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[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.

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Die Unordnung ist größer, wenn mehrere kleine Bilder, die in einem andern Gedichte Schönheiten gewesen wären, übergangen worden; wenn Dinge mit einander verbunden werden, die sich einander aufzuheben scheinen, und wenn die Verknüpfung derselben schöner ist.

Die Kürze.

In dem Enthusiasmus wird die Seele plötzlich von dem Gegenstande hingerissen, sie heftet sich an demselben an, und wird ganz innere Empfindung. Die Bilder sind alsdann von einer so großen Lebhaftigkeit, daß sie in diesem Zustande sich nicht lange befinden kann, ohne niederzusinken und matt zu werden. Der Enthusiasmus kann also nicht lange dauren. Die Ode spricht allezeit begeistert. Also muß sie verhältnißmäßig kurz seyn. Es ist wahr, man hat Oden, die an Länge noch ein Lehrgedicht übertreffen; allein man frage seine eigne Empfindungen, wenn man dergleichen lieset, ob nicht der Affekt nach und nach aufhört; ob nicht diese Gedichte mehr die kalte Miene des Dogmatischen, als die glühende Hitze des Affekts haben.

Eine Ode, die einen einfachen, reinen Affekt hat, muß kürzer seyn als die, wo ein zusammengesetzter, ein vermischter herrscht. Aus dieser Eigenschaft mit der unmittelbar vorhergehenden verbunden, fließt ein Begriff der Ode. Es ist folgender: Die Ode ist ein kurzes Gedicht, worinn eine schöne Unordnung herrscht.

Die Wahrscheinlichkeit.

Diese Wahrscheinlichkeit ist von derjenigen, die andern Gedichten eigen ist, verschieden; so wie sich die Ode von diesen Gedichten unterscheidet. Wir verstehen darunter die Wahrscheinlichkeit der Empfindungen oder des Affekts. Sie besteht darinn: wenn der Gegenstand einen gewissen Affekt hat verursachen können, (Wahrscheinlichkeit der Veranlassung) wenn die Bilder mit dem Affekt übereinstimmen, (Wahrscheinlichkeit des Gemäldes; wenn die Bilder unter einander

Die Unordnung ist größer, wenn mehrere kleine Bilder, die in einem andern Gedichte Schönheiten gewesen wären, übergangen worden; wenn Dinge mit einander verbunden werden, die sich einander aufzuheben scheinen, und wenn die Verknüpfung derselben schöner ist.

Die Kürze.

In dem Enthusiasmus wird die Seele plötzlich von dem Gegenstande hingerissen, sie heftet sich an demselben an, und wird ganz innere Empfindung. Die Bilder sind alsdann von einer so großen Lebhaftigkeit, daß sie in diesem Zustande sich nicht lange befinden kann, ohne niederzusinken und matt zu werden. Der Enthusiasmus kann also nicht lange dauren. Die Ode spricht allezeit begeistert. Also muß sie verhältnißmäßig kurz seyn. Es ist wahr, man hat Oden, die an Länge noch ein Lehrgedicht übertreffen; allein man frage seine eigne Empfindungen, wenn man dergleichen lieset, ob nicht der Affekt nach und nach aufhört; ob nicht diese Gedichte mehr die kalte Miene des Dogmatischen, als die glühende Hitze des Affekts haben.

Eine Ode, die einen einfachen, reinen Affekt hat, muß kürzer seyn als die, wo ein zusammengesetzter, ein vermischter herrscht. Aus dieser Eigenschaft mit der unmittelbar vorhergehenden verbunden, fließt ein Begriff der Ode. Es ist folgender: Die Ode ist ein kurzes Gedicht, worinn eine schöne Unordnung herrscht.

Die Wahrscheinlichkeit.

Diese Wahrscheinlichkeit ist von derjenigen, die andern Gedichten eigen ist, verschieden; so wie sich die Ode von diesen Gedichten unterscheidet. Wir verstehen darunter die Wahrscheinlichkeit der Empfindungen oder des Affekts. Sie besteht darinn: wenn der Gegenstand einen gewissen Affekt hat verursachen können, (Wahrscheinlichkeit der Veranlassung) wenn die Bilder mit dem Affekt übereinstimmen, (Wahrscheinlichkeit des Gemäldes; wenn die Bilder unter einander

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[163/0013] Die Unordnung ist größer, wenn mehrere kleine Bilder, die in einem andern Gedichte Schönheiten gewesen wären, übergangen worden; wenn Dinge mit einander verbunden werden, die sich einander aufzuheben scheinen, und wenn die Verknüpfung derselben schöner ist. Die Kürze. In dem Enthusiasmus wird die Seele plötzlich von dem Gegenstande hingerissen, sie heftet sich an demselben an, und wird ganz innere Empfindung. Die Bilder sind alsdann von einer so großen Lebhaftigkeit, daß sie in diesem Zustande sich nicht lange befinden kann, ohne niederzusinken und matt zu werden. Der Enthusiasmus kann also nicht lange dauren. Die Ode spricht allezeit begeistert. Also muß sie verhältnißmäßig kurz seyn. Es ist wahr, man hat Oden, die an Länge noch ein Lehrgedicht übertreffen; allein man frage seine eigne Empfindungen, wenn man dergleichen lieset, ob nicht der Affekt nach und nach aufhört; ob nicht diese Gedichte mehr die kalte Miene des Dogmatischen, als die glühende Hitze des Affekts haben. Eine Ode, die einen einfachen, reinen Affekt hat, muß kürzer seyn als die, wo ein zusammengesetzter, ein vermischter herrscht. Aus dieser Eigenschaft mit der unmittelbar vorhergehenden verbunden, fließt ein Begriff der Ode. Es ist folgender: Die Ode ist ein kurzes Gedicht, worinn eine schöne Unordnung herrscht. Die Wahrscheinlichkeit. Diese Wahrscheinlichkeit ist von derjenigen, die andern Gedichten eigen ist, verschieden; so wie sich die Ode von diesen Gedichten unterscheidet. Wir verstehen darunter die Wahrscheinlichkeit der Empfindungen oder des Affekts. Sie besteht darinn: wenn der Gegenstand einen gewissen Affekt hat verursachen können, (Wahrscheinlichkeit der Veranlassung) wenn die Bilder mit dem Affekt übereinstimmen, (Wahrscheinlichkeit des Gemäldes; wenn die Bilder unter einander

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Zitationshilfe: [N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177, hier S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/13>, abgerufen am 16.04.2024.