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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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gehört wohl uns 7 Erben, schon wegen der Ra¬
sur;" und wollt' ihn nehmen. "Sie sei ja ein¬
gestanden, o Gott!" sagte Walt erzürnt und
behauptete den Bogen -- ein zorniger Tropfe und
Blick entbrannt' in seinen blauen Augen -- diesen
zu entschuldigen, drückt' er eilig Klothars Hand
und floh davon, um sich zu trösten und andern
zu vergeben.

"Ach, dacht' er unterwegs, wie weit ists
von einem ähnlichen Herzen zum andern! Ueber
welche Menschen, Kleider, Ordenssterne, Tage
geht nicht der Weg! Jonathan! ich will dich
lieben, ohne geliebt zu werden, wie ich deine
Wina liebte; es ist mir vielleicht möglich; aber
ich wünschte doch dein Portrait."


Nro. 30. Mispickel aus Sachsen.

Gespräch über den Adel.

Der Notar verlor jeden Tag seinen Bruder
einmal. Er konnte dessen Verschwinden nicht
fassen; die Sonnenfinsterniß des Schmolgeistes
war ihm eine unsichtbare. Bald hielt er ihn für

gehoͤrt wohl uns 7 Erben, ſchon wegen der Ra¬
ſur;“ und wollt' ihn nehmen. „Sie ſei ja ein¬
geſtanden, o Gott!“ ſagte Walt erzuͤrnt und
behauptete den Bogen — ein zorniger Tropfe und
Blick entbrannt' in ſeinen blauen Augen — dieſen
zu entſchuldigen, druͤckt' er eilig Klothars Hand
und floh davon, um ſich zu troͤſten und andern
zu vergeben.

„Ach, dacht' er unterwegs, wie weit iſts
von einem aͤhnlichen Herzen zum andern! Ueber
welche Menſchen, Kleider, Ordensſterne, Tage
geht nicht der Weg! Jonathan! ich will dich
lieben, ohne geliebt zu werden, wie ich deine
Wina liebte; es iſt mir vielleicht moͤglich; aber
ich wuͤnſchte doch dein Portrait.“


Nro. 30. Mispickel aus Sachſen.

Geſpraͤch uͤber den Adel.

Der Notar verlor jeden Tag ſeinen Bruder
einmal. Er konnte deſſen Verſchwinden nicht
faſſen; die Sonnenfinſterniß des Schmolgeiſtes
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[164/0172] gehoͤrt wohl uns 7 Erben, ſchon wegen der Ra¬ ſur;“ und wollt' ihn nehmen. „Sie ſei ja ein¬ geſtanden, o Gott!“ ſagte Walt erzuͤrnt und behauptete den Bogen — ein zorniger Tropfe und Blick entbrannt' in ſeinen blauen Augen — dieſen zu entſchuldigen, druͤckt' er eilig Klothars Hand und floh davon, um ſich zu troͤſten und andern zu vergeben. „Ach, dacht' er unterwegs, wie weit iſts von einem aͤhnlichen Herzen zum andern! Ueber welche Menſchen, Kleider, Ordensſterne, Tage geht nicht der Weg! Jonathan! ich will dich lieben, ohne geliebt zu werden, wie ich deine Wina liebte; es iſt mir vielleicht moͤglich; aber ich wuͤnſchte doch dein Portrait.“ Nro. 30. Mispickel aus Sachſen. Geſpraͤch uͤber den Adel. Der Notar verlor jeden Tag ſeinen Bruder einmal. Er konnte deſſen Verſchwinden nicht faſſen; die Sonnenfinſterniß des Schmolgeiſtes war ihm eine unſichtbare. Bald hielt er ihn fuͤr

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/172>, abgerufen am 28.03.2024.