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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 29. Köln, 29. Juni 1848.

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[Französische Republik]
Paris.

Schluß der Sitzung der Nationalversammlung vom 25. Juni. Die Zugänge sind mit Kanonen und einer enormen Truppenmacht besetzt. In den Seitengängen des Sitzungssaals wird eine Protestation der Bürger gegen das Dekret, das Paris in Belagerungszustand setzt, lebhaft besprochen. Um 31/4 Uhr ist die Sitzung wieder eröffnet.

Georges Lafayette, Vicepräsident: Bürger Ducoux hat das Wort, um der Versammlung Neuigkeiten mitzutheilen.

Ducoux mit der dreifarbigen Schürze umgürtet, besteigt die Tribüne:

Ich war von der Zahl der mit Durchlaufung der verschiedenen Viertel der Hauptstadt beauftragten Deputirten. Auf allen Punkten ist die Insurrektion zurückgedrängt; 5000 Musketen wenigstens sind von der Nationalgarde weggenommen und man kann auf baldige Rückkehr der Ordnung rechnen. In der Straße du Temple und in den Umgebungen des Clos St. Lazare, hat sich das Geniekorps, unterstützt von den Sapeurs-Pompiers, aller Positionen bemächtigt. Die Nationalgarden von St. Denis, die weder mit Paris noch mit der Armee in Verbindung treten konnten, haben uns ihre Dienste angeboten, mit der Versicherung, daß sie die Insurrektion vollständig beherrschten. Ein Theil der Nationalgarde von Rouen, die von der Insurrektion umzingelt war, ist befreit. Wir wissen auch, daß eine Menge Leute von La Vilette und den Umgebungen von Paris, durch Gerüchte aller Art getäuscht, und namentlich durch sehr böswillige Aeußerungen gegen die Nationalgarde, freiwillig ihren Irrthum erkannt haben. Die Nationalgarde von Paris selbst, die von Betäubung geschlagen zu sein schien .... (Heftiges Murren.)

Eine Menge Stimmen: Zur Ordnung!

Eine Stimme: Sie haben die Nationalgarde also nicht am Werk gesehn!

Ducoux: Ich bedaure eine unglückliche Redewendung, die mir entschlüpft ist. Das Wort "stupeur" (Betäubung) hat mehrere Bedeutungen: Erstaunen, Ueberraschung, und nicht allein Entmuthigung. Mit einem Wort, es schien, daß die Nationalgarde, ausschließlich in ihren Vierteln den Dienst versehend, sich nicht um die Vertheidiger des Landes agglomerirte; heute existirt diese Agglomeration.

Mehrere Stimmen: Sie hat immer existirt.

La Rochejaquelin: Ich verlange das Wort. (Nein! Nein!)

Duclerc: Keine Unterbrechung.

Ducoux: Die Nationalgarden antworten dem an sie erlassenen Appell. (Mehre Stimmen: Immer! Immer!)

Der Präsident giebt der Nationalgarde ein Testimonium der Bravour.

Ein Mitglied: Die Nationalgarde bedarf keiner Vertheidigung. (Die Versammlung erhebt sich en masse und schreit: Es lebe die Nationalgarde!)

Duclerc Finanzminister: Was der Herr Präsident sagt, überhebt mich weiterer Auseinandersetzungen. Ist irgend etwas zu bedauern, so ist es, daß, sei es von Seite der Nationalgarde, sei es von Seite der Insurgenten, mit zu viel Raserei und Wuth gekämpft worden ist. (Verlängerter Skandal und Geschrei: Zur Ordnung!) Die Nationalversammlung erhebt sich en masse mit dem Schrei: Es lebe die Nationalgarde!

Der Ruf zur Ordnung ertönt von neuem.

Eine Stimme: Die neue Phrase ist nicht glücklicher gewählt als die alte.

Duclerc: Meine Herren! Theilt nicht Jeder meine Empfindung? Sie haben mich falsch verstanden oder ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich bestieg die Tribüne, um gegen eine der Nationalgarde verdrießliche Aeußerung zu protestiren. Mein Gedanke war einfach der: Ich bedaure aus tiefster Seele das vergossene Blut.

La Rochejaquelin: Nein! Ich will diesen schmerzlichen Zwischenvorfall nicht erneuern.

Eine Stimme: Gut denn! Verlängren Sie ihn nicht! Schweigen Sie!

Präsident: Die Wiederaufnahme der Sitzung bezweckte nur, die Berichte des Bürgers Ducoux zu vernehmen.

Zahlreiche Stimmen: Schluß.

Stimme der äußersten Linken: Nein! Nein! laßt sprechen!

Ein Mitglied: Wenn La Rochejaquelin Thatsachen zu berichten, wenn er eine neue Mittheilung zu machen hat, so kann er sprechen.

Tascherau: Ich verlange, daß der Bürger La Rochejaquelin dem Präsidenten den Gegenstand mittheilt, wofür er das Wort reklamirt.

La Rochejaquelin: Wie? In einem solchen Augenblick dürfte ich eine vielleicht nützliche Meinung der Kammer nicht mittheilen?

Von allen Seiten: Genug, genug! Schluß!

Auf der äußersten Linken: Sprechen Sie! Sprechen Sie!

La Rochejaquelin: Man muß alle schlechten Leidenschaften zum Schweigen bringen und keinen Vorwand den fluchenswerthen Eindrücken lassen, deren Kundgebung dem Lande unaussprechliche Schmerzen bereitet. Ich verlange, daß man das Wort aufhören macht, das überall mitten unter der exaltirten Bevölkerung ausgestreute Wort: Wehe den Besiegten!

Zahlreiche Stimmen: Zur Ordnung!

Eine Stimme: Die Sieger sind nicht weniger unglücklich.

La Rochejaquelin: Meine Herren, die Versammlung muß mit Nachdruck eine so traurige Sprache Lügen strafen. Ich verlange, daß man wohl einsehe (genug! genug!), daß wir in diesem feierlichen Augenblick Worte der Versöhnung und der Milde vernehmen lassen müssen.

