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Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892.

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Rätsel aufzuklären. Dem Herrn Bürgermeister Schleß aber gereicht es zur Ehre, daß er, als er über diesen befremdlichen Schritt mit seinem Erstaunen nicht zurückhielt, sich gewissermaßen mit der öffentlichen Meinung hier identifizierte. Was man hier über diese Einladung selbst von den ruhigsten Bürgern hört, entzieht sich der Wiedergabe.

Nach Lage der Sache sollte man fast annehmen, Herr Brixius habe Oster als Mitangeschuldigten geladen. Thatsächlich haben verschiedene Zeugen von Anfang an behauptet, die Juden hätten bereits mehrere Tage vor der Schächtung des Christenkindes in sehr verdächtiger Weise nachts heimliche Zusammenkünfte gehabt, in der Behausung Buschoffs miteinander getuschelt und dadurch den Eindruck hervorgerufen, als wären alle bei dem Frevel beteiligt gewesen. Ein glaubwürdiger Zeuge hat seinerzeit sogar auf dem Bürgermeisteramt zur Anzeige gebracht, er habe bestimmte hiesige Juden nach dem Morde belauscht und gehört, wie sie miteinander darüber sprachen, daß gegen Buschoff nichts herauskommen dürfe! Es ergiebt sich daraus, daß der inquirierende Richter sicherlich keinen Grund hat, gerade den Synagogenvorsteher quasi als diensteifrigen Famulus heranzuziehen. Nach einem so gearteten Vorgehen wird man sich kaum noch darüber wundern dürfen, wenn Herr Brixius es am Ende doch noch fertig bringt, nach dem Skurzer Muster irgend einen Katholiken an Stelle Buschoffs auf den Turm zu schicken. Es haben sich ja im Laufe der Voruntersuchung schon die wundersamsten Ueberraschungen abgespielt. Warum sollte man uns also den salto mortale einer Christenverhaftung als wirksamsten Blitzableiter ersparen? Es genügt hier der Hinweis, auf die Zeugin Kernder, welche, obwohl unbescholten, mit den Ihrigen zu längerer Haft und Geldbuße verurteilt wurde, weil sie es nicht dulden wollte, daß die jüdische Schächterfrau Bruckmann ihren Sohn, welcher "Hep" gerufen haben soll, thätlich erheblich mißhandelte. Die Jüdin hatte denselben abgeohrfeigt und hatte dafür auf der Stelle eine Tracht Prügel erhalten. Und trotz dieser groben Provokation seitens des Judenweibes erhielt die Katholikin Kernder (eine Belastungszeugin wider Buschoff) für diese thätliche Abstrafung sechs Wochen

Rätsel aufzuklären. Dem Herrn Bürgermeister Schleß aber gereicht es zur Ehre, daß er, als er über diesen befremdlichen Schritt mit seinem Erstaunen nicht zurückhielt, sich gewissermaßen mit der öffentlichen Meinung hier identifizierte. Was man hier über diese Einladung selbst von den ruhigsten Bürgern hört, entzieht sich der Wiedergabe.

