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St. Galler Volksblatt. Nr. 47, Uznach, 14. 06. 1899.

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Nr. 47 Uznach, Mittwoch den 14. Juni 1899. 44. Jahrgang.


St. Galler Volksblatt.
Publikations-Organ der Bezirke See und Gaster.
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Und der Erfolg?



Drei Wochen schon sind sie beisammen
Die Herren Vertreter im Haag
Und beraten, was wohl für Europa
Das Edelste, Beste sein mag.
Drei Wochen schon lesen sie Akten
Und schreiben und sprechen gar viel,
Und doch sind sie nicht einmal einig
Ueber s'Wichtigste, über das Ziel.
In subtilen Subkommissionen
Wird die Sache zergliedert, zerstückt,
Und immer ist 's Ende vom Liede:
"Uns're Sendung ist heillos verzwickt."
"Abrüsten," so heißt wohl der Titel
Auf jedweder Instruktion;
Doch meint damit jeder den andern,
Er selbst will nichts wissen davon.
Und glaubt ihr, den Herren Vertretern
Stieg die Röte darob zu Gesicht?
Bewahre, die schwefeln und faseln
Und wursteln und schämen sich nicht.
Sie melden, die Welt zu täuschen,
Die Beschlüsse seien geheim
Und meinen, es gehen dann alle
Auf den diplomatischen Leim.
Ich glaube, am Ende vom Liede
Wird eines bekannt nur der Welt:
Es verschlang die Friedensversammlung
Umsonst ein schreckliches Geld.
Und nachher bleibt's wieder beim Alten,
Bei der alten Katzennatur --
Sie heucheln wohl Freundschaft und Frieden,
Und im Stillen raubzügeln sie nur.



Die nationalste Kirche. [...]



Erst durch das Christentum ist der rechte Nationalitätsbegriff
in die Welt gekommen und nur durch die katholische Kirche, als
der echten Erbin des Urchristentums, kann dieser Nationalitäts-
begriff in seinem wahren und gesunden Wesen forterhalten werden.

Das Wort Nation, National, wird nämlich außer der Kirche
stets viel zu eng, zu klein, zu gering gefaßt. Kirchtumspolitik,
Ländligeist, Dorfpolitik nennt man das im Kleinen, im Großen
heißt es Chauvinismus. Thatsächlich haben sich alle Konfessionen,
welche sich von der katholischen Kirche trennten, mit diesem über-
triebenen Nationalitätshumbug befaßt, haben die Länderfarben noch
tiefer gefärbt, die Nachbarn noch mehr gegeneinander gereizt und
sind sogleich zu so kleinen und verbissenen Parteien geworden,
daß man bald nicht mehr wußte, ob man sie nach ihrer Politik
oder nach ihrem Credo im Religiösen beurteilen solle. Die Ge-
schichte, welche seit der Glaubensspaltung die Blätter des Histo-
rikers füllt, zeigt auf jeder Seite, wie z. B. Luthers, Zwinglis,
Calvins Lehre in ein politisches System auswuchs, und wie der
Protestantismus Frankreichs, Hollands, Schwedens und der deutschen
Fürstentümer sogleich ein landesfürstliches, enggeknöpftes Amtskleid
anziehen mußte, das einer Religion denn doch schon dem Begriffe
nach nicht anstand. Da haben wir einen Grund, warum die
katholische Kirche die nationalste aller Kirchen ist; die anderen
Kirchen und Kirchlein haben das Wort Nation "verzwergen",
verkrüppeln lassen, indem sie ihre Konfession an das politische
System und an die politische Kleinlichkeit ihres Fürstentums ketteten,
statt umgekehrt das nationale, politische Leben an die Größe der
Religion und an ihre weit umfassenderen Bahnen zu gewöhnen.
Nation ist der Inbegriff alles dessen, was einem gesonderten
Staats- und Volkstum an Kraft, Interessen, Unternehmungen,
Vorzügen, Schwächen, Plänen und Absichten, an Kunst, Litte-
ratur, Gewerbe, Kapital und besonders auch an heimatlichem
Boden, worauf das ganze nationale Gebäude abstellt, eigen und
eigentümlich ist. Eine Religion nun -- und dies soll unsere obigen
Sätze erklären -- kann je nach ihrer Beschaffenheit diesen natio-
nalen Begriff stärken und ausbilden oder auch verringern und
verflachen. Im Wesen des Nationalen liegt die Gefahr zu einer ge-
wissen selbstsüchtigen Abschließung vor den andern, zu einer gewissen
Einseitigkeit in den staatlichen Formen, zu einer ungesunden Aus-
bildung einzelner Eigentümlichkeiten und staatlichen Formen. Das
ist genau dasselbe wie beim einzelnen Menschen, dem keine Be-
rührung und kein Umgang mit anderen Menschen die Härten und
Ecken abschleift und der schließlich ein Sonderling wird. Einen
Sonderling kann ich nun doch nicht für eine besonders vollkommen
entwickelte Individualität halten, sondern für eine Verkrüppelung
derselben muß ich sie notwendig erachten. Auch eine Nation wird
durch zähe politische und formale Verknöcherung nicht nationaler,
sondern verbildet.

Nun, sehe man sich die neuen Kirchen seit der Glaubens-
trennung an! Ihr Wesen ist die Trennung, das Absondern vom
übrigen, das sich Zerteilen und Zersplittern. Die Geburt des Luther-
tums war schon eine solche Trennung von der großen Gesamt-
heit und seither hat dasselbe seinen Ursprung nie verleugnet, son-
dern sich beständig durch Zerteilen und Zerstückeln charakterisiert.
Diese Teilchen und Stücklein -- Sektionen oder Sekten --
zählen heute nach hunderten, und der lutherische Grundstock ist
[Spaltenumbruch] jämmerlich zusammengeschmolzen. Genau so verhält es sich bei
den übrigen Konfessionen, ihre wesentliche und historische Tendenz
heißt Zersplitterung. Wie kann nun eine solche Glaubensform
den Geist einer Nation erweitern, da ihr Geist sich immer ver-
engert, wie kann sie ihn stärken, da sie sich immer mehr abschwächt,
wie in großem Rahmen zusammenhalten, da sie in immer kleinere
Partieen zerfällt, wie vertiefen, da sie von ihren Grundgedanken
immer mehr preisgibt? Gibt es ein engherzigeres, politisch reli-
giöses System, als die Hugenotten eines schrieben? Wir ehren
ihre vielfach zu Tage getretenen Tugenden in der Verfolgung,
wir anerkennen ihr freilich irrendes Bekennertum, wo es in guten
Treuen handelte, und wir mißbilligen sehr die damalige gehässige
Staatsraison Frankreichs. Aber wir wiederholen, gab es ein eng-
herzigeres, sonderlingsmäßigeres, politisch-religiöses Stätlein je im
Staate als dieses? Die unparteiische Geschichte sagt nein oder
-- höchstenfalls noch in den deutschprotestantischen Fürstentümern.

