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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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ist. Wir können durch Rükschluss von der Materje nimmermehr auf die Psiche stossen. Viel eher hätten wir Ursache, von der Psiche aus durch Vorwärtsdringen auf die Materje zu stossen, wie Berkeley und Kant versuchten. Denn wie uns die Untersuchung der Energie unserer Sinnes-Organe zeigt, liegt der, ganze Aspekt der Aussenwelt in ihrer (der Sinnes-Organe) Funkzion beschlossen. Nachdem also konstatirt war, dass der süsse Geschmak des Apfels nicht am Apfel sondern in meiner Zunge, und nicht in meiner Zunge sondern in meinem Geschmaksnerven, und nicht in meinem Geschmaksnerven sondern in der von ihm versorgten Rindenpartie des Gehirn's, und nicht in dieser Rindenpartie sondern in meiner Vorstellung ruht, solte man doch das so gewonnene sichere Ergebnis in dem Axiom festhalten, dass der Apfelgeschmak ein von der Vorstellung auf den Apfel übertragenes Etwas sei, statt die Apfelsüsse immer wieder von der Aussenwelt durch Mund und Nerven ins Gehirn wandern zu lassen, wo sie unweigerlich steken bleibt, da Niemand einsehen kann, wie aus einer Parzelle Gehirns eine Vorstellung werden kann; wobei es einerlei ist, ob ich statt Apfelsüsse "Reiz", oder "Bewegung" sage. War aber das Ergebnis des Vordringens der Empfindung des Süssen aus der Vorstellung auf den Apfel in der Aussenwelt gesichert - und soweit war schon die Transzendentalfilosofie Kant's - dann musste, da der Sprung von Psichischem auf Körperliches ebensowenig erfolgen konte, das Körperliche selbst, und damit die Aussenwelt, als ein im Psichischen beschlossenen Kern, als ein mit ihm Gegebenes erkant werden, und Körperlichkeit und Räumlichkeit der Aussenwelt als Illusion. -

Der Gehirn-Anatom also, der auf ein der Leiche entnommenes Gehirn starrt, um hier Residuen von Gedanken zu finden, begeht von seinem Denken aus denselben Fehler, wie ein Fotograf, der aus Betrachtung einer Negativ-Platte Schlüsse auf die Natur - des Lichts ziehen wollte. Beide haben nur die eine Hälfte des Prozesses vor sich - dieser verteilte Silbersalze, jener Gehirnmasse - und als ein Substrat, in dem der gesuchte Prozess garnicht stattfindet. Denn weder findet Denken als Gehirn, noch Lichtwellen als

ist. Wir können durch Rükschluss von der Materje nimmermehr auf die Psiche stossen. Viel eher hätten wir Ursache, von der Psiche aus durch Vorwärtsdringen auf die Materje zu stossen, wie Berkeley und Kant versuchten. Denn wie uns die Untersuchung der Energie unserer Sinnes-Organe zeigt, liegt der, ganze Aspekt der Aussenwelt in ihrer (der Sinnes-Organe) Funkzion beschlossen. Nachdem also konstatirt war, dass der süsse Geschmak des Apfels nicht am Apfel sondern in meiner Zunge, und nicht in meiner Zunge sondern in meinem Geschmaksnerven, und nicht in meinem Geschmaksnerven sondern in der von ihm versorgten Rindenpartie des Gehirn’s, und nicht in dieser Rindenpartie sondern in meiner Vorstellung ruht, solte man doch das so gewonnene sichere Ergebnis in dem Axiom festhalten, dass der Apfelgeschmak ein von der Vorstellung auf den Apfel übertragenes Etwas sei, statt die Apfelsüsse immer wieder von der Aussenwelt durch Mund und Nerven ins Gehirn wandern zu lassen, wo sie unweigerlich steken bleibt, da Niemand einsehen kann, wie aus einer Parzelle Gehirns eine Vorstellung werden kann; wobei es einerlei ist, ob ich statt Apfelsüsse „Reiz“, oder „Bewegung“ sage. War aber das Ergebnis des Vordringens der Empfindung des Süssen aus der Vorstellung auf den Apfel in der Aussenwelt gesichert – und soweit war schon die Transzendentalfilosofie Kant’s – dann musste, da der Sprung von Psichischem auf Körperliches ebensowenig erfolgen konte, das Körperliche selbst, und damit die Aussenwelt, als ein im Psichischen beschlossenen Kern, als ein mit ihm Gegebenes erkant werden, und Körperlichkeit und Räumlichkeit der Aussenwelt als Illusion. –

