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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Abend betrübt. Denn die duldende bescheidne
Gestalt, die er gesehen, glänzte wie der Vorsatz
einer großen That, allen Bildern seiner Seele
vor und in seinen Träumen und vor dem Ein¬
schlafen ward ihre holde Stimme die Philo¬
mele einer Frühlingsnacht. -- Dabei hört' er
noch immer von ihr sprechen, besonders
den Physikus, der jeden Tag weitere Fort¬
schritte der Augenkur verkündigte und zuletzt
Lianens Abreise nach Lilar immer näher stellte
-- (Von einer Geliebten aber hören ist, sey es
immer etwas Gleichgültiges, weit mächtiger
als an sie denken) -- Er hörte ferner, daß ihr
Bruder sich seit der Ermordung ihrer Augen
der ganzen Stadt entzogen, in welcher er nicht
wieder erscheinen will als auf einem sogenannten
Freudenpferde bei der Fürstenleiche; -- --
Und um dieses Eden, oder vielmehr um die
Schöpferinn derselben, war eine so hohe Gar¬
tenmauer gezogen und er gieng um die Mauer
und fand kein Thor. -- --

Verhaßteres kenn' ich nichts als das; aber
in welcher Residenzstadt ists anders? Schrieb'
ich jemals einen Roman, (wozu es keinen An¬

Abend betrübt. Denn die duldende beſcheidne
Geſtalt, die er geſehen, glänzte wie der Vorſatz
einer großen That, allen Bildern ſeiner Seele
vor und in ſeinen Träumen und vor dem Ein¬
ſchlafen ward ihre holde Stimme die Philo¬
mele einer Frühlingsnacht. — Dabei hört' er
noch immer von ihr ſprechen, beſonders
den Phyſikus, der jeden Tag weitere Fort¬
ſchritte der Augenkur verkündigte und zuletzt
Lianens Abreiſe nach Lilar immer näher ſtellte
— (Von einer Geliebten aber hören iſt, ſey es
immer etwas Gleichgültiges, weit mächtiger
als an ſie denken) — Er hörte ferner, daß ihr
Bruder ſich ſeit der Ermordung ihrer Augen
der ganzen Stadt entzogen, in welcher er nicht
wieder erſcheinen will als auf einem ſogenannten
Freudenpferde bei der Fürſtenleiche; — —
Und um dieſes Eden, oder vielmehr um die
Schöpferinn derſelben, war eine ſo hohe Gar¬
tenmauer gezogen und er gieng um die Mauer
und fand kein Thor. — —

Verhaßteres kenn' ich nichts als das; aber
in welcher Reſidenzſtadt iſts anders? Schrieb'
ich jemals einen Roman, (wozu es keinen An¬

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[397/0417] Abend betrübt. Denn die duldende beſcheidne Geſtalt, die er geſehen, glänzte wie der Vorſatz einer großen That, allen Bildern ſeiner Seele vor und in ſeinen Träumen und vor dem Ein¬ ſchlafen ward ihre holde Stimme die Philo¬ mele einer Frühlingsnacht. — Dabei hört' er noch immer von ihr ſprechen, beſonders den Phyſikus, der jeden Tag weitere Fort¬ ſchritte der Augenkur verkündigte und zuletzt Lianens Abreiſe nach Lilar immer näher ſtellte — (Von einer Geliebten aber hören iſt, ſey es immer etwas Gleichgültiges, weit mächtiger als an ſie denken) — Er hörte ferner, daß ihr Bruder ſich ſeit der Ermordung ihrer Augen der ganzen Stadt entzogen, in welcher er nicht wieder erſcheinen will als auf einem ſogenannten Freudenpferde bei der Fürſtenleiche; — — Und um dieſes Eden, oder vielmehr um die Schöpferinn derſelben, war eine ſo hohe Gar¬ tenmauer gezogen und er gieng um die Mauer und fand kein Thor. — — Verhaßteres kenn' ich nichts als das; aber in welcher Reſidenzſtadt iſts anders? Schrieb' ich jemals einen Roman, (wozu es keinen An¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/417>, abgerufen am 25.04.2024.