Das verhält sich nun mit der katholischen Kirche ganz
anders. Sie ist etwas völkerbindendes, allgemeines. Sie ist De-
mokratie im schönsten Sinne des Wortes, die ihr geringstes Glied
zum höchsten befähigt und ist doch auch vollendete Monarchie, da
in einheitlicher Harmonie des obersten Willens alles nach Stufen
und Rangfolge bis zum Sitze des Papstes gegliedert und dort
die Summe der Macht gehäuft ist. Sonach kann sich jede Repu-
blik, jede Monarchie an ihr Muster halten. Muster? Jawohl!
Denn dies geben unsere Gegner selber zu, daß der katholische
Reichsbau, ob mit demokratischem oder monarchischem Auge be-
sehen, eine unvergleichliche Architektonik erzeigt. -- Die katholische
Kirche hat auch hohe Ziele, in ihrem Wesen steckt nicht die Ten-
denz der Zerteilung, sondern der Vereinigung, ihr Gedanke ist
nicht das Zersplittern in kleinste Sektionen, sondern das Verbinden
zum einen, größten Ganzen, jenem großen Ganzen, welches die
hl. Schrift das "omnes unum" und den einen Schafstall
nennt. Jeder Katholik ist insofern Weltbürger und kann der na-
tionalen Eigenheit wenigstens nicht soweit nachgeben, daß er ihren
Grillen der Absonderung folgte. Es treibt auch seine Politik,
seine Nationalität auf die weitesten und edelsten Wege der An-
passung an andere, der Duldung anderer, der gütlichen Vereini-
gung mit andern. Am Fürstenstuhl, an der Lakaienlivree, an der
selbstsüchtigen Staatsraison blieb der Katholizismus nie haften.
Wollte man ihn dazu zwingen, so gab es ernsthaften Krieg mit
dem Staate, der nicht mehr das Nationale, sondern das Unnatio-
nale repräsentierte, seitdem er das katholische Leitmotiv aus seiner
Geschichte gerissen hatte. Warum bekam unsere Kirche so manchen
Krieg mit den Fürsten, mit den Diplomaten, indessen der Pro-
testantismus ganz ordentlich auskam? Warum stand das Volk
meist auf ihrer Seite? Ich denke mir, die Antwort sei gegeben.

Aber auf der ganzen Welt gibt es keine Religion, welche,
indem sie einerseits den Mißwachs der Nationalität hindert, ihre
echte und rechte Ausbildung und Kräftigung so sehr förderte.
Oder wer pflegt denn mit eifersüchtigerer Sorge die Familie, als
sie! Und aus der Familie entsteht die Völkergemeinde. Wer hebt
die Ehe so hoch, die Pflicht der Subordination, wer hat eine so
tiefe und weise theologische Ausführung über den Ursprung, Be-
griff und Umfang der Staats- und Fürstengewalt in ihr Lehr-
buch geschrieben wie sie? Aber das sind doch die Säulen einer
Nation. Wer lehrt präziser die Pflicht der Steuer, der Restitu-
tion, der gerichtlichen Genauigkeit, wer hält mehr auf den Amts-
eid und dringt schärfer auf die Gebote von Mein und Dein, als
sie. Und wie umgibt sie die Landesbräuche mit ihren Weihen
vom gesalbten Königshaupt bis zur Ackersegnung des ärmsten
Pächters. Weil katholisch so viel wie allgemein, weltbürgerlich
heißt, kann diese Kirche sich in jede Nation hineinleben, während
ein deutsches Luthertum eben nur für die deutsche Rasse -- fragt
mich nicht wie! -- erdacht war. Ja, die katholische Kirche hält
die Staatsform, das Gebilde einer Völkerschaft, das was wir
Nation heißen, geradezu für eine Wohlthat, eine Gnade des völker-
beherrschenden Gottes, und wenn das Volk dies nicht wußte, so
lehrt sie es, diese vaterländischen Urteile und Segnungen verstehen.
Pater patriae ist ein Titel, den sie dem Gotte des Vaterlandes
erteilt. Im Hinblick auf die ganze Geschichte eines Volkes, auf
seine Führung durch Sturm und Sonne an Gottes Hand, auf
seine Glorienzeiten, seine großen Männer, seine von Gott gege-
benen unerschöpflichen Hilfsmitteln, auf sein reiches, glückliches
Gemüt, seine Kunst, seine Lieder, seine Schönheiten und Eigen-
arten, wodurch es sich in landschaftlicher und gesellschaftlicher Be-
ziehung von anderen unterscheidet, im Hinblick auf all dies, das
die Kirche durch sinnvolle Zeichen und Riten vertieft, kann in
Wahrheit nur ein Katholik das echte, nationale, vaterländische
Hochgefühl empfinden, jenes Gesühl, das dem Judenvolke unter
Moses Stabe einst sagte: Du bist das auserwählte Volk, du bist
Jehovas Liebling. Daher war die katholische Kirche die erste, die
offiziell für den Fürsten, für das Vaterland beten ließ, welche
die Trauer einer Nation mit ihren Bußkleidern und den Jubel
der Siegreichen mit ihrem Te Deum begleitete.

Wir müssen schließen. Hätten wir streng wissenschaftlich
vorgehen wollen, so müßten wir -- und dies wäre leicht --
noch tiefere und philosophische Gründe ins Feld führen. Aber es
wird wohl dem Leser diese leichte, ungezwungene Art der Beweise
genügen dürfen. Im übrigen, öffne er das Auge und schaue er
um sich und betrachte das heutige nationale und internationale
Völkerspiel. Wo das nationalste Kirchentum lebt, wird er dann
bald einsehen.


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Die Bundesversammlung

hat in der ersten Woche ihrer Session furchtbar wenig geleistet.
In den Kantonen würde das Volks nicht dulden, daß die Großen
Räte die Zeit so verschwenden; die Großen Räte nützen übrigens
die Zeit so wie so besser aus, weil sie kleinere Sitzungsgelder
erhalten als die Herren National- und Ständeräte; es drängt
einem wieder nach Hause zu kommen, wenn man schlecht bezahlt
wird. Im Nationalrat findet eine endlose Beratung statt über
ein neues Forstgesetz; an sich ein sehr gutes Gesetz, allein heutzu-
tage werden nicht selten die besten Absichten verpfuscht, für Auf-
forstungen kann der reiche Bund kaum jemals genug thun, aber
anstatt hiefür energisch einzutreten, soll das Gesetz in eben so
hohem Maße dazu dienen, den Förstern eidgen. Besoldungs-
zulagen zu gewähren. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert;
aber es ist etwas krankhaftes in unserer Politik, daß stetsfort nur
von Besoldungserhöhungen die Rede ist. Gewiß ist jedem Be-
amten zu gönnen, wenn er seine materielle Lage bessern kann,
jedermann strebt darnach. Aber alle diese Besoldungserhöhungen
muß schließlich das Volk bezahlen, die Masse des Volkes durch
die schweren Zollsteuern. Heute zahlt jede Haushaltung an Zoll-
steuern 85 Fr., eine Summe, die so hoch ist, daß der Bundesrat
selber sich darüber entsetzt und erklärt, es könne von einer weiteren
Erhöhung dieser Steuer keine Rede sein. Fünfundachtzig Franken,
das ist nicht viel, das ist nichts für eine reiche Haushaltung;
aber man frage einmal bei den Arbeiterfamilien, bei den Klein-
Bauern, bei Handwerkern nach, was das bedeutet, eine jährliche
Ausgabe von fünfundachtzig Franken. Wenn die Herren in
Bern so beim gewöhnlichen Volke nach dem Werte des Geldes
sich erkundigen würden, so würde ihnen die Lust zu fortwährenden
Besoldungserhöhungen vergehen.

