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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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aber solche zu verführen. Das Seewasser
seines Lebens -- denn er ist weder ein Millio¬
när noch eben der größte Gelehrte des Säkuls,
ob er wohl bei vielen Bücherverleihern herum¬
gelesen, -- süßet er sich durch das Schönheitswas¬
ser ab, worin er sich stündlich badet. Er säuft
und frisset fast nichts; flucht und schwört er,
so thut ers in fremden Sprachen wie der
Päbstler darin betet, und schmeichelt wenigen
außer sich.

Der Eitle und noch mehr die Eitle has¬
sen Eitle viel zu stark, die doch mehr am
Kopfe als am Willen siechen. Ich kann mich
hier freudig auf jeden denkenden Leser berufen,
ob er sich je, wenn er eben ungewöhnlich eitel
einhertrat, tiefe Gewissensbisse oder Mißtöne
im Ich verspürt zu haben entsinnt, welche doch
niemals fehlten, wenn er sehr log oder zu hart
war; er nahm vielmehr ein ungemein liebliches
Schaukeln seines innern Menschen in der Pa¬
radewiege wahr. Daher wird ein Eitler so
schwer wie ein Spieler kurirt. Aber auch noch
darum: die meisten Sünden sind Kasualpredig¬
ten und Gelegenheitsgedichte und müssen häu¬

aber ſolche zu verführen. Das Seewaſſer
ſeines Lebens — denn er iſt weder ein Millio¬
när noch eben der größte Gelehrte des Säkuls,
ob er wohl bei vielen Bücherverleihern herum¬
geleſen, — ſüßet er ſich durch das Schönheitswas¬
ſer ab, worin er ſich ſtündlich badet. Er ſäuft
und friſſet faſt nichts; flucht und ſchwört er,
ſo thut ers in fremden Sprachen wie der
Päbſtler darin betet, und ſchmeichelt wenigen
außer ſich.

Der Eitle und noch mehr die Eitle has¬
ſen Eitle viel zu ſtark, die doch mehr am
Kopfe als am Willen ſiechen. Ich kann mich
hier freudig auf jeden denkenden Leſer berufen,
ob er ſich je, wenn er eben ungewöhnlich eitel
einhertrat, tiefe Gewiſſensbiſſe oder Mißtöne
im Ich verſpürt zu haben entſinnt, welche doch
niemals fehlten, wenn er ſehr log oder zu hart
war; er nahm vielmehr ein ungemein liebliches
Schaukeln ſeines innern Menſchen in der Pa¬
radewiege wahr. Daher wird ein Eitler ſo
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[196/0216] aber ſolche zu verführen. Das Seewaſſer ſeines Lebens — denn er iſt weder ein Millio¬ när noch eben der größte Gelehrte des Säkuls, ob er wohl bei vielen Bücherverleihern herum¬ geleſen, — ſüßet er ſich durch das Schönheitswas¬ ſer ab, worin er ſich ſtündlich badet. Er ſäuft und friſſet faſt nichts; flucht und ſchwört er, ſo thut ers in fremden Sprachen wie der Päbſtler darin betet, und ſchmeichelt wenigen außer ſich. Der Eitle und noch mehr die Eitle has¬ ſen Eitle viel zu ſtark, die doch mehr am Kopfe als am Willen ſiechen. Ich kann mich hier freudig auf jeden denkenden Leſer berufen, ob er ſich je, wenn er eben ungewöhnlich eitel einhertrat, tiefe Gewiſſensbiſſe oder Mißtöne im Ich verſpürt zu haben entſinnt, welche doch niemals fehlten, wenn er ſehr log oder zu hart war; er nahm vielmehr ein ungemein liebliches Schaukeln ſeines innern Menſchen in der Pa¬ radewiege wahr. Daher wird ein Eitler ſo ſchwer wie ein Spieler kurirt. Aber auch noch darum: die meiſten Sünden ſind Kaſualpredig¬ ten und Gelegenheitsgedichte und müſſen häu¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/216>, abgerufen am 28.03.2024.