Der Gehirn-Anatom also, der auf ein der Leiche entnommenes Gehirn starrt, um hier Residuen von Gedanken zu finden, begeht von seinem Denken aus denselben Fehler, wie ein Fotograf, der aus Betrachtung einer Negativ-Platte Schlüsse auf die Natur – des Lichts ziehen wollte. Beide haben nur die eine Hälfte des Prozesses vor sich – dieser verteilte Silbersalze, jener Gehirnmasse – und als ein Substrat, in dem der gesuchte Prozess garnicht stattfindet. Denn weder findet Denken als Gehirn, noch Lichtwellen als

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[36/0037] ist. Wir können durch Rükschluss von der Materje nimmermehr auf die Psiche stossen. Viel eher hätten wir Ursache, von der Psiche aus durch Vorwärtsdringen auf die Materje zu stossen, wie Berkeley und Kant versuchten. Denn wie uns die Untersuchung der Energie unserer Sinnes-Organe zeigt, liegt der, ganze Aspekt der Aussenwelt in ihrer (der Sinnes-Organe) Funkzion beschlossen. Nachdem also konstatirt war, dass der süsse Geschmak des Apfels nicht am Apfel sondern in meiner Zunge, und nicht in meiner Zunge sondern in meinem Geschmaksnerven, und nicht in meinem Geschmaksnerven sondern in der von ihm versorgten Rindenpartie des Gehirn’s, und nicht in dieser Rindenpartie sondern in meiner Vorstellung ruht, solte man doch das so gewonnene sichere Ergebnis in dem Axiom festhalten, dass der Apfelgeschmak ein von der Vorstellung auf den Apfel übertragenes Etwas sei, statt die Apfelsüsse immer wieder von der Aussenwelt durch Mund und Nerven ins Gehirn wandern zu lassen, wo sie unweigerlich steken bleibt, da Niemand einsehen kann, wie aus einer Parzelle Gehirns eine Vorstellung werden kann; wobei es einerlei ist, ob ich statt Apfelsüsse „Reiz“, oder „Bewegung“ sage. War aber das Ergebnis des Vordringens der Empfindung des Süssen aus der Vorstellung auf den Apfel in der Aussenwelt gesichert – und soweit war schon die Transzendentalfilosofie Kant’s – dann musste, da der Sprung von Psichischem auf Körperliches ebensowenig erfolgen konte, das Körperliche selbst, und damit die Aussenwelt, als ein im Psichischen beschlossenen Kern, als ein mit ihm Gegebenes erkant werden, und Körperlichkeit und Räumlichkeit der Aussenwelt als Illusion. – Der Gehirn-Anatom also, der auf ein der Leiche entnommenes Gehirn starrt, um hier Residuen von Gedanken zu finden, begeht von seinem Denken aus denselben Fehler, wie ein Fotograf, der aus Betrachtung einer Negativ-Platte Schlüsse auf die Natur – des Lichts ziehen wollte. Beide haben nur die eine Hälfte des Prozesses vor sich – dieser verteilte Silbersalze, jener Gehirnmasse – und als ein Substrat, in dem der gesuchte Prozess garnicht stattfindet. Denn weder findet Denken als Gehirn, noch Lichtwellen als

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/37>, abgerufen am 24.04.2024.