Es scheint, daß die Eintreibung der Militärsteuer da und
dort auf Schwierigkeiten stößt, so namentlich im Kanton Zürich,
wo Tausende diese Steuer nicht zahlen, welche bekanntlich von
den militärpflichtigen Bürgern erhoben wird, die aus irgend
einem Grunde vom Militärdienst befreit sind. Wie ist da nun
Ordnung zu schaffen? Früher wurden diese Saumseligen in die
Kaserne kommandiert, wo sie die Steuer durch Arbeiten, nament-
lich durch Klopfen und Ausstauben der Militärbettdecken, ab-
verdienen mußten. Aber das Bundesgericht hat erkennt, daß das
unzulässig sei, ebenso dürfen die saumseligen Militärsteuerzahler
nicht eingesperrt werden. Was nun thun? Der Bundesrat hat,
um Abhilfe zu schaffen, ein Gesetz vorgelegt, über welches die
Bundesversammlung Beratung pflegt. Es ist vielfach große Lust
vorhanden, den saumseligen Steuerzahlern energisch auf den Leib
zu rücken. Es ist nichts als billig und recht, daß, wer eine
Schuld hat, sie auch zahlt. Die Militärsteuer soll so gut bezahlt
werden müssen als irgend eine andere Schuld, und wenn auch
strenge Maßregeln gegen saumselige und mutwillige Nichtzahler
ergriffen werden, so ist dagegen nichts einzuwenden. Nun muß
ein Vorbehalt gemacht werden. Warum sollen die Forderungen
des Staates besser geschützt werden als diejenigen des gewöhn-
lichen Bürgers? Verdient ein Handwerker, ein Gewerbetreibender,
ein Bauer, ein Arbeiter, welcher nicht zu seinem Gelde kommt,
nicht viel mehr Mitleid noch als der Staat. Der Staat, der
findet immer Geld, zahlt ein Steuerzahler nicht, so müssen es
die andern thun; nicht so bei den Forderungen des gewöhnlichen
Bürgers, der oft durch liederliche Schuldner um die Früchte seiner
Arbeit betrogen wird. Also wer schafft ein Gesetz, welches
die liederlichen Schuldner überhaupt beim Kragen nimmt, und
nicht nur diejenigen, welche mit der Militärsteuer saumselig sind.
Ein solches Gesetz würde das Volk mit Freuden begrüßen, es
würde eine wahre Wohlthat sein für das Land und den Kredit
und den Wohlstand desselben heben.

Statt dessen hat uns die eidgenössische Gesetzgebungsmaschine
ein höchst kompliziertes und bedenkliches Konkursgesetz geliefert,
welches eigentlich voll von Hinterthüren und Schlupfwinkeln ist
für böswillige und gewissenlose Schuldner. Die Föderalisten
haben seiner Zeit vor der Annahme dieses Gesetzes genug gewarnt,
allein es half nichts. Nicht seiner Vorzüge wegen wurde das
Gesetz angenommen, sondern weil es eben ein Schritt weiters
zum Einheitsstaat bedeutete, und jetzt hat man die Bescheerung.
Ueberall ertönen Klagen gegen das Gesetz. Das Obergericht des
Kantons Zürich hat sich veranlaßt gesehen, auf die schweren
Mängel und Fehler desselben in einem amtlichen Berichte auf-
merksam zu machen, ebenso alt-Oberrichter Wolf in Zürich,
welcher viel für die Annahme des Gesetzes gethan hat. So
miserabel arbeitet doch die Gesetzgebungsmaschine in den Kantonen
nicht. Werden hier schlechte Gesetze gemacht, so kann man sie
doch wenigstens wieder abschaffen, während im Bunde ein einmal
erlassenes Gesetz stehen bleibt.




Die Italiener haben während zwei Sitzungen den
Nationalrat beschäftigt. Allgemein bekannt ist die Jahr für Jahr
zunehmende Einwanderung von italienischen Arbeitern, und immer
mehr nimmt die Zahl derjenigen zu, welche nicht nur vorüber-
gehend ins Land kommen, um Arbeit zu suchen, etwa während
des Sommers, sondern bleibend bei uns Aufenthalt nehmen.
Im Dezember 1888 bei der Volkszählung gab es nicht weniger
als 42 000 Italiener in der Schweiz. Im Sommer verdoppelt
sich diese Zahl. Man beginnt bereits Italiener auch bei land-
wirtschaftlichen Arbeiten zu verwenden; in manchen Kantonen gibt
es nämlich eine eigentliche Dienstbotennot. Niemand will mehr

Nr. 47 Uznach, Mittwoch den 14. Juni 1899. 44. Jahrgang.


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Und der Erfolg?



Drei Wochen ſchon ſind ſie beiſammen
Die Herren Vertreter im Haag
Und beraten, was wohl für Europa
Das Edelſte, Beſte ſein mag.
Drei Wochen ſchon leſen ſie Akten
Und ſchreiben und ſprechen gar viel,
Und doch ſind ſie nicht einmal einig
Ueber s’Wichtigſte, über das Ziel.
In ſubtilen Subkommiſſionen
Wird die Sache zergliedert, zerſtückt,
Und immer iſt ’s Ende vom Liede:
„Unſ’re Sendung iſt heillos verzwickt.“
„Abrüſten,“ ſo heißt wohl der Titel
Auf jedweder Inſtruktion;
Doch meint damit jeder den andern,
Er ſelbſt will nichts wiſſen davon.
Und glaubt ihr, den Herren Vertretern
Stieg die Röte darob zu Geſicht?
Bewahre, die ſchwefeln und faſeln
Und wurſteln und ſchämen ſich nicht.
Sie melden, die Welt zu täuſchen,
Die Beſchlüſſe ſeien geheim
Und meinen, es gehen dann alle
Auf den diplomatiſchen Leim.
Ich glaube, am Ende vom Liede
Wird eines bekannt nur der Welt:
Es verſchlang die Friedensverſammlung
Umſonſt ein ſchreckliches Geld.
Und nachher bleibt’s wieder beim Alten,
Bei der alten Katzennatur —
Sie heucheln wohl Freundſchaft und Frieden,
Und im Stillen raubzügeln ſie nur.



Die nationalſte Kirche. […]



Erſt durch das Chriſtentum iſt der rechte Nationalitätsbegriff
in die Welt gekommen und nur durch die katholiſche Kirche, als
der echten Erbin des Urchriſtentums, kann dieſer Nationalitäts-
begriff in ſeinem wahren und geſunden Weſen forterhalten werden.

Das Wort Nation, National, wird nämlich außer der Kirche
ſtets viel zu eng, zu klein, zu gering gefaßt. Kirchtumspolitik,
Ländligeiſt, Dorfpolitik nennt man das im Kleinen, im Großen
heißt es Chauvinismus. Thatſächlich haben ſich alle Konfeſſionen,
welche ſich von der katholiſchen Kirche trennten, mit dieſem über-
triebenen Nationalitätshumbug befaßt, haben die Länderfarben noch
tiefer gefärbt, die Nachbarn noch mehr gegeneinander gereizt und
ſind ſogleich zu ſo kleinen und verbiſſenen Parteien geworden,
daß man bald nicht mehr wußte, ob man ſie nach ihrer Politik
oder nach ihrem Credo im Religiöſen beurteilen ſolle. Die Ge-
ſchichte, welche ſeit der Glaubensſpaltung die Blätter des Hiſto-
rikers füllt, zeigt auf jeder Seite, wie z. B. Luthers, Zwinglis,
Calvins Lehre in ein politiſches Syſtem auswuchs, und wie der
Proteſtantismus Frankreichs, Hollands, Schwedens und der deutſchen
Fürſtentümer ſogleich ein landesfürſtliches, enggeknöpftes Amtskleid
anziehen mußte, das einer Religion denn doch ſchon dem Begriffe
nach nicht anſtand. Da haben wir einen Grund, warum die
katholiſche Kirche die nationalſte aller Kirchen iſt; die anderen
Kirchen und Kirchlein haben das Wort Nation „verzwergen“,
verkrüppeln laſſen, indem ſie ihre Konfeſſion an das politiſche
Syſtem und an die politiſche Kleinlichkeit ihres Fürſtentums ketteten,
ſtatt umgekehrt das nationale, politiſche Leben an die Größe der
Religion und an ihre weit umfaſſenderen Bahnen zu gewöhnen.
Nation iſt der Inbegriff alles deſſen, was einem geſonderten
Staats- und Volkstum an Kraft, Intereſſen, Unternehmungen,
Vorzügen, Schwächen, Plänen und Abſichten, an Kunſt, Litte-
ratur, Gewerbe, Kapital und beſonders auch an heimatlichem
Boden, worauf das ganze nationale Gebäude abſtellt, eigen und
eigentümlich iſt. Eine Religion nun — und dies ſoll unſere obigen
Sätze erklären — kann je nach ihrer Beſchaffenheit dieſen natio-
nalen Begriff ſtärken und ausbilden oder auch verringern und
verflachen. Im Weſen des Nationalen liegt die Gefahr zu einer ge-
wiſſen ſelbſtſüchtigen Abſchließung vor den andern, zu einer gewiſſen
Einſeitigkeit in den ſtaatlichen Formen, zu einer ungeſunden Aus-
bildung einzelner Eigentümlichkeiten und ſtaatlichen Formen. Das
iſt genau dasſelbe wie beim einzelnen Menſchen, dem keine Be-
rührung und kein Umgang mit anderen Menſchen die Härten und
Ecken abſchleift und der ſchließlich ein Sonderling wird. Einen
Sonderling kann ich nun doch nicht für eine beſonders vollkommen
entwickelte Individualität halten, ſondern für eine Verkrüppelung
derſelben muß ich ſie notwendig erachten. Auch eine Nation wird
durch zähe politiſche und formale Verknöcherung nicht nationaler,
ſondern verbildet.

