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Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892.

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nach der Züchtigung, die eigentlich seinem eignen Buben Siegmund Buschoff, einem verlogenen Rangen, gebührt hatte, fand man zwanzig Schritte vom Schlachthause in einem Kuhstalle, den Buschoff als ständigen Durchgang benutzte und in welchem er sich fast mehr aufhielt, wie der eigene Besitzer, mit gespreizten Beinchen auf der Seite liegend, an einem zirkelartigen, von kundiger Hand ausgeführten Schnitte am Halse entblutet, das seit Stunden vermißte, sehr hübsche, kraftstrotzende Kind vor. Der hiesige Stabsarzt a. D. Dr. Steiner begutachtete bei der Obduktion, es könne nur ein Fachmann mit einem Schächt- oder Schlachtmesser den feigen Mord verübt haben. Die Volksstimme bezeichnete Buschoff sofort einstimmig als den Mörder, zumal er sich durch viele Auslassungen schwere Blößen gegeben hatte. Um den Verdacht um jeden Preis von sich abzulenken, lief er auf das Bürgermeisteramt und forderte selbst seine Festsetzung, um, wie er schlau hinzufügte, seine Unschuld darzuthun! Und durch solche und andere Kunststücke gelang es ihm auch wirklich, die sehr lau vorgehenden Gerichtsbehörden sich vom Halse zu halten, bis Herr Wolff aus Berlin eintraf, der nach wochenlangen Erhebungen, trotz der anfänglichen Weigerung der Gerichtsbehörden durch Produzierung unanfechtbarer Beweise Buschoffs und seiner Familie Festsetzung durchsetzte. Über dem kleinen Grabhügel des geschächteten Kindes wächst bereits Immergrün, und - wer kann das Ungeheuerliche fassen? - nun soll dieser blutige Frevel unaufgeklärt bleiben!

Was in Cleve inzwischen und anderswo vorgegangen ist, darüber müssen wir, die wir uns aus kulturellen Gründen die Entwirrung dieses schmutzigen Knäuels zur Aufgabe gemacht haben, für jetzt noch Schweigen beobachten. Am ganzen Niederrhein herrscht über diese befremdliche Kriminalprozedur nur eine Stimme: Einstimmig hält man den Schächter Buschoff, für dessen Rettung das Judentum beweisbar wie ein Mann eintrat, für den Mörder des geschächteten Christenkindes. Und dieser tiefgewurzelten, durch zahlreiche erdrückende Beweise begründeten Uberzeugung soll in der Form eines Massenprotestes demnächst Ausdruck gegeben werden. Warum hat man unsere

nach der Züchtigung, die eigentlich seinem eignen Buben Siegmund Buschoff, einem verlogenen Rangen, gebührt hatte, fand man zwanzig Schritte vom Schlachthause in einem Kuhstalle, den Buschoff als ständigen Durchgang benutzte und in welchem er sich fast mehr aufhielt, wie der eigene Besitzer, mit gespreizten Beinchen auf der Seite liegend, an einem zirkelartigen, von kundiger Hand ausgeführten Schnitte am Halse entblutet, das seit Stunden vermißte, sehr hübsche, kraftstrotzende Kind vor. Der hiesige Stabsarzt a. D. Dr. Steiner begutachtete bei der Obduktion, es könne nur ein Fachmann mit einem Schächt- oder Schlachtmesser den feigen Mord verübt haben. Die Volksstimme bezeichnete Buschoff sofort einstimmig als den Mörder, zumal er sich durch viele Auslassungen schwere Blößen gegeben hatte. Um den Verdacht um jeden Preis von sich abzulenken, lief er auf das Bürgermeisteramt und forderte selbst seine Festsetzung, um, wie er schlau hinzufügte, seine Unschuld darzuthun! Und durch solche und andere Kunststücke gelang es ihm auch wirklich, die sehr lau vorgehenden Gerichtsbehörden sich vom Halse zu halten, bis Herr Wolff aus Berlin eintraf, der nach wochenlangen Erhebungen, trotz der anfänglichen Weigerung der Gerichtsbehörden durch Produzierung unanfechtbarer Beweise Buschoffs und seiner Familie Festsetzung durchsetzte. Über dem kleinen Grabhügel des geschächteten Kindes wächst bereits Immergrün, und – wer kann das Ungeheuerliche fassen? – nun soll dieser blutige Frevel unaufgeklärt bleiben!

