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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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"erweisen ist, daß sie leben, so ists auch nicht
"leicht auszumitteln, wenn sie todt sind; Kälte
"und Unbeweglichkeit und Fäulniß beweisen
"zu wenig. Doch mag man vielleicht könig¬
"liche Sterbebetten wie die Perser königliche
"Gräber auch darum verstecken, um den ar¬
"men Landeskindern den herben Zwischenraum
"zwischen dem Tode und der neuen Huldigung
"möglichst abzukürzen. Ja da nach der Fikzion
"ein König gar nicht stirbt, so haben wir
"Gott zu danken, daß wirs überhaupt erfah¬
"ren und daß es nicht mit dem Tode desselben
"wie mit dem Tode des eben so unsterblichen
"Voltaire geht, den die Pariser Journalisten
"gar nicht melden durften."

Van Swieten und Boerhave und Galenus
brachten nach langem Ausbleiben einen Brief
an -- Albano mit Gaspards Siegel; er riß
ihn jugendlich-arglos auf ohne einen Blick auf
den Umschlag; aber der Lektor nahm diesen in
die Hand und drehte ihn wie ein Postsekretär,
Heraldiker und Siegelbewahrer nach seiner Ge¬
wohnheit zur Visitazion sphragistischer Wun¬
den herum und schüttelte über die schlechte Er¬

„erweiſen iſt, daß ſie leben, ſo iſts auch nicht
„leicht auszumitteln, wenn ſie todt ſind; Kälte
„und Unbeweglichkeit und Fäulniß beweiſen
„zu wenig. Doch mag man vielleicht könig¬
„liche Sterbebetten wie die Perſer königliche
„Gräber auch darum verſtecken, um den ar¬
„men Landeskindern den herben Zwiſchenraum
„zwiſchen dem Tode und der neuen Huldigung
„möglichſt abzukürzen. Ja da nach der Fikzion
„ein König gar nicht ſtirbt, ſo haben wir
„Gott zu danken, daß wirs überhaupt erfah¬
„ren und daß es nicht mit dem Tode deſſelben
„wie mit dem Tode des eben ſo unſterblichen
„Voltaire geht, den die Pariſer Journaliſten
„gar nicht melden durften.“

Van Swieten und Boerhave und Galenus
brachten nach langem Ausbleiben einen Brief
an — Albano mit Gaſpards Siegel; er riß
ihn jugendlich-arglos auf ohne einen Blick auf
den Umſchlag; aber der Lektor nahm dieſen in
die Hand und drehte ihn wie ein Poſtſekretär,
Heraldiker und Siegelbewahrer nach ſeiner Ge¬
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den herum und ſchüttelte über die ſchlechte Er¬

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[277/0297] „erweiſen iſt, daß ſie leben, ſo iſts auch nicht „leicht auszumitteln, wenn ſie todt ſind; Kälte „und Unbeweglichkeit und Fäulniß beweiſen „zu wenig. Doch mag man vielleicht könig¬ „liche Sterbebetten wie die Perſer königliche „Gräber auch darum verſtecken, um den ar¬ „men Landeskindern den herben Zwiſchenraum „zwiſchen dem Tode und der neuen Huldigung „möglichſt abzukürzen. Ja da nach der Fikzion „ein König gar nicht ſtirbt, ſo haben wir „Gott zu danken, daß wirs überhaupt erfah¬ „ren und daß es nicht mit dem Tode deſſelben „wie mit dem Tode des eben ſo unſterblichen „Voltaire geht, den die Pariſer Journaliſten „gar nicht melden durften.“ Van Swieten und Boerhave und Galenus brachten nach langem Ausbleiben einen Brief an — Albano mit Gaſpards Siegel; er riß ihn jugendlich-arglos auf ohne einen Blick auf den Umſchlag; aber der Lektor nahm dieſen in die Hand und drehte ihn wie ein Poſtſekretär, Heraldiker und Siegelbewahrer nach ſeiner Ge¬ wohnheit zur Viſitazion ſphragiſtiſcher Wun¬ den herum und ſchüttelte über die ſchlechte Er¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/297>, abgerufen am 29.03.2024.