Nun, ſehe man ſich die neuen Kirchen ſeit der Glaubens-
trennung an! Ihr Weſen iſt die Trennung, das Abſondern vom
übrigen, das ſich Zerteilen und Zerſplittern. Die Geburt des Luther-
tums war ſchon eine ſolche Trennung von der großen Geſamt-
heit und ſeither hat dasſelbe ſeinen Urſprung nie verleugnet, ſon-
dern ſich beſtändig durch Zerteilen und Zerſtückeln charakteriſiert.
Dieſe Teilchen und Stücklein — Sektionen oder Sekten —
zählen heute nach hunderten, und der lutheriſche Grundſtock iſt
[Spaltenumbruch] jämmerlich zuſammengeſchmolzen. Genau ſo verhält es ſich bei
den übrigen Konfeſſionen, ihre weſentliche und hiſtoriſche Tendenz
heißt Zerſplitterung. Wie kann nun eine ſolche Glaubensform
den Geiſt einer Nation erweitern, da ihr Geiſt ſich immer ver-
engert, wie kann ſie ihn ſtärken, da ſie ſich immer mehr abſchwächt,
wie in großem Rahmen zuſammenhalten, da ſie in immer kleinere
Partieen zerfällt, wie vertiefen, da ſie von ihren Grundgedanken
immer mehr preisgibt? Gibt es ein engherzigeres, politiſch reli-
giöſes Syſtem, als die Hugenotten eines ſchrieben? Wir ehren
ihre vielfach zu Tage getretenen Tugenden in der Verfolgung,
wir anerkennen ihr freilich irrendes Bekennertum, wo es in guten
Treuen handelte, und wir mißbilligen ſehr die damalige gehäſſige
Staatsraiſon Frankreichs. Aber wir wiederholen, gab es ein eng-
herzigeres, ſonderlingsmäßigeres, politiſch-religiöſes Stätlein je im
Staate als dieſes? Die unparteiiſche Geſchichte ſagt nein oder
— höchſtenfalls noch in den deutſchproteſtantiſchen Fürſtentümern.

Das verhält ſich nun mit der katholiſchen Kirche ganz
anders. Sie iſt etwas völkerbindendes, allgemeines. Sie iſt De-
mokratie im ſchönſten Sinne des Wortes, die ihr geringſtes Glied
zum höchſten befähigt und iſt doch auch vollendete Monarchie, da
in einheitlicher Harmonie des oberſten Willens alles nach Stufen
und Rangfolge bis zum Sitze des Papſtes gegliedert und dort
die Summe der Macht gehäuft iſt. Sonach kann ſich jede Repu-
blik, jede Monarchie an ıhr Muſter halten. Muſter? Jawohl!
Denn dies geben unſere Gegner ſelber zu, daß der katholiſche
Reichsbau, ob mit demokratiſchem oder monarchiſchem Auge be-
ſehen, eine unvergleichliche Architektonik erzeigt. — Die katholiſche
Kirche hat auch hohe Ziele, in ihrem Weſen ſteckt nicht die Ten-
denz der Zerteilung, ſondern der Vereinigung, ihr Gedanke iſt
nicht das Zerſplittern in kleinſte Sektionen, ſondern das Verbinden
zum einen, größten Ganzen, jenem großen Ganzen, welches die
hl. Schrift das »omnes unum« und den einen Schafſtall
nennt. Jeder Katholik iſt inſofern Weltbürger und kann der na-
tionalen Eigenheit wenigſtens nicht ſoweit nachgeben, daß er ihren
Grillen der Abſonderung folgte. Es treibt auch ſeine Politik,
ſeine Nationalität auf die weiteſten und edelſten Wege der An-
paſſung an andere, der Duldung anderer, der gütlichen Vereini-
gung mit andern. Am Fürſtenſtuhl, an der Lakaienlivree, an der
ſelbſtſüchtigen Staatsraiſon blieb der Katholizismus nie haften.
Wollte man ihn dazu zwingen, ſo gab es ernſthaften Krieg mit
dem Staate, der nicht mehr das Nationale, ſondern das Unnatio-
nale repräſentierte, ſeitdem er das katholiſche Leitmotiv aus ſeiner
Geſchichte geriſſen hatte. Warum bekam unſere Kirche ſo manchen
Krieg mit den Fürſten, mit den Diplomaten, indeſſen der Pro-
teſtantismus ganz ordentlich auskam? Warum ſtand das Volk
meiſt auf ihrer Seite? Ich denke mir, die Antwort ſei gegeben.

Aber auf der ganzen Welt gibt es keine Religion, welche,
indem ſie einerſeits den Mißwachs der Nationalität hindert, ihre
echte und rechte Ausbildung und Kräftigung ſo ſehr förderte.
Oder wer pflegt denn mit eiferſüchtigerer Sorge die Familie, als
ſie! Und aus der Familie entſteht die Völkergemeinde. Wer hebt
die Ehe ſo hoch, die Pflicht der Subordination, wer hat eine ſo
tiefe und weiſe theologiſche Ausführung über den Urſprung, Be-
griff und Umfang der Staats- und Fürſtengewalt in ihr Lehr-
buch geſchrieben wie ſie? Aber das ſind doch die Säulen einer
Nation. Wer lehrt präziſer die Pflicht der Steuer, der Reſtitu-
tion, der gerichtlichen Genauigkeit, wer hält mehr auf den Amts-
eid und dringt ſchärfer auf die Gebote von Mein und Dein, als
ſie. Und wie umgibt ſie die Landesbräuche mit ihren Weihen
vom geſalbten Königshaupt bis zur Ackerſegnung des ärmſten
Pächters. Weil katholiſch ſo viel wie allgemein, weltbürgerlich
heißt, kann dieſe Kirche ſich in jede Nation hineinleben, während
ein deutſches Luthertum eben nur für die deutſche Raſſe — fragt
mich nicht wie! — erdacht war. Ja, die katholiſche Kirche hält
die Staatsform, das Gebilde einer Völkerſchaft, das was wir
Nation heißen, geradezu für eine Wohlthat, eine Gnade des völker-
beherrſchenden Gottes, und wenn das Volk dies nicht wußte, ſo
lehrt ſie es, dieſe vaterländiſchen Urteile und Segnungen verſtehen.
Pater patriæ iſt ein Titel, den ſie dem Gotte des Vaterlandes
erteilt. Im Hinblick auf die ganze Geſchichte eines Volkes, auf
ſeine Führung durch Sturm und Sonne an Gottes Hand, auf
ſeine Glorienzeiten, ſeine großen Männer, ſeine von Gott gege-
benen unerſchöpflichen Hilfsmitteln, auf ſein reiches, glückliches
Gemüt, ſeine Kunſt, ſeine Lieder, ſeine Schönheiten und Eigen-
arten, wodurch es ſich in landſchaftlicher und geſellſchaftlicher Be-
ziehung von anderen unterſcheidet, im Hinblick auf all dies, das
die Kirche durch ſinnvolle Zeichen und Riten vertieft, kann in
Wahrheit nur ein Katholik das echte, nationale, vaterländiſche
Hochgefühl empfinden, jenes Geſühl, das dem Judenvolke unter
Moſes Stabe einſt ſagte: Du biſt das auserwählte Volk, du biſt
Jehovas Liebling. Daher war dıe katholiſche Kirche die erſte, die
offiziell für den Fürſten, für das Vaterland beten ließ, welche
die Trauer einer Nation mit ihren Bußkleidern und den Jubel
der Siegreichen mit ihrem Te Deum begleitete.

