einfachen Morgenkleide wunderlieblich aus¬ sah und ihn freundlich grüßte. Sie hatte schon das Frühstück in ein Körbchen gepackt, das sie an den Einen Arm hing, und die an¬ dere Hand unbefangen Heinrichen reichte. Klingsohr folgte ihnen, und so wandelten sie durch die Stadt, die schon voller Lebendig¬ keit war, nach einem kleinen Hügel am Flus¬ se, wo sich unter einigen hohen Bäumen ei¬ ne weite und volle Aussicht öffnete.
Habe ich doch schon oft, rief Heinrich aus, mich an dem Aufgang der bunten Na¬ tur, an der friedlichen Nachbarschaft ihres mannichfaltigen Eigenthums ergötzt; aber ei¬ ne so schöpferische und gediegene Heiterkeit hat mich noch nie erfüllt wie heute. Jene Fernen sind mir so nah, und die reiche Land¬ schaft ist mir wie eine innere Fantasie. Wie veränderlich ist die Natur, so unwandelbar auch ihre Oberfläche zu seyn scheint. Wie
einfachen Morgenkleide wunderlieblich aus¬ ſah und ihn freundlich grüßte. Sie hatte ſchon das Frühſtück in ein Körbchen gepackt, das ſie an den Einen Arm hing, und die an¬ dere Hand unbefangen Heinrichen reichte. Klingsohr folgte ihnen, und ſo wandelten ſie durch die Stadt, die ſchon voller Lebendig¬ keit war, nach einem kleinen Hügel am Fluſ¬ ſe, wo ſich unter einigen hohen Bäumen ei¬ ne weite und volle Ausſicht öffnete.
Habe ich doch ſchon oft, rief Heinrich aus, mich an dem Aufgang der bunten Na¬ tur, an der friedlichen Nachbarſchaft ihres mannichfaltigen Eigenthums ergötzt; aber ei¬ ne ſo ſchöpferiſche und gediegene Heiterkeit hat mich noch nie erfüllt wie heute. Jene Fernen ſind mir ſo nah, und die reiche Land¬ ſchaft iſt mir wie eine innere Fantaſie. Wie veränderlich iſt die Natur, ſo unwandelbar auch ihre Oberfläche zu ſeyn ſcheint. Wie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0245"n="237"/>
einfachen Morgenkleide wunderlieblich aus¬<lb/>ſah und ihn freundlich grüßte. Sie hatte<lb/>ſchon das Frühſtück in ein Körbchen gepackt,<lb/>
das ſie an den Einen Arm hing, und die an¬<lb/>
dere Hand unbefangen Heinrichen reichte.<lb/>
Klingsohr folgte ihnen, und ſo wandelten ſie<lb/>
durch die Stadt, die ſchon voller Lebendig¬<lb/>
keit war, nach einem kleinen Hügel am Fluſ¬<lb/>ſe, wo ſich unter einigen hohen Bäumen ei¬<lb/>
ne weite und volle Ausſicht öffnete.</p><lb/><p>Habe ich doch ſchon oft, rief Heinrich<lb/>
aus, mich an dem Aufgang der bunten Na¬<lb/>
tur, an der friedlichen Nachbarſchaft ihres<lb/>
mannichfaltigen Eigenthums ergötzt; aber ei¬<lb/>
ne ſo ſchöpferiſche und gediegene Heiterkeit<lb/>
hat mich noch nie erfüllt wie heute. Jene<lb/>
Fernen ſind mir ſo nah, und die reiche Land¬<lb/>ſchaft iſt mir wie eine innere Fantaſie. Wie<lb/>
veränderlich iſt die Natur, ſo unwandelbar<lb/>
auch ihre Oberfläche zu ſeyn ſcheint. Wie<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[237/0245]
einfachen Morgenkleide wunderlieblich aus¬
ſah und ihn freundlich grüßte. Sie hatte
ſchon das Frühſtück in ein Körbchen gepackt,
das ſie an den Einen Arm hing, und die an¬
dere Hand unbefangen Heinrichen reichte.
Klingsohr folgte ihnen, und ſo wandelten ſie
durch die Stadt, die ſchon voller Lebendig¬
keit war, nach einem kleinen Hügel am Fluſ¬
ſe, wo ſich unter einigen hohen Bäumen ei¬
ne weite und volle Ausſicht öffnete.
Habe ich doch ſchon oft, rief Heinrich
aus, mich an dem Aufgang der bunten Na¬
tur, an der friedlichen Nachbarſchaft ihres
mannichfaltigen Eigenthums ergötzt; aber ei¬
ne ſo ſchöpferiſche und gediegene Heiterkeit
hat mich noch nie erfüllt wie heute. Jene
Fernen ſind mir ſo nah, und die reiche Land¬
ſchaft iſt mir wie eine innere Fantaſie. Wie
veränderlich iſt die Natur, ſo unwandelbar
auch ihre Oberfläche zu ſeyn ſcheint. Wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/245>, abgerufen am 25.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.