Nach Lage der Sache sollte man fast annehmen, Herr Brixius habe Oster als Mitangeschuldigten geladen. Thatsächlich haben verschiedene Zeugen von Anfang an behauptet, die Juden hätten bereits mehrere Tage vor der Schächtung des Christenkindes in sehr verdächtiger Weise nachts heimliche Zusammenkünfte gehabt, in der Behausung Buschoffs miteinander getuschelt und dadurch den Eindruck hervorgerufen, als wären alle bei dem Frevel beteiligt gewesen. Ein glaubwürdiger Zeuge hat seinerzeit sogar auf dem Bürgermeisteramt zur Anzeige gebracht, er habe bestimmte hiesige Juden nach dem Morde belauscht und gehört, wie sie miteinander darüber sprachen, daß gegen Buschoff nichts herauskommen dürfe! Es ergiebt sich daraus, daß der inquirierende Richter sicherlich keinen Grund hat, gerade den Synagogenvorsteher quasi als diensteifrigen Famulus heranzuziehen. Nach einem so gearteten Vorgehen wird man sich kaum noch darüber wundern dürfen, wenn Herr Brixius es am Ende doch noch fertig bringt, nach dem Skurzer Muster irgend einen Katholiken an Stelle Buschoffs auf den Turm zu schicken. Es haben sich ja im Laufe der Voruntersuchung schon die wundersamsten Ueberraschungen abgespielt. Warum sollte man uns also den salto mortale einer Christenverhaftung als wirksamsten Blitzableiter ersparen? Es genügt hier der Hinweis, auf die Zeugin Kernder, welche, obwohl unbescholten, mit den Ihrigen zu längerer Haft und Geldbuße verurteilt wurde, weil sie es nicht dulden wollte, daß die jüdische Schächterfrau Bruckmann ihren Sohn, welcher „Hep“ gerufen haben soll, thätlich erheblich mißhandelte. Die Jüdin hatte denselben abgeohrfeigt und hatte dafür auf der Stelle eine Tracht Prügel erhalten. Und trotz dieser groben Provokation seitens des Judenweibes erhielt die Katholikin Kernder (eine Belastungszeugin wider Buschoff) für diese thätliche Abstrafung sechs Wochen

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[32/0032] Rätsel aufzuklären. Dem Herrn Bürgermeister Schleß aber gereicht es zur Ehre, daß er, als er über diesen befremdlichen Schritt mit seinem Erstaunen nicht zurückhielt, sich gewissermaßen mit der öffentlichen Meinung hier identifizierte. Was man hier über diese Einladung selbst von den ruhigsten Bürgern hört, entzieht sich der Wiedergabe. Nach Lage der Sache sollte man fast annehmen, Herr Brixius habe Oster als Mitangeschuldigten geladen. Thatsächlich haben verschiedene Zeugen von Anfang an behauptet, die Juden hätten bereits mehrere Tage vor der Schächtung des Christenkindes in sehr verdächtiger Weise nachts heimliche Zusammenkünfte gehabt, in der Behausung Buschoffs miteinander getuschelt und dadurch den Eindruck hervorgerufen, als wären alle bei dem Frevel beteiligt gewesen. Ein glaubwürdiger Zeuge hat seinerzeit sogar auf dem Bürgermeisteramt zur Anzeige gebracht, er habe bestimmte hiesige Juden nach dem Morde belauscht und gehört, wie sie miteinander darüber sprachen, daß gegen Buschoff nichts herauskommen dürfe! Es ergiebt sich daraus, daß der inquirierende Richter sicherlich keinen Grund hat, gerade den Synagogenvorsteher quasi als diensteifrigen Famulus heranzuziehen. Nach einem so gearteten Vorgehen wird man sich kaum noch darüber wundern dürfen, wenn Herr Brixius es am Ende doch noch fertig bringt, nach dem Skurzer Muster irgend einen Katholiken an Stelle Buschoffs auf den Turm zu schicken. Es haben sich ja im Laufe der Voruntersuchung schon die wundersamsten Ueberraschungen abgespielt. Warum sollte man uns also den salto mortale einer Christenverhaftung als wirksamsten Blitzableiter ersparen? Es genügt hier der Hinweis, auf die Zeugin Kernder, welche, obwohl unbescholten, mit den Ihrigen zu längerer Haft und Geldbuße verurteilt wurde, weil sie es nicht dulden wollte, daß die jüdische Schächterfrau Bruckmann ihren Sohn, welcher „Hep“ gerufen haben soll, thätlich erheblich mißhandelte. Die Jüdin hatte denselben abgeohrfeigt und hatte dafür auf der Stelle eine Tracht Prügel erhalten. Und trotz dieser groben Provokation seitens des Judenweibes erhielt die Katholikin Kernder (eine Belastungszeugin wider Buschoff) für diese thätliche Abstrafung sechs Wochen

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Zitationshilfe: Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oberwinder_buschoff_1892/32>, abgerufen am 28.03.2024.