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Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder. 1. Band: A-L. Berlin, 1898.

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Begabung. Kaum vierzehn Jahre alt, ein noch zartes, schwächliches Wesen, verfasste sie bereits ein Drama "Virginia", welches in der Vaterstadt mehrfach das Bühnenlicht sah, vom Publikum mit Enthusiasmus aufgenommen wurde und die kleine Dichterin zu der bekanntesten und aufgesuchtesten Persönlichkeit der hessischen Metropole machte. Bald folgten dieser ersten Arbeit weitere dichterische Erzeugnisse, so ein Drama "Maria Padilla", zwei Lustspiele "Der Türke in Petersburg" und "Die Gefangenen", welches letztere nicht weniger als dreizehnmal hintereinander in Hamburg bei ausverkauftem Hause über die Bühne ging und auch zu Benefiz-Vorstellungen ausgewählt wurde. Ausser diesen und anderen weniger bekannt gewordenen Jugendarbeiten befasste sich die Dichterin mit Novellen, Romanen und lyrischen Gedichten. Zur Jungfrau herangewachsen, schlangen Glück und Liebe die Zauberarme um sie und führten sie aus dem Heim der Eltern als Gattin in die Arme eines Mannes, dem sie auf Jahre hinaus in treuer Pflichterfüllung zur Seite stand. Dem fröhlichen Fabulieren und ernsten dichterischen Schaffen war damit, wenn auch kein Ende bereitet, doch der Weg verlegt worden. Die Sorgen um ein grosses, reiches Hauswesen, Mutterschaft und besondere Schicksalsschläge lenkten sie fast ganz von öffentlicher Thätigkeit ab, obgleich sie im steten persönlichen Verkehr mit vielen hervorragenden Männern blieb. Gleich im ersten Jahre glücklicher Ehe veranlassten Umstände eigener Art ihren Gatten, Ferdinand Wilhelmi, nach Granada (Südspanien) behufs Übernahme grosser geschäftlicher Unternehmungen überzusiedeln. Die neue Heimat wurde der Dichterin bald vertraut. Ihr Haus wurde zum Mittelpunkt eines Kreises bedeutender spanischer Persönlichkeiten und zu einem Absteigequartier aller namhaften Deutschen, welche die alte maurische Kolonie am Abhange der Sierra Nevada besuchten. Der Umstand, dass ihr Gatte der Vertreter des deutschen, österreichischen und schweizerischen Konsulates war, wurde nicht minder ein Anlass zu grossem gesellschaftlichen Verkehr. Hatte doch die Dichterin nicht nur die Ehre Koryphäen der spanischen Geistesaristokratie, wie die Dichter Pedro de Alarcon, Jose de Castro y Serrano, Perez Caldos und andere in ihren Salons zu sehen, sondern auch hohe Persönlichkeiten des deutschen Vaterlandes, wie der ehemalige preussische Finanzminister von Camphausen, der weltberühmte Dr. Brehm mit seinem unglückseligen Zögling, Kronprinz Rudolf von Österreich, verschmähten es nicht, Gäste im Hause Wilhelmi auf längere Zeit zu sein. Jahre vergingen in Spanien, welche der Erziehung ihrer Kinder und der fröhlichen Geselligkeit gewidmet waren, bis endlich trotz aller angenehmen Fesseln der unbefriedigte Genius mit neuer Macht sich in der Brust regte und die Dichterin zum Schaffen und Kämpfen für ein ideales Streben aus der Ruhe des Hauses in die brandenden Wogen der Welt trieb. Nach Deutschland zog es sie zunächst, wo sie sich in eine agitatorische Thätigkeit für freigeistige Bewegung stürzte und mit grosser Energie und als eindrucksvolle Rednerin hervorthat. Aber ihrem ruhelosen Geist war bald Deutschland zu

Begabung. Kaum vierzehn Jahre alt, ein noch zartes, schwächliches Wesen, verfasste sie bereits ein Drama »Virginia«, welches in der Vaterstadt mehrfach das Bühnenlicht sah, vom Publikum mit Enthusiasmus aufgenommen wurde und die kleine Dichterin zu der bekanntesten und aufgesuchtesten Persönlichkeit der hessischen Metropole machte. Bald folgten dieser ersten Arbeit weitere dichterische Erzeugnisse, so ein Drama »Maria Padilla«, zwei Lustspiele »Der Türke in Petersburg« und »Die Gefangenen«, welches letztere nicht weniger als dreizehnmal hintereinander in Hamburg bei ausverkauftem Hause über die Bühne ging und auch zu Benefiz-Vorstellungen ausgewählt wurde. Ausser diesen und anderen weniger bekannt gewordenen Jugendarbeiten befasste sich die Dichterin mit Novellen, Romanen und lyrischen Gedichten. Zur Jungfrau herangewachsen, schlangen Glück und Liebe die Zauberarme um sie und führten sie aus dem Heim der Eltern als Gattin in die Arme eines Mannes, dem sie auf Jahre hinaus in treuer Pflichterfüllung zur Seite stand. Dem