"Der Himmel besteht wahrscheinlich aus ersten Tagen -- wiewohl die Hölle auch -- so sehr jauchzet mich heute dein elendes Nest an," sagte Vult beim Frühstück. Beide gingen in ihre Wohnungen an ihre Arbeiten nach Hause. Vult schrieb am Tagebuch ein wenig und schnitt zwei brauchbare Ausschweifungen sogleich heraus für den Hoppelpoppel. Dann sah er aus dem Fen¬ ster und sprach zur freundlichen Raphaela herab, welche auf Vaters Befehl im Garten Wach-ste¬ hen mußte, weil man die Bildsäulen wie die Orangerie-Kästen in die Winterquartiere trug. Da er voraus sah, daß Walt ihn hören müßte, so schneiete er zierlich-gefrorne Eisblümchen von Anspielungen auf Liebe, Kälte, Halbgötterchen und ganze Göttinnen hinab, welche, hofft' er, Walts und Raphaelens Wärme schon zu schönen bunten Tropfen aufthauen würden. Raphaela ließ ähnliche Eisblumen an seinen Scheiben an¬ schießen; und wurde im kalten Wetter des Gar¬ tens schön geheitzt, blos weil Vult ein Mann
Nro. 57. Regenpfeifer.
Doppel-Leben.
„Der Himmel beſteht wahrſcheinlich aus erſten Tagen — wiewohl die Hoͤlle auch — ſo ſehr jauchzet mich heute dein elendes Neſt an,” ſagte Vult beim Fruͤhſtuͤck. Beide gingen in ihre Wohnungen an ihre Arbeiten nach Hauſe. Vult ſchrieb am Tagebuch ein wenig und ſchnitt zwei brauchbare Ausſchweifungen ſogleich heraus fuͤr den Hoppelpoppel. Dann ſah er aus dem Fen¬ ſter und ſprach zur freundlichen Raphaela herab, welche auf Vaters Befehl im Garten Wach-ſte¬ hen mußte, weil man die Bildſaͤulen wie die Orangerie-Kaͤſten in die Winterquartiere trug. Da er voraus ſah, daß Walt ihn hoͤren muͤßte, ſo ſchneiete er zierlich-gefrorne Eisbluͤmchen von Anſpielungen auf Liebe, Kaͤlte, Halbgoͤtterchen und ganze Goͤttinnen hinab, welche, hofft' er, Walts und Raphaelens Waͤrme ſchon zu ſchoͤnen bunten Tropfen aufthauen wuͤrden. Raphaela ließ aͤhnliche Eisblumen an ſeinen Scheiben an¬ ſchießen; und wurde im kalten Wetter des Gar¬ tens ſchoͤn geheitzt, blos weil Vult ein Mann
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Nro. 57. Regenpfeifer.
Doppel-Leben.
„Der Himmel beſteht wahrſcheinlich aus
erſten Tagen — wiewohl die Hoͤlle auch — ſo
ſehr jauchzet mich heute dein elendes Neſt an,”
ſagte Vult beim Fruͤhſtuͤck. Beide gingen in ihre
Wohnungen an ihre Arbeiten nach Hauſe. Vult
ſchrieb am Tagebuch ein wenig und ſchnitt zwei
brauchbare Ausſchweifungen ſogleich heraus fuͤr
den Hoppelpoppel. Dann ſah er aus dem Fen¬
ſter und ſprach zur freundlichen Raphaela herab,
welche auf Vaters Befehl im Garten Wach-ſte¬
hen mußte, weil man die Bildſaͤulen wie die
Orangerie-Kaͤſten in die Winterquartiere trug.
Da er voraus ſah, daß Walt ihn hoͤren muͤßte,
ſo ſchneiete er zierlich-gefrorne Eisbluͤmchen von
Anſpielungen auf Liebe, Kaͤlte, Halbgoͤtterchen
und ganze Goͤttinnen hinab, welche, hofft' er,
Walts und Raphaelens Waͤrme ſchon zu ſchoͤnen
bunten Tropfen aufthauen wuͤrden. Raphaela
ließ aͤhnliche Eisblumen an ſeinen Scheiben an¬
ſchießen; und wurde im kalten Wetter des Gar¬
tens ſchoͤn geheitzt, blos weil Vult ein Mann
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/146>, abgerufen am 25.04.2024.
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