Was in Cleve inzwischen und anderswo vorgegangen ist, darüber müssen wir, die wir uns aus kulturellen Gründen die Entwirrung dieses schmutzigen Knäuels zur Aufgabe gemacht haben, für jetzt noch Schweigen beobachten. Am ganzen Niederrhein herrscht über diese befremdliche Kriminalprozedur nur eine Stimme: Einstimmig hält man den Schächter Buschoff, für dessen Rettung das Judentum beweisbar wie ein Mann eintrat, für den Mörder des geschächteten Christenkindes. Und dieser tiefgewurzelten, durch zahlreiche erdrückende Beweise begründeten Uberzeugung soll in der Form eines Massenprotestes demnächst Ausdruck gegeben werden. Warum hat man unsere

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[7/0007] nach der Züchtigung, die eigentlich seinem eignen Buben Siegmund Buschoff, einem verlogenen Rangen, gebührt hatte, fand man zwanzig Schritte vom Schlachthause in einem Kuhstalle, den Buschoff als ständigen Durchgang benutzte und in welchem er sich fast mehr aufhielt, wie der eigene Besitzer, mit gespreizten Beinchen auf der Seite liegend, an einem zirkelartigen, von kundiger Hand ausgeführten Schnitte am Halse entblutet, das seit Stunden vermißte, sehr hübsche, kraftstrotzende Kind vor. Der hiesige Stabsarzt a. D. Dr. Steiner begutachtete bei der Obduktion, es könne nur ein Fachmann mit einem Schächt- oder Schlachtmesser den feigen Mord verübt haben. Die Volksstimme bezeichnete Buschoff sofort einstimmig als den Mörder, zumal er sich durch viele Auslassungen schwere Blößen gegeben hatte. Um den Verdacht um jeden Preis von sich abzulenken, lief er auf das Bürgermeisteramt und forderte selbst seine Festsetzung, um, wie er schlau hinzufügte, seine Unschuld darzuthun! Und durch solche und andere Kunststücke gelang es ihm auch wirklich, die sehr lau vorgehenden Gerichtsbehörden sich vom Halse zu halten, bis Herr Wolff aus Berlin eintraf, der nach wochenlangen Erhebungen, trotz der anfänglichen Weigerung der Gerichtsbehörden durch Produzierung unanfechtbarer Beweise Buschoffs und seiner Familie Festsetzung durchsetzte. Über dem kleinen Grabhügel des geschächteten Kindes wächst bereits Immergrün, und – wer kann das Ungeheuerliche fassen? – nun soll dieser blutige Frevel unaufgeklärt bleiben! Was in Cleve inzwischen und anderswo vorgegangen ist, darüber müssen wir, die wir uns aus kulturellen Gründen die Entwirrung dieses schmutzigen Knäuels zur Aufgabe gemacht haben, für jetzt noch Schweigen beobachten. Am ganzen Niederrhein herrscht über diese befremdliche Kriminalprozedur nur eine Stimme: Einstimmig hält man den Schächter Buschoff, für dessen Rettung das Judentum beweisbar wie ein Mann eintrat, für den Mörder des geschächteten Christenkindes. Und dieser tiefgewurzelten, durch zahlreiche erdrückende Beweise begründeten Uberzeugung soll in der Form eines Massenprotestes demnächst Ausdruck gegeben werden. Warum hat man unsere

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Zitationshilfe: Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oberwinder_buschoff_1892/7>, abgerufen am 19.04.2024.