Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.

Bild:
<< vorherige Seite

Und reiß dein murrend Heer
Zum Ganges hin, bis ans entfernte Meer!

Du kämpfest überall, und siegest, wo du kämpfest,
Bis du der Barbarn Stolz, voll größern Stolzes, dämpfest,
Und die verheerte Welt
Vor ihrem Feind gefesselt niederfällt.
-- -- --
Mit Lorbeern wird von ihr der beßre Held bekränzet,
Der für das Vaterland in furchtbarn Waffen glänzet,
Und über Feinde siegt,
Nicht Feinde sucht, nicht unbeleidigt kriegt.
-- -- --
Der ächte Menschenfreund, der bloß aus Menschenliebe
Die Völker glücklich macht, und gern verborgen bliebe;
Der nicht um schnöden Lohn,
Nein, göttlich liebt, wie du, Timoleon!
Zu dir schrie Syrakus, als unter Schutt und Flammen
Und Leichen, die zerfleischt in eignem Blute schwammen,
Der wilde Dionys
Sein eisern Joch unleidlich fühlen ließ.
Du kamst, und stürzest ihn, zum Schrecken der Tyrannen,
Wie wenn ein Wintersturm die Königinn der Tannen
Aus tiefen Wurzeln hebt,
Von ihrem Fall ein weit Gebirge bebt.
Die schöne Unordnung.

Wenn man von der schönen Unordnung in einer Ode redet, so versteht man darunter die Verknüpfung der gemahlten Empfindungen, also die Folge des schönen Verhältnisses der Bilder in einer Ode. Man hat diese Eigenschaft deswegen so genennt, weil sie mit den auf einander folgenden Gedanken und Schlüssen in der Seele nicht eben die Regeln beobachtet. Und es wäre der größte Fehler, wenn sie dieses thäte. In Betracht der Entwicklung der Affekten ist sie die vollkommenste Ordnung. In der Ode muß eine Unordnung herrschen. Die Ode ist ein lebhaftes Gemälde der Affekten; also der auf einander folgenden Empfindungen im Affekt, diese aber sind der Folge der Vorstellungen, in genaue-

Und reiß dein murrend Heer
Zum Ganges hin, bis ans entfernte Meer!

Du kämpfest überall, und siegest, wo du kämpfest,
Bis du der Barbarn Stolz, voll größern Stolzes, dämpfest,
Und die verheerte Welt
Vor ihrem Feind gefesselt niederfällt.
— — —
Mit Lorbeern wird von ihr der beßre Held bekränzet,
Der für das Vaterland in furchtbarn Waffen glänzet,
Und über Feinde siegt,
Nicht Feinde sucht, nicht unbeleidigt kriegt.
— — —
Der ächte Menschenfreund, der bloß aus Menschenliebe
Die Völker glücklich macht, und gern verborgen bliebe;
Der nicht um schnöden Lohn,
Nein, göttlich liebt, wie du, Timoleon!
Zu dir schrie Syrakus, als unter Schutt und Flammen
Und Leichen, die zerfleischt in eignem Blute schwammen,
Der wilde Dionys
Sein eisern Joch unleidlich fühlen ließ.
Du kamst, und stürzest ihn, zum Schrecken der Tyrannen,
Wie wenn ein Wintersturm die Königinn der Tannen
Aus tiefen Wurzeln hebt,
Von ihrem Fall ein weit Gebirge bebt.
Die schöne Unordnung.