fröhlichen Fabulieren und ernsten dichterischen Schaffen war damit, wenn auch kein Ende bereitet, doch der Weg verlegt worden. Die Sorgen um ein grosses, reiches Hauswesen, Mutterschaft und besondere Schicksalsschläge lenkten sie fast ganz von öffentlicher Thätigkeit ab, obgleich sie im steten persönlichen Verkehr mit vielen hervorragenden Männern blieb. Gleich im ersten Jahre glücklicher Ehe veranlassten Umstände eigener Art ihren Gatten, Ferdinand Wilhelmi, nach Granada (Südspanien) behufs Übernahme grosser geschäftlicher Unternehmungen überzusiedeln. Die neue Heimat wurde der Dichterin bald vertraut. Ihr Haus wurde zum Mittelpunkt eines Kreises bedeutender spanischer Persönlichkeiten und zu einem Absteigequartier aller namhaften Deutschen, welche die alte maurische Kolonie am Abhange der Sierra Nevada besuchten. Der Umstand, dass ihr Gatte der Vertreter des deutschen, österreichischen und schweizerischen Konsulates war, wurde nicht minder ein Anlass zu grossem gesellschaftlichen Verkehr. Hatte doch die Dichterin nicht nur die Ehre Koryphäen der spanischen Geistesaristokratie, wie die Dichter Pedro de Alarcon, Jose de Castro y Serrano, Perez Caldos und andere in ihren Salons zu sehen, sondern auch hohe Persönlichkeiten des deutschen Vaterlandes, wie der ehemalige preussische Finanzminister von Camphausen, der weltberühmte Dr. Brehm mit seinem unglückseligen Zögling, Kronprinz Rudolf von Österreich, verschmähten es nicht, Gäste im Hause Wilhelmi auf längere Zeit zu sein. Jahre vergingen in Spanien, welche der Erziehung ihrer Kinder und der fröhlichen Geselligkeit gewidmet waren, bis endlich trotz aller angenehmen Fesseln der unbefriedigte Genius mit neuer Macht sich in der Brust regte und die Dichterin zum Schaffen und Kämpfen für ein ideales Streben aus der Ruhe des Hauses in die brandenden Wogen der Welt trieb. Nach Deutschland zog es sie zunächst, wo sie sich in eine agitatorische Thätigkeit für freigeistige Bewegung stürzte und mit grosser Energie und als eindrucksvolle Rednerin hervorthat. Aber ihrem ruhelosen Geist war bald Deutschland zu

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Begabung. Kaum vierzehn Jahre alt, ein noch zartes, schwächliches Wesen, verfasste sie bereits ein Drama »Virginia«, welches in der Vaterstadt mehrfach das Bühnenlicht sah, vom Publikum mit Enthusiasmus aufgenommen wurde und die kleine Dichterin zu der bekanntesten und aufgesuchtesten Persönlichkeit der hessischen Metropole machte. Bald folgten dieser ersten Arbeit weitere dichterische Erzeugnisse, so ein Drama »Maria Padilla«, zwei Lustspiele »Der Türke in Petersburg« und »Die Gefangenen«, welches letztere nicht weniger als dreizehnmal hintereinander in Hamburg bei ausverkauftem Hause über die Bühne ging und auch zu Benefiz-Vorstellungen ausgewählt wurde. Ausser diesen und anderen weniger bekannt gewordenen Jugendarbeiten befasste sich die Dichterin mit Novellen, Romanen und lyrischen Gedichten. Zur Jungfrau herangewachsen, schlangen Glück und Liebe die Zauberarme um sie und führten sie aus dem Heim der Eltern als Gattin in die Arme eines Mannes, dem sie auf Jahre hinaus in treuer Pflichterfüllung zur Seite stand. Dem fröhlichen Fabulieren und ernsten dichterischen Schaffen war damit, wenn auch kein Ende bereitet, doch der Weg verlegt worden. Die Sorgen um ein grosses, reiches Hauswesen, Mutterschaft und besondere Schicksalsschläge lenkten sie fast ganz von öffentlicher Thätigkeit ab, obgleich sie im steten persönlichen Verkehr mit vielen hervorragenden Männern blieb. Gleich im ersten Jahre glücklicher Ehe veranlassten Umstände eigener Art ihren Gatten, Ferdinand Wilhelmi, nach Granada (Südspanien) behufs Übernahme grosser geschäftlicher Unternehmungen überzusiedeln. Die neue Heimat wurde der Dichterin bald vertraut. Ihr Haus wurde zum Mittelpunkt eines Kreises bedeutender spanischer Persönlichkeiten und zu einem Absteigequartier aller namhaften Deutschen, welche die alte maurische Kolonie am Abhange der Sierra Nevada besuchten. Der Umstand, dass ihr Gatte der Vertreter des deutschen, österreichischen und schweizerischen Konsulates war, wurde nicht minder ein Anlass zu grossem gesellschaftlichen Verkehr. Hatte doch die Dichterin nicht nur die Ehre Koryphäen der spanischen Geistesaristokratie, wie die Dichter Pedro de Alarcon, Jose de Castro y Serrano, Perez Caldos und