Wir müſſen ſchließen. Hätten wir ſtreng wiſſenſchaftlich
vorgehen wollen, ſo müßten wir — und dies wäre leicht —
noch tiefere und philoſophiſche Gründe ins Feld führen. Aber es
wird wohl dem Leſer dieſe leichte, ungezwungene Art der Beweiſe
genügen dürfen. Im übrigen, öffne er das Auge und ſchaue er
um ſich und betrachte das heutige nationale und internationale
Völkerſpiel. Wo das nationalſte Kirchentum lebt, wird er dann
bald einſehen.


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Die Bundesverſammlung

hat in der erſten Woche ihrer Seſſion furchtbar wenig geleiſtet.
In den Kantonen würde das Volks nicht dulden, daß die Großen
Räte die Zeit ſo verſchwenden; die Großen Räte nützen übrigens
die Zeit ſo wie ſo beſſer aus, weil ſie kleinere Sitzungsgelder
erhalten als die Herren National- und Ständeräte; es drängt
einem wieder nach Hauſe zu kommen, wenn man ſchlecht bezahlt
wird. Im Nationalrat findet eine endloſe Beratung ſtatt über
ein neues Forſtgeſetz; an ſich ein ſehr gutes Geſetz, allein heutzu-
tage werden nicht ſelten die beſten Abſichten verpfuſcht, für Auf-
forſtungen kann der reiche Bund kaum jemals genug thun, aber
anſtatt hiefür energiſch einzutreten, ſoll das Geſetz in eben ſo
hohem Maße dazu dienen, den Förſtern eidgen. Beſoldungs-
zulagen zu gewähren. Jeder Arbeiter iſt ſeines Lohnes wert;
aber es iſt etwas krankhaftes in unſerer Politik, daß ſtetsfort nur
von Beſoldungserhöhungen die Rede iſt. Gewiß iſt jedem Be-
amten zu gönnen, wenn er ſeine materielle Lage beſſern kann,
jedermann ſtrebt darnach. Aber alle dieſe Beſoldungserhöhungen
muß ſchließlich das Volk bezahlen, die Maſſe des Volkes durch
die ſchweren Zollſteuern. Heute zahlt jede Haushaltung an Zoll-
ſteuern 85 Fr., eine Summe, die ſo hoch iſt, daß der Bundesrat
ſelber ſich darüber entſetzt und erklärt, es könne von einer weiteren
Erhöhung dieſer Steuer keine Rede ſein. Fünfundachtzig Franken,
das iſt nicht viel, das iſt nichts für eine reiche Haushaltung;
aber man frage einmal bei den Arbeiterfamilien, bei den Klein-
Bauern, bei Handwerkern nach, was das bedeutet, eine jährliche
Ausgabe von fünfundachtzig Franken. Wenn die Herren in
Bern ſo beim gewöhnlichen Volke nach dem Werte des Geldes
ſich erkundigen würden, ſo würde ihnen die Luſt zu fortwährenden
Beſoldungserhöhungen vergehen.

Es ſcheint, daß die Eintreibung der Militärſteuer da und
dort auf Schwierigkeiten ſtößt, ſo namentlich im Kanton Zürich,
wo Tauſende dieſe Steuer nicht zahlen, welche bekanntlich von
den militärpflichtigen Bürgern erhoben wird, die aus irgend
einem Grunde vom Militärdienſt befreit ſind. Wie iſt da nun
Ordnung zu ſchaffen? Früher wurden dieſe Saumſeligen in die
Kaſerne kommandiert, wo ſie die Steuer durch Arbeiten, nament-
lich durch Klopfen und Ausſtauben der Militärbettdecken, ab-
verdienen mußten. Aber das Bundesgericht hat erkennt, daß das
unzuläſſig ſei, ebenſo dürfen die ſaumſeligen Milıtärſteuerzahler
nicht eingeſperrt werden. Was nun thun? Der Bundesrat hat,
um Abhilfe zu ſchaffen, ein Geſetz vorgelegt, über welches die
Bundesverſammlung Beratung pflegt. Es iſt vielfach große Luſt
vorhanden, den ſaumſeligen Steuerzahlern energiſch auf den Leib
zu rücken. Es iſt nichts als billig und recht, daß, wer eine
Schuld hat, ſie auch zahlt. Die Militärſteuer ſoll ſo gut bezahlt
werden müſſen als irgend eine andere Schuld, und wenn auch
ſtrenge Maßregeln gegen ſaumſelige und mutwillige Nichtzahler
ergriffen werden, ſo iſt dagegen nichts einzuwenden. Nun muß
ein Vorbehalt gemacht werden. Warum ſollen die Forderungen
des Staates beſſer geſchützt werden als diejenigen des gewöhn-
lichen Bürgers? Verdient ein Handwerker, ein Gewerbetreibender,
ein Bauer, ein Arbeiter, welcher nicht zu ſeinem Gelde kommt,
nicht viel mehr Mitleid noch als der Staat. Der Staat, der
findet immer Geld, zahlt ein Steuerzahler nicht, ſo müſſen es
die andern thun; nicht ſo bei den Forderungen des gewöhnlichen
Bürgers, der oft durch liederliche Schuldner um die Früchte ſeiner
Arbeit betrogen wird. Alſo wer ſchafft ein Geſetz, welches
die liederlichen Schuldner überhaupt beim Kragen nimmt, und
nicht nur diejenigen, welche mit der Militärſteuer ſaumſelig ſind.
Ein ſolches Geſetz würde das Volk mit Freuden begrüßen, es
würde eine wahre Wohlthat ſein für das Land und den Kredit
und den Wohlſtand desſelben heben.