Zahlreiche Stimmen: Sie hätten besser gethan, sich des Sprechens zu enthalten.

Andere Stimmen: Keine aufreizenden Worte.

Ein Mitglied der äußersten Linken: Man unterbricht unaufhörlich die Redner. Die Freiheit der Tribüne existirt nicht mehr.

Larochejaquelin, auf seine frühere Aeußerung zurückkommend:

Ich verlange, daß die Versammlung durch ihre Worte solche Infamien bekämpft, und mit Indignation solche elende Aeußerungen zurückweist. (Genug, genug! Schluß!)

Mehre Mitglieder: Die Nationalversammlung braucht keine gehäßigen Deutungen zurückzuweisen. Ihre Gefühls- und Denkweise ist hinlänglich bekannt. (Ja wohl! Hinlänglich bekannt!)

La Rochejaquelin: Man klagt uns an . . . . . (Nein! Nein!)

Der Redner steigt von der Tribüne herab.

Heinrich Didier und pere Flocon besteigen gleichzeitig die Tribüne, aber die Versammlung verläßt ihre Bänke und verlangt die Suspension der Sitzung.

Der Präsident: Die Sitzung ist bis 8 Uhr Abends suspendirt. Großer Tumult in den Seitengängen zur Linken. Eine Gruppe bildet sich um die Herren Raynal, La Rochejaquelin und andre Repräsentanten, die mit Energie sprechen und gestikuliren. In Folge dieser Unterhaltung verfällt Herr Raynal in epileptische Krämpfe und wird von seinen Kollegen auf den Sitz eines der Huissiers geschleppt.

Um 51/4 Uhr wird die Sitzung wiedereröffnet.

Präsident Senard: Ich empfange so eben einen Brief vom Bürger Marrast, Maire von Paris. Ich verlese ihn ganz.

Hotel de Ville. 3 Uhr Nachmittags.

"Bürger-Präsident!"

"Ich beeile mich Ihnen anzuzeigen, daß die von uns gestern ergriffene Offensive diesen Morgen mit großer Energie ausgeführt und überall mit Erfolg gekrönt wird. Unsere Kolonnen bemächtigen sich des furchtbarsten und schwer zugänglichsten Punktes der Insurrektion. Die Mairie des 9. Arrondissements und die benachbarten Straßen sind Schritt für Schritt wiedererobert worden. Furchtbare Barrikaden wurden weggenommen nach heftigen Kämpfen und schmerzlichen Verlusten; aber die unglaubliche Erbitterung der Insurgenten mußte zurückweichen vor der heroischen Unerschrockenheit unserer Truppen. (Einstimmige Zeichen der Zufriedenheit.)

"Ich kann in diesem Augenblicke keine ausführlichen Details geben: aber, damit man über die Schwierigkeiten des Kampfes ein Urtheil fällen kann, bemerke ich nur, daß in der Mehrzahl der langen, engen und mit Barrikaden bedeckten Straßen, die vom Hotel de Ville nach der Straße St. Antoine führen, die Insurgenten sich fast aller Häuser bemächtigt und ihre Fensteröffnungen ausgepolstert hatten und von da fast sicher zielten; auch sind unsere Verluste beträchtlich und herzzerreißend.

Die Mobilgarde und Linie haben jedes einzelne Haus belagern müssen, und was ihr Werk noch gefahrvoller machte, die Insurgenten hatten unter den besagten Häusern inwendige Verbindungen hergestellt, so daß sie sich durch verdeckte Gänge von einem äußern Punkte bis zum Centrum begeben konnten, wo eine Reihe von Barrikaden sie beschützte. Aus jedem Viertel hatten sie eine ungeheure Festung gemacht, die man Stein für Stein zerstören mußte. Das erklärt die Zeit und den Preis, den das uns kostet. Unsere Kolonnen sind gegenwärtig im Anmarsch gegen den Place des Vosges, um die Mairie des 8. Arrondissements wieder zu nehmen und das letzte Asyl der Insurrektion. im Faubourg St. Antoine anzugreifen. Ich hoffe, daß der Widerstand hier schwach sein wird, wenigstens schwächer, als der, den wir so sehr zu bedauern haben. Ich habe das Vertrauen, daß wir damit diesen Abend fertig werden. (Sehr wohl.)"

Nachschrift. Ein Bericht, den ich so eben empfange, meldet mir, daß man die Barrikade gestürmt hat, die uns seit heute Morgen aufhielt. Unsre Truppen kamen bis zur Brücke de Daniette, deren zwei Endpunkte sie besetzten. Wir schicken eine Verstärkung, um die Kaserne des Celestins wegzunehmen. Alles geht einem glücklichen Schluß zu; aber leider, unsere Hospitäler, unsere Feldlazarethe sind überfüllt, und nie war das Pflaster von Paris von so viel Blut geröthet."

Gleichzeitig, fährt der Präsident fort, mit dieser tröstlichen Nachricht empfingen wir von andern Punkten nicht minder tröstliche Nachrichten. Fast alle Punkte, wo sich die Insurgenten verschanzt, sind im Besitz unserer Truppen. Mehre unserer Kollegen wenden alle Sorge auf, um die Insurrektion zu unterdrücken und durch ihre Ermahnungen Unglückliche zurückzuführen zu versuchen, die die Waffen ergriffen, ohne den Zweck zu kennen, dem sie zustreben.

Mehre Stimmen: Die Mehrzahl der Kerls sind Galeerensklaven und entlassene Sträflinge; sie wollen nichts als Plünderung.

Andre Stimme: Sie sind bezahlt vom Ausland, von den Parteigängern Heinrich des Fünften oder von den Bonapartisten.

Der Präsident: Ich will sagen, daß sie unwissentlich den Verfechtern der Anarchie oder des Despotismus dienen. Wir können nicht genug die trügerische Maske der Menschen lüften, die diese Unglücklichen aufregen, welche man zu acharnirten Kämpfen verleitet. (!)

