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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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als ich bei meiner Tante zum Besuch war, habe ich dort zufällig gehört, was mich in's Innerste bewegt hat."

"Nun, das wäre? --"

"Thalheim soll so arm sein, daß er sich seiner Frau wegen die größten Entbehrungen auferlegt und jetzt durch ihre Krankheit in die größte Noth gestürzt Tag und Nacht allein an ihrem Lager wacht, jeden Dienst ihr leistet und unter den quälendsten Sorgen ringt. Ach, Aurelie, in diesem Augenblick, wo wir friedlich zusammen sprechen, kniet er vielleicht in Verzweiflung, daß er der sterbenden Gattin irgend einen Wunsch nicht erfüllen kann, an ihrem Schmerzenslager, und eine Hand voll elenden Goldes könnte sie zwar nicht dem Leben erhalten, aber es ihr doch leichter machen, zu sterben, und er wäre doch der niedrigsten aller Sorgen enthoben."

"Das thut mir wirklich leid, wenn er so unglücklich ist -- Armuth muß doch sehr schlimm zu ertragen sein -- Aber wie können wir es ändern? Einem Bettler könnte man schon helfen -- ihm aber nicht."

"Es ist freilich hier nicht so leicht, aber doch nicht unmöglich. -- Das ist es, worüber ich heute den ganzen Tag nachgedacht habe. Ich muß aber vor allen Dingen wissen, ob jenes Gerücht von Thalheim's Armuth wirklich wahr ist. Ich habe mich heute bei unserm Laufmädchen nach seiner Wohnung erkundigt und erfahren, daß eine Blumenmacherin

als ich bei meiner Tante zum Besuch war, habe ich dort zufällig gehört, was mich in’s Innerste bewegt hat.“

„Nun, das wäre? —“

„Thalheim soll so arm sein, daß er sich seiner Frau wegen die größten Entbehrungen auferlegt und jetzt durch ihre Krankheit in die größte Noth gestürzt Tag und Nacht allein an ihrem Lager wacht, jeden Dienst ihr leistet und unter den quälendsten Sorgen ringt. Ach, Aurelie, in diesem Augenblick, wo wir friedlich zusammen sprechen, kniet er vielleicht in Verzweiflung, daß er der sterbenden Gattin irgend einen Wunsch nicht erfüllen kann, an ihrem Schmerzenslager, und eine Hand voll elenden Goldes könnte sie zwar nicht dem Leben erhalten, aber es ihr doch leichter machen, zu sterben, und er wäre doch der niedrigsten aller Sorgen enthoben.“

„Das thut mir wirklich leid, wenn er so unglücklich ist — Armuth muß doch sehr schlimm zu ertragen sein — Aber wie können wir es ändern? Einem Bettler könnte man schon helfen — ihm aber nicht.“

„Es ist freilich hier nicht so leicht, aber doch nicht unmöglich. — Das ist es, worüber ich heute den ganzen Tag nachgedacht habe. Ich muß aber vor allen Dingen wissen, ob jenes Gerücht von Thalheim’s Armuth wirklich wahr ist. Ich habe mich heute bei unserm Laufmädchen nach seiner Wohnung erkundigt und erfahren, daß eine Blumenmacherin

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[9/0019] als ich bei meiner Tante zum Besuch war, habe ich dort zufällig gehört, was mich in’s Innerste bewegt hat.“ „Nun, das wäre? —“ „Thalheim soll so arm sein, daß er sich seiner Frau wegen die größten Entbehrungen auferlegt und jetzt durch ihre Krankheit in die größte Noth gestürzt Tag und Nacht allein an ihrem Lager wacht, jeden Dienst ihr leistet und unter den quälendsten Sorgen ringt. Ach, Aurelie, in diesem Augenblick, wo wir friedlich zusammen sprechen, kniet er vielleicht in Verzweiflung, daß er der sterbenden Gattin irgend einen Wunsch nicht erfüllen kann, an ihrem Schmerzenslager, und eine Hand voll elenden Goldes könnte sie zwar nicht dem Leben erhalten, aber es ihr doch leichter machen, zu sterben, und er wäre doch der niedrigsten aller Sorgen enthoben.“ „Das thut mir wirklich leid, wenn er so unglücklich ist — Armuth muß doch sehr schlimm zu ertragen sein — Aber wie können wir es ändern? Einem Bettler könnte man schon helfen — ihm aber nicht.“ „Es ist freilich hier nicht so leicht, aber doch nicht unmöglich. — Das ist es, worüber ich heute den ganzen Tag nachgedacht habe. Ich muß aber vor allen Dingen wissen, ob jenes Gerücht von Thalheim’s Armuth wirklich wahr ist. Ich habe mich heute bei unserm Laufmädchen nach seiner Wohnung erkundigt und erfahren, daß eine Blumenmacherin

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/19>, abgerufen am 28.03.2024.