Statt deſſen hat uns die eidgenöſſiſche Geſetzgebungsmaſchine
ein höchſt kompliziertes und bedenkliches Konkursgeſetz geliefert,
welches eigentlich voll von Hinterthüren und Schlupfwinkeln iſt
für böswillige und gewiſſenloſe Schuldner. Die Föderaliſten
haben ſeiner Zeit vor der Annahme dieſes Geſetzes genug gewarnt,
allein es half nichts. Nicht ſeiner Vorzüge wegen wurde das
Geſetz angenommen, ſondern weil es eben ein Schritt weiters
zum Einheitsſtaat bedeutete, und jetzt hat man die Beſcheerung.
Ueberall ertönen Klagen gegen das Geſetz. Das Obergericht des
Kantons Zürich hat ſich veranlaßt geſehen, auf die ſchweren
Mängel und Fehler desſelben in einem amtlichen Berichte auf-
merkſam zu machen, ebenſo alt-Oberrichter Wolf in Zürich,
welcher viel für die Annahme des Geſetzes gethan hat. So
miſerabel arbeitet doch die Geſetzgebungsmaſchine in den Kantonen
nicht. Werden hier ſchlechte Geſetze gemacht, ſo kann man ſie
doch wenigſtens wieder abſchaffen, während im Bunde ein einmal
erlaſſenes Geſetz ſtehen bleibt.




Die Italiener haben während zwei Sitzungen den
Nationalrat beſchäftigt. Allgemein bekannt iſt die Jahr für Jahr
zunehmende Einwanderung von italieniſchen Arbeitern, und immer
mehr nimmt die Zahl derjenigen zu, welche nicht nur vorüber-
gehend ins Land kommen, um Arbeit zu ſuchen, etwa während
des Sommers, ſondern bleibend bei uns Aufenthalt nehmen.
Im Dezember 1888 bei der Volkszählung gab es nicht weniger
als 42 000 Italiener in der Schweiz. Im Sommer verdoppelt
ſich dieſe Zahl. Man beginnt bereits Italiener auch bei land-
wirtſchaftlichen Arbeiten zu verwenden; in manchen Kantonen gibt
es nämlich eine eigentliche Dienſtbotennot. Niemand will mehr