Gräuliche Gerüchte waren hinter den Barrikaden ausgestreut. Man sagte den Insurgenten: Vertheidigt euch, vertheidigt euch, bis zum letzten Augenblick. Ergebt ihr euch, so wird man euch niedermetzeln. Diese Gerüchte kommen uns nicht nur durch Polizeiberichte zu, sie sind uns verbürgt durch Repräsentanten, die die Posten besucht und diese Gerüchte aus dem Munde der Gefangenen vernommen haben. Diese Thatsache wird mir bezeugt durch den Brief eines unserer Collegen, des Bürgers Waldeck - Rousseau. Der General Caivagnac und ich, wir haben das einzig mögliche Mittel ergriffen, um solch gräulichen Betrug Lügen zu strafen. Wir haben bis hinter die Barrikaden Proklamationen geworfen. Unsere letzte Proklamation lautete wie folgt: Arbeiter

[Französische Republik]
Paris.

Schluß der Sitzung der Nationalversammlung vom 25. Juni. Die Zugänge sind mit Kanonen und einer enormen Truppenmacht besetzt. In den Seitengängen des Sitzungssaals wird eine Protestation der Bürger gegen das Dekret, das Paris in Belagerungszustand setzt, lebhaft besprochen. Um 31/4 Uhr ist die Sitzung wieder eröffnet.

Georges Lafayette, Vicepräsident: Bürger Ducoux hat das Wort, um der Versammlung Neuigkeiten mitzutheilen.

Ducoux mit der dreifarbigen Schürze umgürtet, besteigt die Tribüne:

Ich war von der Zahl der mit Durchlaufung der verschiedenen Viertel der Hauptstadt beauftragten Deputirten. Auf allen Punkten ist die Insurrektion zurückgedrängt; 5000 Musketen wenigstens sind von der Nationalgarde weggenommen und man kann auf baldige Rückkehr der Ordnung rechnen. In der Straße du Temple und in den Umgebungen des Clos St. Lazare, hat sich das Geniekorps, unterstützt von den Sapeurs-Pompiers, aller Positionen bemächtigt. Die Nationalgarden von St. Denis, die weder mit Paris noch mit der Armee in Verbindung treten konnten, haben uns ihre Dienste angeboten, mit der Versicherung, daß sie die Insurrektion vollständig beherrschten. Ein Theil der Nationalgarde von Rouen, die von der Insurrektion umzingelt war, ist befreit. Wir wissen auch, daß eine Menge Leute von La Vilette und den Umgebungen von Paris, durch Gerüchte aller Art getäuscht, und namentlich durch sehr böswillige Aeußerungen gegen die Nationalgarde, freiwillig ihren Irrthum erkannt haben. Die Nationalgarde von Paris selbst, die von Betäubung geschlagen zu sein schien .... (Heftiges Murren.)

Eine Menge Stimmen: Zur Ordnung!

Eine Stimme: Sie haben die Nationalgarde also nicht am Werk gesehn!

Ducoux: Ich bedaure eine unglückliche Redewendung, die mir entschlüpft ist. Das Wort „stupeur“ (Betäubung) hat mehrere Bedeutungen: Erstaunen, Ueberraschung, und nicht allein Entmuthigung. Mit einem Wort, es schien, daß die Nationalgarde, ausschließlich in ihren Vierteln den Dienst versehend, sich nicht um die Vertheidiger des Landes agglomerirte; heute existirt diese Agglomeration.

Mehrere Stimmen: Sie hat immer existirt.

La Rochejaquelin: Ich verlange das Wort. (Nein! Nein!)

Duclerc: Keine Unterbrechung.

Ducoux: Die Nationalgarden antworten dem an sie erlassenen Appell. (Mehre Stimmen: Immer! Immer!)

Der Präsident giebt der Nationalgarde ein Testimonium der Bravour.

Ein Mitglied: Die Nationalgarde bedarf keiner Vertheidigung. (Die Versammlung erhebt sich en masse und schreit: Es lebe die Nationalgarde!)

Duclerc Finanzminister: Was der Herr Präsident sagt, überhebt mich weiterer Auseinandersetzungen. Ist irgend etwas zu bedauern, so ist es, daß, sei es von Seite der Nationalgarde, sei es von Seite der Insurgenten, mit zu viel Raserei und Wuth gekämpft worden ist. (Verlängerter Skandal und Geschrei: Zur Ordnung!) Die Nationalversammlung erhebt sich en masse mit dem Schrei: Es lebe die Nationalgarde!

Der Ruf zur Ordnung ertönt von neuem.

Eine Stimme: Die neue Phrase ist nicht glücklicher gewählt als die alte.

Duclerc: Meine Herren! Theilt nicht Jeder meine Empfindung? Sie haben mich falsch verstanden oder ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich bestieg die Tribüne, um gegen eine der Nationalgarde verdrießliche Aeußerung zu protestiren. Mein Gedanke war einfach der: Ich bedaure aus tiefster Seele das vergossene Blut.

La Rochejaquelin: Nein! Ich will diesen schmerzlichen Zwischenvorfall nicht erneuern.

Eine Stimme: Gut denn! Verlängren Sie ihn nicht! Schweigen Sie!

Präsident: Die Wiederaufnahme der Sitzung bezweckte nur, die Berichte des Bürgers Ducoux zu vernehmen.

Zahlreiche Stimmen: Schluß.

Stimme der äußersten Linken: Nein! Nein! laßt sprechen!

Ein Mitglied: Wenn La Rochejaquelin Thatsachen zu berichten, wenn er eine neue Mittheilung zu machen hat, so kann er sprechen.

Tascherau: Ich verlange, daß der Bürger La Rochejaquelin dem Präsidenten den Gegenstand mittheilt, wofür er das Wort reklamirt.

La Rochejaquelin: Wie? In einem solchen Augenblick dürfte ich eine vielleicht nützliche Meinung der Kammer nicht mittheilen?

Von allen Seiten: Genug, genug! Schluß!

Auf der äußersten Linken: Sprechen Sie! Sprechen Sie!

