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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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Schaar von Kindern in den ebenfalls glänzend geschmückten Saal des Fabrikgebäudes. Aber dies waren bleiche, schmächtige, dürftig in unreinliche Lumpen gehüllte Kinder, welchen man es ansah, daß ihre kleinen Hände und halbverkrüppelten Glieder schon an schwere Arbeit gewöhnt waren, auf deren Gesichtern man es las, wie oft ihr kleiner Mund mit den blassen Lippen umsonst nach Brod verlangen mußte, wie in diesen trüben, niedergeschlagenen Augen ein Ausdruck thierischen, stummen Duldens lag. Diese kleinen, blassen Kinder hatten einander seltsam angestarrt, wie man sie zu den schimmernden Christbäumen geführt, und ihnen dann die warmen Röckchen und Schuh mit den rothen Aepfeln und klappernden Nüssen gegeben hatte. Sie hatten die Gaben hingenommen ohne Dank und Jubel, beinah ohne Freude -- und nur einem groben Instinkt folgend das Obst zum Munde geführt -- so sehr ohnmächtig jeder Gefühlsregung hatte sie das tägliche Elend und die stete Arbeit gemacht, Pauline hatte laut weinen müssen, als sie diese unglücklichen Kleinen um sich versammelt sah -- aber sie weinte nicht aus stiller Rührung, wie sie sich es wohl ausgemalt hatte, sondern aus tiefem, unendlichem Jammer, bei dem sie meinte, er müsse ihr ganz das weiche Herz durchschneiden.

Seitdem waren einige Tage vergangen, die Freundinnen hatten sich noch nicht wiedergesehen. Da sagte sich Elisaheth, daß sie, als die Höhergestellte, den ersten Schritt zu

Schaar von Kindern in den ebenfalls glänzend geschmückten Saal des Fabrikgebäudes. Aber dies waren bleiche, schmächtige, dürftig in unreinliche Lumpen gehüllte Kinder, welchen man es ansah, daß ihre kleinen Hände und halbverkrüppelten Glieder schon an schwere Arbeit gewöhnt waren, auf deren Gesichtern man es las, wie oft ihr kleiner Mund mit den blassen Lippen umsonst nach Brod verlangen mußte, wie in diesen trüben, niedergeschlagenen Augen ein Ausdruck thierischen, stummen Duldens lag. Diese kleinen, blassen Kinder hatten einander seltsam angestarrt, wie man sie zu den schimmernden Christbäumen geführt, und ihnen dann die warmen Röckchen und Schuh mit den rothen Aepfeln und klappernden Nüssen gegeben hatte. Sie hatten die Gaben hingenommen ohne Dank und Jubel, beinah ohne Freude — und nur einem groben Instinkt folgend das Obst zum Munde geführt — so sehr ohnmächtig jeder Gefühlsregung hatte sie das tägliche Elend und die stete Arbeit gemacht, Pauline hatte laut weinen müssen, als sie diese unglücklichen Kleinen um sich versammelt sah — aber sie weinte nicht aus stiller Rührung, wie sie sich es wohl ausgemalt hatte, sondern aus tiefem, unendlichem Jammer, bei dem sie meinte, er müsse ihr ganz das weiche Herz durchschneiden.

Seitdem waren einige Tage vergangen, die Freundinnen hatten sich noch nicht wiedergesehen. Da sagte sich Elisaheth, daß sie, als die Höhergestellte, den ersten Schritt zu

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Schaar von Kindern in den ebenfalls glänzend geschmückten Saal des Fabrikgebäudes. Aber dies waren bleiche, schmächtige, dürftig in unreinliche Lumpen gehüllte Kinder, welchen man es ansah, daß ihre kleinen Hände und halbverkrüppelten Glieder schon an schwere Arbeit gewöhnt waren, auf deren Gesichtern man es las, wie oft ihr kleiner Mund mit den blassen Lippen umsonst nach Brod verlangen mußte, wie in diesen trüben, niedergeschlagenen Augen ein Ausdruck thierischen, stummen Duldens lag. Diese kleinen, blassen Kinder hatten einander seltsam angestarrt, wie man sie zu den schimmernden Christbäumen geführt, und ihnen dann die warmen Röckchen und Schuh mit den rothen Aepfeln und klappernden Nüssen gegeben hatte. Sie hatten die Gaben hingenommen ohne Dank und Jubel, beinah ohne Freude &#x2014; und nur einem groben Instinkt folgend das Obst zum Munde geführt &#x2014; so sehr ohnmächtig jeder Gefühlsregung hatte sie das tägliche Elend und die stete Arbeit gemacht, Pauline hatte laut weinen müssen, als sie diese unglücklichen Kleinen um sich versammelt sah &#x2014; aber sie weinte nicht aus stiller Rührung, wie sie sich es wohl ausgemalt hatte, sondern aus tiefem, unendlichem Jammer, bei dem sie meinte, er müsse ihr ganz das weiche Herz durchschneiden.</p>
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[132/0142] Schaar von Kindern in den ebenfalls glänzend geschmückten Saal des Fabrikgebäudes. Aber dies waren bleiche, schmächtige, dürftig in unreinliche Lumpen gehüllte Kinder, welchen man es ansah, daß ihre kleinen Hände und halbverkrüppelten Glieder schon an schwere Arbeit gewöhnt waren, auf deren Gesichtern man es las, wie oft ihr kleiner Mund mit den blassen Lippen umsonst nach Brod verlangen mußte, wie in diesen trüben, niedergeschlagenen Augen ein Ausdruck thierischen, stummen Duldens lag. Diese kleinen, blassen Kinder hatten einander seltsam angestarrt, wie man sie zu den schimmernden Christbäumen geführt, und ihnen dann die warmen Röckchen und Schuh mit den rothen Aepfeln und klappernden Nüssen gegeben hatte. Sie hatten die Gaben hingenommen ohne Dank und Jubel, beinah ohne Freude — und nur einem groben Instinkt folgend das Obst zum Munde geführt — so sehr ohnmächtig jeder Gefühlsregung hatte sie das tägliche Elend und die stete Arbeit gemacht, Pauline hatte laut weinen müssen, als sie diese unglücklichen Kleinen um sich versammelt sah — aber sie weinte nicht aus stiller Rührung, wie sie sich es wohl ausgemalt hatte, sondern aus tiefem, unendlichem Jammer, bei dem sie meinte, er müsse ihr ganz das weiche Herz durchschneiden. Seitdem waren einige Tage vergangen, die Freundinnen hatten sich noch nicht wiedergesehen. Da sagte sich Elisaheth, daß sie, als die Höhergestellte, den ersten Schritt zu

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/142>, abgerufen am 18.04.2024.