeſchloſſen, von dem ich wünſchen muß, daß es geheim bleibt. Vor- allen Dingen darf die Fürſtin Morrow garnichts davon er- fahren.“ „Selbſtredend, Herr Graf, bleibt das abge- ſchoſſene Geſchäft ein Geheimnis. Auch ohne daß Sie mich beſonders darauf hinwieſen, hätte ich nie darüber geſprochen, auch mit der Fürſtin nicht. Wir machen uns ſtets des Vertrauens würdig, das man in uns ſetzt.“ „Verzeihen Sie, Fräulein Pitras, ich zweifle nicht daran, aber die Angelegenheit iſt für mich von ſolcher Wichtigkeit, daß ich Sie ausdrücklich um Ihr Ehrenwort bitte.“ „Ich gebe es Ihnen hiermit, Herr Graf, gleich- zeitig auch im Namen meines Vaters.“ Der Graf ſah ſie dankbar an, ergriff ihre kleine Hand und drückte leiſe einen Kuß darauf. Kara erglühte und ein leichtes Beben durchzitterte ihren Körper. Bisher hatte ſie noch kein junger Mann berührt, geſchweige denn geküßt. Deshalb brannte dieſer erſte Kuß wie Feuer und ließ ihre Pulſe heftig ſchlagen. Paul Lemuroffs Blick hing wie gebannt an der anmutigen Erſcheinung Karas, die ausſah, als gehöre ſie durch ihre Geburt in dieſe Räume, in denen ſie ſich gerade befanden. Beide ſchwiegen, aber in ihren Herzen redete eine Stimme, die mächtiger war als die Worte des Mundes hätten ſein können. Plötzlich trat die Fürſtin ein, immer noch erregt. Als ſie den Grafen erblickte, zwang ſie ein Lächeln auf ihre Züge, das aber ihrer wahren Gemütsſtimmung fern lag und deshalb auch nicht ihre Züge verſchönte, wie es ſonſt der Fall war. „Entſchuldigen Sie mich einen Augenblick, lieber Graf, ich habe mit der Tochter meines Ju- weliers noch einige Worte zu reden. Ich kehre gleich zu Ihnen zurück.“ „Bitte, Fürſtin, ordnen Sie Ihre Geſchäfte, ich werde mich zurückziehen.“ „Nicht doch, lieber Graf! Dort ſteht mein Piano, das erſt heute morgen aus Paris hier eingetroffen iſt. Phantaſieren Sie ein wenig darauf. Aber ſpielen Sie, bitte, laut, und ſagen mir dann Ihr Urteil, denn Sie ſind ja Kenner.“ Die Fürſtin ergriff Karas Hand und zog das junge Mädchln in das Zimmer, aus dem ſie ſoeben getreten war. Als ſich die Türe geſchloſſen hatte, lauſchte Fürſtin Morrow — die Töne des Pianos wurden hörbar. Befriedigt wandte ſie ſich an Kara, die ſie erwartungsvoll anſchaute. „Mein liebes Kind, hören Sie gut zu, was ich Ihnen jetzt zu ſagen haben werde. Ich möchte Sie um einen Dienſt bitten, den ich nur einer vertrauten Freundin übertragen kann. Sie werden

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 50, Marburg, 05.05.1914, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger50_1914/1>, abgerufen am 28.03.2024.