La Rochejaquelin: Man muß alle schlechten Leidenschaften zum Schweigen bringen und keinen Vorwand den fluchenswerthen Eindrücken lassen, deren Kundgebung dem Lande unaussprechliche Schmerzen bereitet. Ich verlange, daß man das Wort aufhören macht, das überall mitten unter der exaltirten Bevölkerung ausgestreute Wort: Wehe den Besiegten!

Zahlreiche Stimmen: Zur Ordnung!

Eine Stimme: Die Sieger sind nicht weniger unglücklich.

La Rochejaquelin: Meine Herren, die Versammlung muß mit Nachdruck eine so traurige Sprache Lügen strafen. Ich verlange, daß man wohl einsehe (genug! genug!), daß wir in diesem feierlichen Augenblick Worte der Versöhnung und der Milde vernehmen lassen müssen.

Zahlreiche Stimmen: Sie hätten besser gethan, sich des Sprechens zu enthalten.

Andere Stimmen: Keine aufreizenden Worte.

Ein Mitglied der äußersten Linken: Man unterbricht unaufhörlich die Redner. Die Freiheit der Tribüne existirt nicht mehr.

Larochejaquelin, auf seine frühere Aeußerung zurückkommend:

Ich verlange, daß die Versammlung durch ihre Worte solche Infamien bekämpft, und mit Indignation solche elende Aeußerungen zurückweist. (Genug, genug! Schluß!)

Mehre Mitglieder: Die Nationalversammlung braucht keine gehäßigen Deutungen zurückzuweisen. Ihre Gefühls- und Denkweise ist hinlänglich bekannt. (Ja wohl! Hinlänglich bekannt!)

La Rochejaquelin: Man klagt uns an . . . . . (Nein! Nein!)

Der Redner steigt von der Tribüne herab.

Heinrich Didier und pére Flocon besteigen gleichzeitig die Tribüne, aber die Versammlung verläßt ihre Bänke und verlangt die Suspension der Sitzung.

Der Präsident: Die Sitzung ist bis 8 Uhr Abends suspendirt. Großer Tumult in den Seitengängen zur Linken. Eine Gruppe bildet sich um die Herren Raynal, La Rochejaquelin und andre Repräsentanten, die mit Energie sprechen und gestikuliren. In Folge dieser Unterhaltung verfällt Herr Raynal in epileptische Krämpfe und wird von seinen Kollegen auf den Sitz eines der Huissiers geschleppt.

Um 51/4 Uhr wird die Sitzung wiedereröffnet.

Präsident Senard: Ich empfange so eben einen Brief vom Bürger Marrast, Maire von Paris. Ich verlese ihn ganz.

Hotel de Ville. 3 Uhr Nachmittags.

„Bürger-Präsident!“

„Ich beeile mich Ihnen anzuzeigen, daß die von uns gestern ergriffene Offensive diesen Morgen mit großer Energie ausgeführt und überall mit Erfolg gekrönt wird. Unsere Kolonnen bemächtigen sich des furchtbarsten und schwer zugänglichsten Punktes der Insurrektion. Die Mairie des 9. Arrondissements und die benachbarten Straßen sind Schritt für Schritt wiedererobert worden. Furchtbare Barrikaden wurden weggenommen nach heftigen Kämpfen und schmerzlichen Verlusten; aber die unglaubliche Erbitterung der Insurgenten mußte zurückweichen vor der heroischen Unerschrockenheit unserer Truppen. (Einstimmige Zeichen der Zufriedenheit.)

„Ich kann in diesem Augenblicke keine ausführlichen Details geben: aber, damit man über die Schwierigkeiten des Kampfes ein Urtheil fällen kann, bemerke ich nur, daß in der Mehrzahl der langen, engen und mit Barrikaden bedeckten Straßen, die vom Hotel de Ville nach der Straße St. Antoine führen, die Insurgenten sich fast aller Häuser bemächtigt und ihre Fensteröffnungen ausgepolstert hatten und von da fast sicher zielten; auch sind unsere Verluste beträchtlich und herzzerreißend.

Die Mobilgarde und Linie haben jedes einzelne Haus belagern müssen, und was ihr Werk noch gefahrvoller machte, die Insurgenten hatten unter den besagten Häusern inwendige Verbindungen hergestellt, so daß sie sich durch verdeckte Gänge von einem äußern Punkte bis zum Centrum begeben konnten, wo eine Reihe von Barrikaden sie beschützte. Aus jedem Viertel hatten sie eine ungeheure Festung gemacht, die man Stein für Stein zerstören mußte. Das erklärt die Zeit und den Preis, den das uns kostet. Unsere Kolonnen sind gegenwärtig im Anmarsch gegen den Place des Vosges, um die Mairie des 8. Arrondissements wieder zu nehmen und das letzte Asyl der Insurrektion. im Faubourg St. Antoine anzugreifen. Ich hoffe, daß der Widerstand hier schwach sein wird, wenigstens schwächer, als der, den wir so sehr zu bedauern haben. Ich habe das Vertrauen, daß wir damit diesen Abend fertig werden. (Sehr wohl.)“

Nachschrift. Ein Bericht, den ich so eben empfange, meldet mir, daß man die Barrikade gestürmt hat, die uns seit heute Morgen aufhielt. Unsre Truppen kamen bis zur Brücke de Daniette, deren zwei Endpunkte sie besetzten. Wir schicken eine Verstärkung, um die Kaserne des Célestins wegzunehmen. Alles geht einem glücklichen Schluß zu; aber leider, unsere Hospitäler, unsere Feldlazarethe sind überfüllt, und nie war das Pflaster von Paris von so viel Blut geröthet.“

Gleichzeitig, fährt der Präsident fort, mit dieser tröstlichen Nachricht empfingen wir von andern Punkten nicht minder tröstliche Nachrichten. Fast alle Punkte, wo sich die Insurgenten verschanzt, sind im Besitz unserer Truppen. Mehre unserer Kollegen wenden alle Sorge auf, um die Insurrektion zu unterdrücken und durch ihre Ermahnungen Unglückliche zurückzuführen zu versuchen, die die Waffen ergriffen, ohne den Zweck zu kennen, dem sie zustreben.