Wenn man von der schönen Unordnung in einer Ode redet, so versteht man darunter die Verknüpfung der gemahlten Empfindungen, also die Folge des schönen Verhältnisses der Bilder in einer Ode. Man hat diese Eigenschaft deswegen so genennt, weil sie mit den auf einander folgenden Gedanken und Schlüssen in der Seele nicht eben die Regeln beobachtet. Und es wäre der größte Fehler, wenn sie dieses thäte. In Betracht der Entwicklung der Affekten ist sie die vollkommenste Ordnung. In der Ode muß eine Unordnung herrschen. Die Ode ist ein lebhaftes Gemälde der Affekten; also der auf einander folgenden Empfindungen im Affekt, diese aber sind der Folge der Vorstellungen, in genaue-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <pb facs="#f0011" n="161"/>
              <l>Und reiß dein murrend Heer</l><lb/>
              <l>Zum Ganges hin, bis ans entfernte Meer!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Du kämpfest überall, und siegest, wo du kämpfest,</l><lb/>
              <l>Bis du der Barbarn Stolz, voll größern Stolzes, dämpfest,</l><lb/>
              <l>Und die verheerte Welt</l><lb/>
              <l>Vor ihrem Feind gefesselt niederfällt.</l><lb/>
              <l>&#x2014; &#x2014; &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Mit Lorbeern wird von ihr der beßre Held bekränzet,</l><lb/>
              <l>Der für das Vaterland in furchtbarn Waffen glänzet,</l><lb/>
              <l>Und über Feinde siegt,</l><lb/>
              <l>Nicht Feinde sucht, nicht unbeleidigt kriegt.</l><lb/>
              <l>&#x2014; &#x2014; &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>Der ächte Menschenfreund, der bloß aus Menschenliebe</l><lb/>
              <l>Die Völker glücklich macht, und gern verborgen bliebe;</l><lb/>
              <l>Der nicht um schnöden Lohn,</l><lb/>
              <l>Nein, göttlich liebt, wie du, Timoleon!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Zu dir schrie Syrakus, als unter Schutt und Flammen</l><lb/>
              <l>Und Leichen, die zerfleischt in eignem Blute schwammen,</l><lb/>
              <l>Der wilde Dionys</l><lb/>
              <l>Sein eisern Joch unleidlich fühlen ließ.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Du kamst, und stürzest ihn, zum Schrecken der Tyrannen,</l><lb/>
              <l>Wie wenn ein Wintersturm die Königinn der Tannen</l><lb/>
              <l>Aus tiefen Wurzeln hebt,</l><lb/>
              <l>Von ihrem Fall ein weit Gebirge bebt.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#c">Die schöne Unordnung.</hi> </head>
          <p>  Wenn man von der <hi rendition="#fr">schönen Unordnung</hi> in einer Ode redet, so   versteht man darunter die Verknüpfung der gemahlten Empfindungen,   also die Folge des schönen Verhältnisses der Bilder in einer   Ode. Man hat diese Eigenschaft deswegen so genennt, weil sie mit den auf   einander folgenden Gedanken und Schlüssen in der Seele nicht eben   die Regeln beobachtet. Und es wäre der größte Fehler,   wenn sie dieses thäte. In Betracht der Entwicklung der Affekten   ist sie die vollkommenste <hi rendition="#fr">Ordnung</hi>. In der Ode muß eine   Unordnung herrschen. Die Ode ist ein lebhaftes Gemälde der Affekten;   also der auf einander folgenden Empfindungen im Affekt, diese aber sind der   Folge der Vorstellungen, in genaue-
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0011] Und reiß dein murrend Heer Zum Ganges hin, bis ans entfernte Meer! Du kämpfest überall, und siegest, wo du kämpfest, Bis du der Barbarn Stolz, voll größern Stolzes, dämpfest, Und die verheerte Welt Vor ihrem Feind gefesselt niederfällt. — — — Mit Lorbeern wird von ihr der beßre Held bekränzet, Der für das Vaterland in furchtbarn Waffen glänzet, Und über Feinde siegt, Nicht Feinde sucht, nicht unbeleidigt kriegt. — — — Der ächte Menschenfreund, der bloß aus Menschenliebe Die Völker glücklich macht, und gern verborgen bliebe; Der nicht um schnöden Lohn, Nein, göttlich liebt, wie du, Timoleon! Zu dir schrie Syrakus, als unter Schutt und Flammen Und Leichen, die zerfleischt in eignem Blute schwammen, Der wilde Dionys Sein eisern Joch unleidlich fühlen ließ. Du kamst, und stürzest ihn, zum Schrecken der Tyrannen, Wie wenn ein Wintersturm die Königinn der Tannen Aus tiefen Wurzeln hebt, Von ihrem Fall ein weit Gebirge bebt. Die schöne Unordnung. Wenn man von der schönen Unordnung in einer Ode redet, so versteht man darunter die Verknüpfung der gemahlten Empfindungen, also die Folge des schönen Verhältnisses der Bilder in einer Ode. Man hat diese Eigenschaft deswegen so genennt, weil sie mit den auf einander folgenden Gedanken und Schlüssen in der Seele nicht eben die Regeln beobachtet. Und es wäre der größte Fehler, wenn sie dieses thäte. In Betracht der Entwicklung der Affekten ist sie die vollkommenste Ordnung. In der Ode muß eine Unordnung herrschen. Die Ode ist ein lebhaftes Gemälde der Affekten; also der auf einander folgenden Empfindungen im Affekt, diese aber sind der Folge der Vorstellungen, in genaue-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-16T15:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-16T15:00:00Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/11
Zitationshilfe: [N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177, hier S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/11>, abgerufen am 29.03.2024.