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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Höhle waren mit dieser Flüssigkeit überzo¬
gen, die nicht heiß, sondern kühl war, und
an den Wänden nur ein mattes, bläuliches
Licht von sich warf. Er tauchte seine
Hand in das Becken und benetzte seine Lip¬
pen. Es war, als durchdränge ihn ein gei¬
stiger Hauch, und er fühlte sich innigst ge¬
stärkt und erfrischt. Ein unwiderstehliches
Verlangen ergriff ihn sich zu baden, er ent¬
kleidete sich und stieg in das Becken. Es
dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des
Abendroths; eine himmlische Empfindung
überströmte sein Inneres; mit inniger Wol¬
lust strebten unzählbare Gedanken in ihm
sich zu vermischen; neue, niegesehene Bilder
entstanden, die auch in einander flossen und
zu sichtbaren Wesen um ihn wurden, und
jede Welle des lieblichen Elements schmiegte
sich wie ein zarter Busen an ihn. Die Flut
schien eine Auflösung reizender Mädchen, die

Höhle waren mit dieſer Flüſſigkeit überzo¬
gen, die nicht heiß, ſondern kühl war, und
an den Wänden nur ein mattes, bläuliches
Licht von ſich warf. Er tauchte ſeine
Hand in das Becken und benetzte ſeine Lip¬
pen. Es war, als durchdränge ihn ein gei¬
ſtiger Hauch, und er fühlte ſich innigſt ge¬
ſtärkt und erfriſcht. Ein unwiderſtehliches
Verlangen ergriff ihn ſich zu baden, er ent¬
kleidete ſich und ſtieg in das Becken. Es
dünkte ihn, als umflöſſe ihn eine Wolke des
Abendroths; eine himmliſche Empfindung
überſtrömte ſein Inneres; mit inniger Wol¬
luſt ſtrebten unzählbare Gedanken in ihm
ſich zu vermiſchen; neue, niegeſehene Bilder
entſtanden, die auch in einander floſſen und
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jede Welle des lieblichen Elements ſchmiegte
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[12/0020] Höhle waren mit dieſer Flüſſigkeit überzo¬ gen, die nicht heiß, ſondern kühl war, und an den Wänden nur ein mattes, bläuliches Licht von ſich warf. Er tauchte ſeine Hand in das Becken und benetzte ſeine Lip¬ pen. Es war, als durchdränge ihn ein gei¬ ſtiger Hauch, und er fühlte ſich innigſt ge¬ ſtärkt und erfriſcht. Ein unwiderſtehliches Verlangen ergriff ihn ſich zu baden, er ent¬ kleidete ſich und ſtieg in das Becken. Es dünkte ihn, als umflöſſe ihn eine Wolke des Abendroths; eine himmliſche Empfindung überſtrömte ſein Inneres; mit inniger Wol¬ luſt ſtrebten unzählbare Gedanken in ihm ſich zu vermiſchen; neue, niegeſehene Bilder entſtanden, die auch in einander floſſen und zu ſichtbaren Weſen um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen Elements ſchmiegte ſich wie ein zarter Buſen an ihn. Die Flut ſchien eine Auflöſung reizender Mädchen, die

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/20>, abgerufen am 29.03.2024.