Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

schweige wie sonst griechisch geschrieben und kann
also nicht wie sonst ins lateinische sondern bloß ins
Deutsche übersetzt werden. In unsern Tagen
drängt keine Frau mehr ihren eingepuderten infu¬
lierten Kopf durch das klassische enge Kummet,
wenns nicht Hermes Töchter thun. Dieses war
meinem Leser noch eher bekannt als mir, weil ich
jünger bin -- so wie uns beiden auch das jezige
bessere Kommentiren, Ediren und Uebersetzen der
Alten bekannt genug ist. Nur wuchs mit dem
Werthe ihrer Verehrer nicht die Zahl dieser Ver¬
ehrer; alle andre Wissenschaften theilen sich jezt in
eine Universalmonarchie über alle Leser; aber die
Alten sitzen mit ihren wenigen Edukations-Lehnleu¬
ten einsam auf einem S. Marino-Felsen. Es giebt
jezt nichts als Polyhistors, die alles gelesen ha¬
ben, bloß die Alten nicht.

Der Geschmack am Geiste der Alten muß
sich so gut abstumpfen als der an ihrer Sprache.
Ich behaupte nicht, daß man in den klassischen
Papageyen-Säkuln diesen Geist besser fühlte als
jezt: denn Vossius hieng am Lukan, Lipsius am
Seneka, Kasaubon am Persius; ich sage nicht,
daß damals ein Tasso, eine Messiade, ein Damo¬

ſchweige wie ſonſt griechiſch geſchrieben und kann
alſo nicht wie ſonſt ins lateiniſche ſondern bloß ins
Deutſche uͤberſetzt werden. In unſern Tagen
draͤngt keine Frau mehr ihren eingepuderten infu¬
lierten Kopf durch das klaſſiſche enge Kummet,
wenns nicht Hermes Toͤchter thun. Dieſes war
meinem Leſer noch eher bekannt als mir, weil ich
juͤnger bin — ſo wie uns beiden auch das jezige
beſſere Kommentiren, Ediren und Ueberſetzen der
Alten bekannt genug iſt. Nur wuchs mit dem
Werthe ihrer Verehrer nicht die Zahl dieſer Ver¬
ehrer; alle andre Wiſſenſchaften theilen ſich jezt in
eine Univerſalmonarchie uͤber alle Leſer; aber die
Alten ſitzen mit ihren wenigen Edukations-Lehnleu¬
ten einſam auf einem S. Marino-Felſen. Es giebt
jezt nichts als Polyhiſtors, die alles geleſen ha¬
ben, bloß die Alten nicht.

Der Geſchmack am Geiſte der Alten muß
ſich ſo gut abſtumpfen als der an ihrer Sprache.
Ich behaupte nicht, daß man in den klaſſiſchen
Papageyen-Saͤkuln dieſen Geiſt beſſer fuͤhlte als
jezt: denn Voſſius hieng am Lukan, Lipſius am
Seneka, Kaſaubon am Perſius; ich ſage nicht,
daß damals ein Taſſo, eine Meſſiade, ein Damo¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0227" n="191"/>
&#x017F;chweige wie &#x017F;on&#x017F;t griechi&#x017F;ch ge&#x017F;chrieben und kann<lb/>
al&#x017F;o nicht wie &#x017F;on&#x017F;t ins lateini&#x017F;che &#x017F;ondern bloß ins<lb/>
Deut&#x017F;che u&#x0364;ber&#x017F;etzt werden. In un&#x017F;ern Tagen<lb/>
dra&#x0364;ngt keine Frau mehr ihren eingepuderten infu¬<lb/>
lierten Kopf durch das kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che enge Kummet,<lb/>
wenns nicht Hermes To&#x0364;chter thun. Die&#x017F;es war<lb/>
meinem Le&#x017F;er noch eher bekannt als mir, weil ich<lb/>
ju&#x0364;nger bin &#x2014; &#x017F;o wie uns beiden auch das jezige<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ere Kommentiren, Ediren und Ueber&#x017F;etzen der<lb/>
Alten bekannt genug i&#x017F;t. Nur wuchs mit dem<lb/><hi rendition="#g">Werthe</hi> ihrer Verehrer nicht die Zahl die&#x017F;er Ver¬<lb/>
ehrer; alle andre Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften theilen &#x017F;ich jezt in<lb/>
eine Univer&#x017F;almonarchie u&#x0364;ber alle Le&#x017F;er; aber die<lb/>
Alten &#x017F;itzen mit ihren wenigen Edukations-Lehnleu¬<lb/>
ten ein&#x017F;am auf einem S. Marino-Fel&#x017F;en. Es giebt<lb/>
jezt nichts als Polyhi&#x017F;tors, die alles gele&#x017F;en ha¬<lb/>
ben, bloß die Alten nicht.</p><lb/>
          <p>Der Ge&#x017F;chmack am <hi rendition="#g">Gei&#x017F;te</hi> der Alten muß<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o gut ab&#x017F;tumpfen als der an ihrer <hi rendition="#g">Sprache</hi>.<lb/>
Ich behaupte nicht, daß man in den kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/><choice><sic>Papageyen ' Sa&#x0364;kuln</sic><corr>Papageyen-Sa&#x0364;kuln</corr></choice> die&#x017F;en Gei&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er fu&#x0364;hlte als<lb/>
jezt: denn Vo&#x017F;&#x017F;ius hieng am Lukan, Lip&#x017F;ius am<lb/>
Seneka, Ka&#x017F;aubon am Per&#x017F;ius; ich &#x017F;age nicht,<lb/>
daß damals ein Ta&#x017F;&#x017F;o, eine Me&#x017F;&#x017F;iade, ein Damo¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0227] ſchweige wie ſonſt griechiſch geſchrieben und kann alſo nicht wie ſonſt ins lateiniſche ſondern bloß ins Deutſche uͤberſetzt werden. In unſern Tagen draͤngt keine Frau mehr ihren eingepuderten infu¬ lierten Kopf durch das klaſſiſche enge Kummet, wenns nicht Hermes Toͤchter thun. Dieſes war meinem Leſer noch eher bekannt als mir, weil ich juͤnger bin — ſo wie uns beiden auch das jezige beſſere Kommentiren, Ediren und Ueberſetzen der Alten bekannt genug iſt. Nur wuchs mit dem Werthe ihrer Verehrer nicht die Zahl dieſer Ver¬ ehrer; alle andre Wiſſenſchaften theilen ſich jezt in eine Univerſalmonarchie uͤber alle Leſer; aber die Alten ſitzen mit ihren wenigen Edukations-Lehnleu¬ ten einſam auf einem S. Marino-Felſen. Es giebt jezt nichts als Polyhiſtors, die alles geleſen ha¬ ben, bloß die Alten nicht. Der Geſchmack am Geiſte der Alten muß ſich ſo gut abſtumpfen als der an ihrer Sprache. Ich behaupte nicht, daß man in den klaſſiſchen Papageyen-Saͤkuln dieſen Geiſt beſſer fuͤhlte als jezt: denn Voſſius hieng am Lukan, Lipſius am Seneka, Kaſaubon am Perſius; ich ſage nicht, daß damals ein Taſſo, eine Meſſiade, ein Damo¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/227
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/227>, abgerufen am 24.04.2024.