Mehre Stimmen: Die Mehrzahl der Kerls sind Galeerensklaven und entlassene Sträflinge; sie wollen nichts als Plünderung.

Andre Stimme: Sie sind bezahlt vom Ausland, von den Parteigängern Heinrich des Fünften oder von den Bonapartisten.

Der Präsident: Ich will sagen, daß sie unwissentlich den Verfechtern der Anarchie oder des Despotismus dienen. Wir können nicht genug die trügerische Maske der Menschen lüften, die diese Unglücklichen aufregen, welche man zu acharnirten Kämpfen verleitet. (!)

Gräuliche Gerüchte waren hinter den Barrikaden ausgestreut. Man sagte den Insurgenten: Vertheidigt euch, vertheidigt euch, bis zum letzten Augenblick. Ergebt ihr euch, so wird man euch niedermetzeln. Diese Gerüchte kommen uns nicht nur durch Polizeiberichte zu, sie sind uns verbürgt durch Repräsentanten, die die Posten besucht und diese Gerüchte aus dem Munde der Gefangenen vernommen haben. Diese Thatsache wird mir bezeugt durch den Brief eines unserer Collegen, des Bürgers Waldeck ‒ Rousseau. Der General Caivagnac und ich, wir haben das einzig mögliche Mittel ergriffen, um solch gräulichen Betrug Lügen zu strafen. Wir haben bis hinter die Barrikaden Proklamationen geworfen. Unsere letzte Proklamation lautete wie folgt: Arbeiter