andere in ihren Salons zu sehen, sondern auch hohe Persönlichkeiten des deutschen Vaterlandes, wie der ehemalige preussische Finanzminister von Camphausen, der weltberühmte Dr. Brehm mit seinem unglückseligen Zögling, Kronprinz Rudolf von Österreich, verschmähten es nicht, Gäste im Hause Wilhelmi auf längere Zeit zu sein. Jahre vergingen in Spanien, welche der Erziehung ihrer Kinder und der fröhlichen Geselligkeit gewidmet waren, bis endlich trotz aller angenehmen Fesseln der unbefriedigte Genius mit neuer Macht sich in der Brust regte und die Dichterin zum Schaffen und Kämpfen für ein ideales Streben aus der Ruhe des Hauses in die brandenden Wogen der Welt trieb. Nach Deutschland zog es sie zunächst, wo sie sich in eine agitatorische Thätigkeit für freigeistige Bewegung stürzte und mit grosser Energie und als eindrucksvolle Rednerin hervorthat. Aber ihrem ruhelosen Geist war bald Deutschland zu
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[0353] Begabung. Kaum vierzehn Jahre alt, ein noch zartes, schwächliches Wesen, verfasste sie bereits ein Drama »Virginia«, welches in der Vaterstadt mehrfach das Bühnenlicht sah, vom Publikum mit Enthusiasmus aufgenommen wurde und die kleine Dichterin zu der bekanntesten und aufgesuchtesten Persönlichkeit der hessischen Metropole machte. Bald folgten dieser ersten Arbeit weitere dichterische Erzeugnisse, so ein Drama »Maria Padilla«, zwei Lustspiele »Der Türke in Petersburg« und »Die Gefangenen«, welches letztere nicht weniger als dreizehnmal hintereinander in Hamburg bei ausverkauftem Hause über die Bühne ging und auch zu Benefiz-Vorstellungen ausgewählt wurde. Ausser diesen und anderen weniger bekannt gewordenen Jugendarbeiten befasste sich die Dichterin mit Novellen, Romanen und lyrischen Gedichten. Zur Jungfrau herangewachsen, schlangen Glück und Liebe die Zauberarme um sie und führten sie aus dem Heim der Eltern als Gattin in die Arme eines Mannes, dem sie auf Jahre hinaus in treuer Pflichterfüllung zur Seite stand. Dem fröhlichen Fabulieren und ernsten dichterischen Schaffen war damit, wenn auch kein Ende bereitet, doch der Weg verlegt worden. Die Sorgen um ein grosses, reiches Hauswesen, Mutterschaft und besondere Schicksalsschläge lenkten sie fast ganz von öffentlicher Thätigkeit ab, obgleich sie im steten persönlichen Verkehr mit vielen hervorragenden Männern blieb. Gleich im ersten Jahre glücklicher Ehe veranlassten Umstände eigener Art ihren Gatten, Ferdinand Wilhelmi, nach Granada (Südspanien) behufs Übernahme grosser geschäftlicher Unternehmungen überzusiedeln. Die neue Heimat wurde der Dichterin bald vertraut. Ihr Haus wurde zum Mittelpunkt eines Kreises bedeutender spanischer Persönlichkeiten und zu einem Absteigequartier aller namhaften Deutschen, welche die alte maurische Kolonie am Abhange der Sierra Nevada besuchten. Der Umstand, dass ihr Gatte der Vertreter des deutschen, österreichischen und schweizerischen Konsulates war, wurde nicht minder ein Anlass zu grossem gesellschaftlichen Verkehr. Hatte doch die Dichterin nicht nur die Ehre Koryphäen der spanischen Geistesaristokratie, wie die Dichter Pedro de Alarcon, Jose de Castro y Serrano, Perez Caldos und andere in ihren Salons zu sehen, sondern auch hohe Persönlichkeiten des deutschen Vaterlandes, wie der ehemalige preussische Finanzminister von Camphausen, der weltberühmte Dr. Brehm mit seinem unglückseligen Zögling, Kronprinz Rudolf von Österreich, verschmähten es nicht, Gäste im Hause Wilhelmi auf längere Zeit zu sein. Jahre vergingen in Spanien, welche der Erziehung ihrer Kinder und der fröhlichen Geselligkeit gewidmet waren, bis endlich trotz aller angenehmen Fesseln der unbefriedigte Genius mit neuer Macht sich in der Brust regte und die Dichterin zum Schaffen und Kämpfen für ein ideales Streben aus der Ruhe des Hauses in die brandenden Wogen der Welt trieb. Nach Deutschland zog es sie zunächst, wo sie sich in eine agitatorische Thätigkeit für freigeistige Bewegung stürzte und mit grosser Energie und als eindrucksvolle Rednerin hervorthat. Aber ihrem ruhelosen Geist war bald Deutschland zu

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Zitationshilfe: Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder. 1. Band: A-L. Berlin, 1898, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pataky_lexikon01_1898/353>, abgerufen am 23.04.2024.