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[1/0001] Nr. 47 Uznach, Mittwoch den 14. Juni 1899. 44. Jahrgang. St. Galler Volksblatt. Publikations-Organ der Bezirke See und Gaſter. Obligatoriſch in Uznach, Jona, Gommiswald, St. Gallenkappel, Rapperswil, Schmerikon, Eſchenbach, Ernetſchwil, Goldingen. Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen. Poſt jährlich Fr. 5. — Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 40 Rp. Für das Ausland (Poſtverein) jede Nummer mit Adreſſe halbjährlich Fr. 5, wöchentlich ein Mal halbjährlich Fr. 3. 50 Rp. [Abbildung] Telephon. Inſertionsgebühr für den Seebezirk und Gaſter (ohne Vermittlung der Inſeratenbureaux): Die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. — Für die übrigen Inſerenten koſtet die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 15 Rp. Bei Wiederholungen Rabatt. — Inſerate müſſen bis jeweilen ſpäteſtens Dienstag und Freitag vormittags 10 Uhr abgegeben werden. Erſcheint Mittwoch und Samstag. Druck und Verlag von K. Oberholzer’s Buchdruckerei, Uznach. Wöchentl. Gratisbeilage „Linth-Blätter“. [Abbildung] Neu eintretende Abonnenten erhalten das „St. Galler Volksblatt“ bis 1. Juli gratis. Und der Erfolg? Drei Wochen ſchon ſind ſie beiſammen Die Herren Vertreter im Haag Und beraten, was wohl für Europa Das Edelſte, Beſte ſein mag. Drei Wochen ſchon leſen ſie Akten Und ſchreiben und ſprechen gar viel, Und doch ſind ſie nicht einmal einig Ueber s’Wichtigſte, über das Ziel. In ſubtilen Subkommiſſionen Wird die Sache zergliedert, zerſtückt, Und immer iſt ’s Ende vom Liede: „Unſ’re Sendung iſt heillos verzwickt.“ „Abrüſten,“ ſo heißt wohl der Titel Auf jedweder Inſtruktion; Doch meint damit jeder den andern, Er ſelbſt will nichts wiſſen davon. Und glaubt ihr, den Herren Vertretern Stieg die Röte darob zu Geſicht? Bewahre, die ſchwefeln und faſeln Und wurſteln und ſchämen ſich nicht. Sie melden, die Welt zu täuſchen, Die Beſchlüſſe ſeien geheim Und meinen, es gehen dann alle Auf den diplomatiſchen Leim. Ich glaube, am Ende vom Liede Wird eines bekannt nur der Welt: Es verſchlang die Friedensverſammlung Umſonſt ein ſchreckliches Geld. Und nachher bleibt’s wieder beim Alten, Bei der alten Katzennatur — Sie heucheln wohl Freundſchaft und Frieden, Und im Stillen raubzügeln ſie nur. Die nationalſte Kirche. Erſt durch das Chriſtentum iſt der rechte Nationalitätsbegriff in die Welt gekommen und nur durch die katholiſche Kirche, als der echten Erbin des Urchriſtentums, kann dieſer Nationalitäts- begriff in ſeinem wahren und geſunden Weſen forterhalten werden. Das Wort Nation, National, wird nämlich außer der Kirche ſtets viel zu eng, zu klein, zu gering gefaßt. Kirchtumspolitik, Ländligeiſt, Dorfpolitik nennt man das im Kleinen, im Großen heißt es Chauvinismus. Thatſächlich haben ſich alle Konfeſſionen, welche ſich von der katholiſchen Kirche trennten, mit dieſem über- triebenen Nationalitätshumbug befaßt, haben die Länderfarben noch tiefer gefärbt, die Nachbarn noch mehr gegeneinander gereizt und ſind ſogleich zu ſo kleinen und verbiſſenen Parteien geworden, daß man bald nicht mehr wußte, ob man ſie nach ihrer Politik oder nach ihrem Credo im Religiöſen beurteilen ſolle. Die Ge- ſchichte, welche ſeit der Glaubensſpaltung die Blätter des Hiſto- rikers füllt, zeigt auf jeder Seite, wie z. B. Luthers, Zwinglis, Calvins Lehre in ein politiſches Syſtem auswuchs, und wie der Proteſtantismus Frankreichs, Hollands, Schwedens und der deutſchen Fürſtentümer ſogleich ein landesfürſtliches, enggeknöpftes Amtskleid anziehen mußte, das einer Religion denn doch ſchon dem Begriffe nach nicht anſtand. Da haben wir einen Grund, warum die katholiſche Kirche die nationalſte aller Kirchen iſt; die anderen Kirchen und Kirchlein haben das Wort Nation „verzwergen“, verkrüppeln laſſen, indem ſie ihre Konfeſſion an das politiſche Syſtem und an die politiſche Kleinlichkeit ihres Fürſtentums ketteten, ſtatt umgekehrt das nationale, politiſche Leben an die Größe der Religion und an ihre weit umfaſſenderen Bahnen zu gewöhnen. Nation iſt der Inbegriff alles deſſen, was einem geſonderten Staats- und Volkstum an Kraft, Intereſſen, Unternehmungen, Vorzügen, Schwächen, Plänen und Abſichten, an Kunſt, Litte- ratur, Gewerbe, Kapital und beſonders auch an heimatlichem Boden, worauf das ganze nationale Gebäude abſtellt, eigen und eigentümlich iſt. Eine Religion nun — und dies ſoll unſere obigen Sätze erklären — kann je nach ihrer Beſchaffenheit dieſen natio- nalen Begriff ſtärken und ausbilden oder auch verringern und verflachen. Im Weſen des Nationalen liegt die Gefahr zu einer ge- wiſſen ſelbſtſüchtigen Abſchließung vor den andern, zu einer gewiſſen Einſeitigkeit in den ſtaatlichen Formen, zu einer ungeſunden Aus- bildung einzelner Eigentümlichkeiten und ſtaatlichen Formen. Das iſt genau dasſelbe wie beim einzelnen Menſchen, dem keine Be- rührung und kein Umgang mit anderen Menſchen die Härten und Ecken abſchleift und der ſchließlich ein Sonderling wird. Einen Sonderling kann ich nun doch nicht für eine beſonders vollkommen entwickelte Individualität halten, ſondern für eine Verkrüppelung derſelben muß ich ſie notwendig erachten. Auch eine Nation wird durch zähe politiſche und formale Verknöcherung nicht nationaler, ſondern verbildet. Nun, ſehe man ſich die neuen Kirchen ſeit der Glaubens- trennung an! Ihr Weſen iſt die Trennung, das Abſondern vom übrigen, das ſich Zerteilen und Zerſplittern. Die Geburt des Luther- tums war ſchon eine ſolche Trennung von der großen Geſamt- heit und ſeither hat dasſelbe ſeinen Urſprung nie verleugnet, ſon- dern ſich beſtändig durch Zerteilen und Zerſtückeln charakteriſiert. Dieſe Teilchen und Stücklein — Sektionen oder Sekten — zählen heute nach hunderten, und der lutheriſche Grundſtock iſt jämmerlich zuſammengeſchmolzen. Genau ſo verhält es ſich bei den übrigen Konfeſſionen, ihre weſentliche und hiſtoriſche Tendenz heißt Zerſplitterung. Wie kann nun eine ſolche Glaubensform den Geiſt einer Nation erweitern, da ihr Geiſt ſich immer ver- engert, wie kann ſie ihn ſtärken, da ſie ſich immer mehr abſchwächt, wie in großem Rahmen zuſammenhalten, da ſie in immer kleinere Partieen zerfällt, wie vertiefen, da ſie von ihren Grundgedanken immer mehr preisgibt? Gibt es ein engherzigeres, politiſch reli- giöſes Syſtem, als die Hugenotten eines ſchrieben? Wir ehren ihre vielfach zu Tage getretenen Tugenden in der Verfolgung, wir anerkennen ihr freilich irrendes Bekennertum, wo es in guten Treuen handelte, und wir mißbilligen ſehr die damalige gehäſſige Staatsraiſon Frankreichs. Aber wir wiederholen, gab es ein eng- herzigeres, ſonderlingsmäßigeres, politiſch-religiöſes Stätlein je im Staate als dieſes? Die unparteiiſche Geſchichte ſagt nein oder — höchſtenfalls noch in den deutſchproteſtantiſchen Fürſtentümern. Das verhält ſich nun mit der katholiſchen Kirche ganz anders. Sie iſt etwas völkerbindendes, allgemeines. Sie iſt De- mokratie im ſchönſten Sinne des Wortes, die ihr geringſtes Glied zum höchſten befähigt und iſt doch auch vollendete Monarchie, da in einheitlicher Harmonie des oberſten Willens alles nach Stufen und Rangfolge bis zum Sitze des Papſtes gegliedert und dort die Summe der Macht gehäuft iſt. Sonach kann ſich jede Repu- blik, jede Monarchie an ıhr Muſter halten. Muſter? Jawohl! Denn dies geben unſere Gegner ſelber zu, daß der katholiſche Reichsbau, ob mit demokratiſchem oder monarchiſchem Auge be- ſehen, eine unvergleichliche Architektonik erzeigt. — Die katholiſche Kirche hat auch hohe Ziele, in ihrem Weſen ſteckt nicht die Ten- denz der Zerteilung, ſondern der Vereinigung, ihr Gedanke iſt nicht das Zerſplittern in kleinſte Sektionen, ſondern das Verbinden zum einen, größten Ganzen, jenem großen Ganzen, welches die hl. Schrift das »omnes unum« und den einen Schafſtall nennt. Jeder Katholik iſt inſofern Weltbürger und kann der na- tionalen Eigenheit wenigſtens nicht ſoweit nachgeben, daß er ihren Grillen der Abſonderung folgte. Es treibt auch ſeine Politik, ſeine Nationalität auf die weiteſten und edelſten Wege der An- paſſung an andere, der Duldung anderer, der gütlichen Vereini- gung mit andern. Am Fürſtenſtuhl, an der Lakaienlivree, an der ſelbſtſüchtigen Staatsraiſon blieb der Katholizismus nie haften. Wollte man ihn dazu zwingen, ſo gab es ernſthaften Krieg mit dem Staate, der nicht mehr das Nationale, ſondern das Unnatio- nale repräſentierte, ſeitdem er das katholiſche Leitmotiv aus ſeiner Geſchichte geriſſen hatte. Warum bekam unſere Kirche ſo manchen Krieg mit den Fürſten, mit den Diplomaten, indeſſen der Pro- teſtantismus ganz ordentlich auskam? Warum ſtand das