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          <p><hi rendition="#g">Tascherau:</hi> Ich verlange, daß der Bürger La                         Rochejaquelin dem Präsidenten den Gegenstand mittheilt, wofür er das Wort                         reklamirt.</p>
          <p><hi rendition="#g">La Rochejaquelin:</hi> Wie? In einem solchen Augenblick                         dürfte ich eine vielleicht nützliche Meinung der Kammer nicht                         mittheilen?</p>
          <p><hi rendition="#g">Von allen Seiten:</hi> Genug, genug! Schluß!</p>
          <p><hi rendition="#g">Auf der äußersten Linken:</hi> Sprechen Sie! Sprechen                         Sie!</p>
          <p><hi rendition="#g">La Rochejaquelin:</hi> Man muß alle schlechten                         Leidenschaften zum Schweigen bringen und keinen Vorwand den fluchenswerthen                         Eindrücken lassen, deren Kundgebung dem Lande unaussprechliche Schmerzen                         bereitet. Ich verlange, daß man das Wort aufhören macht, das überall mitten                         unter der exaltirten Bevölkerung ausgestreute Wort: <hi rendition="#g">Wehe                             den Besiegten!</hi></p>
          <p><hi rendition="#g">Zahlreiche Stimmen:</hi> Zur Ordnung!</p>
          <p><hi rendition="#g">Eine Stimme:</hi> Die Sieger sind nicht weniger                         unglücklich.</p>
          <p><hi rendition="#g">La Rochejaquelin:</hi> Meine Herren, die Versammlung muß                         mit Nachdruck eine so traurige Sprache Lügen strafen. Ich verlange, daß man                         wohl einsehe (genug! genug!), daß wir in diesem feierlichen Augenblick Worte                         der Versöhnung und der Milde vernehmen lassen müssen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Zahlreiche Stimmen:</hi> Sie hätten besser gethan, sich                         des Sprechens zu enthalten.</p>
          <p><hi rendition="#g">Andere Stimmen:</hi> Keine aufreizenden Worte.</p>
          <p><hi rendition="#g">Ein Mitglied der äußersten Linken:</hi> Man unterbricht                         unaufhörlich die Redner. Die Freiheit der Tribüne existirt nicht mehr.</p>
          <p><hi rendition="#g">Larochejaquelin,</hi> auf seine frühere Aeußerung                         zurückkommend:</p>
          <p>Ich verlange, daß die Versammlung durch ihre Worte solche Infamien bekämpft,                         und mit Indignation solche elende Aeußerungen zurückweist. (Genug, genug!                         Schluß!)</p>
          <p><hi rendition="#g">Mehre Mitglieder:</hi> Die Nationalversammlung braucht                         keine gehäßigen Deutungen zurückzuweisen. <hi rendition="#g">Ihre Gefühls-                             und Denkweise ist hinlänglich bekannt.</hi> (Ja wohl! Hinlänglich                         bekannt!)</p>
          <p><hi rendition="#g">La Rochejaquelin:</hi> Man klagt uns an . . . . . (Nein!                         Nein!)</p>
          <p>Der Redner steigt von der Tribüne herab.</p>
          <p><hi rendition="#g">Heinrich Didier</hi> und pére <hi rendition="#g">Flocon</hi> besteigen gleichzeitig die Tribüne, aber die Versammlung                         verläßt ihre Bänke und verlangt die Suspension der Sitzung.</p>
          <p><hi rendition="#g">Der Präsident:</hi> Die Sitzung ist bis 8 Uhr Abends                         suspendirt. Großer Tumult in den Seitengängen zur Linken. Eine Gruppe bildet                         sich um die Herren Raynal, La Rochejaquelin und andre Repräsentanten, die                         mit Energie sprechen und gestikuliren. In Folge dieser Unterhaltung verfällt                         Herr Raynal in epileptische Krämpfe und wird von seinen Kollegen auf den                         Sitz eines der Huissiers geschleppt.</p>
          <p>Um 51/4 Uhr wird die Sitzung wiedereröffnet.</p>
          <p>Präsident <hi rendition="#g">Senard:</hi> Ich empfange so eben einen Brief                         vom Bürger Marrast, Maire von Paris. Ich verlese ihn ganz.</p>
          <p> <hi rendition="#g">Hotel de Ville. 3 Uhr Nachmittags.</hi> </p>
          <p>&#x201E;Bürger-Präsident!&#x201C;</p>
          <p>&#x201E;Ich beeile mich Ihnen anzuzeigen, daß die von uns gestern ergriffene                         Offensive diesen Morgen mit großer Energie ausgeführt und überall mit Erfolg                         gekrönt wird. Unsere Kolonnen bemächtigen sich des furchtbarsten und schwer                         zugänglichsten Punktes der Insurrektion. Die Mairie des 9. Arrondissements                         und die benachbarten Straßen sind Schritt für Schritt wiedererobert worden.                         Furchtbare Barrikaden wurden weggenommen nach heftigen Kämpfen und                         schmerzlichen Verlusten; aber die unglaubliche Erbitterung der Insurgenten                         mußte zurückweichen vor der heroischen Unerschrockenheit unserer Truppen.                         (Einstimmige Zeichen der Zufriedenheit.)</p>
          <p>&#x201E;Ich kann in diesem Augenblicke keine ausführlichen Details geben: aber,                         damit man über die Schwierigkeiten des Kampfes ein Urtheil fällen kann,                         bemerke ich nur, daß in der Mehrzahl der langen, engen und mit Barrikaden                         bedeckten Straßen, die vom Hotel de Ville nach der Straße St. Antoine                         führen, die Insurgenten sich fast aller Häuser bemächtigt und ihre                         Fensteröffnungen ausgepolstert hatten und von da fast sicher zielten; auch                         sind unsere Verluste beträchtlich und herzzerreißend.</p>
          <p>Die Mobilgarde und Linie haben jedes einzelne Haus belagern müssen, und was                         ihr Werk noch gefahrvoller machte, die Insurgenten hatten unter den besagten                         Häusern inwendige Verbindungen hergestellt, so daß sie sich durch verdeckte                         Gänge von einem äußern Punkte bis zum Centrum begeben konnten, wo eine Reihe                         von Barrikaden sie beschützte. Aus jedem Viertel hatten sie eine ungeheure                         Festung gemacht, die man Stein für Stein zerstören mußte. Das erklärt die                         Zeit und den Preis, den das uns kostet. Unsere Kolonnen sind gegenwärtig im                         Anmarsch gegen den Place des Vosges, um die Mairie des 8. Arrondissements                         wieder zu nehmen und das letzte Asyl der Insurrektion. im Faubourg St.                         Antoine anzugreifen. Ich hoffe, daß der Widerstand hier schwach sein wird,                         wenigstens schwächer, als der, den wir so sehr zu bedauern haben. Ich habe                         das Vertrauen, daß wir damit diesen Abend fertig werden. (Sehr wohl.)&#x201C;</p>
