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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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in Gehirn-Reflexen sich erschöpfe. Und das Gesez der Erhaltung der Energie, der Unveräusserlichkeit der Materje, zwingt sie von ihrem Standpunkt aus zu rigoroser Erfüllung dieses Programms. Wo ist hier Raum für's Denken? Trozdem ist dieses, wie es scheint, da. Aber der Sprung aus der Materje in dieses Absolute ist ohne Preisgebung des gesamten Programmes unmöglich. Also das, was die Materjalisten am liebsten los wären, und am liebsten los sein wollen müssen, ist - das Denken. Daher die verzweifelten Versuche, sich um dieses herumzudrüken, die einladensten Bilder, von diesem Verhältnis der Materje zum Denken sich eine irgendwie zufriedenstellende Vorstellung zu machen; daher die Wendungen, dem Denken eine mehr nebensächliche, lediglich "zuschauende" Rolle zuzuerteilen, es als "eine im Grunde ganz überflüssige Begleiterscheinung" anzusehen. Ja, ein jüngster Forscher verwahrt sich gegen die "Anteilnahme der ,Seele' an den Verrichtungen des Thierleibes (Menschen)" und verlangt die konsequente Durchführung der Auffassung des "menschlichen Organismus als Mechanismus begriffen".1) - Was bliebe angesichts dessen für Jemanden, der den baroken Gedanken fasste, sein Denken nicht für die Nebensache, sondern für die Hauptsache zu halten, übrig? - Sein Denken. - Für Einen, dem die Vorstellung, dass sein gesamtes Dasein als Mechanismus beschlossen sei, unerträglich wäre, was bliebe ihm übrig? - Sich in sein Denken zu retten. - So wie einst Descartes aus den skeptischen, zweifelsüchtigen Anwandlungen seines Jahrhunderts sich herausriss, indem er, mit der Faust auf den Tisch schlagend, ausrief: Ich zweifle; also denke ich! - müsste er von seinem Denken ausgehen - nicht von der Materje; denn von hier aus ist die Erreichung des Denkens ausgeschlossen - und von hier aus versuchen, zu einer Weltanschauung zu gelangen. Diesem Versuch seien die folgenden Zeilen gewidmet.

1) Hauptmann, Carl, Beiträge zu einen dynamischen Theorie der Lebewesen. Jena. 1894.

in Gehirn-Reflexen sich erschöpfe. Und das Gesez der Erhaltung der Energie, der Unveräusserlichkeit der Materje, zwingt sie von ihrem Standpunkt aus zu rigoroser Erfüllung dieses Programms. Wo ist hier Raum für’s Denken? Trozdem ist dieses, wie es scheint, da. Aber der Sprung aus der Materje in dieses Absolute ist ohne Preisgebung des gesamten Programmes unmöglich. Also das, was die Materjalisten am liebsten los wären, und am liebsten los sein wollen müssen, ist – das Denken. Daher die verzweifelten Versuche, sich um dieses herumzudrüken, die einladensten Bilder, von diesem Verhältnis der Materje zum Denken sich eine irgendwie zufriedenstellende Vorstellung zu machen; daher die Wendungen, dem Denken eine mehr nebensächliche, lediglich „zuschauende“ Rolle zuzuerteilen, es als „eine im Grunde ganz überflüssige Begleiterscheinung“ anzusehen. Ja, ein jüngster Forscher verwahrt sich gegen die „Anteilnahme der ,Seele’ an den Verrichtungen des Thierleibes (Menschen)“ und verlangt die konsequente Durchführung der Auffassung des „menschlichen Organismus als Mechanismus begriffen“.1) – Was bliebe angesichts dessen für Jemanden, der den baroken Gedanken fasste, sein Denken nicht für die Nebensache, sondern für die Hauptsache zu halten, übrig? – Sein Denken. – Für Einen, dem die Vorstellung, dass sein gesamtes Dasein als Mechanismus beschlossen sei, unerträglich wäre, was bliebe ihm übrig? – Sich in sein Denken zu retten. – So wie einst Descartes aus den skeptischen, zweifelsüchtigen Anwandlungen seines Jahrhunderts sich herausriss, indem er, mit der Faust auf den Tisch schlagend, ausrief: Ich zweifle; also denke ich! – müsste er von seinem Denken ausgehen – nicht von der Materje; denn von hier aus ist die Erreichung des Denkens ausgeschlossen – und von hier aus versuchen, zu einer Weltanschauung zu gelangen. Diesem Versuch seien die folgenden Zeilen gewidmet.

1) Hauptmann, Carl, Beiträge zu einen dynamischen Theorie der Lebewesen. Jena. 1894.
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[14/0015] in Gehirn-Reflexen sich erschöpfe. Und das Gesez der Erhaltung der Energie, der Unveräusserlichkeit der Materje, zwingt sie von ihrem Standpunkt aus zu rigoroser Erfüllung dieses Programms. Wo ist hier Raum für’s Denken? Trozdem ist dieses, wie es scheint, da. Aber der Sprung aus der Materje in dieses Absolute ist ohne Preisgebung des gesamten Programmes unmöglich. Also das, was die Materjalisten am liebsten los wären, und am liebsten los sein wollen müssen, ist – das Denken. Daher die verzweifelten Versuche, sich um dieses herumzudrüken, die einladensten Bilder, von diesem Verhältnis der Materje zum Denken sich eine irgendwie zufriedenstellende Vorstellung zu machen; daher die Wendungen, dem Denken eine mehr nebensächliche, lediglich „zuschauende“ Rolle zuzuerteilen, es als „eine im Grunde ganz überflüssige Begleiterscheinung“ anzusehen. Ja, ein jüngster Forscher verwahrt sich gegen die „Anteilnahme der ,Seele’ an den Verrichtungen des Thierleibes (Menschen)“ und verlangt die konsequente Durchführung der Auffassung des „menschlichen Organismus als Mechanismus begriffen“. 1) – Was bliebe angesichts dessen für Jemanden, der den baroken Gedanken fasste, sein Denken nicht für die Nebensache, sondern für die Hauptsache zu halten, übrig? – Sein Denken. – Für Einen, dem die Vorstellung, dass sein gesamtes Dasein als Mechanismus beschlossen sei, unerträglich wäre, was bliebe ihm übrig? – Sich in sein Denken zu retten. – So wie einst Descartes aus den skeptischen, zweifelsüchtigen Anwandlungen seines Jahrhunderts sich herausriss, indem er, mit der Faust auf den Tisch schlagend, ausrief: Ich zweifle; also denke ich! – müsste er von seinem Denken ausgehen – nicht von der Materje; denn von hier aus ist die Erreichung des Denkens ausgeschlossen – und von hier aus versuchen, zu einer Weltanschauung zu gelangen. Diesem Versuch seien die folgenden Zeilen gewidmet. 1) Hauptmann, Carl, Beiträge zu einen dynamischen Theorie der Lebewesen. Jena. 1894.

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/15>, abgerufen am 24.04.2024.