Volk meiſt auf ihrer Seite? Ich denke mir, die Antwort ſei gegeben. Aber auf der ganzen Welt gibt es keine Religion, welche, indem ſie einerſeits den Mißwachs der Nationalität hindert, ihre echte und rechte Ausbildung und Kräftigung ſo ſehr förderte. Oder wer pflegt denn mit eiferſüchtigerer Sorge die Familie, als ſie! Und aus der Familie entſteht die Völkergemeinde. Wer hebt die Ehe ſo hoch, die Pflicht der Subordination, wer hat eine ſo tiefe und weiſe theologiſche Ausführung über den Urſprung, Be- griff und Umfang der Staats- und Fürſtengewalt in ihr Lehr- buch geſchrieben wie ſie? Aber das ſind doch die Säulen einer Nation. Wer lehrt präziſer die Pflicht der Steuer, der Reſtitu- tion, der gerichtlichen Genauigkeit, wer hält mehr auf den Amts- eid und dringt ſchärfer auf die Gebote von Mein und Dein, als ſie. Und wie umgibt ſie die Landesbräuche mit ihren Weihen vom geſalbten Königshaupt bis zur Ackerſegnung des ärmſten Pächters. Weil katholiſch ſo viel wie allgemein, weltbürgerlich heißt, kann dieſe Kirche ſich in jede Nation hineinleben, während ein deutſches Luthertum eben nur für die deutſche Raſſe — fragt mich nicht wie! — erdacht war. Ja, die katholiſche Kirche hält die Staatsform, das Gebilde einer Völkerſchaft, das was wir Nation heißen, geradezu für eine Wohlthat, eine Gnade des völker- beherrſchenden Gottes, und wenn das Volk dies nicht wußte, ſo lehrt ſie es, dieſe vaterländiſchen Urteile und Segnungen verſtehen. Pater patriæ iſt ein Titel, den ſie dem Gotte des Vaterlandes erteilt. Im Hinblick auf die ganze Geſchichte eines Volkes, auf ſeine Führung durch Sturm und Sonne an Gottes Hand, auf ſeine Glorienzeiten, ſeine großen Männer, ſeine von Gott gege- benen unerſchöpflichen Hilfsmitteln, auf ſein reiches, glückliches Gemüt, ſeine Kunſt, ſeine Lieder, ſeine Schönheiten und Eigen- arten, wodurch es ſich in landſchaftlicher und geſellſchaftlicher Be- ziehung von anderen unterſcheidet, im Hinblick auf all dies, das die Kirche durch ſinnvolle Zeichen und Riten vertieft, kann in Wahrheit nur ein Katholik das echte, nationale, vaterländiſche Hochgefühl empfinden, jenes Geſühl, das dem Judenvolke unter Moſes Stabe einſt ſagte: Du biſt das auserwählte Volk, du biſt Jehovas Liebling. Daher war dıe katholiſche Kirche die erſte, die offiziell für den Fürſten, für das Vaterland beten ließ, welche die Trauer einer Nation mit ihren Bußkleidern und den Jubel der Siegreichen mit ihrem Te Deum begleitete. Wir müſſen ſchließen. Hätten wir ſtreng wiſſenſchaftlich vorgehen wollen, ſo müßten wir — und dies wäre leicht — noch tiefere und philoſophiſche Gründe ins Feld führen. Aber es wird wohl dem Leſer dieſe leichte, ungezwungene Art der Beweiſe genügen dürfen. Im übrigen, öffne er das Auge und ſchaue er um ſich und betrachte das heutige nationale und internationale Völkerſpiel. Wo das nationalſte Kirchentum lebt, wird er dann bald einſehen. Die Bundesverſammlung hat in der erſten Woche ihrer Seſſion furchtbar wenig geleiſtet. In den Kantonen würde das Volks nicht dulden, daß die Großen Räte die Zeit ſo verſchwenden; die Großen Räte nützen übrigens die Zeit ſo wie ſo beſſer aus, weil ſie kleinere Sitzungsgelder erhalten als die Herren National- und Ständeräte; es drängt einem wieder nach Hauſe zu kommen, wenn man ſchlecht bezahlt wird. Im Nationalrat findet eine endloſe Beratung ſtatt über ein neues Forſtgeſetz; an ſich ein ſehr gutes Geſetz, allein heutzu- tage werden nicht ſelten die beſten Abſichten verpfuſcht, für Auf- forſtungen kann der reiche Bund kaum jemals genug thun, aber anſtatt hiefür energiſch einzutreten, ſoll das Geſetz in eben ſo hohem Maße dazu dienen, den Förſtern eidgen. Beſoldungs- zulagen zu gewähren. Jeder Arbeiter iſt ſeines Lohnes wert; aber es iſt etwas krankhaftes in unſerer Politik, daß ſtetsfort nur von Beſoldungserhöhungen die Rede iſt. Gewiß iſt jedem Be- amten zu gönnen, wenn er ſeine materielle Lage beſſern kann, jedermann ſtrebt darnach. Aber alle dieſe Beſoldungserhöhungen muß ſchließlich das Volk bezahlen, die Maſſe des Volkes durch die ſchweren Zollſteuern. Heute zahlt jede Haushaltung an Zoll- ſteuern 85 Fr., eine Summe, die ſo hoch iſt, daß der Bundesrat ſelber ſich darüber entſetzt und erklärt, es könne von einer weiteren Erhöhung dieſer Steuer keine Rede ſein. Fünfundachtzig Franken, das iſt nicht viel, das iſt nichts für eine reiche Haushaltung; aber man frage einmal bei den Arbeiterfamilien, bei den Klein- Bauern, bei Handwerkern nach, was das bedeutet, eine jährliche Ausgabe von fünfundachtzig Franken. Wenn die Herren in Bern ſo beim gewöhnlichen Volke nach dem Werte des Geldes ſich erkundigen würden, ſo würde ihnen die Luſt zu fortwährenden Beſoldungserhöhungen vergehen. Es ſcheint, daß die Eintreibung der Militärſteuer da und dort auf Schwierigkeiten ſtößt, ſo namentlich im Kanton Zürich, wo Tauſende dieſe Steuer nicht zahlen, welche bekanntlich von den militärpflichtigen Bürgern erhoben wird, die aus irgend einem Grunde vom Militärdienſt befreit ſind. Wie iſt da nun Ordnung zu ſchaffen? Früher wurden dieſe Saumſeligen in die Kaſerne kommandiert, wo ſie die Steuer durch Arbeiten, nament- lich durch Klopfen und Ausſtauben der Militärbettdecken, ab- verdienen mußten. Aber das Bundesgericht hat erkennt, daß das unzuläſſig ſei, ebenſo dürfen die ſaumſeligen Milıtärſteuerzahler nicht eingeſperrt werden. Was nun thun? Der Bundesrat hat, um Abhilfe zu ſchaffen, ein Geſetz vorgelegt, über welches die Bundesverſammlung Beratung pflegt. Es iſt vielfach große Luſt vorhanden, den ſaumſeligen Steuerzahlern energiſch auf den Leib zu rücken. Es iſt nichts als billig und recht, daß, wer eine Schuld hat, ſie auch zahlt. Die Militärſteuer ſoll ſo gut bezahlt werden müſſen als irgend eine andere Schuld, und wenn auch ſtrenge Maßregeln gegen ſaumſelige und mutwillige Nichtzahler ergriffen werden, ſo iſt dagegen nichts einzuwenden. Nun muß ein Vorbehalt gemacht werden. Warum ſollen die Forderungen des Staates beſſer geſchützt werden als diejenigen des gewöhn- lichen Bürgers? Verdient ein Handwerker, ein Gewerbetreibender, ein Bauer, ein Arbeiter, welcher nicht zu ſeinem Gelde kommt, nicht viel mehr Mitleid noch als der Staat. Der Staat, der findet immer Geld, zahlt ein Steuerzahler nicht, ſo müſſen es die andern thun; nicht ſo bei den Forderungen des gewöhnlichen Bürgers, der oft durch liederliche Schuldner um die Früchte ſeiner Arbeit betrogen wird. Alſo wer ſchafft ein Geſetz, welches die liederlichen Schuldner überhaupt beim Kragen nimmt, und nicht nur diejenigen, welche mit der Militärſteuer ſaumſelig ſind. Ein ſolches Geſetz würde das Volk mit Freuden begrüßen, es würde eine wahre Wohlthat ſein für das Land und den Kredit und den Wohlſtand desſelben heben. Statt deſſen hat uns die eidgenöſſiſche Geſetzgebungsmaſchine ein höchſt kompliziertes und bedenkliches Konkursgeſetz geliefert, welches eigentlich voll von Hinterthüren und Schlupfwinkeln iſt für böswillige und gewiſſenloſe Schuldner. Die Föderaliſten haben ſeiner Zeit vor der Annahme dieſes Geſetzes genug gewarnt, allein es half nichts. Nicht ſeiner Vorzüge wegen wurde das Geſetz angenommen, ſondern weil es eben ein Schritt weiters zum Einheitsſtaat bedeutete, und jetzt hat man die Beſcheerung. Ueberall ertönen Klagen gegen das Geſetz. Das Obergericht des Kantons Zürich hat ſich veranlaßt geſehen, auf die ſchweren Mängel und Fehler desſelben in einem amtlichen Berichte auf- merkſam zu machen, ebenſo alt-Oberrichter Wolf in Zürich, welcher viel für die Annahme des Geſetzes gethan hat. So miſerabel arbeitet doch die Geſetzgebungsmaſchine in den Kantonen nicht. Werden hier ſchlechte Geſetze gemacht, ſo kann man ſie doch wenigſtens wieder abſchaffen, während im Bunde ein einmal erlaſſenes Geſetz ſtehen bleibt. Die Italiener haben während zwei Sitzungen den Nationalrat beſchäftigt. Allgemein bekannt iſt die Jahr für Jahr zunehmende Einwanderung von italieniſchen Arbeitern, und immer mehr nimmt die Zahl derjenigen zu, welche nicht nur vorüber- gehend ins Land kommen, um Arbeit zu ſuchen, etwa während des Sommers, ſondern bleibend bei uns Aufenthalt nehmen. Im Dezember 1888 bei der Volkszählung gab es nicht weniger als 42 000 Italiener in der Schweiz. Im Sommer verdoppelt ſich dieſe Zahl. Man beginnt bereits Italiener auch bei land- wirtſchaftlichen Arbeiten zu verwenden; in manchen Kantonen gibt es nämlich eine eigentliche Dienſtbotennot. Niemand will mehr

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Zitationshilfe: St. Galler Volksblatt. Nr. 47, Uznach, 14. 06. 1899, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_stgaller47_1899/1>, abgerufen am 19.04.2024.