          <p><hi rendition="#g">Nachschrift.</hi> Ein Bericht, den ich so eben empfange,                         meldet mir, daß man die Barrikade gestürmt hat, die uns seit heute Morgen                         aufhielt. Unsre Truppen kamen bis zur Brücke de Daniette, deren zwei                         Endpunkte sie besetzten. Wir schicken eine Verstärkung, um die Kaserne des                         Célestins wegzunehmen. Alles geht einem glücklichen Schluß zu; aber leider,                         unsere Hospitäler, unsere Feldlazarethe sind überfüllt, und nie war das                         Pflaster von Paris von so viel Blut geröthet.&#x201C;</p>
          <p>Gleichzeitig, fährt der Präsident fort, mit dieser tröstlichen Nachricht                         empfingen wir von andern Punkten nicht minder tröstliche Nachrichten. Fast                         alle Punkte, wo sich die Insurgenten verschanzt, sind im Besitz unserer                         Truppen. Mehre unserer Kollegen wenden alle Sorge auf, um die Insurrektion                         zu unterdrücken und durch ihre Ermahnungen Unglückliche zurückzuführen zu                         versuchen, die die Waffen ergriffen, ohne den Zweck zu kennen, dem sie                         zustreben.</p>
          <p><hi rendition="#g">Mehre Stimmen:</hi> Die Mehrzahl der Kerls sind                         Galeerensklaven und entlassene Sträflinge; sie wollen nichts als                         Plünderung.</p>
          <p><hi rendition="#g">Andre Stimme:</hi> Sie sind bezahlt vom Ausland, von den                         Parteigängern Heinrich des Fünften oder von den Bonapartisten.</p>
          <p><hi rendition="#g">Der Präsident:</hi> Ich will sagen, daß sie unwissentlich                         den Verfechtern der Anarchie oder des Despotismus dienen. Wir können nicht                         genug die trügerische Maske der Menschen lüften, die diese Unglücklichen                         aufregen, welche man zu <hi rendition="#g">acharnirten Kämpfen                             verleitet.</hi> (!)</p>
          <p>Gräuliche Gerüchte waren hinter den Barrikaden ausgestreut. Man sagte den                         Insurgenten: Vertheidigt euch, vertheidigt euch, bis zum letzten Augenblick.                         Ergebt ihr euch, so wird man euch niedermetzeln. Diese Gerüchte kommen uns                         nicht nur durch Polizeiberichte zu, sie sind uns verbürgt durch                         Repräsentanten, die die Posten besucht und diese Gerüchte aus dem Munde der                         Gefangenen vernommen haben. Diese Thatsache wird mir bezeugt durch den Brief                         eines unserer Collegen, des Bürgers Waldeck &#x2012; Rousseau. Der General                         Caivagnac und ich, wir haben das einzig mögliche Mittel ergriffen, um solch                         gräulichen Betrug Lügen zu strafen. Wir haben bis hinter die Barrikaden                         Proklamationen geworfen. Unsere letzte Proklamation lautete wie folgt:                         Arbeiter
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138/0002] [Französische Republik] Paris. Schluß der Sitzung der Nationalversammlung vom 25. Juni. Die Zugänge sind mit Kanonen und einer enormen Truppenmacht besetzt. In den Seitengängen des Sitzungssaals wird eine Protestation der Bürger gegen das Dekret, das Paris in Belagerungszustand setzt, lebhaft besprochen. Um 31/4 Uhr ist die Sitzung wieder eröffnet. Georges Lafayette, Vicepräsident: Bürger Ducoux hat das Wort, um der Versammlung Neuigkeiten mitzutheilen. Ducoux mit der dreifarbigen Schürze umgürtet, besteigt die Tribüne: Ich war von der Zahl der mit Durchlaufung der verschiedenen Viertel der Hauptstadt beauftragten Deputirten. Auf allen Punkten ist die Insurrektion zurückgedrängt; 5000 Musketen wenigstens sind von der Nationalgarde weggenommen und man kann auf baldige Rückkehr der Ordnung rechnen. In der Straße du Temple und in den Umgebungen des Clos St. Lazare, hat sich das Geniekorps, unterstützt von den Sapeurs-Pompiers, aller Positionen bemächtigt. Die Nationalgarden von St. Denis, die weder mit Paris noch mit der Armee in Verbindung treten konnten, haben uns ihre Dienste angeboten, mit der Versicherung, daß sie die Insurrektion vollständig beherrschten. Ein Theil der Nationalgarde von Rouen, die von der Insurrektion umzingelt war, ist befreit. Wir wissen auch, daß eine Menge Leute von La Vilette und den Umgebungen von Paris, durch Gerüchte aller Art getäuscht, und namentlich durch sehr böswillige Aeußerungen gegen die Nationalgarde, freiwillig ihren Irrthum erkannt haben. Die Nationalgarde von Paris selbst, die von Betäubung geschlagen zu sein schien .... (Heftiges Murren.) Eine Menge Stimmen: Zur Ordnung! Eine Stimme: Sie haben die Nationalgarde also nicht am Werk gesehn! Ducoux: Ich bedaure eine unglückliche Redewendung, die mir entschlüpft ist. Das Wort „stupeur“ (Betäubung) hat mehrere Bedeutungen: Erstaunen, Ueberraschung, und nicht allein Entmuthigung. Mit einem Wort, es schien, daß die Nationalgarde, ausschließlich in ihren Vierteln den Dienst versehend, sich nicht um die Vertheidiger des Landes agglomerirte; heute existirt diese Agglomeration. Mehrere Stimmen: Sie hat immer existirt. La Rochejaquelin: Ich verlange das Wort. (Nein! Nein!) Duclerc: Keine Unterbrechung. Ducoux: Die Nationalgarden antworten dem an sie erlassenen Appell. (Mehre Stimmen: Immer! Immer!) Der Präsident giebt der Nationalgarde ein Testimonium der Bravour. Ein Mitglied: Die Nationalgarde bedarf keiner Vertheidigung. (Die Versammlung erhebt sich en masse und schreit: Es lebe die Nationalgarde!) Duclerc Finanzminister: Was der Herr Präsident sagt, überhebt mich weiterer Auseinandersetzungen. Ist irgend etwas zu bedauern, so ist es, daß, sei es von Seite der Nationalgarde, sei es von Seite der Insurgenten, mit zu viel Raserei und Wuth gekämpft worden ist. (Verlängerter Skandal und Geschrei: Zur Ordnung!) Die Nationalversammlung erhebt sich en masse mit dem Schrei: Es lebe die Nationalgarde! Der Ruf zur Ordnung ertönt von neuem. Eine Stimme: Die neue Phrase ist nicht glücklicher gewählt als die alte. Duclerc: Meine Herren! Theilt nicht Jeder meine Empfindung? Sie haben mich falsch verstanden oder ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich bestieg die Tribüne, um gegen eine der Nationalgarde verdrießliche Aeußerung zu protestiren. Mein Gedanke war einfach der: Ich bedaure aus tiefster Seele das vergossene Blut. La Rochejaquelin: Nein! Ich will diesen schmerzlichen Zwischenvorfall nicht erneuern. Eine Stimme: Gut denn! Verlängren Sie ihn nicht! Schweigen Sie! Präsident: Die Wiederaufnahme der Sitzung bezweckte nur, die Berichte des Bürgers Ducoux zu vernehmen. Zahlreiche Stimmen: Schluß. Stimme der äußersten Linken: Nein! Nein! laßt sprechen! Ein Mitglied: Wenn La Rochejaquelin Thatsachen zu berichten, wenn er eine neue