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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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§. 8.

Wenn die Welt für mein Denken eine Halluzinazion ist, was ist sie dann für mich, den Erfahrungsmenschen, für meine Sinne, ohne die ich nun einmal nicht Haus halten kann? - Eine Illusion. - Wahrhaftig kein neuer Gedanke. Alle idealistischen Sisteme von Brahma bis Kant waren dieser Ansicht. - Sind wir aber damit fertig? - Keineswegs! Es entsteht die Frage: wie komt die Welt als Illusion in meinen Kopf? Wie komme ich dazu, in meinem Denken die Welt als Wahrnehmung zu halluziniren? Der rastlose Arbeiter in meinem Geist fragt: Warum? - Woher? - Die moderne Psichologie hat zur Erklärung - nicht der Welt als Halluzinazion, dies ist eine metafisische Untersuchung - aber der grob-sinlichen Halluzinazion, der Halluzinazion als Erscheinung, der Zwangsvorstellung, der Sugestion - die Teorie des "Unterbewusstseins" aufgestelt, der "subliminal consciousness", wie die Engländer sagen, oder "souconscience" der Franzosen. Es könte scheinen, als ob dieses Unterbewustsein in Stande wäre, alle die plözlichen Einbrüche in mein Denken zu erklären. Und indem ich den Einwand gelten lasse, argumentire ich wieder als ein dem hinfälligen Gebiete der Erfahrung Angehöriger. Aber es wird sich zeigen, dass wir an das "Unterbewusstsein" genau die gleichen Fragen stellen müssen, wie an das "Unbewusstsein". Wie soll ein Einfall aus dem "Unterbewusstsein" in mein "Oberbewusstsein" gelangen? Wollen wir keinen kausallosen Sprung wagen, so müssen beide Zentren assoziativ verbunden sein. Soll nun auf dieser Bahn eine "bewusste Vorstellung" hinauf gleiten, die oben bewusst und unten bewusst ist, wie komme ich in meinem Oberdenken dazu, sie für einen "Einfall" zu halten, für einen Einbruch in mein Denken, für etwas aus dem "Unbewussten" Geborenes, für eine "Halluzinazion", da ja gerade ihr assoziazionsloser, nicht vorher mit Bewusstsein begabter, Charakter, sie mir als einen "Einfall" erscheinen lässt? Und die Sache wird nicht dadurch besser, das ich sage: die zwei Bewusstsein-Bezirke verhalten sich wie zwei Iche, wie zwei

§. 8.

Wenn die Welt für mein Denken eine Halluzinazion ist, was ist sie dann für mich, den Erfahrungsmenschen, für meine Sinne, ohne die ich nun einmal nicht Haus halten kann? – Eine Illusion. – Wahrhaftig kein neuer Gedanke. Alle idealistischen Sisteme von Brahma bis Kant waren dieser Ansicht. – Sind wir aber damit fertig? – Keineswegs! Es entsteht die Frage: wie komt die Welt als Illusion in meinen Kopf? Wie komme ich dazu, in meinem Denken die Welt als Wahrnehmung zu halluziniren? Der rastlose Arbeiter in meinem Geist fragt: Warum? – Woher? – Die moderne Psichologie hat zur Erklärung – nicht der Welt als Halluzinazion, dies ist eine metafisische Untersuchung – aber der grob-sinlichen Halluzinazion, der Halluzinazion als Erscheinung, der Zwangsvorstellung, der Sugestion – die Teorie des „Unterbewusstseins“ aufgestelt, der „subliminal consciousness“, wie die Engländer sagen, oder „souconscience“ der Franzosen. Es könte scheinen, als ob dieses Unterbewustsein in Stande wäre, alle die plözlichen Einbrüche in mein Denken zu erklären. Und indem ich den Einwand gelten lasse, argumentire ich wieder als ein dem hinfälligen Gebiete der Erfahrung Angehöriger. Aber es wird sich zeigen, dass wir an das „Unterbewusstsein“ genau die gleichen Fragen stellen müssen, wie an das „Unbewusstsein“. Wie soll ein Einfall aus dem „Unterbewusstsein“ in mein „Oberbewusstsein“ gelangen? Wollen wir keinen kausallosen Sprung wagen, so müssen beide Zentren assoziativ verbunden sein. Soll nun auf dieser Bahn eine „bewusste Vorstellung“ hinauf gleiten, die oben bewusst und unten bewusst ist, wie komme ich in meinem Oberdenken dazu, sie für einen „Einfall“ zu halten, für einen Einbruch in mein Denken, für etwas aus dem „Unbewussten“ Geborenes, für eine „Halluzinazion“, da ja gerade ihr assoziazionsloser, nicht vorher mit Bewusstsein begabter, Charakter, sie mir als einen „Einfall“ erscheinen lässt? Und die Sache wird nicht dadurch besser, das ich sage: die zwei Bewusstsein-Bezirke verhalten sich wie zwei Iche, wie zwei

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[21/0022] §. 8. Wenn die Welt für mein Denken eine Halluzinazion ist, was ist sie dann für mich, den Erfahrungsmenschen, für meine Sinne, ohne die ich nun einmal nicht Haus halten kann? – Eine Illusion. – Wahrhaftig kein neuer Gedanke. Alle idealistischen Sisteme von Brahma bis Kant waren dieser Ansicht. – Sind wir aber damit fertig? – Keineswegs! Es entsteht die Frage: wie komt die Welt als Illusion in meinen Kopf? Wie komme ich dazu, in meinem Denken die Welt als Wahrnehmung zu halluziniren? Der rastlose Arbeiter in meinem Geist fragt: Warum? – Woher? – Die moderne Psichologie hat zur Erklärung – nicht der Welt als Halluzinazion, dies ist eine metafisische Untersuchung – aber der grob-sinlichen Halluzinazion, der Halluzinazion als Erscheinung, der Zwangsvorstellung, der Sugestion – die Teorie des „Unterbewusstseins“ aufgestelt, der „subliminal consciousness“, wie die Engländer sagen, oder „souconscience“ der Franzosen. Es könte scheinen, als ob dieses Unterbewustsein in Stande wäre, alle die plözlichen Einbrüche in mein Denken zu erklären. Und indem ich den Einwand gelten lasse, argumentire ich wieder als ein dem hinfälligen Gebiete der Erfahrung Angehöriger. Aber es wird sich zeigen, dass wir an das „Unterbewusstsein“ genau die gleichen Fragen stellen müssen, wie an das „Unbewusstsein“. Wie soll ein Einfall aus dem „Unterbewusstsein“ in mein „Oberbewusstsein“ gelangen? Wollen wir keinen kausallosen Sprung wagen, so müssen beide Zentren assoziativ verbunden sein. Soll nun auf dieser Bahn eine „bewusste Vorstellung“ hinauf gleiten, die oben bewusst und unten bewusst ist, wie komme ich in meinem Oberdenken dazu, sie für einen „Einfall“ zu halten, für einen Einbruch in mein Denken, für etwas aus dem „Unbewussten“ Geborenes, für eine „Halluzinazion“, da ja gerade ihr assoziazionsloser, nicht vorher mit Bewusstsein begabter, Charakter, sie mir als einen „Einfall“ erscheinen lässt? Und die Sache wird nicht dadurch besser, das ich sage: die zwei Bewusstsein-Bezirke verhalten sich wie zwei Iche, wie zwei

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/22>, abgerufen am 28.03.2024.