Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

er mit dem grösten Eifer, und war hocherfreut, als ich ihm aus der Nicolaischen Bibliothek Loders anatomische Tafeln, damals das berühmteste und beste Kupferwerk, leihen konnte. Ich blickte bei dieser Grelegenheit auch hinein, schauderte aber bei dem Gedanken an das Secirmesser. Mit nicht geringem Entsetzen erfüllte es mich, als ich einst auf Augusts Tische einen abgeschnittenen Menschenfuß liegen sah, den er mit hochaufgekrempten Hemdärmeln anatomisch bearbeitete. Seitdem fragte ich jedesmal, ehe ich seine Thür aufmachte: ist die Luft bei dir rein?

Unter Augusts Besuchern gefiel mir besonders ein blonder, rothbäckiger Thüringer im gelben Flausrock, der Studiosus philosophiae Frommann aus Jena, der Sohn des bekannten würdigen Buchhändlers. Mit beiden blieb ich später in fortdauernder kollegialischer Freundschaft als Buchhändler verbunden.

Weniger nahe stand mir der Studiosus juris (später Bürgermeister und hannoverscher Minister) Stüve aus Osnabrück. Er diente in den Jahren 1813 und 1814 mit August zusammen im Lützowschen Freicorps, und vollendete nun in Berlin seine juristischen Studien. In Stüves kleinem Körper wohnte ein kräftiger Geist. Wegen seiner unbändigen Rechthaberei nannten wir ihn das animal disputax, und fürchteten uns vor seiner durchdringenden Stimme. Was ein entschiedener Wille, verbunden mit einem durchaus rechtschaffenen Karakter durchsetzen könne, das hat er später in seiner kurzen politischen Laufbahn unter den schwierigsten Umständen bewiesen. Als er vom Schauplatze abtrat, folgte ihm die Achtung aller Parteien.

Merkwürdig war mir ein genialer, aber excentrischer

er mit dem grösten Eifer, und war hocherfreut, als ich ihm aus der Nicolaischen Bibliothek Loders anatomische Tafeln, damals das berühmteste und beste Kupferwerk, leihen konnte. Ich blickte bei dieser Grelegenheit auch hinein, schauderte aber bei dem Gedanken an das Secirmesser. Mit nicht geringem Entsetzen erfüllte es mich, als ich einst auf Augusts Tische einen abgeschnittenen Menschenfuß liegen sah, den er mit hochaufgekrempten Hemdärmeln anatomisch bearbeitete. Seitdem fragte ich jedesmal, ehe ich seine Thür aufmachte: ist die Luft bei dir rein?

Unter Augusts Besuchern gefiel mir besonders ein blonder, rothbäckiger Thüringer im gelben Flausrock, der Studiosus philosophiae Frommann aus Jena, der Sohn des bekannten würdigen Buchhändlers. Mit beiden blieb ich später in fortdauernder kollegialischer Freundschaft als Buchhändler verbunden.

Weniger nahe stand mir der Studiosus juris (später Bürgermeister und hannoverscher Minister) Stüve aus Osnabrück. Er diente in den Jahren 1813 und 1814 mit August zusammen im Lützowschen Freicorps, und vollendete nun in Berlin seine juristischen Studien. In Stüves kleinem Körper wohnte ein kräftiger Geist. Wegen seiner unbändigen Rechthaberei nannten wir ihn das animal disputax, und fürchteten uns vor seiner durchdringenden Stimme. Was ein entschiedener Wille, verbunden mit einem durchaus rechtschaffenen Karakter durchsetzen könne, das hat er später in seiner kurzen politischen Laufbahn unter den schwierigsten Umständen bewiesen. Als er vom Schauplatze abtrat, folgte ihm die Achtung aller Parteien.

Merkwürdig war mir ein genialer, aber excentrischer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="147"/>
er mit dem grösten Eifer, und war hocherfreut, als ich ihm aus der Nicolaischen Bibliothek Loders anatomische Tafeln, damals das berühmteste und beste Kupferwerk, leihen konnte. Ich blickte bei dieser Grelegenheit auch hinein, schauderte aber bei dem Gedanken an das Secirmesser. Mit nicht geringem Entsetzen erfüllte es mich, als ich einst auf Augusts Tische einen abgeschnittenen Menschenfuß liegen sah, den er mit hochaufgekrempten Hemdärmeln anatomisch bearbeitete. Seitdem fragte ich jedesmal, ehe ich seine Thür aufmachte: ist die Luft bei dir rein? </p><lb/>
        <p>Unter Augusts Besuchern gefiel mir besonders ein blonder, rothbäckiger Thüringer im gelben Flausrock, der Studiosus philosophiae Frommann aus Jena, der Sohn des bekannten würdigen Buchhändlers. Mit beiden blieb ich später in fortdauernder kollegialischer Freundschaft als Buchhändler verbunden. </p><lb/>
        <p>Weniger nahe stand mir der Studiosus juris (später Bürgermeister und hannoverscher Minister) Stüve aus Osnabrück. Er diente in den Jahren 1813 und 1814 mit August zusammen im Lützowschen Freicorps, und vollendete nun in Berlin seine juristischen Studien. In Stüves kleinem Körper wohnte ein kräftiger Geist. Wegen seiner unbändigen Rechthaberei nannten wir ihn das animal disputax, und fürchteten uns vor seiner durchdringenden Stimme. Was ein entschiedener Wille, verbunden mit einem durchaus rechtschaffenen Karakter durchsetzen könne, das hat er später in seiner kurzen politischen Laufbahn unter den schwierigsten Umständen bewiesen. Als er vom Schauplatze abtrat, folgte ihm die Achtung aller Parteien. </p><lb/>
        <p>Merkwürdig war mir ein genialer, aber excentrischer
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0155] er mit dem grösten Eifer, und war hocherfreut, als ich ihm aus der Nicolaischen Bibliothek Loders anatomische Tafeln, damals das berühmteste und beste Kupferwerk, leihen konnte. Ich blickte bei dieser Grelegenheit auch hinein, schauderte aber bei dem Gedanken an das Secirmesser. Mit nicht geringem Entsetzen erfüllte es mich, als ich einst auf Augusts Tische einen abgeschnittenen Menschenfuß liegen sah, den er mit hochaufgekrempten Hemdärmeln anatomisch bearbeitete. Seitdem fragte ich jedesmal, ehe ich seine Thür aufmachte: ist die Luft bei dir rein? Unter Augusts Besuchern gefiel mir besonders ein blonder, rothbäckiger Thüringer im gelben Flausrock, der Studiosus philosophiae Frommann aus Jena, der Sohn des bekannten würdigen Buchhändlers. Mit beiden blieb ich später in fortdauernder kollegialischer Freundschaft als Buchhändler verbunden. Weniger nahe stand mir der Studiosus juris (später Bürgermeister und hannoverscher Minister) Stüve aus Osnabrück. Er diente in den Jahren 1813 und 1814 mit August zusammen im Lützowschen Freicorps, und vollendete nun in Berlin seine juristischen Studien. In Stüves kleinem Körper wohnte ein kräftiger Geist. Wegen seiner unbändigen Rechthaberei nannten wir ihn das animal disputax, und fürchteten uns vor seiner durchdringenden Stimme. Was ein entschiedener Wille, verbunden mit einem durchaus rechtschaffenen Karakter durchsetzen könne, das hat er später in seiner kurzen politischen Laufbahn unter den schwierigsten Umständen bewiesen. Als er vom Schauplatze abtrat, folgte ihm die Achtung aller Parteien. Merkwürdig war mir ein genialer, aber excentrischer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/155
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/155>, abgerufen am 18.04.2024.