Mittheilung zu machen hat, so kann er sprechen. Tascherau: Ich verlange, daß der Bürger La Rochejaquelin dem Präsidenten den Gegenstand mittheilt, wofür er das Wort reklamirt. La Rochejaquelin: Wie? In einem solchen Augenblick dürfte ich eine vielleicht nützliche Meinung der Kammer nicht mittheilen? Von allen Seiten: Genug, genug! Schluß! Auf der äußersten Linken: Sprechen Sie! Sprechen Sie! La Rochejaquelin: Man muß alle schlechten Leidenschaften zum Schweigen bringen und keinen Vorwand den fluchenswerthen Eindrücken lassen, deren Kundgebung dem Lande unaussprechliche Schmerzen bereitet. Ich verlange, daß man das Wort aufhören macht, das überall mitten unter der exaltirten Bevölkerung ausgestreute Wort: Wehe den Besiegten! Zahlreiche Stimmen: Zur Ordnung! Eine Stimme: Die Sieger sind nicht weniger unglücklich. La Rochejaquelin: Meine Herren, die Versammlung muß mit Nachdruck eine so traurige Sprache Lügen strafen. Ich verlange, daß man wohl einsehe (genug! genug!), daß wir in diesem feierlichen Augenblick Worte der Versöhnung und der Milde vernehmen lassen müssen. Zahlreiche Stimmen: Sie hätten besser gethan, sich des Sprechens zu enthalten. Andere Stimmen: Keine aufreizenden Worte. Ein Mitglied der äußersten Linken: Man unterbricht unaufhörlich die Redner. Die Freiheit der Tribüne existirt nicht mehr. Larochejaquelin, auf seine frühere Aeußerung zurückkommend: Ich verlange, daß die Versammlung durch ihre Worte solche Infamien bekämpft, und mit Indignation solche elende Aeußerungen zurückweist. (Genug, genug! Schluß!) Mehre Mitglieder: Die Nationalversammlung braucht keine gehäßigen Deutungen zurückzuweisen. Ihre Gefühls- und Denkweise ist hinlänglich bekannt. (Ja wohl! Hinlänglich bekannt!) La Rochejaquelin: Man klagt uns an . . . . . (Nein! Nein!) Der Redner steigt von der Tribüne herab. Heinrich Didier und pére Flocon besteigen gleichzeitig die Tribüne, aber die Versammlung verläßt ihre Bänke und verlangt die Suspension der Sitzung. Der Präsident: Die Sitzung ist bis 8 Uhr Abends suspendirt. Großer Tumult in den Seitengängen zur Linken. Eine Gruppe bildet sich um die Herren Raynal, La Rochejaquelin und andre Repräsentanten, die mit Energie sprechen und gestikuliren. In Folge dieser Unterhaltung verfällt Herr Raynal in epileptische Krämpfe und wird von seinen Kollegen auf den Sitz eines der Huissiers geschleppt. Um 51/4 Uhr wird die Sitzung wiedereröffnet. Präsident Senard: Ich empfange so eben einen Brief vom Bürger Marrast, Maire von Paris. Ich verlese ihn ganz. Hotel de Ville. 3 Uhr Nachmittags. „Bürger-Präsident!“ „Ich beeile mich Ihnen anzuzeigen, daß die von uns gestern ergriffene Offensive diesen Morgen mit großer Energie ausgeführt und überall mit Erfolg gekrönt wird. Unsere Kolonnen bemächtigen sich des furchtbarsten und schwer zugänglichsten Punktes der Insurrektion. Die Mairie des 9. Arrondissements und die benachbarten Straßen sind Schritt für Schritt wiedererobert worden. Furchtbare Barrikaden wurden weggenommen nach heftigen Kämpfen und schmerzlichen Verlusten; aber die unglaubliche Erbitterung der Insurgenten mußte zurückweichen vor der heroischen Unerschrockenheit unserer Truppen. (Einstimmige Zeichen der Zufriedenheit.) „Ich kann in diesem Augenblicke keine ausführlichen Details geben: aber, damit man über die Schwierigkeiten des Kampfes ein Urtheil fällen kann, bemerke ich nur, daß in der Mehrzahl der langen, engen und mit Barrikaden bedeckten Straßen, die vom Hotel de Ville nach der Straße St. Antoine führen, die Insurgenten sich fast aller Häuser bemächtigt und ihre Fensteröffnungen ausgepolstert hatten und von da fast sicher zielten; auch sind unsere Verluste beträchtlich und herzzerreißend. Die Mobilgarde und Linie haben jedes einzelne Haus belagern müssen, und was ihr Werk noch gefahrvoller machte, die Insurgenten hatten unter den besagten Häusern inwendige Verbindungen hergestellt, so daß sie sich durch verdeckte Gänge von einem äußern Punkte bis zum Centrum begeben konnten, wo eine Reihe von Barrikaden sie beschützte. Aus jedem Viertel hatten sie eine ungeheure Festung gemacht, die man Stein für Stein zerstören mußte. Das erklärt die Zeit und den Preis, den das uns kostet. Unsere Kolonnen sind gegenwärtig im Anmarsch gegen den Place des Vosges, um die Mairie des 8. Arrondissements wieder zu nehmen und das letzte Asyl der Insurrektion. im Faubourg St. Antoine anzugreifen. Ich hoffe, daß der Widerstand hier schwach sein wird, wenigstens schwächer, als der, den wir so sehr zu bedauern haben. Ich habe das Vertrauen, daß wir damit diesen Abend fertig werden. (Sehr wohl.)“ Nachschrift. Ein Bericht, den ich so eben empfange, meldet mir, daß man die Barrikade gestürmt hat, die uns seit heute Morgen aufhielt. Unsre Truppen kamen bis zur Brücke de Daniette, deren zwei Endpunkte sie besetzten. Wir schicken eine Verstärkung, um die Kaserne des Célestins wegzunehmen. Alles geht einem glücklichen Schluß zu; aber leider, unsere Hospitäler, unsere Feldlazarethe sind überfüllt, und nie war das Pflaster von Paris von so viel Blut geröthet.“ Gleichzeitig, fährt der Präsident fort, mit dieser tröstlichen Nachricht empfingen wir von andern Punkten nicht minder tröstliche Nachrichten. Fast alle Punkte, wo sich die Insurgenten verschanzt, sind im Besitz unserer Truppen. Mehre unserer Kollegen wenden alle Sorge auf, um die Insurrektion zu unterdrücken und durch ihre Ermahnungen Unglückliche zurückzuführen zu versuchen, die die Waffen ergriffen, ohne den Zweck zu kennen, dem sie zustreben. Mehre Stimmen: Die Mehrzahl der Kerls sind Galeerensklaven und entlassene Sträflinge; sie wollen nichts als Plünderung. Andre Stimme: Sie sind bezahlt vom Ausland, von den Parteigängern Heinrich des Fünften oder von den Bonapartisten. Der Präsident: Ich will sagen, daß sie unwissentlich den Verfechtern der Anarchie oder des Despotismus dienen. Wir können nicht genug die trügerische Maske der Menschen lüften, die diese Unglücklichen aufregen, welche man zu acharnirten Kämpfen verleitet. (!) Gräuliche Gerüchte waren hinter den Barrikaden ausgestreut. Man sagte den Insurgenten: Vertheidigt euch, vertheidigt euch, bis zum letzten Augenblick. Ergebt ihr euch, so wird man euch niedermetzeln. Diese Gerüchte kommen uns nicht nur durch Polizeiberichte zu, sie sind uns verbürgt durch Repräsentanten, die die Posten besucht und diese Gerüchte aus dem Munde der Gefangenen vernommen haben. Diese Thatsache wird mir bezeugt durch den Brief eines unserer Collegen, des Bürgers Waldeck ‒ Rousseau. Der General Caivagnac und ich, wir haben das einzig mögliche Mittel ergriffen, um solch gräulichen Betrug Lügen zu strafen. Wir haben bis hinter die Barrikaden Proklamationen geworfen. Unsere letzte Proklamation lautete wie folgt: Arbeiter

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 29. Köln, 29. Juni 1848, S. 0138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz029_1848/2>, abgerufen am 16.04.2024.